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Zu Francesco Petrarca

Hartmut Schönherr


Schneetreiben
                an einer italienischen Landstrasse














    
ZUM "CANZONIERE" IM ITALIENISCHEN ORIGINAL, MIT ÜBERTRAGUNGEN UND ÜBERSETZUNGEN INS DEUTSCHE
  


SEITENINHALT

Leben, Werk und Nachleben: "Il Canzoniere" und die Ordnung der Dinge - Petrarca und das Europa der Nationen - Petrarkismus und europäische Identität - Das Vierte Reich - Latinitas und Volgare - Werkzäsuren - Summa und Fragment - Bedeutung für die Nachwelt - Biographie - Verortung - Portrait - Familie - Dichterkrönung - Gründungsmythen moderner Subjektivität - Zölibat und Selbstverwirklichung - Renaissance - Zeitalter des Lichtes - Inquisition - Petrarca als Prophet - Petrarca als Ökologe - Petrarca und die Pest - Petrarkismus und die Geschichte des Sonetts - Übersetzungen - Du Bellays Petrarkismus - Neuhumanismus - Zweiter Petrarkismus - Anti-Petrarkismus - Marquis de Sade - Petrarca und die Familie de Sade - Liebe, Leid und Lorbeer - Donna Laura - Das lyrische Ich, ruiniert - Frauen-Körper-Bilder - Dichtung und Wahrheit - Bürgerliche Emanzipation - Petrarca politico - Der verkannte/verschwiegene Petrarca - Zensur und Copyright - Petrarca und das Grundeinkommen - Simsen und twittern - Identitätskonstruktion - Probleme deutscher Petrarca-Übersetzungen - Der männliche Blick - Weiblicher Petrarkismus/Vittoria Colonna - Sizilianische Dichterschule - Provenzalischer Minnesang - Arabische Liebeslyrik - Motiventsprechungen bei Petrarca - Ibn Hazm Al-Andalusi, "Halsband der Taube" - Friedrich Rückerts Hamasa-Übersetzung - Epikureismus - Rousseaus "Bekenntnisse" - Im Zeichen des Saturn

Personen, Orte, Motive und Themen: Cino da Pistoia - Giovanni Boccaccio - Karl IV. - Clemens VI. - Cola di Rienzo - Die Familie der Colonna - Petrarcas Katze - Vaucluse - Avignon - Rom - Antike Mythologie - Christentum - Ehe und Sexualität - Sinnlichkeit und Begehren - Sexualmoral - Alter und Tod - Natur - Medizin - Verwandlung - Redewendungen - Lauras Name - Lauras Stern(e) - Zahlen und Daten - Zeitalterlehre

Werke, Briefsammlungen: Il Canzoniere - Africa - Secretum meum - De vita solitaria - De remediis utriusque fortunae - Familiares - Seniles - Sine nomine

Einzelne Briefe: An Francesco Dionigi 26.04.1336 - An Luca Cristiani vier Briefe im Mai 1349 - An die Florentiner 02.06.1349 - An Ludwig van Kempen 13.01.1350 - An Karl IV. 24.02.1350/51 - An Francesco Nelli 09.08.1352 - An den Sohn Giovanni  30.08.1359 - An Guido Sette vermutlich 1367 - An Giovanni Dondi 17.11.1370 - Brief an die Nachwelt 1370/71 - An Francesco Carrara 1373

Interpretationen zu Texten aus dem "Canzoniere" finden Sie auf einer Unterseite dieses Angebotes.



KURZESSAYS ZU LEBEN, WERK UND NACHLEBEN



Petrarcas Gedichtezyklus "Il Canzoniere" und die Ordnung der Dinge

"Francisci Petrarch(a)e laureati poeta(e) rerum vulgarium fragmenta" lautete der ursprüngliche Titel der Sammlung von 366 Gedichten, die der Liebe Petrarcas zu einer geheimnisvollen "Laura" gewidmet sind - vermutlich einer Urahnin des Marquis de Sade, Laura de Noves, Verheiratete de Sade. Die Gedichte, vorwiegend Sonette, sind im "Volgare" verfasst, im Italienischen der Zeit. Erst von den Petrarkisten des 16. Jahrhunderts wurde die Sammlung als "Canzoniere" bezeichnet, als "Buch der Lieder" also, wie der Titel einer 1827 erschienenen Gedichte-Sammlung von Heinrich Heine mit erkennbarem Bezug zu Petrarca lautet. Petrarca grenzte seine Liebeslyrik im selbstgewählten Titel, durchaus mit abwertendem Beiton, von seinen sonstigen litararischen Arbeiten ab, die er überwiegend auf Latein verfasste. Die Abwertung enthält jedoch zugleich auch eine Aufwertung, denn immerhin hält er die "banalen Dinge" für würdig, in komplexen Gedichtformen gefasst zu werden. Und Petrarca hat den "Fragmenta" des Canzoniere einen Gutteil seiner Zeit von 1327 bis zu seinem Tode 1374 gewidmet.

1327, das war das Jahr der ersten Begegnung mit "Laura", der fernen Geliebten, die "Il Canzoniere" als zentrale Figur bestimmt. Dabei geht es im Canzoniere nur vordergründig um die unerfüllte Liebe zu einer verheirateten, hochstehenden Dame - wie es die Verbindung zur provencalischen Minnelyrik und wie auch der Textcorpus selbst zunächst nahelegen. Vielmehr arbeitet Petrarca in diesem Werk daran, "die Dinge" - wozu auch ganz zentral Empfindungen gehören - in eine neue Ordnung zu bringen, nachdem die "Ordo" der mittelalterlich-christlichen Welt zunehmend in Frage gestellt ist. In eine Ordnung, die gerade durch Vorläufigkeit, durch Bruchstückhaftigkeit gekennzeichnet ist. Die aber auch entschieden, man mag es zwanghaft nennen, reimend und rhythmisierend durchzuspielen sucht, was diese nachmittelalterliche Welt noch zusammenhält: Gestaltungsfreude und Gestaltungswille. Eine Epoche wie die unsre, in welcher sprachliche Gestaltung breitenwirksam nur noch im Kalauer und in Werbungssprache wird, darf sich davor ohne Gesichtsverlust respektvoll verneigen.

Es ist bezeichnend, dass Petrarca sich für seinen "banalen" Weltentwurf einer vorgegebenen Rahmenordnung unterwirft, der Zahl der Tage eines Schaltjahres, des Jahres 1348 - das seine Auszeichnung durch einen Tod erhält, durch den Tod jener Frau, jener "Laura", die diese Welt ausgesprochen am Laufen hält, diese Welt aus 366 Gedichten, diesen selbstgestalteten Kosmos. Petrarcas "Ordnung der Dinge" ist so wenig banal wie jedes menschliche Leben, das so lange "Fragment" bleibt, wie es dauert - und das darin bedeutsam ist. Am Ende von "Secretum meum" bezeichnet Petrarca als selbstgestellte Aufgabe "sparsa anime fragmenta recolligam": "Ich will so sehr bei mir sein, wie ich es vermag, die zerstreuten Teile meiner Seele sammeln und mich bemühen, bei mir zu bleiben."

Mit seiner Ordnung trägt Petrarca wesentlich bei zu jenem Lauf der "episteme der abendländischen Kultur" (Foucault, Ordnung, 1971, S. 25), dessen Diskontinuitäten Michel Foucault in "Les mots et les choses" aufgedeckt hat.

Nicht vergessen sollten wir auch den zeithistorischen Hintergrund, vor dem die meisten Texte des Canzoniere geschrieben wurde, die Zeit der großen europäischen Pest zwischen 1347 und 1353. Mit weiteren Ausbrüchen bis in die Mitte der 1360er Jahre. In Avignon, der Heimatstadt Petrarcas (auch wenn er die ersten sieben Lebensjahre in der Toskana verlebt hatte und in seinen mittleren Jahren die Stadt verließ um im nahegelegenen ländlichen Fontaine de Vaucluse zu leben), starb 1348 etwa die Hälfte der Bevölkerung - darunter Laura de Noves, die "Laura" des Canzoniere. 1361 starb in Mailand auch der Sohn Petrarcas an der Pest.






Petrarca und das Europa der Nationen

Petrarca war Europäer. Und er hatte als aufgeklärter Intellektueller seiner Zeit auch keine andere Wahl. Die Alternative wäre gewesen, sich den Rangeleien einflussreicher Familien zu unterwerfen, die in Italien jeweils um die Vorherrschaft in ihrer Stadt und ihrer Region kämpften, und das hieß primär: um wirtschaftliche Einflusssphären. Francesco Petrarca war Anhänger starker Vernetzungsideen wie Papsttum oder Kaiserreich, wobei seine Sympathien eher einem religiös gestützten Kaiserreich als einem verweltlichten Papsttum galten. Daneben war er Republikaner, ein Kaiserreich sollte für ihn lediglich einen sicheren Rahmen für nationale Souveränität garantieren, keine totale Zentralmacht installieren. So erklärt sich auch seine Sympathie für den Aufstand von Cola di Rienzo, der eine Einigung Italiens auf republikanischer Basis anstrebte.

Seine politschen Ansichten hat Petrarca in seinen Schriften, vor allem in seinen Briefen, u.a. an Kaiser Karl IV. und Cola di Rienzo, dargelegt. Für Irritation sorgt in diesem Kontext seine Canzone "Italia mia" (Canzoniere CXXVIII), geschrieben 1344/45 vermutlich in Parma, als gerade verschiedene Familien aus Mailand, Mantua, Verona und Padua um die Herrschaft dort kämpften. In dieser Canzone schlägt Petrarca einen vor dem historischen Hintergrund etwas grotesk anmutenden nationalistischen Ton an, der vor allem aus der Front gegen eine "tedesca rabbia" seine Energie bezieht, die sich auch vom gallischen Mythos Caesars nährt. Dabei handelte es sich bei den als Negativfolie herhaltenden Deutschen um Söldner in den Diensten der italienischen Familien, keineswegs um ein deutsches Besatzungsheer. Der angestrengte Ton Petrarcas verliert allerdings deutlich an Gewicht, wenn wir ihn etwa mit den flammenden Sonetten gegen das Papsttum in Avignon, den sogenannten "Babylonischen Sonetten" (Canzoniere CXIV sowie CXXXVI, CXXXVII, CXXXVIII) vergleichen.

Implizite enthält die Canzone "Italia mia" auch die Drohung Petrarcas, im Falle eines Versagens der italienischen Herrscherfamilien könne "die deutsche Wut" ("la tedesca rabbia") von nördlich der Alpen sich Italiens bemächtigen. Eine sehr machtbewusst vorgetragene Drohung, besonders aufschlussreich vor dem Hintergrund, dass Petrarca einige Jahre später (zuerst in einem Brief von 1351), gemeinsam mit di Rienzo, große Hoffnungen auf Kaiser Karl IV. setzt, die Einigung Italiens voranzutreiben. Im übrigen in Nachfolge Dantes, der 1311 an Heinrich den VII. ("Dantes Kaiser") mit ähnlichem Anliegen sich gewandt hatte. In der romanistischen Sekundärliteratur sind diese Themen ausführlich entwickelt. Besonders empfehlenswert (wenn auch nicht in allen Gehalten nachvollziehbar) ist die unten genannte Studie von Karlheinz Stierle, Emeritius der Universität Konstanz.

Petrarca unterstützte eindeutig die Idee der auf Karl den Großen zurückgehenden "Renovatio Imperii" Heinrichs des VII. und übertrug sie auf dessen Enkel Karl IV., wonach das römische Reich seine Fortsetzung in einem Reich mit nach Norden verschobenem Schwerpunkt finde, das die Reichsidee der islamischen Einflusssphäre entzieht. Was zugleich die Idee der "Translatio" aufgreift.

Lektüreempfehlung: Karlheinz Stierle, Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, Hanser 2003



Petrarkismus und europäische Identität


Nicht nur die politischen Äußerungen Petrarcas, auch seine Dichtung, insbesondere der Canzoniere, werden in der kulturhistorischen Forschung als Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Bewusstseins aufgefasst. Und dabei keineswegs in ihren einzelnen Inhalten - die sind vielmehr teilweise höchst umstritten. So wird seine Canzone "Italia mia" mit ihrer Polemik gegen die "tedesca rabbia" bisweilen geradezu als Ausdruck einer antieuropäisch-nationalistischen Haltung gedeutet.

Nein, die Gesamtanlage, das Projekt "Rerum vulgarium fragmenta" per se sei es, was das europäische Bewusstsein befördert habe, und an den Gehalten dieses Projektes nicht die speziellen politischen, sondern vielmehr die allgemeinen, auf die Befindlichkeiten eines unerfüllt Liebenden, Zerrissenen ausgerichteten Gehalte. Als Beleg dafür wird der Petrarkismus genommen, der von den Höfen in der Poebene und dem Hof von Neapel ausgehend im 16. Jahrhundert die europäischen Höfe erfasst habe. Petrarca sei dabei, so die These von Michael Bernsen, deswegen rezipiert und imitiert worden, weil er eine Antwort auf die Probleme der neuzeitlichen europäischen Subjektivität bereit gehalten habe. "Petrarca stilisiert sich als eine Autorität, die die Fragmentarik des Daseins und die Brüchigkeit des Subjekts in Form einer Biographie zu fassen vermag." (Bernsen/Huss 2011, S. 18)

Eine gewisse Zirkelschlüssigkeit ist dabei nicht zu übersehen. Einerseits zeige der Petrarkismus, dass Petrarcas Werk einem unterstellten europäischen Bewusstsein entsprach, andererseits soll der Petrarkismus dieses Bewusstsein erst entscheidend befördert haben. Was methodisch in erhebliche Beweisnöte führt. Bernsen geht noch einen Schritt weiter und konstruiert aus dem Petrarkismus den Beleg für ein spezifisch europäisches Bekenntnis zur 'Einheit in der Vielheit', die "Selbstdistanzierung und Betrachtung des Ichs aus wechselnden Perspektiven beinhaltet". Dem stellt er das amerikanische Projekt eines "homo economicus" gegenüber, das die "Einheit multipler Identitäten" auf das "self-empowerment des Subjekts" verenge (ebd. S. 27).

Einmal abgesehen davon, dass der Antipetrarkismus damit vollständig unterschlagen wird und Polemiken wie die Shakespeares eine fast schon antieuropäische Dimension bekommen (die ironische Frage sei erlaubt: sollten die Briten am Ende Shakespeares Petrarca-Polemik wegen nicht in der Euro-Zone sein?), ist die Gedankenführung durchaus anregend - und sie weist darauf hin, dass der Petrarkismus ein Thema ist, das noch einigen Stoff für die Beschäftigung mit europäischer Identität bereit hält.

Lektüreempfehlung: Michael Bernsen/Bernhard Huss (Hrsg.), Der Petrarkismus - ein europäischer Gründungsmythos, Bonn University Press 2011





Petrarca und das Vierte Reich

Im September 2014 veröffentlichen Vittorio Feltri ("Il Giornale") und Gennaro Sangiuliano (TG1 - RAI) "Il Quarto Reich", mit dem Untertitel "Come la Germania ha sottomesso l'Europa". Darin machen sie den Schuldigen für die aktuelle Misere Italiens aus: Den Euro und die deutsche (Wirtschafts-)Politik. Einen ähnlichen Tenor hatte bereits ein Beitrag in der Berlusconi-Zeitung "Il Giornale" vom 03. August 2012, Autor: Alessandro Sallusti. Die Titelvorlage stammt von Heleno Saña Alcon 1990: "Das vierte Reich. Deutschlands später Sieg". Zur Debatte gehört auch die Idee eines "Lateinischen Reiches", seit Ende des 19. Jahrhunderts erörtert und dann von Alexandre Kojève zunächst 1945 in einem Memorandum an Charles de Gaulle und dann 1947 in seinem Werk gleichen Titels als "L'Empire latin" ausformuliert. Wiederbelebt wurde diese Idee 2013 von Giorgio Agamben in seinem Beitrag "Se un impero latino prendesse forma nel'cuore d’Europa" für die Tageszeitung La Repubblica.

Im polemischen Furor erinnert die aktuelle italienische Europa-Debatte an Petrarcas Canzone "Italia mia" (Canzoniere CXXVIII), in welcher vor den Barbaren aus dem Norden gewarnt wird, der "tedesca rabbia". Damals waren die deutschen Barbaren Söldner im Dienste einander befehdender italienischer Familien, heute seien italienische Interessen gefährdet durch die deutsche Euro-Politik. Zu erinnern ist daran, dass die Euro-Einführung von der italienischen Politik einst erkämpft wurde (Helmut Kohl und Romani Prodi ignorierten gemeinsam die Risiken eines Beitritts durch die extreme Überschuldung Italiens) und dass die europäische Kassenpolitik seit dem 1. November 2011 durch einen Italiener bestimmt wird. Zu Petrarcas Zeiten war die italienische Misere wesentlich durch inneritalienische Fehden vorangetrieben, heute ist sie dies durch Mafiaaktivitäten, den Berlusconismo und Modernisierungsverschleppung. Nepotismus, Korruption und fehlende Haushaltsdisziplin kann beiden Systemen vorgehalten werden. Wobei damals wie heute auch großräumige Handelsentwicklungen eine ganz entscheidende Rolle spiel(t)en, die nicht in regionaler/nationaler Verantwortung liegen - und die damals dann ein Jahrhundert nach Petrarca zum gewaltigen Reichtum zahlreicher italienischer Stadtstaaten führten. Eine Entwicklung, die allerdings im 21. Jahrhundert nicht zu erwarten ist.

Der Politologe Gian Enrico Rusconi hat zum Staatsbesuch von Joachim Gauck Anfang Dezember 2014 etwas sanftere Töne angeschlagen, die an Petrarcas Aufforderungen an Karl IV. erinnern, Italiens Probleme durch sein Eingreifen zu lösen. Gewiss nicht, wie bei Petrarca, durch unmittelbare Intervention, sondern als freundlicher "Gesprächspartner", der die eigenen Wirtschaftsinteressen hinter das "Gemeinwohl" - eine neue Formulierung der Reichsidee Petrarcas - zurückstelle.



Das Werk - Latinitas und Volgare


Petrarcas Werk wird von ihm selbst und auch in der Forschung streng geschieden in den lateinischen und den italienischen ("volkssprachlich", in "Volgare" geschrieben) Teil. Dabei ist der italienische Teil volumenbezogen erheblich kleiner, umfasst lediglich das lyrische Werk des "Canzoniere" und der "Trionfi". Petrarca selbst hat diesen Teil stets abgewertet und seine lateinischen Schriften (wozu auch seine umfangreiche Korrespondenz gehört) als sein eigentliches Verdienst angesehen.

Aus heutiger Sicht ist dieses Urteil schwer zu halten. Die Zeitgenossen haben zwar vor allem das lateinische Werk "Africa" geschätzt, doch schon für die unmittelbare Nachwelt wurde der "Canzoniere" wichtiger. Und dieser hat letztlich Petrarcas bis heute andauernden Ruhm begründet. Seine lateinischen Schriften sind überwiegend moralphilosophischer Art und speisen sich wesentlich aus der Fortschreibung antiker Vorbilder, mit wenig eigenständigem Gehalt. Petrarca selbst sah sich allerdings gerade in diesen Schriften als Vorbild und Menschheitslehrer, im Anschluss an Augustinus. Die Moralphilosophie bezeichnet er in seinem "Brief an die Nachwelt" als "heilige Wissenschaft", in der er, direkt zitiert, "eine verborgene Süßigkeit verspürte, die ich früher verachtet hatte". Sicherlich hat er damit zum allgemeinen humanistischen Diskurs beigetragen, und "De remediis utriusque forunae" war (im Deutschen als "Trostspiegel") vom 15. bis zum 17. Jahrhundert eines der meistgelesenen Bücher in Europa. Ab 1450 wurde Petrarca zur Leitfigur des deutschen Humanismus und sein lateinisches Werk im deutschsprachigen Bereich intensiver rezipiert als anderswo in Europa.

Die Poesie wird für den älteren Petrarca der Moralphilosophie gegenüber zum "schönen Zeitvertreib". Dies erinnert an Goethes Einschätzung, seine Farbenlehre sei von weit erheblicherem Wert als seine poetische Leistung. Allerdings war Petrarcas moralphilosophisches Engagement auch insofern bedeutend, als er einschlägiges antikes Schrifttum in Mengen kopieren ließ und zu dessen Erhalt wesentlich mit beitrug. Sein Biograph de Sade sah sein Verdienst in dieser Hinsicht sogar als bedeutender an als den Beitrag der aus Konstantinopel bei der Eroberung 1453 durch die Osmanen geflohenen Griechen.

Petrarcas Bevorzugung des Latein wird heute gerne verstanden als Bemühen, das gesprochene Italienisch durch die Schulung am Latein zu läutern. Es gab allerdings auch einen ganz handfesten Grund: Latein wurde in den deutschen, französischen und italienischen Landen und Städten gleichermaßen verstanden und geschrieben, in Prag und Paris ebenso wie in Rom und Avignon, von Kaiser Karl IV., König Philipp IV. und Cola di Rienzo ebenso wie von den Colonna und den Visconti.





Werkzäsuren


Zwei Zäsuren prägen das Werk Petrarcas. Einmal die Dichterkrönung 1341, zum anderen die Sichtung seiner Schriften im Gefolge des Pestjahres 1348, vermutlich zum Jahreswechsel 1349/50. Die Dichterkrönung ist ein antiker Brauch, der an Dichterwettstreite gebunden war und mit einem Lorbeerkranz als Symbol erfolgte. Im Hochmittelalter wurde diese Sitte wieder aufgenommen und diente unter anderem zur kulturellen Selbstverständigung und Bestätigung der Latinitas und zur symbolischen Stabilisierung kaiserlicher Herrschaftsansprüche, die sich in die Tradition des römischen Reiches stellten. Diese Dichterkrönung bedeutete für Petrarca auch eine Entscheidung für denjenigen Bereich seines Werkes, der ihm diese Ehre eingebracht hatte, den lateinischen, politisch-moralisch orientierten. Insbesondere die bereits bekannten Teile von "Africa" haben den Autor für diese Ehrung empfohlen. Sie wurde ihm gleichzeitig 1340 von Paris und Neapel/Rom angeboten. Seine Entscheidung für das italienische Angebot (wobei anzumerken ist, dass der damalige König von Neapel ein Anjou war, dem französischen Königshof spannungsvoll verbunden) - er lebte damals wohlgemerkt im unmittelbaren Einflussbereich des französischen Königshofes in Avignon - war zugleich eine Entscheidung für seine Idee eines italienischen Nationalstaates, die noch einige Jahrhunderte auf ihre Erfüllung warten musste.

Die Sichtung seiner Schriften schildert Petrarca in einem Brief vom Januar 1350 an den Freund Socrates (Ludwig van Kempen). Dabei fielen nach Petrarcas Bekenntnis etliche Briefe und poetische Erzeugnisse ("wohl tausend oder mehr") den Flammen zum Opfer. Doch brachte diese Sichtung auch ein Bekenntnis zu seinem poetischen Schaffen insofern, als er hier vermutlich die Sammlung von Gedichten begründete, die später - von den Petrarkisten des 16. Jahrhunderts so benannt - "Canzoniere" heißten sollte. Zugleich begründete diese Sichtung sein Projekt, auch Sammlungen seiner Briefe zu erstellen. Im Gefolge entstanden dann zunächst die Sammlungen "Familiares" und "Sine nomine", im Alter "Seniles". 1351 bekam Petrarca die konfiszierten Familiengüter zurück, was diesen Einschnitt um 1350 auch lebensgeschichtlich unterstreicht.



Summa und Fragment


Das Zeitalter der Renaissance wird auch dadurch charakterisiert, dass nun keine "Summa" mehr möglich sei, keine Weltordnung auf der Basis des christlichen Weltverständnisses. Die letzte "Summa" hat Thomas von Acquin abgeliefert, seine "Summa theologica" ist durch das Adjektiv nicht eingeschränkt, sondern lediglich expliziert. In der Renaissance übernimmt es das Bankwesen, noch Summen zu formulieren. Das Rechnungswesen des Kapitalismus tritt auch kulturell an die Stelle der Kirche. Die Geschlechtertürme in Florenz und andernorts dokumentieren, was die Stunde geschlagen hat: Das neue Individuum ordnet sich nur noch Verrechnungssystemen unter, Fehden, Akkumulationen und Umverteilungen.

Petrarca war ein Meister der Sammlungen. Was Boccaccio zeitgleich für den Bereich der Erzählungen mit seinem "Decamerone" leistet, leistet Petrarca für seine Briefe, seine Gedichte, seine moralphilosophischen Schriften. Den "Canzoniere" betitelte er selbst als "Francisci Petrarch(a)e laureati poeta(e) rerum vulgarium fragmenta".

Das Fragment ist eigentliches Strukturmuster seiner Arbeit, keine seiner Schriften ist ein einem Zug entstanden, zeigt ein auch nur annähernd so klares kulturgeprägtes Strukturprinzip wie etwa die "Divina comedia" seines literaturgeschichtlichen Vorgängers Dante. Was den Canzoniere strukturiert sind die Vorgaben des Kalenders und der Tod Lauras. 366 Texte umfasst diese Sammlung, entsprechend den 366 Tagen des Schaltjahres 1348, in welchem Laura stirbt. Die einzige erkennbare Binnengliederung ist die Zweiteilung in "In vita di Madonna Laura" und "In morte di Madonna Laura" - wobei die beiden Benennungen von den Herausgebern gesetzt wurden.

Nur einmal hat Petrarca sich erkennbar um eine Summa bemüht, zum Ende seines Lebens in seinem "Brief an die Nachwelt", in welchem er versucht, sein eigenes Leben erzählend zusammenzufassen, zu ordnen und zu rechtfertigen. Ein Schlaganfall brach diese letzte Summa ab, gekommen war der Autor bis zum Jahr 1351. So endet sein Lebensüberblick im Jahr nach seinem Versuch, das eigene Schrifttum zu ordnen, über welchen er in einem Brief an den Freund Socrates vom Januar 1350 Rechenschaft ablegt.





Bedeutung für die Nachwelt


Petrarcas Bedeutung für die Nachwelt liegt rezeptionsgeschichtlich zum einen in seinem Canzoniere begründet, der ein eigenes, über Jahrhunderte andauerndes literarisches Anregungssystem begründete, den Petrarkismus (mit einer Nebenlinie als "Anti-Petrarkismus"). Dieser hat die kulturelle Ausbildung der Neuzeit, der bürgerlichen Subjektivität und der europäischen Lyrik in kaum zu überschätzender Weise geprägt. Kein anderer Autor hatte vergleichbaren Einfluss, zumindest nicht in der Masse des in seiner Nachfolge Produzierten.

Durch die unmittelbare Einwirkung auf die intellektuelle und politische Elite seiner Zeit haben allerdings auch seine lateinischen Schriften, seine Briefe und sein Epos "Africa" im Besonderen, einen signifikanten, aber schwer abzuschätzenden Einfluss gehabt. Seine moralphilosophischen Schriften, gleichfalls in Latein abgefasst, sind in der Bedeutung umstritten. Hanns Eppelsheimer schreibt in seiner Darstellung zu "Leben und Werk des Francesco Petrarca" dazu: "Weitschweifig und nicht immer aufrichtig meditiert er über Weltfreude und Weltverachtung, Leidenschaft und Vernunft, wenig fruchtbar für ihn wie für uns, im einzelnen oft rührend, im ganzen verdrießlich, weil man hier dem Wüten einer fehlgehenden reichen Natur gegen sich selber beiwohnen soll."

Allerdings hat er in diesen Schriften auch antikes Bildungsgut weitergetragen. Und in der Barockzeit waren seine moralphilosophischen Schriften weit verbreitet. In der deutschen Petrarca-Rezeption, die im 15. Jahrhundert einsetzte, wurden vor allem seine Briefe und der moralphilosophische Text "De remediis utriusque forunae" (dt. als "Trostspiegel in Glück und Unglück") vervielfältigt. Sein "Trostspiegel" war vom 15. bis zum 17. Jahrhundert eines der meistgelesenen Bücher in Europa. Allerdings findet sich sein Name in den Briefen des Erasmus von Rotterdam lediglich einmal, und zwar gemeinsam mit den Namen fünf weiterer italienischer Autoren, die er als Beispiele dafür nennt, dass man ein großer Autor im Lateinischen sein kann, ohne perfekt in lateinischer Stilistik zu sein.

Einer seiner engagiertesten Biographen, Jacques François Paul Aldonce de Sade (Abbé de Sade), Onkel des durch seine erotische Schriften bekannt gewordenen Marquis de Sade, bezeichnet im ersten Band seiner sechsbändigen Biographie in Petrarcas Tradierung antiken Schrifttums einen wichtigeren Beitrag zur Bewahrung des antiken Erbes als durch die bei der Eroberung Konstantinopels 1453 geflohenen Griechen - was sicherlich übertrieben ist. Doch Petrarca hat nicht nur Handschriften gesammelt und erhalten (etwa den Codex Ambrosianus), sondern auch selbst durch seine Schreiber Handschriften reproduzieren lassen.

In seinem Brief an die Nachwelt von 1370/71 bekennt Petrarca: "Meine geistigen Fähigkeiten führten mich eher zu ruhiger Betrachtung als zu scharfer Polemik." Man mag darin auch Selbststilisierung im Alter lesen, aber es ist doch ein Hinweis darauf, dass er seine intellektuelle Leistung eher im Zusammentragen und Vermitteln von Ideen als in der Formulierung neuer Ideen sah.



Petrarcas Biographie

Francesco Petrarca wurde am 20. Juli 1304 in Arezzo geboren, im Sternzeichen Krebs, dem überschwängliche Gefühle nachgesagt werden. Der Vater Petracco di Parenzo war aus politischen Gründen aus Florenz verbannt worden und lebte mit der Familie im Exil. 1311/12 zog die Familie mit Francesco und seinem jüngeren Bruder Gherardo (1307 geboren) in die Provence, nach Avignon. Die Mutter Eletta aus der hoch angesehenen Familie Canigiani starb dort 1318, mit 38 Jahren, der Vater 1326, Petrarca selbst in Arquà bei Padua 1374.

Der Vater war Notar und Parteigänger des Papstes Clemens V, der 1309 seine Residenz von Rom nach Avignon verlegte, und arbeitete in Avignon bei der päpstlichen Kurie. Die Streitigkeiten um die Residenz des Papstes, hinter der Machtkämpfe zwischen römischen Adelsfamilien, dem römischen Königstum, dem französischen Hof und anderen Interessengruppen standen, haben das Leben und die intellektuelle Orientierung Petrarcas wesentlich geprägt. Petrarca war Anhänger eines starken, humanistisch geprägten römischen Kaisertums, um die Adelsherrschaft in Rom zu beenden und eine neue liberal-bürgerliche, "republikanische" Ordnung der Stadt zu ermöglichen.

1326 starb der Vater, was Petrarca dazu veranlasste, sein ungeliebtes Jurastudium in Bologna (das er nur dem Vater folgend begonnen hatte) abzubrechen und nach Avignon zurückzukehren, wo er bald in finanzielle Schwierigkeiten geriet, die er aber dank verschiedener Gönner vor allem aus der mächtigen römischen Familie der Colonna (deren junge Generation er z.T. in Bologna kennen gelernt hatte), die ihm zu Kirchenämtern und anderen Einnahmequellen verhalfen, lösen konnte. Ein Jahr später begegnete der junge Privatier, der sich leidenschaftlich dem Handschriftensammeln widmete, seiner "Laura", die in der Gedichtesammlung "Il Canzoniere" die Hauptrolle spielt. Nach seinem Bericht fand die Begegnung am 6. April 1327 statt, einem Karfreitag, kalendarisch war allerdings Ostermontag, in der Kirche St. Clara in Avignon. Es handelt sich vermutlich um eine wirkliche Begegnung mit Laura de Noves (1310-1348), seit 1325 (nach anderen Angaben 1323) Ehefrau des Grafen Ugo/Hugues de Sade, Ahnin des Marquis de Sade. Nach Petrarcas Zeugnis starb Laura am 6. April 1348 an der Pest.

Am 26. April 1336 bestieg Petrarca seinem eigenen Bericht zufolge (der nicht unumstritten ist, siehe die Untersuchungen von Giuseppe Billanovich, veröffentlicht 1966) zusammen mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Gherardo den Mont Ventoux nordöstlich von Avignon. Ein Ereignis, das damals keineswegs selbstverständlich war. Niemand stieg auf einen Berg, wenn er dazu nicht gezwungen war - etwa durch entlaufene Ziegen. Der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt sah in dieser Besteigung eines der Schlüsselereignisse der Renaissance, die Entdeckung der Landschaft als ästhetisches Erlebnis - in gewissem Sinne die Erfindung des Alpinismus: "Vollständig und mit größter Entschiedenheit bezeugt dann Petrarca, einer der frühsten völlig modernen Menschen, die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele." (Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Fischer 2009, S. 279). Petrarca empfand wohl selbst einen Rechtfertigungsbedarf für diese im damaligen Zeitverständnis "sinnlose" Handlung und berichtet, dass er die "Bekenntnisse" des Augustinus mit sich geführt habe. Seine Gipfelerfahrung schließt er mit einem Augustinus-Zitat: "Da gehen die Menschen, die Höhe der Berge zu bewundern und die Fluten des Meeres (...) und verlieren dabei sich selber." Ein Zitat nebenbei, das die Aussage, es habe vor Petrarca keine Ansätze zum Alpinismus gegeben, mit einem großen Fragezeichen versieht.

Am 1. September 1340 wurde Petrarca zeitgleich von Rom und Paris die Dichterkrönung angeboten. Er entschied sich für Rom, wo die Zeremonie dann am 8. April 1341 auf dem Kapitolsplatz vollzogen wurde. Im Gefolge erhielt er weitere Pfründe, so 1346 ein Kanonikat am Dom zu Parma und 1349 das Kanonikat des Hl. Jakobus an der Kathedrale von Padua.

Vermutlich 1337 wurde Petrarcas unehelicher Sohn Giovanni geboren, der 1361 in Mailand an der Pest starb. Den spärlichen Zeugnissen zufolge wuchs der Sohn unter der - meist indirekten - Obhut Petrarcas auf. Um 1343 wurde gleichfalls unehelich die Tochter Francesca geboren. 1370, nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, übersiedelte Petrarca auf sein Landgut in Arquà bei Padua. 1371 folgten ihm dorthin seine Tocher und ihr Mann Francescuolo da Brossano mit Enkelin Eletta. Petrarca starb in Arquà am 18. Juli 1374.





Petrarcas Verortung

Hier ist nicht die literaturhistorische oder sonstig geistesgeschichtliche Verortung Petrarcas gemeint, sondern ganz konkret seine Verortung in Städten, Landschaften, Ländern. Gemeint sind seine Wohn- und Reiseorte als Teil seiner Biographie.

Petrarca hat sich selbst oft als Wanderer beschrieben, den das Schicksal von Ort zu Ort getrieben habe, der aber auch selbst immer wieder neue Orte aufsuchte, "um nach Art der Kranken durch Ortsveränderung den Lebensüberdruß zu heilen/studio more egrorum loci mutatione tediis consulendi", wie er im "Brief an die Nachwelt" bekennt.

Der "Brief an die Nachwelt" zählt nacheinander als Lebensorte bis 1351 auf: Arezzo, Ancisa bei Florenz, Pisa, Avignon, Carpentras, Montpellier, Bologna, Avignon, Vaucluse, Parma, Verona, Vaucluse, Padua, Vaucluse. Nach 1351 lebte Petrarca zunächst weiter in Vaucluse bis 1353, dann in Mailand, in Padua, in Venedig, wechselnd in Padua und Pavia und schließlich die letzten vier Jahre bis zu seinem Tod 1374 in seinem Haus in Arquà. Die ersten zwölf Lebensjahre verbrachte Petrarca mit den Eltern an fünf verschiedenen Wohnorten. Als Erwachsener hatte er lediglich 1337 bis 1353 einen auf Dauer angelegten Wohnsitz in Vaucluse, den er allerdings immer wieder auch auf längere Zeit verließ, so 1343-1346 und 1347-1351. Als er sich 1370 in seinem Haus in Arquà niederließ, war er bereits von schwerer Krankheit gezeichnet.

Reisen unternahm Petrarca u.a. nach Paris, Köln, Rom und Neapel, ferner mehrere Reisen durch Italien. Nicht immer ist klar zwischen Reise und Aufenthaltswechsel zu unterscheiden, da Petrarca die meiste Zeit seines Lebens keinen nennenswerten eigenen Haushalt führte, sondern gleichsam aus dem Koffer lebte - einem gut bestückten Koffer allerdings. So verfügt er in seinem Testament über seine Pferde mit dem bemerkenswerten Beisatz, "falls ich zur Zeit meines Todes welche haben werde".

Wir sollten uns hüten, vorschnell von "moderner" Mobilität zu sprechen. Die Oberschicht war im ausgehenden Mittelalter in ganz Europa zuhause, Venedig war in Handelsbeziehungen und Lebensstil eine Metropole der Globalisierung, welche keine Erfindung der Gegenwart ist - wie wir geschichtsvergessen so gerne reklamieren.




Petrarca-Portrait

Abbildungen Petrarcas zeigen ein konzentriertes, bisweilen melancholisch wirkendes Gesicht mit Ansätzen guter Ernährung. Die ihm nachgesagte Körpergröße von 1,84 Meter lässt sich auf keiner Abbildung verifizieren, eher eine kleine bis durchschnittliche Körpergröße. Eine wissenschaftlich begründete Graböffnung 2004 erbrachte lediglich, dass im Grab ein unvollständiges männliches Enea Vico:
              Petrarca - entstanden um 1560Skelett mit einem weiblichen Schädel lag. Sein Biograph Jacques F. P. A. de Sade (ein Nachkomme der Laura de Sade) nennt ihn einen der schönsten Männer seiner Zeit, dem die Frauen von Avignon nachgestiegen seien. Die existierenden Abbildungen ergeben allerdings auch hierzu ein eher widersprüchliches Bild. Streicht man die zu unterstellenden positiven Stilisierungen durch die Portraitisten weg, findet sich keine Bestätigung für de Sades Behauptung. Petrarca selbst beschreibt sich in seinem Brief an die Nachwelt durchaus verhalten: "Mein Körper war in der Jugend nicht allzu kräftig, aber von großer Gewandtheit, mein Aussehen nicht hervorragend schön, aber so, dass ich in jungen Jahren gefallen konnte." Seine robuste Verdauung preist er noch in einem Brief an den Freund und Arzt Giovanni Dondi vom 17. November 1370. Dass der Dichter (bei aller Polemik gegen Luxus, Völlerei und Verschwendung) gutes Essen schätzte, darauf verweist das 9. Sonett des Canzoniere, Text IX, wo er den Trüffel rühmt:

...
e non pur quel che s’apre a noi di fore,
le rive e i colli, di fioretti adorna,
ma dentro, dove già mai non s’aggiorna,
gravido fa di se il terrestro umore;

onde tal frutto e simile si colga.


Francesco Petrarca, der scharfsichtige bürgerliche Intellektuelle mit demokratischen Idealen? Petrarca, der ewig schmachtende unglücklich Liebende, der sich im Glasperlenspiel der Lyrik verliert? Petrarca, der Genussmensch, der seine Pfründen verprasst? Petrarca der Einzelgänger, Asket und Moralprediger? Petrarca der humanistische Schriftensammler und Schriftenbewahrer? Der zur Freundschaft Begabte, der mit einander verfeindeten Parteien gleichermaßen gut sich stellte? Petrarca der Heimatlose, der im steten Unterwegssein das Programm einer selbstbestimmten Humanität erarbeitet? Wie auch immer dies: Ein Mensch der Frührenaissance, der gerade in seiner offenkundigen Unbestimmtheit dem 21. Jahrhundert, das die Gipfelung und Auflösung der in der Renaissance begründeten Ordnung der Handels- und Finanzwelt erlebt, einiges zu sagen hat.

Lektüreempfehlung: Joachim Küpper, Petrarca: Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin/New York: de Gruyter, 2002






Petrarcas Familie

Nur wenig wissen wir über die Familie Petrarcas und das Geringste davon erfahren wir von ihm selbst. In seinem Lebensbericht "Posteritati/Lettera ai Posteri" finden wir über die Eltern lediglich dies: "Ich bin geboren von achtbaren Eltern, Florentinern, die in mittelmäßigen, offen gestanden fast ärmlichen Vermögensverhältnissen lebten und aus der Heimat verbannt waren, (...)."

Der frühe Tod der Mutter, Eletta Cangiani/Canigiani (aus einer angesehen Familie, deren Nachkommen später von Raffael als "Sacra Famiglia" gemalt werden sollten) 1318/19 wird im Lebensüberblick gar nicht erwähnt, der des Vaters (Pietro di Parenzo di Garzo - Notar am Hof des Papstes in Avignon) 1326 erscheint lediglich mit den Worten "sobald ich der Rücksichtnahme auf meine Eltern ledig war" als Grund für die Aufgabe des Jurastudiums in Bologna. Allerdings hatte Petrarca zum Tod der Mutter einen Panegyrikus in Latein von 38 Versen (für jedes Lebensjahr der Mutter einen) verfasst.

Mit dem einzigen Bruder Gherardo (geboren 1307) scheint Francesco Petrarca durchaus eng verbunden gewesen zu sein, immerhin wählte er ihn als Begleiter für seinen Ausflug auf den Mont Ventoux - wobei er ihn unterwegs eher abweisend behandelte und die beiden verschiedene Wege gingen. Gherardo trat als Petraccus 1343 in das Kartäuserkloster Montrieux ein. Dort überlebte er die Pestepidemie von 1348 als einziger von 30 Mönchen. Er begründete danach das Kloster neu. Drei Briefe Petrarcas aus den Jahren 1349-1352 bezeugen den gedanklichen Austausch der Brüder (Fam. 10,3-5). In seinem Testament bedachte Petrarca den Bruder sehr großzügig mit 100 Golddukaten.

In einem dieser Brief an den Bruder erfahren wir auch etwas über die - sicherlich stilisierte und religiös überhöhte - Geringschätzung der Elternschaft durch Petrarca: "klar sollte sich erweisen, dass wir nicht den sterblichen Eltern, sondern dem ewigen Vater verdanken, was wir sind. Was bedeutet denn ein irdischer Vater ausser verächtlicher Same und was bedeutet eine Mutter ausser widerlicher Behausung?" (Fam. 10,5).

Petrarcas Sohn Giovanni wurde wohl 1337 geboren, er verstarb 1361 in Mailand an der Pest. Das Verhältnis von Vater und Sohn war hoch problematisch. Petrarca hat sich offensichtlich um den Sohn bemüht, wollte ihn auch für die Unterstützung der eigenen Arbeiten und Projekte heranziehen. Doch Giovanni verweigerte sich dem - wie auch Petrarca selbst sich ja den Plänen des eigenen Vaters verweigert hatte. Petrarca nannte den Sohn in Briefen an Freunde und auch an den Sohn selbst eitel, müßiggängerisch, vermessen und ziellos und entzog ihm die Unterstützung.

Die Tochter Francesca (von Petrarca auch als "Tullia" - mit Cicero-Bezug - angesprochen) wurde 1343 geboren und verstarb 1382/84. Sie heiratet um 1361 Francescuolo da Brossano und hatte einen Sohn, Francesco, der 1366 geboren wurde, aber bereits 1368 in Pavia starb, was Petrarca zutiefst erschütterte, wie wir aus seinem Brief Sen. 10,4 erfahren. Er ließ dem Enkel eine opulente Grablege errichten, in welcher er nach eigenem Bekenntnis auch seine Zukunftshoffnungen zu Grabe trug. Eine Enkelin Eletta wurde wohl 1362 geboren. Die Quellenlage ist hierzu sehr ungewiss. Nach einer Variante starb sie sehr früh und Francesca gebar noch eine zweite Tochter, die auch Eletta genannt wurde, mit der Petrarca seine letzten Lebensjahre in Arquá verbrachte. Plausibler ist allerdings, dass es nur die 1362 geborene Eletta gab, die auch von Boccaccio sehr liebevoll in einem Brief von 1367 (Epistola XV) erwähnt wird als etwa fünfjährig.

Über die Mutter - oder Mütter - seiner Kinder erfahren wir von Petrarca nichts. Auch von anderer Seite sind keine Angaben überliefert.

Als Randnotiz sei noch vermerkt, dass in der Familie des literarisch bekannten Marquis de Sade anscheinend der Gedanke gehegt wurde, Petrarca könne Ahnherr ihrer Linie sein über ein reales Verhältnis mit Laura de Noves/de Sade, als Vater von Hueges III. - der bald nach dem legendären Begegnungsdatum Ostern 1327 geboren wurde.



Dichterkrönung

Die Dichterkrönung Petrarcas war ein Akt von besonderer Bedeutung nicht nur für die Lebensgeschichte Petrarcas, sondern auch als Demonstration und Zeichen einer spezifischen gesellschaftlich-politischen Entwicklung der Zeit.

Formal stand diese Dichterkrönung in einer Traditionslinie, die vom antiken Konzept einer besonderen Bedeutung der Sprachkunst für die gesellschaftliche Identität ausging. In Griechenland gebührte der Lorbeerkranz dem Sieger in einem Dichterwettstreit. Der Brauch stand in enger Verbindung mit den sportlichen Wettstreiten, die heute mit "Olympia" verbunden werden. In Rom wurden vor allem rhetorische Talente gewürdigt. Darauf greift der Humanismus zurück, dessen" poetae laureati" ihrer politisch-gesellschaftlichen Bedeutung wegen gekürt wurden. August Buck spricht im "Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte", Kapitel "Der italienische Humanismus", 1996 davon, der Schriftsteller werde zu einem "gesellschaftlichen Leitbild" ausgeformt -  am antiken Ideal des Rhetors orientiert. Wer an die Rolle von etwa Heinrich Böll oder Günther Grass in der bundesrepublikanischen Gesellschaft denkt, erkennt die Fortwirkung dieses Ideals bis in die Gegenwart.

Individualgeschichtlich sieht Karl Enenkel die Dichterkrönung an der Schaltstelle einer besonderen Lebenskrise Petrarcas angesiedelt. Petrarca sei mit seiner Identitätskonstruktion als herausragender Poet, der sich mit Vergil vergleichen könne, gescheitert. Sein Epos "Africa" war 1341 noch unvollendet, ansonsten hatte Petrarca als Autor nicht viel vorzuweisen außer einem Konvolut von Gedichten, die er selbst nicht wirklich hochschätzte, waren sie doch vom Gegenstand her eher profan (Liebesleid und Naturschilderungen) und darüber hinaus im "Volgare", der Volkssprache Italienisch abgefasst. Mit der Dichterkrönung habe Petrarca versucht, so Enenkel, seine Ansprüche als Schriftsteller zu legitimieren.

Ganz offensichtlich hat Petrarca seine Dichterkrönung sehr bewußt inszeniert. In einem Brief an den Förderer Kardinal Giovanni Colonna vom 1. September 1340 berichtet er davon, zwei Angebote gleichzeitig erhalten zu haben, eines aus Rom, eines aus Paris. Vor dem Hintergrund, dass "Rom" letztlich "Neapel" bedeutete, und damit das Haus Anjou (Robert von Anjou war vom Papst auch als Regent Roms beauftragt), waren die Angebote sicherlich von den Sendern wie auch immer (etwa durch Zuflüsterer) koordiniert. Ob man Petrarca durch beide Angebote auf die "französische" Seite ziehen wollte oder ob die Konkurrenz zwischen französischem König und römischem Stadtadel dominierend war, muss dahingestellt bleiben. Der Kanzler der Universität von Paris, von dem der Pariser Ruf kam, war Florentiner. Faktisch hat Petrarca das Verfahren beim König von Neapel wohl selbst mit angestoßen, siehe etwa das Schreiben an Dionigi da Borgo San Sepolcro vom 4. Januar 1339, in welchem er diesem zur Berufung an den Hof Roberts gratuliert und eine mögliche Dichterkrönung unverblümt strategisch anspricht.

Durch sein eigensinniges Beharren auf dem Krönungsort Rom - gegen Robert von Anjou - gelang es Petrarca, das Spiel in den eigenen Händen zu halten und sich der Gunst sowohl des Königs als auch der Colonna zu versichert. Dies konnte er umso leichter, als beide Seiten wohl auch versuchten, ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Bei Robert von Anjou legte Petrarca zunächst eine dreitägige Krönungsprüfung ab, in Rom ließ er sich dann von Stefano Colonna zur Krönung rühmen.

Lektüreempfehlungen: Peter Kuon, Ritual und Selbstinszenierung. Petrarcas Dichterkrönung, Salzburg o.J.. Albert Schirrmeister, Triumph des Dichters, Köln u.a. 2003





Gründungsmythen moderner Subjektivität

Gelegentlich wird in der Forschung Petrarcas Brief über die Besteigung des Mont Ventoux als "Gründungsdokument" moderner Subjektivität genannt, mit Berufung auf Jacob Burckhardt, für den Petrarca nach diesem Zeugnis "einer der frühsten völlig modernen Menschen" war, so formuliert in "Die Kultur der Renaissance in Italien". Das Moderne in der Begegnung mit Naturschönheit war für den Renaissancekenner Burckhardt: "der Anblick der Natur traf ihn unmittelbar" - also nicht transportiert durch antike Vorbilder oder gefildert durch das Kategoriensystem der Scholastik. Petrarca sei zur ästhetischen Erfahrung fähig gewesen und trenne die Schönheit der Landschaft von ihrem Nutzen. Nun muss allerdings die Frage erlaubt sein, ob nicht auch Augustinus (und nebenbei auch die von diesem gemeinten "Menschen" - s.u.) schon dies tut, den Petrarca in seinem Brief zitiert mit dem Satz aus den "Confessiones" (Zehntes Buch, Kapitel 8.15): "Und da gehen die Menschen hin und bewundern die Höhen der Berge, das mächtige Wogen des Meeres (...) - und verlassen dabei sich selbst." Und Augustus ist, geschult durch Aristoteles, dabei durchaus "moderner" als Petrarca, denn er fügt eine subtile Reflexion über das Gedächtnis an, die den schon bei Aristoteles ("Über die Seele"), später bei Thomas von Acquin (mit Berufung auf Aristoteles) und schließlich bei John Locke zu findenden Satz "nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu" variiert. Während Petrarca sich seltsam verhuscht seiner Lust am Naturerlebnis schämt.

Als weiteres Gründungsdokument moderner Subjektivität bietet sich der Canzoniere an mit seiner bürgerlich-sentimental anmutenden Konzeption von Erotik und Liebe. Lesen wir indes, was Augustinus in den Confessiones, im Vierten Buch, zu Ehe und Sexualität schreibt, so erscheint dies weit aufgeklärter und "moderner" als das, was wir von Petrarca kennen. "Ich hatte in diesen Jahren (Augustinus meint die Zeit vom neunzehnten bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr) geschlechtlichen Umgang mit einer einzigen, nicht in einer Ehe, die man gesetzmäßig nennt - die schweifende Brunst, der Besonnenheit bar, hatte sie aufgespürt -, immerhin nur mit der einen, auch ihr die Treue im Umgang wahrend; dabei sollte ich freilich aus eigener Erfahrung lernen, welch ein Unterschied sei zwischen dem Besonderen einer ehelichen Bindung, die man der Zeugung wegen eingeht, und einem Abkommen zu geschlechtlichem Liebestausch (pactum libidinosi amoris), dem Nachkommenschaft auch wider Wunsch und Wille entsproßt, obzwar sie, einmal geboren, sich doch Liebe zu verschaffen weiß."

Es soll hier nicht unhistorisch Petrarca gegen Augustinus oder umgekehrt ausgespielt werden. Ich wende mich lediglich gegen eine Vereinnahmung Petrarcas als "modernen Menschen". Eher plädiere ich dafür, unsere Moderne etwas bescheidener zu betrachten, nicht als Fortschrittsgipfel mit mehr oder weniger hohen Vorgebirgen, sondern als Phase in einer keineswegs linearen und einsinnig fortschrittsteleologischen Entwicklung mit Rückschritten, Alternativen und Ungleichzeitigkeiten.

Lektüreempfehlung:
Jacques François Paul Aldonce de Sade, Nachrichten zu dem Leben des Franz Petrarca, 1774 (MDZ) (frz. Mémoires sur la vie de François Pétrarque, 1764-1767)



Zölibat und Selbstverwirklichung


Die Geschichte des Zölibats in der katholischen Kirche als konkrete Vorschrift an die Priesterschaft lässt sich durchaus auf Zeugnisse des neuen Testaments zurückführen - auch wenn es derzeit en vogue ist, mit Verweis auf die Nähe Maria Magdalenas zu Christus anderes zu behaupten. So verspricht Jesus nach Matthäus 19,29:
"Jeder, der Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Frau oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen verlassen hat, wird Hundertfältiges empfangen und ewiges Leben erben". Und in Lukas 18,29 ist sinngemäß das Gleiche zu lesen.

Vor Christus war Ehelosigkeit etwa als Forderung an jungfräuliche Priesterinnen bestimmter griechischer und römischer Gottheiten bekannt - dies lebt noch fort in der Symbolik der unbefleckten Empfängnis Mariens. Die orphische Tradition, die Pythagoras ausformulierte, sah Erlösung durch Askese vor. Im hinduistischen Ashrama-System gab es das Konzept der vierten Lebensstufe, des "Sannyasin", des Entsagenden, der sich - allerdings nach einer Phase des weltlich tätigen, auch familiären Lebens - zurückzieht zur Hingabe an das religiöse, der Welt entsagende Leben.

Im Kanon 33 des Konzils von Elvira heißt es um 300 n. Chr.: "Über die Bischöfe und Altardiener, daß sie sich nämlich ihrer Ehefrauen enthalten: Man stimmt in dem vollkommenen Verbot überein, das für Bischöfe, Priester, Diakone, d.h. für alle Kleriker, die im Altardienst stehen, gilt, daß sie sich ihrer Ehefrauen enthalten und keine Kinder zeugen; wer aber solches getan hat, soll aus dem Klerikerstand ausgeschlossen werden." Es bedurfte also nicht der gerne bemühten Einflussnahme des Kirchenvaters Augustinus, um diese Traditionslinie aufrecht zu erhalten.

Augustinus hat allerdings dazu beigetragen, das Zölibat mit der - modern gesprochen - Dimension von "Selbstverwirklichung" auszustatten, die wir bei Petrarca ganz deutlich finden. So schreibt Augustinus in jener von Petrarca im Mont-Ventoux-Brief zitierten Passage vom Naturpreis: "Et eunt homines mirari alta montium et ingentes fluctus maris et latissimos lapsus fluminum et Oceani ambitum et gyros siderum, et relinquunt se ipsos nec mirantur" (Confessiones, Liber decimus, 8,15). Dies wird auch ausgeführt in der Rede des Augustinus zum "inneren Menschen", der Seele
(Confessiones, Liber decimus, 6,9).

Petrarca bemüht sich dann nicht mehr, das antik fundierte (und darin von unserem modernen, christlich modifizierten, abweichende) Selbstverwirklichungskonzept mit religiösen Motiven zu begründen - in eklatantem Widerspruch zu seinen häufig vorgetragenen religiösen Bekenntnissen. Seine "Vita solitaria" soll dem "inneren Menschen" im Sinne des eigenen Wohlbefinden dienen, ist nicht essentiell auf eine transzendentale Verpflichtung oder transzendente Erfüllung (von letzterer spricht nur der Canzoniere bisweilen) bezogen.

Noch weiter geht die Formulierung des zölibatären Ideals im modernen Verständnis von Selbstverwirklichung (das erst in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dauerhaft um die Dimension der Sexualität angereichert wird)
bei August Wilhelm Schlegel 1803/04, der in seiner Vorlesung über die "Geschichte der romantischen Literatur" vom "Roman" hinter dem Canzoniere spricht, der das Wesentliche einer Existenz zum Vorschein bringe. Er lobt Petrarca dafür, dass er "Laura's Ehegemahl, ihre Wochenbetten, ihre 14 Kinder" aus dem Canzoniere herausgehalten habe: "Wozu die störenden prosaischen Umgebungen?"





Drei gute Gründe für die Renaissance

Dante Alighieri (1265-1321), Francesco Petrarca (1304-1374) und Giovanni Boccacio (1313-1375) werden häufig als florentinisches Dreigestirn ("Tre corone fiorentine") der italienischen Literatur bezeichnet, das im "Trecento", dem vierzehnten Jahrhundert, für die Literatur gemeinsam den Weg in die Renaissance bahnte. Dante, der als Prosaist und Lyriker den Auftakt spielte, Petrarca, der als Lyriker die Arbeit weiter trieb, Boccaccio als großer Erzähler. Ein heuristisch durchaus brauchbares Modell, das ich hier gerne übernehme, um drei zentrale Themen der Renaissance zu verhandeln: Die Etablierung des Bürgertums als dritter Kraft zwischen Kirche und Feudalmacht, die Entfaltung bürgerlicher Subjektivität und die Zuwendung der Kunst zur Alltagswelt.

Die Macht des Bürgertums zeigte sich daran, wie in den norditalienischen Stadtstaaten Händler- und Bankiersfamilien zunehmend auch die politischen Geschicke bestimmten (Parallelen im deutschsprachigen Raum zeigt die Familie Fugger). Selbstbewußt errichteten sie ihre Palazzi und Geschlechtertürme neben die Anwesen alter Adelsfamilien - wobei die Grenzen zwischen den beiden Gruppen schon früh zu fließen begannen, da zum einen alte Adelsfamilien sich an der Gründung von Handelsunternehmen und Banken beteiligten, zum anderen die "neuen Reichen" Ländereien erwarben und bemüht waren, zügig die eigene Abkunft unüberprüfbar auf mythische Könige zurückzuführen. Zudem wurden etliche Mitglieder reicher Familien der ersten Jahrtausendwende für ihre Mitwirkung an einem der ersten beiden Kreuzzüge geadelt.

Dante Alighieri und Francesco Petrarca gerieten selbst in die politischen Querelen der Zeit, Dante als Mitglied einflußreicher Familien insbesondere in den Konflikt zwischen Ghibellinen und Guelfen, der Florenz, Arezzo und Pisa erschütterte, Petrarca als intellektueller Vertrauter einflußreicher Familien in den Konflikt um den Sitz des Papsttumes in Rom oder Avignon. Boccaccio verkörpert dann bereits einen neuen Typus eher ungebundener Intellektualität, die Dienstleistungen gegen Entlohnung anbot, nicht mehr Loyalität gegen Pfründen. Das "Dreigestirn" war im übrigen auch über persönliche Beziehungen verbunden. Der kleine Petrarca lernte den mehr als eine Generation älteren Dante im Hausstand seiner Eltern in Florenz kennen, Boccaccio und Petrarca waren miteinander befreundet. Damit stehen letztere auch für einen neuen Typus von Beziehungen, der familiäre, wirtschaftliche und politische Verbindungen erweiterte um die Dimension der persönlich-intellektuellen Beziehung.

Dieser Beziehungstypus ist verbunden mit der Entfaltung bürgerlicher Subjektivität vor dem Hintergrund politischer, wirtschaftlicher und religiöser Souveränität. Waren vordem transpersonale Zusammenhänge konstitutiv für das Selbstbild, so treten nun im nördlichen Italien mit dem Trecento individuelle Eigenschaften, Erfahrungen, Wahrnehmung, Reflexionen und Befindlichkeiten in den Vordergrund. Den Abgesang der alten Beziehungsgeflechte stimmt Dantes "Divina Comedia" an, heftige Kritik an kirchlichen und feudalen Missständen verbinden sich mit Beschwörungen einer Rekonstitution dieser Geflechte. In seiner "Vita nuova" zeigen sich dann aber schon deutlich die Grundzüge des neuen Beziehungsmusters, Individualität und Offenheit - damit aber auch Risiko und Scheitern. Diese machen bei Petrarca den eigentlichen Gehalt des "Canzoniere" aus, die imaginär entfaltete Beziehung zu Laura ist nur ermöglichender Entfaltungsrahmen und forttreibender Katalysator für diesen Gehalt. Boccaccio gestaltet, geprägt auch durch die Pestwelle der Jahre 1347ff, vor allem die Kraft der Subjektivität, das nun über eine entbundene Menschlichkeit hereinbrechende Schicksal selbstbestimmt zu meistern.

Die "Divina Commedia" Dantes ist bei Boccaccio zur "Comédie humaine" geworden, wie es bei Balzac dann fünfhundert Jahre später, in einer anderen Blütezeit des Bürgertums, heißt. So markiert Boccaccio entschiedener als Dante und Petrarca die dritte Dimension der Renaissance, die ich eingangs genannt habe, die Zuwendung der Kunst zur Alltagswelt. Die Helden seines "Decamerone" entfalten einen Kosmos menschlicher Geschichten, Irrtümer und Wahrheiten, der in seiner Fülle die mittelalterliche Ordo aufhebt und ersetzt, ohne sie zu desavouieren. Es hebt an die große Erzählung der bürgerlichen Subjektivität als Weltaneignung.



Im Zeitalter des Lichtes


Petrarca hat wesentlich dazu beigetragen, das Bild vom "finsteren Mittelalter" zu prägen und in der Kulturgeschichte zu verankern. So schreibt er von den "tenebrae" der Zeit nach dem Niedergang der Antike, wenn er in einem Brief an Agapito Colonna 1359 begründet, warum er in seiner Biographiensammlung berühmter Männer ("De viris illustribus") die nachrömische Zeit nicht berücksichtige.

Aus Anlass seines zweiten Besuches in Rom 1341 (der erste fand 1337 statt) formuliert Petrarca in einem Brief an Giovanni Colonna (Fam. 6,2) die vielfach - und zumeist unvollständig und nicht immer korrekt - zitierte Ausführung zu den "alten" und den "neuen" Zeiten, die keineswegs mit dem später gemachten wertenden Unterschied Antike-Mittelalter zusammenfallen:

"Viel war von Gegenständen der Geschichte die Rede, und wir hielten für richtig, sie unter uns aufzuteilen, und zwar gemäss dem Umstand, dass Dir wohl besser die neuen und mir wohl besser die antiken bekannt sind ("ut in novis tu, in antiquis ego viderer expertior"). Und als antik sollte man alles aus der Zeit vor der Verbreitung des Christentums in Rom und vor seiner Verehrung durch die römischen Herrscher, als neu dagegen alles seit damals bis auf die heutigen Tage betrachten."

Bezogen auf das literarische Schaffen unterscheidet Petrarca zwischen dem sinnlich-feudalen Minnesang (gleichsam personifiziert in "den Arabern" - Brief an Giovanni Dondi vom 17.11.1370) und dem intellektuell-bürgerlichen "dolce stil nuovo", wie er von der sizilianischen Dichterschule und Dante Alighieri entwickelt wurde. Vorbildhaft wirkte insbesondere Dantes Gestaltung der Beziehung zu "Beatrice" in der "Vita Nova" (1293) - wohinter Dantes Begegnungen mit Beatrice Portinari (1266-1290) stehen. Stärker noch als Dante löst Petrarca sich von der Traditionslinie des Minnesangs (wie er ihn verstand - als Gegenbild zum "dolce stil nuovo", meines Erachtens zu Unrecht) und vertieft den "dolce stil nuovo" psychologisch.

Überlieferte Liebeslyrik, Neuplatonismus und die Wiederbelebung einer idealisierten Antike verbinden sich beim späten Petrarca in der Gestalt seiner "Laura", deren "goldenen Haare" im Canzoniere zum Inbegriff einer verborgenen Gestalt der Wirklichkeit wurden. Dass "Laura" nicht nur Frauenname ist, sondern auch - feminisierter - lateinischer Name des Lorbeerbaumes, verweist uns darüber hinaus in den Kontext einer Mythologie, die das Bemühen um einen ganzheitlichen Lebensentwurf feiert, der ländliches und städtisches Leben, Erotik und Intellektualität, Muße und sinnvolle Beschäftigung zusammenführt.

Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, das "Siècle des lumières", verdankt Petrarca daher neben der erneuerten platonischen Lichtmetaphorik zugleich die Verbindung von Lichtmetaphysik, Erotik und Psychologie sowie Ansätze zu einer neuen Ethik von Arbeit und Freizeit, die den feudalen Müßiggang ebenso meidet wie das bürgerliche Konkurrenzgeracker. Soviel auch zu einer möglichen Aktualität Petrarcas im 21. Jahrhundert - im Zeichen der Aufklärung.

Das Petrarcasche Schema einer Zeitenwende von der Dunkelheit zum Licht kehrt in gewandelter Form häufig zur Einordnung des Petrarcaschen Schaffens selbst, insbesondere seines Canzoniere, wieder. So stellen etwa der Kulturhistoriker Hans Blumenberg und der Romanist Karlheinz Stierle im Blick auf Petrarca mittelalterliche Innerlichkeit und renaissancehafte Zuwendung zur Welt einander gegenüber.

In der Forschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Mittelalter erheblich rehabilitiert, sein Ruf aufgewertet. Auch verliert die tradierte Trennlinie zwischen Mittelalter und Neuzeit zunehmend an Schärfe.

Lektüreempfehlung: Theodor Mommsen, Der Begriff des 'Finsteren Zeitalters' bei Petrarca, 1942/1969 (in: August Buck, Zu Begriff und Problem der Renaissance, 1969, S. 151-179)





Die Inquisition im 13. und 14. Jahrhundert

Es verträgt sich nicht gut mit unserem Bild von der Zeit des Humanismus und der Frührenaissance. Doch wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Inquisiton zu Lebzeiten Petrarcas eine bedeutende Rolle spielte. Sie war Anfang des 13. Jahrhunderts entwickelt worden als amtskirchliche Reaktion auf die Entstehung zahlreicher von der offiziellen Lehre abweichender Laien- und Mönchsgruppierungen. Besonders durch die Katharer, aber auch durch joachimitische Gruppen und Strömungen im Franziskanertum sah sich die Amtskirche gefährdet.

Zwei Jahre vor Petrarcas Geburt wurde die joachimitische Gruppe der Apostelbrüder im Piemont ausgelöscht. 1307 wurden in Paris auf Betreiben von Philipp IV., dem "Schönen", der gnostische Templerorden der Ketzerei angeklagt und in der Folge ausgelöscht (es ging dabei, wie später bei der Verlegung des Papstsitzes nach Avignon, primär um Macht und Geld, nicht um Religion) - und 1310 wurde gleichfalls in Paris die wichtige Inspiratorin der Beginen-Bewegung, Marguerite Porète, verbrannt. 1319 starben in Marseilles vier joachimitische Franziskaner als Häretiker. 1327 wurde Cecco d'Ascoli in Florenz wegen Ketzerei verbrannt. Er war Freidenker und hat unter anderem Dantes "Divina Comedia" als religiöse Phantasterei kritisiert. Petrarca widmete ihm ein Sonett der Jugendzeit, das beginnt mit: "Tu sei 'l grande Ascolan che 'l mondo allumi/Per grazia de l'altissimo tuo ingegno". Petrarcas eigene kritische Haltung zu Dante ist bekannt (s. Briefwechsel mit Boccaccio). Clemens VI., dessen Hofhaltung Petrarca als unmoralisch und verschwenderisch kritisierte, beauftragte Franziskaner mit der Inquisition und beklagte sich darüber, dass diese oft selbst den Irrtümern der Untersuchten erlegen seien (Odericus Raynaldus, Annal. eccl. 1346). Petrarcas Freund Cola di Rienzo wurde unter Clemens VI. der Ketzerei bezichtigt und entging dem Verfahren möglicherweise nur durch den Tod von Papst Clemens.

Es gibt starke Argumente dafür, dass Petrarca einen wichtigen Impuls für seine Arbeit am Canzoniere aus einer kritisch betroffenen Distanz zur Inquisition schöpfte. Damit wäre beispielsweise die Stellung der Babylonischen Sonette im "Canzoniere" gut zu begründen: Als Negativfolie zu einer letztlich häretischen Liebeskonzeption des Autors selbst. Denn die Liebeskonzeption des "Canzoniere" hat auffallende Parallelen in der - kirchlicherseits verdammten - Liebeskonzeption der Marguerite Porète, wenngleich es auch erhebliche Differenzen gibt, etwa im gesteigerten Leidensgestus Petrarcas und in der immer wieder aufscheinenden sinnlichen, auf eine konkrete Frau gerichteten Komponente. Keinesfalls also ließe sich das Petrarcasche Programm mit dem Porèteschen schlicht in Deckung bringen, das so lautete: "Spiegel der einfachen, vernichteten Seelen, die nur im Wollen und Verlangen der Liebe verweilen" (Titel ihres Hauptwerkes).

Die andere Seite der Inquisition waren die zahlreichen Sondergruppen, chiliastischen Bewegungen, sektenartigen Orden, die sich um 1300 vermehrt im mönchischen Umfeld (möglicherweise auch im späteren Kloster von Petrarcas Bruder, einem Kartäuserkloster) formierten. Sie wiederum waren zu einem Teil in Reaktion auf die Verweltlichung der Amtskirche, auf Prunkentfaltung und politische Ambitionen bei der Kurie entstanden. Es war ein schmaler Grad, der amtskirchlich geduldete Reformbewegungen wie die Franziskaner von Gruppierungen (auch im franziskanischen Umfeld selbst) schied, die als häretisch eingestuft wurden. Auch in der Lehre einzelner Personen wurde fein geschieden zwischen dem, was sie sagen, schreiben und lehren durften, und dem, was sie bei Androhung des Todes zu unterlassen hatten - das galt in besonderem Maße für den (noch nicht heiligen) Franziskus von Assisi und seine Nachfolger.

Lektüreempfehlung: George Steiner, Meine ungeschriebenen Bücher, 2007 (zuerst engl. 2006) - darin das Kapitel "Invidia"



Petrarca als Prophet

Marjorie Boyle nimmt in ihrer Arbeit zu Petrarcas "Genius" dessen gelegentliche Selbstdarstellung als "Prophet" wörtlich. Sie sieht bereits in der Klage Petrarcas, wegen seiner Laura-Liebe verspottet und zum "Stadtgespräch" geworden zu sein, einen Hinweis darauf, dass Petrarca sich mit den alttestamentarischen Propheten in eine Traditionslinie habe stellen wollen. Dazu verweist sie unter anderem auf Psalm 69.12: "Ich verwandelte mein Kleid in einen Busssack und wurde ihnen zum Gespött".

Auf unterschiedlichsten Ebenen sieht die Autorin das Prophetenamt Petrarcas begründet. Zum einen in seinem dichterischen Selbstverständnis, das sich immer wieder auf Apollon bezieht, den Herrn des Orakels von Delphi und Gott der Dichtkunst. In ihm sah Petrarca seinen eigenen Genius begründet. Ihn verband er an verschiedenen Stellen mit Jesus Christus. Der "poetic laurel" (S. 18) weise, so Boyle, den direkten Weg zum Himmel. In "Secretum meum" lässt Petrarca den Augustinus sagen: "Du musst die ausgetretenen Wege verlassen und nach Höherem strebend dich auf Pfaden bewegen, die nur von sehr wenigen begangen worden sind" (S. 248f) - Boyle sieht darin die Aufforderung zur poetisch-prophetischen Existenz, wie Petrarca sie bei seiner Dichterkrönung für sich reklamiert habe.

Diese Existenz wollte Petrarca, so führt Boyle weiter aus, in den Dienst des Vaterlandes stellen, diesem eine gelingende Zukunft prophezeien - im Sinne von: den Weg dahin weisen. Dies ist der Sinn etwa von "Africa", aber auch der Briefe an das römische Volk. Petrarca habe sich dabei auf Vergil berufen, den er als mit zauberischen Kräften begabt ansah. Kräfte, die Petrarca auch für sich reklamierte, die Kraft, auf mächtige Männer durch seine Worte einzuwirken und diese zu großen Taten zu bewegen - wie Boyle unter dem Kapiteltitel "The Sylvan Citizen" ausführt. Faktisch ist Petrarca damit gescheitert, Cola di Rienzo wurde zwar zum Volkstribun, doch glücklos. Und bei Karl IV. versagten die "Zaubersprüche" Petrarcas vollständig.

Die Kehrseite dieser ermunternden, anleitenden, wegweisenden Prophezeihung ist die Mahnung, sind die Drohungen des Untergangs, wie Petrarca sie in den "Babylonischen Sonetten" dem "unrömischen" Avignon vorhält. Damit zugleich im zeitlos überhöhten Bild der "Hure Babylon" auch eine Mahnung an Rom, die Römer, an Italien insgesamt aussprechend.

Ganz deutlich stellt sich Petrarca in die Traditionslinie des Dichter-Sehers, wenn er in "Africa", Buch 9, Homer als blinden Seher auftreten lässt, der Ennius, dem Dichter-Freund Scipios, Petrarca "beschreibt" und prophezeit. Also Petrarca entwirft in einem historischen Epos eine Vision des Ennius (die dieser Scipio berichtet), innerhalb derer Homer auftritt, der wiederum dem Ennius das künftige Erscheinen Petrarcas (im "letzten Zeitalter") vorhersagt. Dieser ("Francisco") werde Scipio in der Zukunft preisen und das alte Rom wieder (zumindest poetisch) aufrichten.

Lektüreempfehlung: Marjorie O'Rourke Boyle, Petrach's Genius. Pentimento and Prophecy, Berkeley 1991




Petrarca als Ökologe

Die sowohl in autobiographischen als auch in seinen literarischen Texten immer wieder aufscheinende Naturzuwendung Petrarcas könnte dazu verführen, in ihm auch einen Vorläufer der Ökologiebewegung oder zumindest einer Rousseauschen Naturzuwendung zu sehen. Einschlägige Äußerungen finden sich bei ihm in den autobiographischen Texten zuhauf. So preist er schon früh seinen Rückzugsort in der Vaucluse als Oase eines ursprünglichen, naturnahen Lebens fern des Getümmels der Großstadt. Und am Ende seines Lebens schreibt er aus seinem Landhaus am Rande der Colli Euganei, er beschäftige sich jetzt lieber mit Kräutern als mit seinen Schriften.

Allerdings ist festzuhalten, dass ein Naturbegriff, der die Austauschbeziehungen des natürlich Gegebenen umfasst, bei Petrarca nicht vorliegt. Vielmehr begegnen uns im Blick auf die äußere Natur ein aus heutiger Sicht naturästhetisch verengter Zugriff, der allerdings in seiner Zeit durchaus fortschrittlich war. Zur inneren Natur des Menschen entwickelt Petrarca den stark religiös geprägten Begriff einer antagonistischen Körperlichkeit, die dem Prinzip der Identität, der "Seele", feindselig gegenübersteht. Integrative Aspekte erscheinen eher in einem pragmatischen Kontext in der Zeichnung von Naturräumen als Refugien gegenüber menschlicher Kultur, die durch Feindseligkeit, Ausbeutung und Elend gezeichnet sei - nebenbei ein in jüngerer Zeit durchaus verbreiteter Ansatz für die Entwicklung eines ökologischen Bewußtseins.

Die Naturauffassung Petrarcas ist komplex, und sie birgt durchaus Gehalte, mit denen ein modernes ökologisches Bewußtsein sich gewinnbringend auseinander setzen kann. In seinen moraltheoretischen und moralpraktischen Schriften entwirft Petrarca das Bild einer menschlichen Natur, die gezügelt werden müsse und per se leidproduzierend sei - dabei ist es jedoch keineswegs schlicht die Körperlichkeit, das "schwarze Ross" Platons, was gezügelt werden müsse. Petrarca zeigt durchaus schon die Mitverantwortung des Kulturprozesses für Leid und Elend auf. In seinem literarischen Werk erscheint die äußere Natur als Konfigurationsfeld seines Laura-Mythos und als Projektionsfläche seelischer Prozesse. Darin gewinnt sie eine über antik-bukolische Ästhetisierungen weit hinausdeutende Wertigkeit als Austragungsort gelingender Identität.



Petrarca und die Pest

Am 25. Januar 1348 erlebte Petrarca in Verona das spektakuläre heftige Erdbeben, das Oberitalien, Slowenien, Österreich und Bayern erschütterte. Das Epizentrum lag im Friaul, die Stärke betrug 8-9 auf der EMS-Skala. Vielen Zeitgenossen galt dieses Erdbeben als Vorzeichen der Pest. Diese brach wenige Wochen später in Norditalien aus, vermutlich von Venedig her. Etwas später kam sie nach Südfrankreich, über die Häfen von Genua und Marseille. Am 19. Mai des Jahres erfuhr Petrarca in Parma, dass Laura de Noves, die Laura seiner Liebessonette, am 06. April der Pest in Avignon erlegen sei. In Avignon starb etwa die Hälfte der Einwohner. Petrarcas Bruder Gherardo, Kartäusermönch, überlebte als Einziger den Pestausbruch in der Kartause von Montrieux, der 30 Mitbrüder zum Opfer fielen. Die Pandemie, zeitgenössisch der "Schwarze Tod" genannt, endete 1353. Anfang der 1360er Jahre kam es zu einem Neuausbruch der Pest in einigen Städten Italiens. Dabei starb 1361 Petrarcas Sohn Giovanni in Mailand.

Petrarcas Briefe machen uns darauf aufmerksam, dass ein Ereignis wie die Pest von 1348 schon zu seiner Zeit keinesfalls notwendig als Gottesgericht aufgefasst werden musste - auch wenn der Autor vordergründig die dominierende Strafrhetorik der Zeit übernimmt. Für Petrarca war die Pest ein Schicksalsschlag, dem bei allem Schmerz und aller Verzweiflung, die er immer wieder zum Ausdruck brachte, mit Weisheit zu begegnen sei. Seine Auseinandersetzung mit der Pest enthält auch massive Kritik an der dogmatisch-scholastischen Medizin, die versagt habe. Heftig attackiert er die Dummheit, Feigheit und Bereicherungsgier der Ärzteschaft und den verbreiteten Aberglaube, der die Pest astrologisch zu erklären suchte. So schreibt er in einem Brief an den Freund Socrates 1348: "Doch sind weder die Unwissenheit noch die Seuche selbst so hassenswert wie die Flausen und Fabeln der Leute, die obgleich sie alles behaupten, nichts wissen" (Bergdolt 1992, S. 71).

Ein besonders beredtes Dokument ist sein Briefgedicht "Ad se ipsum". Dort schreibt er: "War dies der Zorn Gottes? Unsere Taten hätten es nicht verdient, wie ich glaube. Oder nur verdorbene Luft, weil die Natur sich änderte?" "Verdorbene Luft", "Ausdünstungen" wurden von den Zeitgenossen oft als Ursache der Pest oder zumindest wichtige Ausbreitungsbedingung genannt. Bei Petrarca ist hier interessant, dass er fragt, ob "die Natur sich änderte". Was er damit meinte, ist unklar. Festzuhalten bleibt, dass er auf Naturprozesse verweist, nicht auf ein Gottesgericht. Allerdings finden wir weder bei Petrarca noch in anderen Zeitzeugnissen die Auffassung einer bösen oder strafenden Natur, die hinter der Pest stünde. Diese Auffassung blieb späteren Zeiten vorbehalten.

Naturforschend ansetzende Erklärungsversuche zur Pest von 1347ff sind in den zeitgenössischen Dokumenten durchaus anzutreffen. Ein allgemeines Bewußtsein von der Ansteckung als Ausbreitungsweg und der Bedeutung von Hygiene war bei den gebildeten Schichten vorhanden. In zahlreichen Zeugnissen wird auch symptomatologisch unterschieden in Lungenpest und Beulenpest. Sowohl arabische Ärzte auf der iberischen Halbinsel (überliefert ist etwa ein Bericht von Ibnul Khatib aus Granada - Bergdolt 1994, S. 76) als auch christliche Gelehrte im bayrisch-österreichischen Raum (so der Chronist Goswin von Marienberg - Bergdolt 1994, S. 79) haben sich früh mit der Pest auseinandergesetzt in einer Weise, die fernab mittelalterlich-scholastischer Dogmen lag.

Vergessen sollten wir allerdings in der kulturgeschichtlichen Einordnung nicht, dass die von Petrarca zurückgewiesenen dogmatischen Scheinerklärungen mit "Ausdünstungen" und "Feuchte", wie die Ärzteschaft sie verbreitete, bei Lukrez in "De rerum natura" 1400 Jahre früher als fortschrittlich anzusehen sind gegenüber Erklärungen mit dem Wirken von Geistern und Göttern.

Lektüreempfehlungen: Klaus Bergdolt, Petrarca und die Pest, in: Sudhoffs Archiv, Band 76/1992, Heft 1, S. 63-73. Klaus Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa, München: Beck, 1994

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Petrarkismus und die Geschichte des Sonetts

Petrarcas Vorbild wirkte stilbildend bis ins beginnende 19. Jahrhundert, bis in die Dichtung der Romantik hinein. Der Schwerpunkt des nach ihm benannten "Petrarkismus" lag in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Dabei wirkte zum einen die von ihm gewählte Hauptform des Sonetts prägend, zum anderen die von ihm entfaltete inhaltliche Gestaltung der Liebeslyrik, die gegenüber dem Minnesang an psychologischer Differenzierung und an existentieller Dramatik gewonnen hatte. War der Minnesang von einer feudalen Lebenswirklichkeit bestimmt, so reflektiert der von Petrarca im Anschluss an Dante weiter entwickelte "Dolce stil nuovo" eine bürgerliche Empfindungs- und Erfahrungswelt. Allerdings sollte nicht verkannt werden, dass z.B. der mittelhochdeutsche Minnesang auch schon Ansätze hierzu zeigte - etwa bei Hartmann von Aue. Als Petrarkismus wird dabei eine stark an Petrarcas formalem und inhaltlichem Modell orientierte Lyrik bezeichnet, die häufig epigonale Züge aufweist. Die Grenze zu eigenständigen lyrischen Richtungen ist nicht klar zu ziehen und Sache kritisierbarer literaturwissenschaftlicher Zuweisungen.

Der Petrarkismus entwickelte sich im 15. Jahrhundert zunächst am Hof von Neapel und in den Höfen der Poebene. In der Barockzeit breitete sich die Sonettdichtung dann in Frankreich, weiter in Holland, England und Deutschland aus. Die herausragenden Sonett-Dichter des Barock, Joacquim du Bellay, William Shakespeare und Andreas Gryphius, sollte man allerdings nicht als "Petrarkisten" bezeichnen, auch wenn sie sich intensiv mit Petrarca auseinander gesetzt und an ihm orientiert haben. Alle drei fanden eigenständige Wege der Übertragung von Form und Inhalt der Petrarkischen Lyrik in ihre eigene Zeit. Formal begünstigte der Übergang vom Italienischen in weniger vokalreiche Sprachen die Bevorzugung von zwölf- und dreizehnsilbigen Zeilen ("Alexandriner"). Inhaltlich distanzierte sich vor allem Shakespeare ganz ausdrücklich von der Idealisierung der Geliebten bei Petrarca. Gryphius thematisierte zunehmend konkretes, durch Krieg und materiellen Mangel bedingtes Elend gegenüber dem fiktional geprägten Leiden durch eine unglückliche Liebesbeziehung.

Über die eigentliche Zeit des Petrarkismus hinaus blieb die Verbindung zwischen Liebeslyrik und Sonett in der Gestaltung einer unerfüllten Liebe noch bis zur Dichtung der Romantik bestehen. August Wilhelm Schlegel spricht von einer "Sonettwuth" seiner eigenen Zeit. Heinrich Heines "Buch der Lieder" (1827) löst diese Verbindung dann explizit auf. Die Sonette im "Buch der Lieder", das im Titel auf Petrarcas "Canzoniere" verweist, spielen eine untergeordnete Rolle, zwei Sonette zu Beginn der Abteilung "Junge Leiden" thematisieren Traumbilder. Der Sonette-Zyklus am Ende dieser Abteilung besteht aus Widmungen, diese Sonette tragen den Charakter von Auftragsarbeiten oder programmatischen Texten und sind häufig satirisch überspannt.

1888 bezeichnet der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Arturo Graf in "Petrarchismo ed antipetrarchismo" gleich zu Beginn den Petrarkismus als "Krankheit": "Il Petrarchismo è una malattia cronica della letteratura italiana." Wobei er das 16. Jahrhundert als Höhepunkt dieser "Krankheit", dieses "wiederkehrenden Fiebers" ("una specie di febbre ricorrente") ansieht.



Übersetzungen von Petrarcas Canzoniere und der internationale Petrarkismus


Der internationale Petrarkismus basierte zunächst vor allem auf direkter Petrarca-Lektüre, mit zunehmendem Abstand allerdings auch auf Übersetzungen des Canzoniere in die jeweiligen Landessprachen. Übersetzungen erfolgten teilweise bereits zu Petrarcas Lebenszeit (1304-1374), dann vor allem im 16. und 17. Jahrhundert.

Einflüsse Petrarcas auf englische Autoren lassen sich bereits bei Geoffrey Chaucer (1343-1400) nachweisen, dem Poeten der "Canterbury Tales". Er war der erste, der Petrarca außerhalb Italiens bekannt machte. Die ersten breit rezipierten Übersetzungen ins Englische verfasste Thomas Wyatt (1503-1543). Wobei schon bei Wyatt zu beobachten ist, was die Übersetzungen des Canzoniere insgesamt prägte, dass nämlich die Grenze zwischen Übersetzung und eigener lyrischer Produktion fließt. Wie viele Petrarca-Übersetzer nach ihm brachte Wyatt eigene Anliegen in seine Übertragungen der Petrarcaschen Texte ein. Vollends verschwand die Grenze zwischen Übersetzung und Neugestaltung bei Thomas Watson (1556?-1592), über dessen Texte fast nur indirekte Zeugnisse vorliegen. Shakespeare (1564-1616) distanzierte sich dann deutlich von Petrarca, doch dessen Vorbild ist, vermittelt über Watson, dennoch auch bei ihm präsent.

In Spanien verfasste Ausiàs March in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine "Els cants d'amor", die Petrarcas Einfluss verraten. Zu eigentlichen Übersetzungen kam es in Spanien zunächst nicht, zu nahe empfand man wohl das Italienische Petrarcas der eigenen Volkssprache. So kam es entschieden und sehr früh zu einer eigenständigen Ausprägung der Auseinandersetzung mit Petrarcas Liebeslyrik, zu Sonetten "fechos al italico modo", wie der Marques de Santillana zweiundvierzig eigene Sonette 1444 charakterisierte. Allerdings sollte dann erst Juan Boscán Almogáver einige Generationen später nach einer Begegnung mit dem italienischen Petrarkisten Andrea Navaggiero 1526 den spanischen Petrarkismus als dichterische Bewegung begründen.

Von besonderer Bedeutung für die Verbreitung Petrarcascher Einflüsse im Bereich der Lyrik war Frankreich. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden dort aus dem volkssprachigen lyrischen Werk Petrarcas jedoch vorwiegend die Trionfi rezipiert. Erste Übersetzungen aus dem Canzoniere stammen von Clément Marot (1496-1544). Mit der Übersetzung von 200 Sonetten durch Vasquin Philieul de Carpentras 1548 fand der Canzoniere dann breite Aufmerksamkeit im französischsprachigen Bereich. Joachim Du Bellays "L'Olive" 1549/50 flankierte Philieuls Arbeit mit einer freien Übertragung der Strukturprinzipien des Canzoniere in einen eigenen Sonett-Zyklus, der den französischen Petrarkismus begründete. Die Dichter der "Pléiade" (vor allem Du Bellay, Ronsard und Baïf sind zu nennen) förderten den Petrarkismus auch außerhalb Frankreichs, etwa in Deutschland.

Dass die Idee des Petrarkismus durchaus noch lebendig ist, zeigt eine von Pier Paolo Pasolini überlieferte Aufforderung an den Lyriker Andrea Zanzotto (1921-2011): "Schreib Deine schönen Verse, Du verrückter Petrarkist."

Lektüreempfehlung: Luzius Keller (Hrsg.), Übersetzung und Nachahmung im europäischen Petrarkismus, Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1974





Übersetzungen von Petrarcas Canzoniere und der Petrarkismus in Deutschland


In Deutschland waren es Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653) und Martin Opitz (1597-1639), die zwischen 1615 und 1620 zuerst mit - teilweise sehr freien - erwähnenswerten einzelnen Übersetzungen aus dem Canzoniere aufwarteten. Im gleichen Zeitraum hat auch der weniger bekannte, jung verstorbene Barocklyriker Ernst Schwabe von der Heyde, der vermutlich als erster Petrarca-Sonette ins Deutsche übertrug, seine Übersetzungen präsentiert. Bedarf für eine umfassendere Übersetzung des Canzoniere bestand augenscheinlich nicht. Die deutschsprachigen Intellektuellen des Humanismus und des Barock begnügten sich mit dem italienischen Original oder den französischen Übersetzungen und waren, sofern sie Petrarca zum Vorbild nahmen, eher dem neulateinischen Petrarkismus verschrieben. Mit Paul Fleming (1609-1640) erreicht der Petrarkismus in Deutschland dann nach gängiger Auffassung schon seinen Höhepunkt (allerdings sah etwa der Germanist und Petrarka-Forscher Hans Werner Pyritz in Fleming keinen Petrarkisten). Wie weit die Kirchenlieder der Zeit, insbesondere die Lieder Paul Gerhardts ("O Haupt voll Blut und Wunden", 1653/56) am Petrarkismus partizipieren, ist umstritten. Hinweise dazu gibt etwa Sven Grosse 2001 in "Gott und das Leid in den Liedern Paul Gerhardts". Mit dem Ende der Barocklyrik enden im deutschsprachigen Raum auch Erscheinungen im Literaturgeschehen, die vollgültig als Petrarkismus zu benennen wären.

1782 stellte Friedrich Schiller, dreiundzwanzigjährig, mit einigen Mitstreitern eine forsch auftretende Jahresanthologie mit Gedichten zusammen. Die meisten Texte stammten von Schiller selbst. In diese "Anthologie auf das Jahr 1782" mit der brüsken Widmung "Meinem Prinzipal dem Tod zugeschrieben" nahm der junge Stürmer und Dränger unter anderem fünf "Oden" auf, die im Untertitel die Widmung "An Laura" erhielten. Den jungen Schiller deswegen als Petrarkisten zu bezeichnen, wäre grob verfehlt. Aber sein Bekenntnis steht dafür, dass Petrarca auch für die jungen deutschen Lyriker und Intellektuellen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, noch - nach anderer Auffassung: wieder ("Zweiter Petrarkismus", Katrin Korch 2000) - ein Referenzpunkt war. Schillers Zeitgenosse Jakob Michael Reinhold Lenz kann allerdings, folgt man den Arbeiten etwa von Jean Livescu-Leahu, durchaus in einem eingeschränkten Verständnis als Petrarkist bezeichnet werden. Livescu-Leahu bezieht sich etwa auf den Lenzschen Text "Petrarch. Ein Gedicht aus seinen Liedern gezogen" von 1775.

Eine Generation später kommt es dann zur ersten umfassenden Übersetzung des Canzoniere ins Deutsche, der von Karl August Förster 1818/19. Sie ist als Beitrag zur bürgerlichen Emanzipation der Zeit zu verstehen, mit einem deutlich biedermeierlichen Grundzug. Heute ist sie überwiegend von historischem Interesse, aber noch immer lesenswert. Auch von Autoren der Romantik wurden Gedichte aus dem Canzoniere übersetzt, wobei vor allem die Sonette beachtet wurden. Literarisch anspruchsvoller als die Arbeiten Försters sind die Übersetzungen von August Wilhelm Schlegel, der Petrarca zum Startpunkt seiner "Geschichte der romantischen Literatur" machte. Schlegels Bewunderer Heinrich Heine, der gelegentlich auch als letzter romantischer Dichter im deutschsprachigen Kontext bezeichnet wird, wird gelegentlich als letzter Petrarkist bezeichnet. Gerhart Hoffmeister nennt Heine gar mit Verweis auf Manfred Windfuhr einen "echten Petrarkisten" auf der Basis "oxymorischer Liebe". Weiter verweist er auf "die Benutzung des Schönheitskataloges, die Beschreibung der kaltherzigen Geliebten und ihrer marternden Wirkung auf den Liebhaber, die Naturanrufung" (S. 84).  Heines "Buch der Lieder" greift im Titel explizit den Canzoniere auf, seine Orientierung am Modell beschränkt sich jedoch auf Andeutungen, Anspielungen und stark ironisierende Verwandlungen.

Lektüreempfehlung: Gerhart Hoffmeister, Petrarkistische Lyrik, Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1973



Du Bellays Petrarkismus

Zweihundert Jahre nach Petrarca unternimmt es ein Franzose, Joachim du Bellay (um 1522 bis 1560), nun seine Landessprache auf dem Weg über die Liebeslyrik vom Lateinischen zu emanzipieren. Der lange Atem Petrarcas fehlt ihm - es mag an seiner kurzen Lebensspanne liegen, aber auch an den ersten Vorzeichen des barocken Pessimismus, dem Schwinden humanistischer Inspiration. Sein Canzoniere ("L'Olive" - 1549) umfasst lediglich fünfzig Sonette in der ersten Ausgabe, in der Ausgabe von 1550 dann fünfundsiebzig. Die komplexe Syntax des Lateinischen, mit ihren Möglichkeiten zur Produktion vielfältiger Sinnebenen, die Petrarcas Canzoniere prägte, ist preisgegeben. Die Texte du Bellays sind - gemessen am Vorbild - frappierend eindimensional, muten aus heutiger Sicht bisweilen an wie Texte fürs Poesiealbum. Auch wenn sie zeitgenössisch starke Wirkung im intellektuellen Milieu entfalteten.

Die Titelwahl nimmt die Ambivalenz des Petrarcaschen Liebesobjektes "Laura" auf. "Olive" ist der Name einer geschätzten (geliebten?) Cousine du Bellays und zugleich ein Auszeichnungssymbol. Olivenzweig wie Lorbeerkranz waren in der griechischen und römischen Antike Siegeszeichen und Attribute zur Markierung kultureller Höchstleistung. Mit "L'Olive" hat du Bellay entscheidend dazu beigetragen, das Sonett in der französischen Lyrik zu etablieren, auch wenn vor ihm schon Mellin de Saint-Gelais französische Sonette schrieb und Maurice Scève mit "Délie" 1544 einen Gedichtzyklus von Zehnzeilern verfasste, der den Petrarcaschen Canzoniere zum deutlichen Vorbild nimmt. Scève rühmte sich im übrigen auch der Entdeckung des Grabes von Laura de Noves und deren Bestimmung als Petrarcas Muse.

Im Zentrum von du Bellays poetischem Programm, wie es in "L'Olive" entfaltet wird, steht das Unaussprechliche. Was der Autor von der Geliebten sagen möchte und von seinen Empfindungen für sie, sei sprachlich nicht zu fassen. Die Sprache versage wohlgemerkt, nicht der Sprecher. Für den Leser von heute sind solche Bekenntnisse eher ermüdend. Im 16. Jahrhundert hatten sie in Frankreich durchaus appellative Funktion, nämlich die Aufforderung, an der französischen Sprache zu arbeiten, um sie zu einem geeigneten Werkzeug zeitgenössischer Welterfahrung und Weltgestaltung zu machen.

Du Bellay war Sprachkritiker, eines seiner wichtigsten Werke - gleichzeitig mit "L'Olive" veröffentlicht - trägt den Titel "Défense et illustration de la langue française" (1549 - dt. "Verteidigung und Bereicherung der französischen Sprache", Vorbild für Opitz). Als Lyriker tritt er nicht nur mit "L'Olive" in die Nachfolge Petrarcas ein. Sein Sonettzyklus "Antiquités de Rome" (1553) greift die Thematik der Petrarcaschen Romidee auf, wie sie vor allem in "Africa" entwickelt ist - doch mit resignierendem Ton. Dieser Ton verschärft sich noch in seinem letzten Sonettzyklus "Les regrets" (1558).





Neuhumanismus

Der Neuhumanismus des 18. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch eine starke Orientierung an der griechischen Antike, der Graecitas. Damit war die Anknüpfung an den Humanismus der Renaissance erschwert, der sich primär an der Latinitas orientierte. Diese Orientierung ist vor dem Hintergrund der damaligen Quellenlage, aber auch vor dem Hintergrund etwa der politischen Anliegen Petrarcas oder später des Erasmus von Rotterdam verständlich.

Dennoch gab es auch im Neuhumanismus eine signifikante Petrarkarezeption, die sich vom sogenannten zweiten Petrarkismus nicht klar unterscheiden lässt und in der Person Friedrich Schillers mit diesem einen aufschlussreichen Schnittpunkt hat. Schiller hat seine eigenen Laura-Gedichte literaturkritisch als "überspannt" charakterisiert. Was ihn deutlich etwa von Gleims Position zur eigenen Petrarca-Nachfolge abhebt.

Der Schlüssel zur Petrarca-Rezeption im Neuhumanismus ist die Auseinandersetzung Herders mit Petrarca. In einem Brief an seine Braut Karoline Flachsland vom September 1770 zitiert Herder Klopstocks Ode "Petrarka und Laura" und wünscht, den Text mit der Gliebten gemeinsam zu lesen. Zwei Jahrzehnte später übersetzt Herder sechs Sonette Petrarcas und trägt damit wesentlich zum Petrarca-Interesse der Romantik bei. Diese Übersetzungen finden sich in Herders "Briefen" vom Mai 1790, die als Einleitung zu Johann Georg Müllers deutscher Ausgabe von Petrarcas "Brief an die Nachwelt" und "Secretum" in "Bekenntnisse merkwürdiger Menschen" Bd. 1 (1791) publiziert sind. In diesen "Briefen" macht Herder auch aufmerksam auf die Traditionslinie, die Augustinus ("Confessiones"), Petrarca ("Brief an die Nachwelt", "Secretum meum") und Rousseau ("Les Confessions") verband über das gemeinsame Anliegen der umfassenden Selbstvergewisserung. Dabei ordnet er die einschlägigen Werke von Augustinus und Petrarca den "andächtigen oder religiösen Confessionen", das Werk Rousseaus den "menschlichen philosophischen Confessionen" zu.

Herders bald darauf veröffentlichte "Briefe zur Förderung der Humanität" (1793) sind Petrarca eng verpflichtet. Im Brief 54 führt Herder aus, Petrarca sei "ein eifriger Erwecker der Alten" und "ein strenger Bearbeiter seines Herzens und Geistes" gewesen. Im nachfolgenden Brief teilt Herder mit, er habe "nicht etwa nur seine Sonnette (sic - H.Sch.) und Canzonen, sondern die Nachrichten aus seinem Leben und die merkwürdigsten seiner Schriften und Briefe" gelesen.  Fritz Wagner führt in seiner Auseinandersetzung mit der Herderschen Bezugnahme auf Petrarca aus, Petrarca habe für Herder "l'ideale di umanità nello spirito occidentale" verkörpert (S. 169).

Lektüreempfehlung: Fritz Wagner, Johann Gottfried Herder e Petrarca, in: Quaderni petrarcheschi 1/1983, S. 141-179



Zweiter Petrarkismus

Als zweiter Petrarkismus (gelegentlich auch "Neupetrarkismus", Jörg-Ulrich Fechner) wird für den deutschsprachigen Bereich die erneute Zuwendung zum Canzoniere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis hinein ins 19. Jahrhundert, insbesondere im Kontext romantischer Literaturkonzeptionen, bezeichnet. Vom "ersten" deutschen Petrarkismus des 16. und 17. Jahrhunderts ist diese Rezeptionsphase getrennt durch die kulturellen Umbrüche nach dem 30jährigen Krieg und die Leistungen der Aufklärung. Differenziert ausgeführt wurde die Unterscheidung durch Katrin Korch in ihrer germanistischen Dissertation "Der zweite Petrarkismus. Francesco Petrarca in der deutschen Dichtung des 18. und 19. Jahrhunderts", erschienen 2000. Korch verweist darauf, dass "der barocke Petrarkismus weniger auf Petrarcas Werk als auf dem seiner Nachahmer" beruhte (S. 11).  Dagegen sei "der zweite Petrarkismus durch die Rezeption von Petracas Werk selbst gekennzeichnet" (ebd.).

Die Problematik der Kategorie "zweiter Petrarkismus" zeigt sich etwa daran, dass darunter so unterschiedliche Autoren wie Friedrich Gottlieb Klopstock, Ludwig Hölty, Friedrich Schiller, Jakob Michael Reinhold Lenz (der seine unerfüllte Liebe zu Goethes Schwester Cornelia petrarkisierend verarbeitete), A.W. Schlegel oder Heinrich Heine zu fassen wären. Auch Goethes Werther kann durchaus im weiten Sinn dieser Kategorie petrarkistisch interpretiert werden, desgleichen Hölderlins Hyperion. Ausgangspunkt des zweiten Petrarkismus ist die Kultur von Anakreontik und Empfindsamkeit, markante Gründungsdokumente sind Johann Wilhelm Ludwig Gleims Sammlung "Petrarchische Gedichte", 1746 veröffentlicht,  und weit wirkmächtiger Klopstocks Hymne "Petrarca und Laura" von 1748. Gemeinsames Merkmal dieser Autoren in ihrer Hinwendung zu Petrarca ist die Orientierung an einer Ästhetik der individuellen Schöpfung, am prägnantesten in der Genieästhetik des Sturm und Drang (vgl. Korch, S. 12ff).

Der zweite Petrarkismus führte zu einer neuen Kanonisierung des Autors, nachdem er vor 1750 in Deutschland weitgehend vergessen war. Zeugnis dieser Kanonisierung sind Herders "Briefe zur Förderung der Humanität" (1793) und A.W. Schlegels "Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst" - insbesondere der dritte Teil über die "Geschichte der romantischen Kunst" (1803/1804). Um 1900 schwindet die Bedeutung Petrarcas für den deutschen Bildungskanon erneut - insbesondere als Folge einer massiven Kritik an seiner im Canzoniere entfalteten Liebeskonzeption (vgl. Korch, S. 334).

Lektüreempfehlung: Katrin Korch, Der zweite Petrarcismus. Francesco Petrarca in der deutschen Dichtung des 18. und 19. Jahrhunderts, Aachen 2000





Anti-Petrarkismus

Der Begriff "Antipetrarcismo" stammt von dem italienischen Literaturwissenschaftler Arturo Graf (1848-1913). Er prägte ihn für eine Lyrikströmung des 16. Jahrhunderts, die sich gegen die Petrarca-Imitation in der italienischen Liebeslyrik stellte. Bei den Texten dieser Strömung handelte es sich vorwiegend um Parodien und Travestien der petrarkisierenden Liebeslyrik. Verfasst wurden sie von avantgardistischen Autoren der Spätrenaissance wie Pietro Aretino, Francesco Berni und Antonio Francesco Grazzini ("il Lasca" als Mitglied der Accademia della Crusca). Gelegentlich findet sich für diese Autoren im Italienischen auch die Bezeichnung "Scapigliati" (die Zerzausten), mit Bezug auf die Mailänder Literatengruppe der "Scapigliatura" des 19. Jahrhunderts.

Diese Autoren kritisierten und parodierten nicht Petrarca, sondern seine Epigonen. Anders Shakespeare, dessen Antipetrarkismus sich - bisweilen sehr heftig - gegen Petrarca selbst richtet. Shakespeares verfasste einen Sonettzyklus mit 154 Texten, erschienen 1609, der Petrarcas Vorbild deutlich verpflichtet ist, der sich aber auch polemisch von Petrarcas Laura-Preisung absetzt. Er wendete sich in der Mehrzahl der Texte an einen jungen Mann, einen "fair boy", der mit androgynen Zügen gezeichnet wird. Ab Sonett 127 steht dann eine "dark lady" im Mittelpunkt: "IN the ould age blacke was not counted faire,/Or if it weare it bore not beauties name:/But now is blacke beauties successiue heire,/And Beautie slanderd with a bastard shame". Im Sonett 130 wird diese "dark lady" als ein klares Gegenbild zu Petrarcas Laura vorgestellt, keine blutleere Phantasmagorie, sondern lustvolle, lebendige, nicht-perfekte Wirklichkeit: "My Mistres when shee walkes treads on the ground".

Shakespeare stand damit im übrigen nicht alleine. Unmittelbare Vorstufen seiner kritischen Auseinandersetzung mit Petrarcas Liebeslyrik finden sich in der englischen Literatur bei Philipp Sidney oder John Donne.

Als kleine Pointe sei auch Wilhelm Buschs später Bezug auf Petrarca im Prolog zu seinem "Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter" erwähnt. Busch preist den Lohn, den Dichter für ihre poetischen Bemühungen bei ihrer "Laura" gewinnen:

"Göttlicher Mensch, ich schätze Dich!
Und daß Du so mein Herz gewannst,
Macht bloß, weil Du so dichten kannst!"



Der Marquis de Sade - ein Petrarkist?
Zum 200. Todestag des Marquis am 02. Dezember 2014


"Laura verdreht mir den Kopf, ich bin wie ein Kind. Nachts träume ich von ihr. (...) es war um Mitternacht, und plötzlich erschien sie mir. Ihre Augen hatten noch das gleiche Feuer wie damals, als Petrarca sie rühmte" - schreibt der Marquis de Sade 1779 in Festungshaft unweit Paris, in Vincennes. Es klingen hier die Sonette CCXCIII ("dopo sè mi chiama") und CCCXLII ("al letto in ch' io languisco/vien tal, ch' a pena a rimirarl' ardisco") aus dem Canzoniere an.

Der Marquis de Sade ein Petrarkist? Im gewöhnlichen Sinne gewiss nicht, Lyrik war nicht sein Metier. Doch vielleicht hat er den Komplementär- und Gegenroman geschrieben zu jenem Roman, den August Wilhelm Schlegel im Canzoniere geschrieben sieht, mit der zentralen Bestimmung: "Wesen des Romans, das Poetische im Leben überhaupt aufzufassen, also auch einer speciellen Biographie." Auch wenn Schlegel mit dem "Poetischen" im Leben des Marquis de Sade sicherlich erhebliche Probleme gehabt hätte, zumindest als Universitätslehrer.

Was Petrarca und de Sade eint, ist die unbedingte Priorisierung individueller Freiheit. Während Petrarca damit nicht nur die Ablehnung politischer oder wirtschaftlicher Sklaverei (im Sinne von Unterjochung, Dominanz) meint, sondern auch Freiheit von bestimmenden Begierden (Reichtum, Völlerei, Sexualität), steht bei Marquis de Sade an oberster Stelle die politisch-rechtliche Freiheit, absolute Freiheit der Lebensführung, ausdrücklich nur solange sie die Freiheit anderer nicht einschränkt - auch wenn sein eigener Umgang mit Hausangestellten und Prostituierten dahinter Fragezeichen setzt. Einig waren sich die beiden im unbedingten Zugriff auf das Objekt ihrer Begierde, Komplement ihrer einsamen Subjektivität.

Beide entwarfen auch eine politisch-soziale Utopie, Petrarca in "Africa" die Utopie der italienischen Republik aus dem Geiste eines extrem idealisierten und chauvinistischen Roms moralischer Superiorität, de Sade in "Aline et Valcour" die Südseeutopie einer - nicht nur - sexuell umfassend toleranten Gesellschaft. Beide verstrickten sich in bisweilen wahnhaft anmutenden Iterationen ihrer jeweiligen Moralsysteme. Über Jahrhunderte hinweg eint sie das Programm, die Extreme des bürgerlichen Liebesideals auszuloten. Ob sie damit Anfang und Ende einer Epoche markieren, werden zukünftige Jahrhunderte zu entscheiden haben. Petrarca wollte der Nachwelt selbstbewußt in Erinnerung bleiben. Sein Brief an die Nachwelt kündet davon. Der Marquis de Sade wünschte sich in seinem Testament, vergessen zu werden (möglicherweise eine Fälschung seiner Familie, die ihn in der Tat über vier Generationen hinweg auszublenden suchte). Beide blieben im kulturellen Gedächtnis. Beider Programme prägen, in gemilderter Form, bis heute die Vorstellungen menschlicher Partnerschaft aus zwei unterschiedlichen Perspektiven.





Petrarca und die Familie de Sade
Pietro
              Paoletti, Fresko in der Villa Torlonia, Laura de Sade
Man darf es für einen der unerforschlichen Winkelzüge des "Choreographen Zufall" halten oder mag es den ironischen Seitenhiebe eines "Weltgeistes" zuschreiben: Fakt ist, dass die - wie immer reale oder fiktive - unbefleckte Liebe des jungen Petrarca offenkundig der Ahnfrau einer Familie galt, die Jahrhunderte später durch besondere sexuelle Ausschweifungen von sich reden machte.

Petrarca begegnete Laura/Laureta de Noves, seit 16. Januar 1325 (so der Biograph Jacques de Sade mit Bezug auf die Heiratsurkunde) Gattin des Hugues de Sade, nach eigenem Bekunden Ostern 1327. Die Verehrte war sechs Jahre jünger und bereits Mutter. Laura starb mit 37 Jahren im Pestjahr 1348 und hatte elf (nach anderen Quellen vierzehn) Kinder geboren. Einer ihrer späteren Nachkommen war der als Muster äußerster, auch das Verbrechen einschließender Libertinage Kulturgeschichte schreibende Marquis de Sade (Donatien Alphonse François de Sade). Weitere Mitglieder der Familie, die als Libertins reüssierten, waren der Vater des Marquis, Jean Baptiste François Joseph de Sade, sowie ein Onkel des Marquis, Mentor seines Neffen, der grandiCharlotte de
              Beaune-Semblancayos fleißige Petrarca-Biograph Jacques de Sade - ein Freund Voltaires - der sich wegen sexueller Ausschweifungen auch kurzzeitig in Haft befand. Bemerkenswert in sexualgeschichtlicher Hinsicht ist auch die Nachfahrin Charlotte de Beaune-Semblançay (1551-1617), Mätresse des französischen Königs Heinrich VI. sowie anderer Hofmitglieder. Abbildungen von ihr (vgl. Abb. links) zeigen eine Physiognomie, die der Lauras ähnelt, wie sie im Fresco von Pietro Paolétti dargestellt ist (s. Abb. rechts).

Auch der Marquis de Sade scheint in dieser physiognomischen Linie zu stehen. Ein Polizeiprotokoll beschreibt ihn als blauäugig und blond. Auch das starke Kinn, die breite Stirn und die weit auseinander stehenden Augen waren ihm wohl eigen. Allerdings gab es in der Gestaltung von Adelsportraits Konventionen, die es schwierig machen, individuelle Merkmale festzustellen. Im de Sadeschen Familienschloss Saumane (vier Wegkilometer von Petrarcas Wohnsitz in Fontaine-de-Vaucluse entfernt, etwas mehr als zwei Kilometer Luftlinie über zwei Hügelketten und ein Zwischental hinweg) dürften Abbildungen Lauras vorhanden gewesen sein. Doch Donatien Alphonse François de Sades Laurabild speiste sich aus anderer Quelle, aus Petrarcas Canzoniere und den Forschungen seines Onkels Jacques de Sade zur Petrarca-Biographie. Dieser Onkel war der festen Überzeugung, dass es sich bei Petrarcas Laura um die Ahnin handelte.



Liebe, Leid und Lorbeer

Lyrik wird im allgemeinen eng verbunden mit dem Themenkreis "Liebe". Das liegt zum einen daran, dass Lyrik als Aussprache von Gefühlen verstanden wird und Liebe nun einmal das stärkste positive Gefühl ist. Zum anderen hat es aber auch historische Gründe, da maßgebende Lyriker von Sappho über Francesco Petrarca bis Heinrich Heine oder bekannte Lyrikströmungen wie der Minnesang das Thema zentral entfalteten. Allerdings können herausragende Lyriker wie Friedrich Hölderlin oder Rainer Maria Rilke damit nicht hinreichend begriffen werden.

Dass es in Petrarcas Sonetten vorrangig um Liebe gehe, gilt als Standard der Petrarca-Deutung. Im Vordergrund der Texte des Canzoniere ist schließlich ständig die Rede von einer - nur verhalten und ambivalent erwiderten - Neigung zu einer Frau namens "Laura". Wir erfahren häufig und eher stereotyp etwas über deren helle, blonde, gelockte Haare und den meist gesenkten oder abweisenden Blick aus hellen Augen. Und wir erfahren viel über die Leiden des abgewiesenen Liebenden, der an seinem gebrochenen Herzen beziehungsweise den "Pfeilen Amors" zu sterben erklärt.

Mit der "Laura" Petrarcas wird in der Forschung in der Regel Laura de Noves (1310-1348) identifiziert, die Ehefrau des Grafen Hugues II. de Sade und somit Ahnin des auf andere Weise literarisch berühmt gewordenen Marquis de Sade, der 1740-1814 lebte. Gerne ignoriertes Faktum ist allerdings, dass Petrarca zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, mit einer Frau hatte, von der nichts weiter bekannt ist - das sollte schon reflektiert werden, wenn Petrarca zum "großen Liebenden" der europäischen Literatur stilisiert wird.

Als ein Unterschied zur Minnelyrik des feudalen Mittelalters wird gelegentlich hervorgehoben, die Minnelyrik sei "sinnlich" interessiert, die Liebeslyrik Petrarcas dagegen an einer rein seelischen, gerne "platonisch" genannten Beziehung. Daran mag richtig sein, dass es Petrarca vor allem um psychologische Prozesse von Begehren und Versagen zu tun ist, weniger um wogende Busen und Bettgeschichten - die auch im Minnesang keine besonders zentrale Rolle spielten. Auf die Idee, poetisch das Badwasser Lauras zu trinken oder ihr einen abgeschnittenen Finger zu schicken (wie Ulrich von Lichtenstein), wäre Petrarca gewiss nicht gekommen.

Welch ein Begriff von "Liebe" steht denn hinter der Einordnung von Petrarcas Canzoniere als "Liebeslyrik"? Worum es geht, ist Begehren und Versagen, sind Maschinerien des Aufschubs und seiner Produktivkräfte. Und luzide wird auch benannt, was diese Maschinerie antreibt: die Krankheit zum Tode. Eine endlose Repetition von Leidensbildern spricht so unaufhörlich vom Tod, dass der Leser schon wieder geneigt ist zu glauben, es gehe doch um dessen Gegenteil. Was dies aber sei, lässt Petrarca unausgesprochen.

Es sind daher erhebliche Zweifel daran angebracht, die Sonette des Canzoniere seien unter der Kategorie "Liebeslyrik" passend kategorisiert. "Laurus" ist der Lorbeerbaum, und dass es Petrarca mit seinem Canzoniere auch um Ehre und Ruhm zu tun war, ist unbestritten. Doch der eigentliche Gehalt des Canzoniere liegt meines Erachtens darin, sich radikal am Thema der leiblich-sinnlichen Existenz eines an der Transzendenz zweifelnden, gegenüber Feudalmacht, Kirche und nun auch den "neuen Reichen" weitgehend ungeschützten Bürgertums abzuarbeiten.

Damit läuft dann auch die Kritik Shakespeares an Petrarcas Sonetten auf Laura ins Leere. Shakespeare hielt Petrarca bekanntlich vor, seine Laura sei eine blutleere Puppe, im Unterschied zu Shakespeares Geliebter, die nicht perfekt, dafür lustvoll und lebendig (und nebenbei schwarzhaarig) sei.





Donna Laura

Nach wie vor ist nicht gesichert (und dabei wird es wohl bleiben), ob es sich beim Vorbild für Petrarcas "Laura" wirklich um Laura de Noves (1310-1348), die Ehefrau des Grafen Hugues II. de Sade handelt. Fakt ist allerdings, dass etliche der Texte zunächst auf andere Frauen bezogen waren und erst in der Arbeit an den "Rerum vulgarium fragmenta" auf eine einzige Frauenfigur hin ausgerichtet wurden.

Was die Deutung der Laura-Figur betrifft, reicht die Spanne von der Annahme einer reinen Fiktion bis zur Unterstellung einer sexuellen Affäre mit einer verheirateten Frau. Dominierend ist dabei die Auffassung, Petrarca gestalte die unerfüllte Liebe zu einer oder mehreren realen Frauen. Ein Muster also und rechtes Beispiel für Freuds These von der Sublimierung erotischer Energie in Kunst, in Sprachkunst zumal.

Petrarca selbst war mächtig bemüht, diesen Sublimierungsmythos - avant la lettre - zu pflegen. Und alle haben ihm geglaubt. Shakespeare meinte gar, ihn dafür kräftig tadeln zu müssen. In seinen Sonetten auf eine "Dark Lady" prahlt er mit seiner eigenen, auch sexuellen Liebe zu einer realen Frau, lässt Petrarca als Weichei dastehen, als schwärmerischen Heuchler, der eine geschminkte Puppe statt einer wirklichen Frau liebe. Die Details der hinter Shakespeares "Dark Lady" stehenden Beziehung sind durch Shakespeares Indiskretion und die Forschungsarbeiten von Hildegard Hammerschmidt-Hummel näher bekannt. Danach hatte der verheiratete englische Dichter nicht nur eine Affäre mit einer Dame der Hofgesellschaft, sondern war - sofern die Schlussfolgerungen der Mainzer Anglistik-Professorin richtig sind - auch Vater ihres Kindes und damit Vorfahr von Lady Diana und der jetzigen (Stand Januar 2013) Prinzengeneration in England.

Wer an die, von Shakespeare karikierte, platonische Liebesgeschichte mit "Laura" glaubt, muss sich natürlich fragen, was Petrarca im ersten Sonett des Zyklus (Canzoniere I) meint, wenn er sich ganz offen selbst für seine "vane speranze" und seinen "van dolore" kritisiert und schreibt:

Ma ben veggio or si come al popol tutto
favola fui gran tempo, onde sovente
di me medesmo meco mi vergogno;

Die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel (der mit seinen Übersetzungen auch Shakespeare in Deutschland bekannt machte) verweist auf den subversiven Gehalt dieses Einleitungstextes:

Wohl seh ich nun, wie ich in aller Munde
Das Märlein lange war, und solch Bekenntnis
Macht, daß beschämt ich drob in mir erglühe;

Petrarca distanziert sich von der Rezeption seines Selbstentwurfes als "favola", was vernehmbar auf den Selbstentwurf zurückwirkt. Und Schlegel macht dies zum eigentlichen "Bekenntnis" des Autors, die eigene (Schlegelsche) Zeit mit ihren "Bekenntnissen schöner Seelen" zitierend. Zum Konzept der "schönen Seele" findet sich Erhellendes bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Die "wirklichkeitslose schöne Seele", so Hegel in der "Phänomenologie des Geistes" (Kapitel "Der Geist"), "zerfließt in sehnsüchtiger Schwindsucht".

Daran seien jene erinnert, die sich vorschnell dem Diktum von Geraldine Gabor und Ernst-Jürgen Dreyer anschließen, "daß sich 'Laura' unter dem unbefangenen Blick in reine Sprache auflöst, die in unendlichzähligen Bedeutungen spielt" (Nachwort von 1986 zur Übersetzung des Canzoniere, S. 1051). Als angespielte Bedeutungsfelder werden gerne "lauro" ("Lorbeer") "l'auro" ("das Gold") und "l'aura" ("die Stimmung") genannt. Doch dieses Spiel ist, der Dichter selbst hat dies in seinem Einleitungssonett angemahnt, durchaus auch kritisch zu lesen.



Das lyrische Ich - "ruiniert"

Im Einleitungssonett des Canzoniere bittet Petrarca den Leser, die nachfolgenden Texte mit ihrem "van dolore" und ihren "vane speranze" milde zu beurteilen. Gleich im zweiten Sonett berichtet er dann vom Beginn seiner amorösen Verwicklung mit dem Thema des Canzoniere. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass er mit der vorgreifenden Entschuldigung keineswegs, wie in der Literatur gelegentlich behauptet, primär sein Streben nach Ruhm (laurus – Lorbeer) meine, sondern etwas, das als 'unerfüllte Liebe' besser, aber sicherlich auch nicht hinreichend erfasst ist. In beiden Sonetten klingt deutlich und umfassend die Vanitas-Thematik an, hier könnte ein Schlüssel zum Verständnis des Canzoniere liegen.

Petrarcas Mitteilungen zur ersten Liebesbegegnung widmen sich zentral der Schilderung von Waffen, konkret des Bogens und der Pfeile Amors, die ihn verwundet haben. Das Auge des Berichterstatters habe sich dabei schuldig gemacht damit, den Pfeilen den Weg zum Herzen zu öffnen. Schuld und Verletzung - ein bemerkenswerter Auftakt zu einer "Liebesgeschichte". Auge und Pfeil: keine angenehme Verbindung, sie evoziert vielmehr die verschiedenen Blendungsszenen der antiken Mythologie. Zeitlich näher ist daran zu erinnern, dass Pfeile in der Renaissancemalerei eine bedeutende Rolle spielen, nämlich in den häufig stark feminisierten Darstellungen der Heiligen Sebastian und Rocco - Schutzheilige gegen die Pest, aber auch gegen sonstige Seuchen, etwa Geschlechtskrankheiten.

Ähnlich verletzlich, ausgesetzt und nackt ist der Körper des „Ich“ in den Sonetten des Canzoniere. Verletzt bis ins Innerste wird es häufig nur noch wahrnehmbar über seine "Tränen" und sein "Seufzen". Das hat merkwürdige Entsprechungen in einem fiktiven Gespräch zwischen Petrarca und dem Kirchenvater Augustinus, das Petrarca im "Secretum meum" entfaltet. Und zwar konkret in einem Passus, wo Augustinus die Betrachtung Sterbender empfiehlt, um die eigene Sterblichkeit zu begreifen. Dort werden die Tränen und das Seufzen ausdrücklich geschildert, letzte Zeichen einer abbrechenden Kommunikation.

Ursula Hennigfeld sieht darin einen Beleg für ihre Auffassung des Petrarcaschen Körperkonzeptes als dem einer "Ruine". Das sie auch in der Schilderung des Körpers der Geliebten wiederfindet, der "in Teile zerlegt wahrgenommen und beschrieben wird" (Hennigfeld 2008, S. 155). Auch wenn wir dem nicht zustimmen und den "ruinierten Körper" nur dem lyrischen Ich zusprechen: Es erstaunt schon, dass die wirklichkeitszugewandte und lebenstüchtige Renaissance anhebt mit einem Buch, das so explizit die Zerstörung des Körpers und der Seele thematisiert.

Lektüreempfehlung: Ursula Hennigfeld, Der ruinierte Körper. Petrarkistische Sonette in transkultureller Perspektive, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008





Frauen-Körper-Bilder

Auf den ersten Blick erscheint der Körper der Geliebten unzerstörbar, wie der immergrüne Lorbeer. Ihre Haare bleiben blond, auch wo die des Liebenden ergrauen. Nur zu Beginn des Canzoniere, im Text XII, findet sich die ganz einzeln stehende Vorstellung, mit der Geliebten gemeinsam zu altern, ihr Goldhaar silbern zu sehen. Ansonsten dominiert eine alterslos junge Laura, das Bild der ersten Begegnung. Ihm wird verschiedentlich ein "Alter" ("vecchierel", "vecchio") mit Silberhaar kontrastiert.

Dies widerspricht auffallend der Renaissance-Emblematik, die in ihren Lebenskreis-Darstellungen vorzugsweise Frauen zeigt. In einer Skizze zu einer Zeile aus Canzoniere CCXLVIII (“cosa bella mortal, passa e non dura“) finden wir bei Leonardo da Vinci entsprechend das Profil einer alten Frau. Petrarca löst sein Dilemma, in das er sich mit der Schilderung einer scheinbar alterslosen Geliebten gebracht hat, indem er Laura dem „regno de li dei“, dem Reich der Götter zuordnet.

Ob wir im Gegenbild des unzerstörbaren Laura-Körpers schon Kunstkörper und Cyborgs des 21. Jahrhunderts oder gar einen Pol virtueller Sexualität präfiguriert sehen wollen, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Interessanter ist die Frage nach den Figurationen der Unzerstörbarkeit Lauras. Da sind neben ihren "goldenen Haaren" vor allem die Augen zu nennen.

Wo das lyrische Ich über die Augen den tödlichen Pfeil Amors empfängt, wo seine Augen vorwiegend mit Tränen gefüllt oder schmerzlich flehend erscheinen, werden die Augen Lauras als undurchdringlich und ungerührt, zumeist abweisend geschildert. Ihre größte Beunruhigung besteht darin, dass sie nach einem Blick, den das lyrische Ich als Zuwendung interpretiert, abgewendet werden. Sie verweigern dem Gegenüber, sich darin zu spiegeln. Und dieses hilft sich, indem es über den Frauenkörper aussagt, dass er nicht von dieser Welt sei.



Dichtung und Wahrheit

Es gibt wenige Autoren, bei denen Werk und Leben so eng verflochten sind wie bei Petrarca. Aus dem deutschsprachigen Bereich fällt uns natürlich Goethe ein. Daher auch die Wahl des Titels für diesen Kurzessay.

Petrarca selbst verweist uns wiederholt auf die Verflechtung seines Werkes mit seinem Leben. Konstitutiver Teil seines Werkes sind seine Briefe, was vor ihm vergleichbar (also mit durchaus auch privatem Gehalt) lediglich bei Cicero sich findet. Selbst seine Gedichtesammlung Il Canzoniere, die vorwiegend eine fiktional überhöhte, recht einseitige Liebesbeziehung zum Thema hat, steckt voll konkreter Orts- und Zeitangaben, die uns auf ein höchst modern anmutendes Anliegen verweisen, die Einheit von künstlerischer Aussage, Selbstauskunft und Selbstvergewisserung.

Zentraler Text für das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit bei Petrarca ist "Secretum meum", der erst nach Petrarcas Tod veröffentlichte fiktive Dialog zwischen Augustinus (dem Kirchenvater) und Franciscus (Petrarca), in welchem es um die Grundlagen von Petrarcas Lebensführung geht und - bisweilen schonungslos von "Augustinus" aufgedeckt - um Widersprüche zwischen Petrarcas Theorie und seiner Praxis. Zu Beginn des Textes erscheint eine Frau als Allegorie der Wahrheit, die Augustinus und Petrarca zum Gespräch zusammenführt. Und wir haben guten Grund zur Annahme, dass wir in diesem Text (bei aller anzunehmender Stilisierung) wahrhaftigere Auskünfte über Petrarca erhalten als selbst in seinen Briefen. Die ja stets auf Veröffentlichung hin konzipiert waren. Dass Petrarca Secretum meum nur für sich selbst geschrieben habe, wie er versichert, darf bezweifelt werden. Immerhin hat er den Text mehrmals überarbeitet. Allerdings darf als gesichert gelten, dass er diesen Text nicht vor seinem Ableben veröffentlicht sehen wollte. Von der "Wahrheit" erfahren wir auch hier nur das, was der Autor veröffentlicht wissen wollte.

Zweiter wichtiger Text für ein Verständnis der wechselseitigen Konstitution von Werk und Lebenspraxis bei Petrarca ist sein Brief an die Nachwelt. Auch hier, wie bei Secretum meum, fällt der "post mortem"-Blick auf. Wir finden in diesem "Brief" etwa das bemerkenswerte Bekenntnis Petrarcas, sich "seit meinem 40. Lebensjahr" (also kurz nach der Geburt seiner Tochter) von der Liebe/Sexualität verabschiedet zu haben. Was in eklatantem Widerspruch zu den einschlägigen Aussagen sowohl von "Franciscus" als auch von "Augustinus" in Secretum meum steht und auch im Widerspruch zu Canzoniere CCLXXI - wo Petrarca eine neue Liebe mit 44 bekennt.

Aufschlussreich ist darüber hinaus sein Brief an den Freund Laelius vom 25. Februar 1355 über ein Gespräch mit Karl IV. Es geht um Petrarcas Romidee und um seine Auffassung der Vita solitaria. Themen, die die Widersprüchlichkeit Petrarcas in beispielhafter Weise erhellen und die er gleichermaßen auf den Kaiser projiziert, mit dem in ein durchaus freundschaftliches Verhältnis zu verbinden schien. Er wirft dem Kaiser vor, die Überlegenheit der Vita solitaria als Lebensmodell nicht anzuerkennen - erwartet aber zugleich ein Eingreifen zur Einigung Italiens.





Bürgerliche Emanzipation


Leben und Werk Petrarcas sind auch Zeichen der bürgerlichen Emanzipation in der Frührenaissance, die allerdings zügig von neofeudalen Bestrebungen innerhalb des aufstrebenden Finanz- und Handelsbürgertums konterkariert wurden.

Standesschranken scheinen zu Petrarcas Zeit weitgehend gefallen - unter Intellektuellen. Zu den Freunden von Petrarca gehörte der römische Volkstribun und Sohn eines Schankwirts, Cola di Rienzo, ebenso wie Kaiser Karl IV. In dieser Hinsicht also scheint sich das von Petrarca beschworene "finstere" Mittelalter zu lichten. Liest man allerdings zwischen den Zeilen der Petrarcaschen Briefe, klingt das anders, da ist von Demütigungen die Rede, von fehlender gesellschaftlicher Anerkennung. Sehr deutlich wird Petrarca in "Secretum meum", wo er von den Bedingungen spricht, "nach oben" zu kommen: "sich immer im Umkreis der Großen aufhalten, schmeicheln, täuschen, Versprechungen machen, lügen, Tatsachen vorspiegeln oder vertuschen und jede Art von Zumutungen und Demütigungen auf sich nehmen" (S. 287). Der Dichter als Hofnarr ist ein Bild, das zumindest den Hintergrund seiner Existenz gelegentlich illuminiert.

Insbesondere scheint es ausgeschlossen, dass Petrarca in eine der "großen Familien", mit deren Mitgliedern er doch freundschaftlichen Verkehr pflegt, die ihn als Dichter und politisch-gesellschaftlichen Denker schätzen, einheiratet. Hierin könnte einer der Antriebe für den Canzoniere und auch für den Lobpreis der Vita solitaria liegen - ebenso der Grund für die Undurchdringlichkeit, mit der er die Mütter seiner beiden Kinder selbst in den vertraulichsten Schriften verschweigt.

An zahlreichen Stellen seines Werkes formuliert Petrarca das Thema des "geistigen Adels". Ein Grundthema des Humanismus - beispielhaft formuliert durch Pius II., Gründer der Basler Universität. In seiner Stiftungsurkunde von 1459 bezeichnet er als Leistung dieses Projektes, durch "das Studium der Wissenschaften den niedrig Geborenen emporzubringen und zu adeln".



Petrarca politico


Ist vom politischen Petrarca die Rede, wird vor allem auf seinen Einsatz für die Rückkehr des Papsttums nach Rom und für die Einigung Italiens hingewiesen. Beides ist eng miteinander verbunden durch die Romidee Petrarcas, die eine Wiederbelebung des römischen Reiches unter Augusteischen Vorzeichen, als Friedensreich, intendierte, ein "Heiliges Römisches Reich" mit Italien als "Haupt".

Was die Rückkehr des Papsttums aus Avignon nach Rom betrifft, hatte Petrarca ganz unterschiedliche Motive, diese zu erstreben. Zum einen kritisierte er heftig das weltlich orientierte Leben des päpstlichen Hofes in Avignon. Sein Bild hierfür war das von der "Hure Babylon". Zum anderen sah er politisch sehr klar, dass der französische Hof nicht nur kein Interesse an einem starken Papsttum, sondern auch kein Interesse an einer Stärkung Italiens hatte. Und schließlich dürften auch persönliche Gründe daran beteiligt gewesen sein. Seine eigene Familie war dem Papsttum nach Avignon gefolgt und Petrarca hat zeitlebens dies als Verlust der Heimat beklagt.

Die Stärkung einer Zentralmacht in Italien, die Einigung Italiens war politisches Hauptanliegen Petrarcas. Auch dafür hatte er gute Gründe aus persönlichem Erleben. Sein Vater war als Papstanhänger aus Florenz vertrieben und enteignet worden. So wurde Petrarca schon bei der ersten Begegnung mit Cola di Rienzo in Avignon 1343 zu dessen begeistertem Anhänger und Freund. Cola di Rienzo hatte die Vision eines republikanisch erneuerten Roms mit dem Papsttum als über Rom hinausgreifender Vernetzungsidee. Eine Vision, die Petrarca in seinem Werk "Africa" anspielungsreich gestaltet hat.

Zweite große Hoffnung Petrarcas im Blick auf die Realisierung seiner Romidee wurde, nach dem Scheitern Cola di Rienzos, Karl IV. Noch vor dessen Kaiserkrönung in Rom 1355 schreibt Petrarca ihn als Kaiser/Caesar an und drängt ihn ihm berühmten Brief vom 24. Februar 1350/51 (Datierung ungesichert), nach Rom zu ziehen und Italien zu einen. Als der Kaiser auch bei seiner Kaiserkrönung nicht daran denkt, diese Aufgabe zu übernehmen, sendet Petrarca ihm im Juni 1355 einen geradezu höhnischen Abschiedsbrief hinterher, in welchem er die fehlende "Mannestugend" des Kaisers beklagt. Dies mutet etwas bizarr an vor dem Hintergrund, dass Petrarca sich in einem Brief an Angelo di Stefano (Laelius) vom 25. Februar 1355 darüber auslässt, wie er dem Kaiser in einem nächtlichen Gespräch vergebens die Vorzüge der Vita solitaria gepriesen (und nach Petrarcas Verständnis: bewiesen) habe. Wir müssen vermuten, dass Petrarca dabei vor allem das komplexe Familien- und Liebesleben des Kaisers im Blick hatte.

Lektüreempfehlung: Francesco Petrarca. Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Herausgegeben und übersetzt von Berthe Widmer, lateinisch-deutsch. Basel: Schwabe, 2001 (ausgezeichnete Sammlung einschlägiger Briefe Petrarcas)





Der verkannte/verschwiegene Petrarka I: Politisch-gesellschaftlich

In der Forschung wird gerne behauptet, Petrarca habe sich rasch, für einige schon mit dem Brief vom 29. November 1347 (Fam. 7,7),  enttäuscht von Cola di Rienzo abgewandt. Dazu passt allerdings nicht, dass er sich nach Rienzos Verhaftung vehement für diesen eingesetzt hat. Beredtes Zeugnis davon ist der zweite Brief an das römische Volk von Oktober/November 1352 (Sine n. 4). Beredt nicht nur im Inhalt, sondern auch insofern, als Petrarca den Brief in die unter Verschluss gehaltene Sammlung "Sine nomine" aufgenommen hat, die besonders brisante Schreiben enthält, die ihm gefährlich werden konnten. In diesem Schreiben verteidigt Petrarca Rienzo und lastet sein Scheitern weitgehend dessen politischen Gegnern an - die er auch als seine politischen Gegner betrachtete, auch wenn er sich mit klaren Angriffen zurückhielt. So findet sich ein deutlicher Angriff in seinem ersten Brief an das römische Volk von Mitte Juni 1347 (Var. 48). Dort bezeichnet er die in Rom herrschenden Familien (und damit auch seine Gönner, die Colonna-Familie) als "diebische Lumpen"!

Das Engagement für Cola di Rienzo ist, das zeigt sich schon in diesem Zitat, keineswegs nur mit der Romidee Petrarcas zu begründen, sondern auch mit seinen sozialpolitischen Konzeptionen. Diese finden sich an besonders bedeutsamen Stellen in seinem Werk. So bringt er insbesondere häufig seine Kritik an einem starken Einkommensgefälle in seiner Zeit und Umgebung zum Ausdruck. In "De vita solitaria/Über das Leben in Abgeschiedenheit" klagt er: "Die Tafel der Reichen hat nämlich auch den großen Nachteil, daß sie außerordentlich ungerecht ist: Auf der einen Seite herrscht Hunger, auf der anderen Übersättigung, nirgends das rechte Maß." (S. 68) Und er tritt ein für "die mißhandelten Armen, die von ihren Feldern vertriebenen Bauern" (S. 72).

Bemerkenswert sind auch seine Ausführungen in "Secretum meum" zu den Bedingungen, unter denen Reichtum und hohe Positionen errungen werden: "sich immer im Umkreis der Großen aufhalten, schmeicheln, täuschen, Versprechungen machen, lügen, Tatsachen vorspiegeln oder vertuschen und jede Art von Zumutungen und Demütigungen auf sich nehmen" (S. 287). Sein Engagement für Cola di Rienzo ist daher zweifellos mehr als nur die temporäre sozialromantische Schwärmerei eines Intellektuellen.



Der verkannte/verschwiegene Petrarka II: Religiös

Dass Petrarca der katholischen Amtskirche trotz seiner finanziellen Abhängigkeit von wichtigen Funktionsträgern dieser Kirche und trotz seiner entsprechenden eigenen Ämter und Pfründe distanziert gegenüber stand, lässt sich nicht verkennen. Dazu sind die Zeugnisse im lyrischen Werk und in den Briefen zu deutlich.

In der Regel wird diese Distanz begründet mit seiner Kritik am ausschweifenden Lebensstil des Papsthofes in Avignon. Dabei wird weitgehend ignoriert, dass er mit dieser Kritik häretischen Strömungen des Katholizismus sehr nahe stand. Lediglich das wenig rezipierte und aus wissenschaftlicher Sicht stellenweise problematische Werk von Marjorie O'Rourke Boyle zu "Petrarch's Genius. Pentimento and Prophecy" verweist in jüngerer Zeit, 1991, auf Bezüge zu Joachim von Fiore. Allerdings beschränkt die Autorin sich auf eine behauptete Parallele zwischen dem Symbol des Lorbeers bei Petrarca und dem Baumbild bei Joachim. Für Boyle stellt Petrarca sich damit in die Tradition der Prophetie.

Ausführlich hat mögliche Bezüge zwischen Petrarcas Endzeiterwartungen und der Lehre des Joachim von Fiore Paul Piur 1925 erörtert, in seinem Werk "Petrarcas 'Buch ohne Namen' und die päpstliche Kurie". Allerdings begnügt er sich mit allgemeinen Hinweisen auf die Rezeption dieser Lehre im 14. Jahrhundert.  Bei Petrarca selbst glaubt er eher das Interesse an einer persönlichen Erneuerung zu erkennen als an einer Erneuerung der Zeit (Piur 1925, S. 19). Was die Zeitentwicklung betrifft, sieht Piur Petrarca pragmatisch und vernunftorientiert positioniert. Nicht von mystischer Erfahrung und nicht von Gott oder der Religion erwarte Petrarca eine Besserung der Verhältnisse, den Anbruch einer neuen Zeit, sondern von Wissen, Rechtlichkeit, materieller Bescheidenheit und politischer Einheit.

Damit sind wir allerdings durchaus in der Nähe der Vorstellungen Joachims. Dieser verbindet sein Reich des Geistes mit einer gesellschaftlichen Erneuerung auf den Grundlagen von Solidarität, Genügsamkeit und mönchischer Lebensführung. Doch während für Dante der Einfluß Joachimscher Lehren belegt ist, gibt es zu Petrarca noch keine klärenden Untersuchungen. Es ist auch nach wie vor nicht abschließend bestimmt, was Petrarca meint, wenn er an markanten Stellen vom "letzten Zeitalter" spricht, in welchem er lebe. So etwa im 9. Buch von "Africa" aus dem Munde Homers und in seinem fiktiven Brief an Homer von 1360.

Die "Babylonischen Sonette" Petrarcas nennen, etwa in der Charakterisierung des Papsttums als "Hure Babylon" durchaus Motive der joachimitisch orientierten "Apostelbrüder", deren Gruppe zwei Jahre vor Petrarcas Geburt im Piemont von der amtskirchlichen Verfolgung ausgelöscht wurde. Allerdings waren diese Motive nicht nur bei den Joachimiten zu finden - oder anders: Joachimsche Einflüsse prägten verschiedene religiös-intellektuelle Strömungen der Zeit und Joachim war seinerseits von verschiedenen eschatologischen Traditionslinien beeinflusst.

Noch nicht hinreichend untersucht sind auch mögliche Bezüge zwischen Petrarcas Liebeskonzeption im Canzoniere und der Liebeskonzeption der 1310 in Paris als Ketzerin verbrannten Marguerite Porète, wie sie in ihrer Schrift "Speculum Animarum Simplicium" dargestellt ist. Eine Schrift, die in Kartäuserklöstern (Petrarcas Bruder war ab 1343 Karthäuser) zirkulierte und in Italien wohl bestens bekannt war.

Lektüreempfehlung: Paul Piur, Petrarcas 'Buch ohne Namen' und die päpstliche Kurie, Halle (Saale): Max Niemeyer, 1925





Zensur und Copyright

Man stelle sich vor: Petrarca werde von Dante belangt wegen der Verletzung seines Copyrights an der Story mit einer unnahbaren Geliebten. Oder Petrarca ließe sich die Sonettform patentieren und bis hin zu Rilke müssten Tantiemen gelöhnt werden oder die Klappen gehalten.

Nein, das Copyright kam später, mit dem Buchdruck. Und die reformatorischen Drucker waren klug: Sie haben einfach das meiste selber geschrieben, was sie gedruckt haben. Oder nur Zeug von ihren Freunden gedruckt. Heut nennt man das Bloggen.

Doch zurück zu Petrarca. Natürlich hat er abgeschrieben. Von den sizilianischen Dichterfreunden und von Dante und vom messer Cino aus Pistoia. Unter anderen. Hätte er sich über die geärgert, die von ihm abgeschrieben haben, wäre er zu nichts weiter mehr gekommen als Ärger. Aber warum sollte er? Abgeschrieben zu werden bedeutete Wichtigkeit, bedeutete Nachruhm, bedeutete weitere Lorbeerblätter am Ehrenkranz, bedeutete Beziehung.

Und der eigentliche Ideenklau setzte erst später ein, mit dem Petrarkismus nach dem Tod Petrarcas, im 15. Jahrhundert, am Hof von Neapel und in den Höfen der Poebene. Das hat seine Gründe nicht in einer wie immer gearteten Vorstufe des Copyrights zu Petrarcas Lebenszeit, sondern ganz im Gegenteil darin, dass niemand damals sonderlich Vorteil aus einer Kopie ziehen konnte. Das Original gab es ja zeitgleich, und nur das konnte in Rom zum Dichterfürsten gekrönt werden.

Niemand lebte vom Verkauf seiner Gedichte, seiner Geschichten, das Einkommen kam woanders her, heute würde man es Sozialtransfer, Stipendien, Preisgelder und Folgeaufträge nennen. Selbst Boccaccio, der brillante Geschichtenerzähler (und Geschichtenklauer) konnte das nicht, suchte Staatsämter und politische Aufträge. Als würde Günter Grass nicht von seinen Büchern leben, sondern von seinem Engagement für die SPD, Zeitungsartikeln,  Lesungshonoraren, Stipendien und Texten, die er für Werbeagenturen schreibt. So etwa.

Sicherlich aber wäre Petrarca nicht ruhig geblieben, hätte ein anderer für seine, Petrarcas, Arbeiten in Rom den Lorbeerkranz erhalten. Die Person selbst war Träger des Copyrights, das hatte schon die Kirche in bizarrer Weise in den Ketzerprozessen des 11. und 12. Jahrhunderts gelehrt, mit der Zensur durch Verbrennen, die nun Bücher und Personen gleichermaßen treffen konnte. Zensur und Copyright waren so schon früh vertraute Geschwister.
 
Mit der Verbreitung des Buchdrucks und dem Aufkommen der Reformation wurden Zensur und Copyright wieder - näher am heutigen Verständnis - zu Phänomenen am Text. Und Petrarcas Werk wurde nun zu einem beispielhaften Opfer von Zensur. Dazu hat Klaus Ley sehr Erhellendes geschrieben. Von der Zensur betroffen waren die sogenannten "Babylonischen Sonette" Petrarcas, in denen er die in Avignon residierende Kurie im Bild des sündigen Babylon kritisierte.

Ab 1470 gehörte Petrarcas Canzoniere zu den meistgedruckten Texten in der Volkssprache in Italien. Das machte seine "Babylonischen Sonette" (Canzoniere CXIV, CXXXVII, CXXXVIII) unter den Bedingungen von Reformation und Gegenreformation zum (Kirchen-)Politikum einerseits, aber auch zum Bestandteil einer wichtigen Handelsware, mit der Verleger gut Geld verdienen konnten. Zwischen diesen beiden Polen spielten sich nun die kirchlichen Zensurbemühungen in der Mitte des 16. Jahrhunderts ab, die in der später von Stalin bis zum Exzess betriebenen Zensurform der Elimination inkriminierter Passagen aus bereits gedruckten Werken kulminierten.

Lektüreempfehlung: Klaus Ley, Petrarcas Canzoniere und die Zensur. Die 'babylonischen Sonette' und die Druckgeschichte, Manuskript 2002



Petrarca und das Grundeinkommen

Die Beziehung Petrarcas zum Grundeinkommen ist eine unmittelbare. Petrarca war selbst Bezieher eines Grundeinkommens, mehr noch: eines bedingungslosen Grundeinkommens. Darüber hinaus hat er sich politisch klar für einen gerechten Ausgleich der Einkommensverhältnisse positioniert, etwa in "De vita solitaria".

Petrarca stand nicht alleine. Zahlreiche Intellektuelle und Künstler, deren Arbeiten die Kulturgeschichte seit Beginn der christlichen Epoche maßgeblich geprägt haben, waren Bezieher eines Grundeinkommens. Allerdings unter anderem Namen, wobei die gebräuchlichsten Bezeichnungen "Apanage", "Rente" oder "Pfründe" waren.

Dabei kommt die Apanage dem heute von Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemarktkette, propagierten und im politischen Spektrum vor allem innerhalb der Piratenpartei diskutierten Konzept eines "Bedingungslosen Grundeinkommens" (BGE) strukturell am nächsten. Apanagen waren ursprünglich Rentenzahlung für Angehörige regierender Familien, die nicht in den Genuß eines Regierungsamtes kommen konnten. Heruntergebrochen auf die Gegenwart entspricht dies den Leistungen an Menschen, die vom bestehenden Arbeitsmarkt nicht mit Einkommen versorgt werden können, die ihnen einen angemessenen Lebensstil ermöglichen. Die Parallelen liegen zum einen im Geburtsprinzip (Anspruch nicht durch Leistung, Vermögen, Eigenschaften, sondern qua Geburt, als Prinz bzw. Mensch), im Prinzip der Angemessenheit (also in etwa so, wie es den Regierenden bzw. den mit einem existenzsichernden Arbeitsplatz Versorgten entspricht) und im Prinzip der Bedingungslosigkeit (es wird keine Gegenleistung außer der Orientierung an einem minimalen gemeinsamen Wertekanon erwartet).

Petrarcas Grundeinkommen war etwas anderer Natur. Petrarca bekam durch Vermittlung einflussreicher Freunde nach seiner Priesterweihe 1326 verschiedene kirchliche Ämter übertragen, die nicht mit konkreten Arbeitsanforderungen verbunden waren. Diese Form von Grundsicherung wird allgemein als "Pfründe" bezeichnet. Eine abgemilderte Form der Versorgung mit Ämtern, in denen keine oder unverhältnismäßig geringe Arbeitsleistung erwartet wird, hat das Beamtensystem verschiedentlich ausgebildet. Stellvertretend sei hier auf die - sicherlich ironisch überzogene - Schilderung eines Standesbeamten in der frühsowjetischen Provinz durch Ilja Ilf und Jewgeni Petrow in "Zwölf Stühle", 1. Kapitel, verwiesen, dessen Arbeitstag überwiegend mit Zeitungslektüre und gelegentlichen Eintragungen einer Hochzeit oder eines Todesfalles in die Register gefüllt war.

Allerdings war Petrarcas Grundeinkommen stark kontextualisiert bzw. an Personen und spezifische Werteteilungen gebunden. So ging es ihm auch in den politischen Wirren der Zeit verloren bzw. wurde durch andere Formen von Grundeinkommen - etwa einer zeitweisen Rente durch Giovanni Visconti - ersetzt. Auch verdankte er die späteren Renten/Pfründen bereits seinen inzwischen anerkannten intellektuellen, politischen und literarischen Leistungen, weshalb für diese Grundsicherungen zumindest nicht mehr von "bedingungslos" gesprochen werden kann.

In "De vita solitaria" bezieht Petrarca auch eindeutig sozialkritisch Position für einen Ausgleich der Einkommensverhältnisse und beklagt, dass der Reichtum der einen die Armut der anderen bedeute. Im Sonett "L'avara Babilonia" (Canzoniere CXXXVII) beschwört er eine neue "goldene Zeit" gemeinsamer Bescheidenheit - heute würden wir sagen: nachhaltiger Wirtschafts- und Sozialbeziehungen.       





Würde Petrarca heute simsen und twittern?


Ein eher unscheinbarer Brief an den Florentiner Freund Francesco Nelli enthüllt ein Schreibanliegen Petrarcas, das äußerst modern anmutet. Er beklagt am 24. Mai 1352, wie er - vermeintlich - vergebens auf einen Besuch des Florentiner Bischofs Angelo Acciaiuoli gewartet habe. Noch während des Schreibens, so berichtet Petrarca, erhob sich ein "gewaltiger Lärm an der Türe, und der Bischof in eigener Person ist da". Womit sich das Schreiben eigentlich erledigt hatte. Doch Petrarca schickt es dennoch ab, mit folgender Conclusio versehen: "So soll ich denn mit der Lehrmeisterin Erfahrung noch tagtäglich lernen, dass der Menschen Sorgen und Jammern nichtswürdig sind. Und damit solches auch Deinen Augen erkennbar werde, schicke ich das Brieflein an Dich ab, obwohl es schon überholt ist."

Man könnte darin nun schlicht eine humanistische Belehrung, einen Vorgriff auf die epischen Lehrgedichte der Renaissance erkennen. Die explizite Autorintention legt dies auch nahe. Doch im strukturellen Kontext wird zugleich ein Schreibanliegen kundgetan, das auf Unmittelbarkeit der Kommunikation und direkte Ich-Aussprache zielt. Vergleichen wir etwa einen Brief an Nelli wenige Wochen später, vom August 1352, in welchem Petrarca selbstbewußt verkündet: "Ich will, dass mein Leser, wer es auch sei, nur an eines denkt: an mich". Der Autor möchte gehört und gelesen werden, auch wenn er etwas mitzuteilen hat, was dem Leser als Lapalie erscheinen mag. Und so hat Petrarca diesen Brief auch selbstbewußt in seine "Familiares" aufgenommen (Fam. 12,12).

Die Briefe Petrarcas sind ein eigenständiger Werkteil, das hat zuletzt Kurt Flasch in seinem Geleitwort zur zweibändigen deutschen Ausgabe der "Familiares", der Briefe an Freunde und Vertraute, deutlich gemacht. Sie wurden bereits verfasst im Blick auf zeitgenössische und künftige Leserinnen und Leser über den unmittelbaren Adressaten hinaus. Und Petrarca hat sie auch selbst so behandelt, häufig "in Kopie" weitergeleitet an andere Leser. Und zum Jahreswechsel 1349/50 hat er damit begonnen, seine Briefe in eigenen Sammlungen zu vereinen. Ein Zeugnis davon ist der Brief an den Freund Socrates vom 13. Januar 1350 - worin Petrarca auch bekennt, einen großen Teil seiner Briefe dem Feuer übergeben zu haben: "Wohl tausend oder mehr verstreute Gedichte jeglicher Art und an Freunde gerichtete Briefe habe ich dem Vulcan zum Korrigieren überliefert."

Lektüreempfehlung: Georg Roellenbleck, Das epische Lehrgedicht Italiens im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, 1975



Identitätskonstruktion

In seinem Brief an den Freund Socrates (Ludwig van Kempen)  vom 13. Januar 1350 vergleicht Petrarca sich mit Odysseus, dem Heimatlosen. Er betont dabei nur die gemeinsame Leidensgeschichte des Herumirrens und der andauernden Gefährdung. Bei Homer wird Odysseus auch als der vielgestaltige, charakterlich schwer zu fassende, listenreiche, redegewandte Held geschildert - was Petrarca natürlich bekannt war, von ihm aber hier nicht explizit gemacht wird. Dass er indes darauf anspielen wollte, wird im Kontext des Briefes durchaus deutlich. Nur einige Absätze nach der Erwähnung des Odysseus spricht Petrarca von der unendlichen "Verschiedenheit der Menschen", die seine Briefpartner waren - und auf die alle er einzugehen vermochte, denen er sich anzupassen vermochte.

Am Ende von Secretum meum mahnt Augustinus den Franciscus, sich selbst nicht zu verlassen, "andernfalls wirst du zu Recht von allen verlassen sein". Worauf Franciscus antwortet "Ich will so sehr bei mir sein, wie ich es vermag, die zerstreuten Teile meiner Seele ("sparsa anime fragmenta") sammeln und mich bemühen, bei mir zu bleiben." (S. 361). Vor diesem Hintergrund gewinnt die Gedichtesammlung Petrarcas, die er selbst "Rerum vulgarium fragmenta" nannte, eine Bedeutung auch als Versuch, die "zerstreuten Teile der Seele" zu sammeln. Selbstreflexion, Selbstachtung und Selbststeigerung gehen dabei eine historisch bedeutsame Verbindung ein, die unter dem Begriff der "Selbstsorge" von Michel Foucault in seiner "Histoire de la sexualité" aufschlussreich konzeptionalisiert wird.

Die Briefesammlung Petrarcas, zu deren Begründung er den Verweis auf Odysseus einführt, darf als ein weiteres Moment der Petrarcaschen Identitätskonstruktion verstanden werden. Das Netzwerk seiner Beziehungen und der Orte, in welchen er oder seine Freunde sich aufhielten, ist wesentliches Strukturelement dieser vielfach gebrochenen Identität.

Daneben verblasst jener explizite Identitätsentwurf der Jenseitsorientierung (des "rechten Weges") im Canzoniere, den das lyrische Ich unter Führung seiner "madonna Laura" realisiert. Michelangelo Buonarroti schrieb an die Freundin Vittoria Colonna, die herausragende Lyrikerin und kritische Petrarkistin des 16. Jahrhunderts: "Tanto sopra me stesso/ mi fai, donna, salire,/che non ch'i' 'l possa dire,/nol so pensar, perch'io non son più desso." Damit beschreibt er ein Moment der innerweltlichen Selbstübersteigung, das bei Petrarca noch - let's say - mittelalterlich eingehaust ist.





Probleme deutscher Petrarca-Übersetzungen


Die erste umfassende, nachhaltig wirksame Übersetzung des Canzoniere ins Deutsche, die von Karl August Förster 1818/19, war für ihre Zeit höchst verdienstvoll und ist auch heute noch immer hilfreich und als Leistung beeindruckend. Sie erlebte zahlreiche Neuauflagen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Inhaltlich hat diese Übersetzung den Gehalt der Petrarcaschen Texte stark modifiziert im Sinne der frühbürgerlich-biedermeierlichen Ideologie vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Heute hat sie besonders als eigenständige Dichtung ihrer Zeit einen Wert. Im direkten Vergleich mit dem italienischen Originaltext gelesen, kann sie noch immer erheblich unterstützen beim Bemühen, einen Zugang zu Petrarcas Texten zu finden.

Im Sonett CXLV heißt es, um ein beliebiges Beispiel für die Spezifik der Försterschen Übersetzung zu nehmen, "Pommi ove ’l sole occide i fiori et l’erba,/o dove vince lui il ghiaccio et la neve;" - was sich etwa übersetzen läßt mit "Führe mich dahin, wo die Sonne Blumen und Kräuter entzündet/oder dahin, wo sie Eis und Schnee bezwingt". Förster macht daraus "Hin, wo versengt die Halm’ im Strahl sich beugen,/Und wo, ihm trotzend, Schnee und Schollen ragen;". Aus "vince", "gewinnen/überwinden/bezwingen", bezogen auf "il sole" als Subjekt der Handlung (mit der schwebenden Möglichkeit der Objektrolle) wird bei Förster "trotzen", bezogen auf "il ghiaccio" und "la neve". Damit verkehrt er den Ton des Petrarcaschen Textes ins Pathos. Dazu fügt sich, dass er Petrarcas aktives "occide" in ein passives "sich beugen" überträgt. Im Sonett CLXII wird aus "ombrose selve, ove percote il sole" bei Förster "Du Schattenwald, von Sonnenlicht umflossen". Aus einem Licht, das den schattigen Wald aktiv durchzieht, wird ein Licht, das, ganz romantisch gesehen, den Wald adjektivisch formuliert einhüllt.

Weit kritischer muss man die "Nachdichtung" von 80 Sonetten des Canzoniere durch Leo Graf Lanckoronski aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lesen, die Verbreitung durch eine zweisprachige Reclam-Ausgabe fand. Allerdings gibt die Charakterisierung als "Nachdichtung" schon einen Hinweis darauf, dass die Texte nicht primär als Übersetzung, sondern als "dem Originale ebenbürtiges Kunstwerk" gelesen werden wollen, wie seine Witwe im Vorwort zur zweisprachigen Ausgabe bei Reclam Stuttgart 1956 schreibt.

Lanckoronskis spezifischer Ton wird gleich am ersten Sonett des Canzoniere beispielhaft deutlich. Petrarca formuliert dort im Einleitungsquartett seinen viel zitierten programmatischen Vorbehalt:

Voi, ch'ascoltate in rime sparse il suono
Di quei sospiri, ond'io nutriva il core
In sul mio primo giovenile errore,
Quand'era in parte altr'uom da quel, ch'i' sono;

Mit deutlicher Distanz ist die Rede von einem "jugendlichen Irrtum", geschrieben aus der Erinnerung eines Menschen/Mannes ("uom"), der - zumindest "in parte" - ein anderer geworden sei. Bei Lanckoronski klingt es dann eher nach dem "60 Jahre und kein bisschen weise" eines Curd Jürgens:

Zu euch, ihr Freunde, flattern diese Lieder,
Die stürmisch meines Herzens Frühling sang;
Der Seufzer Flug, in ungestümem Drang,
Erprobt aufs neu sein schimmerndes Gefieder.

Erst 1989 erschien dann eine deutsche Übersetzung des Canzoniere, die strengeren zeitgenössischen Ansprüchen an eine Übersetzung zu genügen vermag, im Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Grundlage ist eine Interlinearübersetzung der Romanistin Geraldine Gabor. Die Arbeit, diese dann in Verse zu übertragen, übernahm ihr Ehemann Ernst-Jürgen Dreyer, der bekannte Musikwissenschaftler, Lyriker, Dramatiker und Prosaist ("Die Spaltung", über das Verhältnis DDR-BRD).

Die Problematik auch dieser deutschen Ausgabe zeigt sich etwa beim Vergleich der ersten beiden Zeilen aus einem der so genannten "babylonischen" Sonette Petrarcas, Text CXIV. Bei Petrarca heißt es dort: "De l'empia Babilonia, ond' è fuggita/ogni vergogna, ond'ogni bene è fori,/albergo di dolor, madre d'errori,/son fuggit'io per allungar la vita.". Dreyer macht daraus: "Dem wüsten Babel, draus sich fortgeschlichen/die Scham - das Gute sah man längst entschwinden -,/Herberg des Schmerzes, Mutter aller Sünden,/bin ich - das Leben ist mir lieb! - entwichen.". Einerseits bleibt, charakteristisch für die formal gekonnte Dreyer-Übersetzung, der Zeilensprung Petrarcas erhalten. Doch das Bemühen, Reim- und Rhythmusschema beizubehalten, führt zu Modifikationen, die den Petrarcaschen Ton auch hier massiv verändern. Aus der lakonischen Reihung wird eine dramatische Zuspitzung durch Einschübe mit angedeuteter Einbeziehung der Leserschaft als "man" und einer Verdoppelung des "ich" im "mir". Aus dem zweimaligen starken "fuggit-", "geflohen", wird bei Dreyer "fortgeschlichen" bzw. "entwichen". Damit entsteht ein in der Tendenz opernhafter Ton, der eine sehr spezifische Deutung der Petrarcaschen Texte transportiert.

Meine eigenen Übersetzungsvorschläge finden sich (für die Texte CCLXXIV bis CCCLXVI) im Sommer-Block.



Der männliche Blick


Aus heutiger Sicht lebt der Canzoniere von einem männlichen Blick auf das Verhältnis Mann-Frau. Die Frau erscheint dabei im phantasmagorischen Spannungsverhältnis Hure-Heilige, einem Muster, dessen abendländisch-christliche Ausprägung sich bis zu den Kirchenvätern zurückverfolgen lässt. Als Beleg hierfür wird gerne Augustinus zitiert, der in den "Confessiones" vor allem ein stark idealisiertes Bild von der Mutter als quasi Heiliger und Erlöserin zeichnet, während die Frau als Verführerin nur implizite eine Rolle spielt. Es ist bei Augustinus eher der Mann, der als Verführer auftritt, oder es werden allgemein Lüste und Laster als Gefährder des Seelenheils durch eigene Schwäche des Verführten angeführt. Nur einmal erscheint explizit eine Frau, gar eine Mutter als Verführerin - jedoch nicht im erotisch-sexuellen Sinne, sondern indem sie ihren Sohn der Sekte der Manichäer zuführt. Dennoch ist unbezweifelt, dass mit der Figur Evas das Christentum die Frau in enge Verbindung zu Verführung und Schuld gebracht hat und dass auch Augustinus sein Teil dazu beigetragen hat, dieses Bild zu verfestigen.

Petrarca hat die "Confessiones" oft zum Bezugspunkt seines Schreibens gemacht und im Mit- und Gegenspiel von Mutter und Geliebter ist Augustinus deutlich präsent. Im Text CCLXXXV seines "Canzoniere" wird der Mutter "teme" (fürchtet sich) zugeordnet, der Geliebten "arde" (brennt). Auch wenn das "arde" abgemildert wird durch "d'un onesto foco" (also durch ein "aufrichtiges Feuer") züngelt hier doch das Bild der dämonischen Verführerin. "Laura" ist zwar vordergründig fast durchgängig als Heilige gezeichnet, die den Liebenden zur Erlösung führt, sein besseres Ich gleichsam in sich austrägt (vgl. CCC und CCCVI) - doch unübersehbar präsent ist auch das komplementäre Bild des Leidens an ihrer Verführung, das den zahllosen Klagen des Liebenden überhaupt erst Sinn verleiht. Allerdings erscheint dieses bei Petrarca (ganz ähnlich wie in den "Confessiones") zumeist zurückprojiziert auf den Mann als hoffnungslos Liebenden, dessen Begehren die Frau erst als Verführende entwirft. Charakteristisch hierfür sind Zeilen wie "son fatt’ una fera,/membrando il suo bel viso et l’opre sante" - CCLXXXVII. Der Subtext erscheint jedoch, wo Petrarca Laura explizite als "Feindin", "nemica", bezeichnet - etwa CCCXV, "la mia cara nemica", oder CCLXI, "quella mia nemica ... mia donna".





Weiblicher Petrarkismus/Vittoria Colonna


Vor dem Hintergrund der Konstellation Mutter-Geliebte in Petrarcas "Canzoniere" ist es von besonderem Interesse, dass es im Petrarkismus eine durch Frauen geprägte Strömung gibt, die das Mann-Frau-Verhältnis aus einer Perspektive entwirft, die keineswegs einfach nur das Spiegelbild der Petrarcaschen Perspektive ist. Die zentrale Figur des weiblichen Petrarkismus ist Vittoria Colonna (1492-1547) - Freundin Michelangelo Buonarrotis und ein Mitglied jener mächtigen römischen Familie, die den jungen Petrarca einhundertsechzig Jahre vor Vittoria Colonnas Geburt erheblich protegierte.

Die Dichterin, deren "Rime" 1538  erstmals erschienen sind, bezog sich gleichfalls auf Augustinus und dessen Gnadenreligion, allerdings ist bei ihr die helfende "Mutter" eindeutig die Mutter Christi, Maria, keine innerweltliche Person. Doch auch ein Mann erscheint als Erlöser, Christus, in ihrem Gedicht "Trionfo de Cristo" - und dieser "Christus" ist unverkennbar gezeichnet mit den Merkmalen ihres verstorbenen Mannes, des Markgrafen von Pescara, Fernando Francesco d'Avalos, eines bedeutenden Heerführers in den "Italienkriegen" der Renaissance. Als Strukturprinzip ihrer "Rime" nannte sie explizit "in morte di Francesco Ferrante d'Avalos Marchese di Pescara". Damit wird ein Moment benannt, das ihr Werk ganz entscheidend von dem Petrarcaschen abhebt, denn Petrarca hat seinen "Canzoniere" in zwei Teile gegliedert, "in vita di madonna Laura" und "in morte di madonna Laura". Bei Colonna wird der Geliebte erst nach seinem Tod zum literarischen Vorwurf. Man mag darin nur das biografische Faktum widergespiegelt sehen, dass F.F. d'Avalos seiner Frau zu Lebzeiten primär Anlass zur Eifersucht, weniger zu Liebessonetten gab. Doch greift dies meines Erachtens zu kurz. Colonnas Verhältnis als Autorin zur diesseitigen Welt ist ein prägnant anderes als das Petrarcas. So finden sich in ihren Texten auch kaum Naturbilder und Naturpreisungen, die, wie bei Petrarca, mehr sind als Zitate antiker Literaturstücke.

Auch ist in ihren Liebessonetten, die explizit die  idealisierte Beziehung mit ihrem Mann thematisieren, die Liebende/Schreibende anders als bei Petrarca mit dem Geliebten als Gatte verbunden und die irdische Ehe wird als Vorstufe und Vorbereitung der himmlischen mit eben diesem Gatten gestaltet. Dass dahinter ein eigenständiges literarisches Konzept steht, macht Vittoria Colonna gleich im ersten Sonett ihrer "Rime" deutlich:

Scrivo sol per sfogar l’interna doglia,
   Ch’al cor mandar le luci al mondo sole;
   E non per giunger luce al mio bel Sole,
   Al chiaro spirto, all’ onorata spoglia.
Giusta cagione a lamentar m’invoglia,
   Ch’io scemi la sua gloria assai mi dole;
   Per altra lingua, e più saggie parole,
   Convien ch’a Morte il gran nome si toglia.
La pura fè, l’ardor, l’intensa pena
   Mi scusi appo ciascun, che ’l grave pianto
   E’ tal, che tempo, nè ragion l’affrena.
Amaro lagrimar, non dolce canto,
   Foschi sospiri, e non voce serena,
   Di stil no, ma di duol mi danno il vanto.

"Ich schreibe nur, um dem inneren Schmerz zu entfliehen" - wie anders klingt dies als Petrarcas "diese Seufzer, mit denen ich das Herz ernähre" in dessen Einleitungssonett zum "Canzoniere"! Und mit der abschließenden Sentenz "nicht wegen meines Stiles, wegen meines Schmerzes wird man mich rühmen" formuliert Colonna eine deutliche und selbstbewußte programmatische Opposition zu Petrarca.

Ulrike Schneider hat in ihrer Arbeit zum weiblichen Petrarkismus als ein wesentliches Moment der Petrarca-Rezeption im Petrarkismus "die Ambivalenz von Bezug- und Distanznahme" bestätigt, die in Teilen der neueren Forschung herausgearbeitet wurde (Schneider 2007, S. 12). Gerade diese Ambivalenz ermöglicht es auch den Autorinnen im 16. Jahrhundert, an Petrarca anzuknüpfen und doch eine völlig andere Perspektive einzunehmen und auch andere Thematisierungen anzugehen.

Lektüreempfehlung: Ulrike Schneider, Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento, Stuttgart: Steiner, 2007



Sizilianische Dichterschule


Petrarca wurde erheblich von der sizilianischen Dichterschule beeinflusst, bisweilen werden die "Tre corone" in ihrem "Dolce stil nuovo" gar dieser Schule zugeschlagen. Ohne Zweifel fühlten sie sich der Schule eng verbunden. Insbesondere wurde die ursprüngliche Entwicklung des Sonetts dieser Schule zugeschrieben. Allerdings hat erst Petrarca das Sonett zur leitbildhaften Form der Liebeslyrik ausgebildet.

Die Schule entwickelte sich am Hof Friedrichs des II. (1194-1250) in Palermo. Ein prägendes Mitglied war der Notar Giacomo da Lentini (etwa 1210 bis 1260), der als "Erfinder" des Sonetts gilt. Es gibt allerdings gute Gründe zur Annahme, dass auch für das Sonett wie für so ziemlich alle anderen "Erfindungen" gilt, dass daran mehr Leute beteiligt waren, als gemeinhin - dank guter PR der überlieferten Erfinder, dank schlechter Quellenlage, dank selektiver Tradierung etc. - angenommen wird.

Immer wieder wird spekuliert darüber, ob die sizilianische Dichterschule - und damit eventuell auch die Entstehung des Sonetts - nicht durch die arabische Lyrik beeinflusst sein könnte. Belastbare Belege dazu gibt es keine. Fakt ist jedoch, dass Friedrich II. die arabische Kultur an seinem Hof gepflegt und wohl selbst Arabisch gesprochen hat. Dass er etwa 20.000 arabischstämmige Bewohner Siziliens nach Lucera in Nordapulien umsiedeln ließ, war weniger feindselig im Blick auf Araber zu sehen, diente vielmehr der Ausdehnung des eigenen Herrschaftsbereichs in Süditalien und dem Kampf gegen den Heiligen Stuhl in Rom.

Seine Frau, Konstanze von Aragon, entstammte einer Familie, die mit den arabischen Herrschern in Spanien rivalisierte. Allerdings ist hinreichend bekannt, dass die Rivalitäten zwischen christlichen und moslemischen Herrschern in Spanien und Sizilien auch von militärisch-wirtschaftlicher Zusammenarbeit und kulturellem Austausch begleitet waren. Bemerkenswert in diesem Kontext ist insbesondere der Austausch und Handel mit Sklaven und die Geschichte der Konversionen - beides trug wesentlich auch zum Kulturaustausch bei, wie Lawrence Ecker 1934 zum Abschluss seiner Arbeit "Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang" feststellt, mit einem knappen Hinweis auch auf die kulturvermittelnde Bedeutung "der Juden in Andalusien und den spanischen und französischen Fürstentümern (S. 233).

Der Pionier bei der Erforschung und Darstellung der arabischen Lyrik in Spanien und Sizilien, Adolf Friedrich von Schack, hat die sizilianische Dichterschule arabischer Prägung des 10. und 11. Jahrhunderts im ersten Kapitel seines zweiten Bandes (Kapitel XII) über die "Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien" ausführlich gewürdigt. Er erwähnt auch, in Kapitel XIV (S. 157f), ein bemerkenswertes späten Schreiben Petrarcas an den jüngeren Freund Giovanni Dondi (dall'Orologio) - Autor der berühmten Sonettzeile "Io non so ben s'io volia quel ch'io volio": "Ich bitte dich, berufe dich mir gegenüber nicht auf diese deine Araber; ich hasse sie insgesamt. (...)  Ich weiß, wie ihre Dichter beschaffen sind; es lässt sich nichts denken, was weichlicher, üpppiger, entnervter, sittenloser wäre." (Seniles XII, 2).

Betrachten wir, was Petrarca bisweilen über seine eigene Gedichtesammlung, den Canzoniere, schrieb (und was er den Augustus zum Thema in "Secretum meum" sagen lässt), verliert diese Aussage an Gewicht. Die primäre Bedeutung tritt zurück hinter einer möglichen zweiten, nämlich der Distanzierung von seinen eigenen Quellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Petrarcas Canzoniere ebenso wie die sizilianische Dichterschule der vorausgegangenen hispano-arabische Lyrik wesentliche Inspirationen verdanken.

Lektüreempfehlung: Adolf Friedrich von Schack, Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien, Berlin 1865





Hispano-arabische Einflüsse auf den provenzalischen Minnesang


Die Frau von Friedrich II., Konstanze von Aragon (um 1184 bis 1222) , und ihr Vater Alfonso II. (der Keusche) dichteten in der Tradition der provenzalischen Trobador-Lyrik. Eine mögliche Herkunft dieser Lyrik ihrerseits aus der hispano-arabischen Kultur wird kontrovers diskutiert und ist nicht hinreichend erforscht bzw. belegt.

Die hispano-arabische Kultur, die vom 10. bis zum 12. Jahrhundert im Bereich der Lyrik besonders reich entfaltet wurde, ist ein bemerkenswertes Zeugnis von Kultursynthese, das sich der großteils geglückten Zusammenarbeit christlicher, jüdischer und islamischer gesellschaftlicher Gruppen verschiedenster ethnischer Herkunft verdankt. Diese Blüte war sicherlich auch fundiert durch die klimatische Gunst der Zeit zwischen 850 und 1250, die heute als "mittelalterliches Klimaoptimum" in den Fokus wissenschaftlicher Erörterungen gerät. Zur hispano-arabischen Lyrik der Blütezeit trugen wesentlich auch Frauen bei, moslemischer (Prinzessin Wallada bint al-Mustakfi und Hafsa bint al-Hâdjj) sowie jüdischer (überliefert sind die namentlich unbekannte Frau des Dichters Dunash ibn Labrat und die Tochter von Isma’il ibn Bagdala, Kasmunah) Religionszugehörigkeit.

Leider ist die Quellenlage sehr schlecht. Wie Lawrence Ecker ausführt, haben nicht nur christliche Rekonquista, sondern auch kunstfeindliche Strömungen innerhalb des Islams zur Zerstörung zahlreicher Dokumente beigetragen (S. 3). Neben der Quellenlage haben, so Ecker, vor allem falsche Urteile über die Stellung der Frau im Islam dazu geführt, Beziehungen zwischen christlichem Minnesang und islamischer Liebeslyrik zu negieren. Dagegen stellt Ecker die inzwischen vielfach bestätigte weitgehend emanzipierte Position der Frau in der islamischen Oberschicht der Zeit heraus. Auch sei, so Ecker, die Stellung der Frau im Islam erst "nach Jahrhunderten türkischer oder berberischer Herrschaft" geschwächt worden, wobei Ecker es offen lässt, ob diese beiden Volksgruppen "direkt verantwortlich" seien. Festhalten möchte er, dass "die mohammedanischen Frauen im Mittelalter alles in allem ein ebenso großes Maß von Freiheit genossen wie ihre christlichen Zeitgenossinnen" (S. 198).

Für Eckert ist die Entstehung des Minnesangs ohne arabische Einflüsse nicht denkbar. "Die Denkart der Trobadors läßt sich keineswegs mit derjenigen der antiken Liebeslieder identifizieren" (S. 1) - also bleibe nur der Rekurs auf die arabische Lyrik. Im Kern seiner Untersuchung stehen motivgeschichtliche Analysen, mit denen er seine "arabische These" (S. 3) stärkt.

Lektüreempfehlung: Lawrence Ecker, Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang, Bern/Leipzig 1934



Arabische Liebeslyrik - Motive und Modelle


Wir verdanken der ausgezeichneten Dissertation von Lawrence Ecker starke motivgeschichtliche Argumente für die von ihm vertretene "arabische These" (S. 3) zur Herkunft des Minnesangs bzw. der Trobador-Lyrik. Wobei Ecker keineswegs antike oder christliche Einflüsse ableugnet. "Aber sie erscheinen eben nur als Einflüsse auf ein schon fertiges System." (S. 2).

Das System der arabischen Liebeslyrik stellt Ecker bis in die feinsten Verästelungen der Motive dar. Gesellschaftlich orientiert sind die Motive "Falsche Beschuldigung", "Die Verleumder" und "Die Tadler". Bezogen auf das Leiden des Liebenden stellt Ecker die Themen "Raub des Herzens", "Wahn" und "Sehnsucht" heraus. Die Geliebte ist dem gegenüber gekennzeichnet durch "Hochmut", "Gleichgültigkeit" und "Grausamkeit". Positiv erscheint der Liebende insbesondere durch "Treue", dem korresponiere häufig die "Treulosigkeit" der Geliebten. Das Verhältnis der beiden wird häufig charakterisiert durch das Verhältnis Herrin-Knecht oder analoge Bildungen.

Besonders bedeutsam im Blick auf Petrarca ist das Motiv der "Veredelung durch die Liebe", eng verbunden mit "Treue" und "Demut". Hier wird ein Liebesmodell deutlich, das stark religiös strukturiert ist. Die Veredelung wirkt sich allerdings - anders als bei Petrarca - bereits im Alltag aus, macht den Liebenden zu einem sozial angenehmeren Wesen. Ecker zitiert Ibn Hazm, dem zufolge Geizige freigebig, Mürrische heiter und Feige tapfer werden durch die Liebe.

Weitere zentrale Themen, die Ecker abhandelt, sind "Die Natur", "Die Liebe als Krankheit", der "Tod des Liebhabers" aus Liebe und "Die Liebe als Krieg". Naturbilder in der arabischen Liebeslyrik haben, so Ecker, nicht lediglich die Funktion eines idyllischen Hintergrundes (wie etwa im Minnesang), sondern sind eng verflochten mit den sonstigen Gehalten. Bäche (allgemein Wasser) und Wiesen spielen dabei eine besondere Rolle. Häufig hängen Zweige von Büschen oder Bäumen in das Lager oder den Weg der Liebenden. Als Krankheit bewirke Liebe vor allem allgemeine Ermattung und Abmagerung. Wo Liebe als Krieg erscheint, sind häufig Augen und Blicke als Waffen genannt, Schwertern oder Pfeilen gleich. Die Geliebte als Bogenschützin gilt laut Ecker als "Gemeinplatz der arabischen Dichter" (S. 195). Zum Kriegsmotiv gehört auch das "Gefängnis", in welchem die Geliebte den Liebenden festhält.

Bei Petrarca nur randständig oder gar nicht erscheinen die für die arabische Lyrik bedeutsamen Motivbereiche "Dienst und Lohn", "Liebesvereinigung" (bei Petrarca allerdings als persönliche Begegnung und freundliche Zuwendung durchaus im Ansatz präsent) oder "Bote und Botschaften". Die thematischen Stichworte zu seiner Analyse hat Ecker weitgehend von Ibn Hazm Al Andalusis "Halsband der Taube" übernommen.

Lektüreempfehlung: Lawrence Ecker, Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang, Bern-Leipzig 1934





Motiventsprechungen bei Petrarca


Bei Adolf Friedrich von Schack finden wir eine interessante Ausführung zur sozialen Rolle des arabischen Hofdichters bei den Omaijaden, der seine Geliebte verlässt, um statt ihrer den Herrscher und dessen Familie zu preisen - und der so seinen, offensichtlich luxuriösen, Lebensunterhalt bestreitet (S. 27ff). Allerdings begann die andalusische Poesie erst nach dem mörderischen Sturz der Omaijaden-Dynastie in Damaskus ihren Aufschwung. Und dann waren es häufig die Herrschenden selbst, die dichteten, beginnend mit dem nach Andalusien geflohenen Omaijaden-Abkömmling Adburrahman. Erwähnenswert scheint mir dies durch die dokumentierte enge Verflechtung von Poesie und Herrschaft, die ganz offenkundig auch ein arabisches Erbe ist und damit historisch näher bei Petrarca als die - weit weniger ausgeprägte - antike Verflechtung der beiden Bereiche.

Schack widmet ein eigenes Kapitel im ersten Buch, "Kriegslieder", sowie längere Passagen im zweiten Band , Kapitel "Die Poesie der Araber auf Sicilien", unter anderem dem Thema der politisch motivierten Vertreibung aus der Heimat und der Klage über den Niedergang des eigenen Landes. Bei Petrarca finden wir dieses Motiv im Canzoniere LIII und insbesondere in CXXVIII ("Italia mia"). In der zweiten Canzone des Canzoniere, Text XXVIII verbindet Petrarca die Klage über den Niedergang der eigenen Gesellschaft mit der Aufforderung zu einem Kampf gegen "die Türken". Seine Entsprechung hat solches etwa im Lied des hispano-arabischen Dichters, Diplomaten und Theologen (eine Dreiheit, die wir auch von Petrarca kennen) Ibn al Abbar von 1238 zur Verteidigung Valencias: "Sieh, wie Spanien hülfebittend, Großgesinnter, vor dir steht"/Schwer gedrückt von Leiden, windet dieses Land sich todeskrank" (S. 1/142). Bei dem aus Sizilien geflohenen Lyriker Ibn Hamidis finden wir die Klage über den Niedergang verbunden mit der Klage über Glaubenskriege innerhalb der eigenen (moslemischen) Gruppe: "Als Brüder nicht den Brüdern Mitleid schenkten/Und in Verwandter Blut die Schwerter tränkten" (S. 2/26). Modelle konnte Petrarca allerdings auch in provenzalischer Lyrik finden, etwa bei Gavaudan. Was er im einzelnen kannte, werden wir kaum mehr erfahren.

Einen umfangreichen Motivkomplex stellt Ecker in "Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang" unter das Stichwort "Wahn" - ein Stichwort, das sich, ebenso wie die untergeordneten Stichwörter, bei Ibn Hazm nicht als Kapitelüberschriften, aber doch zumeist inhaltlich findet. Als Extremform des Liebeswahns wird die Liebe zu einer Unbekannten beschrieben. Dieser Form ist Petrarca mit seiner überwiegend fernen Laura sehr nahe. Unter dem Stichwort "Wahnbild" zitiert Ecker insbesondere Traum- und sonstige Erscheinungen der Geliebten. Auf Traumerscheinungen in der arabischen Liebeslyrik weist auch Schack hin (1/119). Petrarcas Canzoniere kennt zahlreiche Erscheinungen der Geliebten, wobei es sich zumeist um Traumbilder oder lebhafte Erinnerungsbilder handelt. Eine weitere besonders intensive Übereinstimmung findet sich im Motiv des oft haltlosen Weines, das mit dem Liebeswahn verbunden ist. Das Wahn-Motiv entfaltet Petrarca - in kritischer Distanz - insbesondere in "Secretum meum", Drittes Buch. Dort hält Augustinus dem Francesco seinen Wahn vor: "Schon sechzehn Jahre lang hast du das Feuer deines Herzens mit solch falschen Vorstellungen genährt."

Auch die ausgezeichnete Rolle der Augen und der Haare, die weder der Minnesang noch die antike lateinische (die griechische wohl) Liebeslyrik kennt, verbindet arabische und Petrarcasche Lyrik. Dabei treffen wir in der arabischen Lyrik überwiegend auf schwarze Haare, in der hispano-arabischen allerdings auch auf blonde Haare (etwa bei Ibn Hazm). Besonders bekannt ist die Tradition der Laila-Gedichte, die sich auf die unglückliche Liebe zwischen den Figuren Qais (Madschnun - der Besessene) und Laila beziehen. Arabisch "layla" bedeutet "dunkelste Nacht", die Haare Lailas sind von tiefem Schwarz. Ihr Geliebter Qais zieht sich nach der Verheiratung seiner Geliebten mit einem anderen in die Wildnis zurück. Die Tradition geht zurück auf einen arabischen Text des 7. Jahrhunderts und wurde bis ins 16. Jahrhundert intensiv gepflegt. Kannte Petrarca diese Tradition? Wollte er mit seiner lichten, goldfarbenen Laura bewußt ein Gegenbild erschaffen?

Das Motiv der Liebe als Krieg (vgl. Ecker S. 194ff) gestaltet Petrarca vor allem über das Motiv der "nemica", der Feindin. In CXXI ist die Geliebte gemeinsame Feindin von Gott Amor und Liebendem, Amor solle Rache nehmen und seinen Bogen ergreifen. In Text CCCII erscheint die Geliebte und bekennt, "i' son colei che ti die' tanta guerra". Dass die Geliebte den Liebenden gefangen habe, finden wir etwa in CXXXIV: "Tal m'ha in pregion ...".

Ecker (S. 169ff) und Schack (2. Band, passim) weisen auch nachdrücklich auf die Bedeutung von Naturbildern in der arabischen Liebeslyrik hin. Nun kannte auch die Antike den "Locus amoenus" - doch zweifellos sind die Naturbilder Petrarcas (vgl. LIV, CXXVI) der arabischen Lyrik näher. In der Antike ist der idyllische Naturort Staffage für Liebesspiele, während er in der arabischen Lyrik und bei Petrarca einen Eigenwert hat und darüber hinaus innig mit der Geliebten und dem Liebesverhältnis verbunden ist.

Lektüreempfehlungen: Adolf Friedrich von Schack, Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien, Berlin 1865. Lawrence Ecker, Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang, Bern/Leipzig 1934



"Halsband der Taube" - eine erstaunliche Parallele zu Petrarcas Liebeskonzeption

Petrarca hat zeitlebens jeden Bezug zur hispano-arabischen Literatur negiert. Bekannt ist insbesondere seine heftige Zurückweisung der arabischen Liebeslyrik im Brief an den Freund und Arzt Giovanni Dondi vom 17. November 1370 - im Kontext einer Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit und mit medizinischen Fragen wohlgemerkt. Was er dort ablehnt, könnte, so Burnett (Charles Burnett, Learned knowledge of Arabic poetry), primär die zeitgenössische volkstümliche Variante dieser Lyrik sein. Schauen wir in Ibn Hazm Al-Andalusis im 11. Jahrhundert in Spanien verfasstes Werk "Halsband der Taube", wird Petrarcas Ablehnung besonders unverständlich. Denn hier finden wir Verse und moralphilosophische Reflexionen, die wie eine Folie der einschlägigen Petrarcaschen Werkteile anmuten.

Ibn Hazm Al-Andalusi (994-1064) war Theologe, Rechtslehrer (Vertreter der Zahiriya), Philosoph, Religionshistoriker, Politikberater, Lyriker, Erzähler und Essayist zur Blütezeit der hispano-arabischen Kultur in Cordoba. Bereits sein Leben weist erstaunliche Parallelen zu dem Petrarcas auf, eingespannt zwischen der Neigung zu einem zurückgezogenen literarisch-philosophischen Leben und der Beteiligung am politischen Geschehen seiner Zeit durch unmittelbare Verbindung mit den Mächtigsten, gezwungen zu einem Leben häufiger Orts- und Beziehungswechsel. Mit seiner aus heutiger Sicht in einigen Zügen fundamentalistischen, historisch allerdings auch Funktionen der Reformation (durchaus mit Analogien zur protestantischen Reformation im Christentum) erfüllenden Religionsauffassung geriet Ibn Hazm in Konflikt mit einflussreichen weltlichen und religiösen Führern, was auch die Rezeption und Tradierung von "Halsband der Taube" negativ beeinflusste. Es ist daher anzunehmen, dass die sizilianische Dichterschule und Petrarca von seinem Werk keine unmittelbare Kenntnis hatten. Ausgeschlossen werden kann es allerdings keineswegs, da Ibn Hazm gerade in der Peripherie des mittelalterlichen islamischen Machtraumes bis zum Abschluss der Reconquista 1492 durchaus tradiert wurde.

In "Halsband der Taube" schildert Ibn Hazm ausführlich die Kennzeichen der Liebe, die verschiedenen Weisen des Verliebens (im Schlaf, auf den ersten Blick, aufgrund einer einzelnen Eigenschaft etc.), das Verhalten der Liebenden, die sozialen Konsequenzen und anderes mehr. Unübersehbar hat Ecker hier wesentliche Teile der Struktur seiner Darstellung arabischer Liebeslyrik gefunden. Eine wesentliche Abweichung zu Petrarcas Liebeskonzeption zeigt sich in der Stellung zum Tod. Er erscheint bei Ibn Hazm nicht als Versprechen einer endgültigen Vereinigung mit der/dem Geliebten, sondern lediglich (wie bei Petrarca ja durchaus auch) als Konsequenz verschmähter Liebe oder einer von äußeren Umständen beendeten Beziehung. Deutliche Entsprechungen gibt es in der Auffassung vom Verliebtsein als Krankheit und Siechtum, wo Erfüllung versagt bleibt.

Prägnant und überraschend sind die Parallelen insbesondere in der Auffassung von der moralischen Dimension der Liebe, den damit verbundenen moralischen Verpflichtungen. Überraschend insbesondere vor dem Hintergrund des Petrarcaschen Urteils über die vermeintliche Nichtigkeit arabischer Liebeslyrik: "nichil blandius, nichil mollius, nichil enervatius, nichile denique turpius" - Sen. 12.2, 273ff. Die letzten beiden Kapitel des Ibn Hazm'schen Werkes, "Über die Abscheulichkeit der Sünde" und "Über die Vortrefflichkeit der Keuschheit" begründen Keuschheit mit dem Verweis auf das Seelenheil und die Aussicht auf eine ewige nachtodliche Existenz in Gott. In diesen Kontext gehören auch die Kapitel "Über die Treue" und "Über die Genügsamkeit". Selbst das Kapitel '"Über den Tod", welches doch eine signifikante Differenz zu Petrarca zeigt, wird vom Autor in diesen Kontext gestellt, wenn er einleitend dort die "religiöse Überlieferung" zitiert mit dem Satz "Wer sich verliebt, ohne sich erotisch zu betätigen, und dann stirbt, ist ein Märtyrer." Dass dieses Kapitel unmittelbar vor die moralphilosophischen gestellt ist, bestätigt die enge Zusammengehörigkeit.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass Ibn Hazm nicht nur von zweigeschlechtlicher Liebe schreibt, sondern bisweilen explizite homoerotische Verhältnisse anspricht und zum Beispiel nimmt. Davon findet sich bei Petrarca keine Spur. Allerdings wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass der Personenname "Laura" sich auf ein männliches Substantiv, den "lauro", beziehe. Interessant ist in diesem Kontext der Blick auf die auto- und homoerotische Lyrik der Anakreontik und ihre Stellung zu Petrarca.

Lektüreempfehlung: Abu-Muhammad Ali Ibn Hazm Al-Andalusi, Halsband der Taube. Über die Liebe und die Liebenden, üs. v. Max Weisweiler, Leiden: Brill, 1942
Lektüreempfehlung: Charles Burnett, Learned knowledge of Arabic poetry, rhymed prose and didactic verse from Alfonsi to Petrarch. In: Poetry and Philosophy in de Middel Ages, London/Boston/Köln: Brill, 2000





Friedrich Rückerts Hamasa-Übersetzung

Als Einleitung beziehungsweise Vorspann zu seiner Übersetzung der Hamasa-Anthologie arabischer Lyrik von Abu Temmam (788–845), die 1846 erschien, verwendete Friedrich Rückert (1788-1866)  den nachfolgenden, von ihm auf 1828 datierten Text. Dieser dokumentiert neben einer unverbrüchlichen republikanisch-europäisch-humanistischen Gesinnung auch die lange Dauer der Arbeit, etwa zwanzig Jahre, an diesen Übersetzungen:

Ermutigung zur Übersetzung der Hamasa (1828)

Die Poesie in allen ihren Zungen
ist dem Geweihten Eine Sprache nur,
Die Sprache, die im Paradies erklungen,
eh sie verwildert auf der wilden Flur.
Doch wo sie nun auch sei hervorgedrungen,
von ihrem Ursprung trägt sie noch die Spur;
Und ob sie dumpf im Wüstenglutwind stöhne,
es sind auch hier des Paradieses Töne.

(...)

Wer aber soll die nordsche Nacht erheitern
mit einem Abglanz von des Südens Glut?
Wer den Gesichtskreis dieses Volks erweitern,
daß seinem Blick auf jene Welt sich tut?
Das enge Leben freilich geht zu scheitern,
je mehr hereinströmt diese Geisterflut;
Doch soll der Ost einmal zum Westen dringen,
wer ist der Mann, ihn ganz heranzubringen?

Darum nur mutvoll vorwärts, auszubeuten
den spröden Schacht, den nicht erwühlt ein Scherz,
Das fremde Leben deinem Volk zu deuten,
das ohne dich ihm bliebe taubes Erz.
Wann erst der Menschheit Glieder, die zerstreuten,
gesammelt sind ans europäsche Herz,
Wird sein ein neues Paradies gewonnen,
So gut es blühn kann unterm Strahl der Sonnen.


Rückert, einer der Begründer der deutschen Orientalistik, hat mit der Hamasa-Übersetzung ein Werk geschaffen, das auch heute noch Gültigkeit beanspruchen darf und das ein recht getreues Bild der arabischen Poesie vom 5. bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts bietet, insofern Rückert nicht nur sprachlich höchst kompetent war, sondern sich auch bemühte, die formale Gestalt der Texte zu bewahren. Erhellend sind auch die Anmerkungen Rückerts zu den Texten.

Das Einleitungsgedicht berührt aus heutiger Sicht besonders durch den Appell, die Begegnung mit der arabisch-islamischen Kultur als Erweiterung des eigenen Horizontes zu verstehen ("Das enge Leben freilich geht zu scheitern"). Und er verspricht als Frucht dieser Erweiterung ein neues Paradies für eine neue Menschheit, die sich wieder in der gemeinsamen Sprache des Paradieses, wovon die Lyrik ein Abbild sei, verständige. Dabei komme, so Rückert, Europa eine besondere Aufgabe zu als Sammlungsort der verschiedenen Weltkulturen.

Friedrich Rückert hatte zunächst auch eine Karriere als Schriftsteller und Künstler im Blick. Von September 1817 bis Oktober 1818 weilte er in Rom, wo er mit anderen deutschen Intellektuellen und Künstlern zusammen war. In Rom verfasste er neben sonstigen Gedichten auch "sonetti in onore del divin poeta Petrarca". Nach der Rückkehr aus Rom lernte er in Wien bei Joseph von Hammer Persisch. Dies bedeutete die Entscheidung für die Wissenschaft, konkret die Orientalistik. Schon in seiner Jenaer Dissertation 1811 hatte er den Grundakkord dafür vorgegeben und auf die orientalischen Ursprünge der griechischen Kultur verwiesen.

Lektüreempfehlung: Friedrich Rückert, Hamasa oder die ältesten arabischen Volkslieder, gesammelt von Abu Temmâm, 2 Bde. der Rückert-Werkausgabe, Wallstein Verlag, 2004



Epikureismus bei Petrarca

Direkte Hinweise auf Epikur finden sich verstreut in den Briefen Petrarcas, so im Brief an den Freund Francesco Nelli von April/Juli 1355 (Fam. 18,9) und in einem fiktiven Brief "an Marcus Tullius Cicero" vom 19. Dezember 1345. Häufiger sind Hinweise auf Lukrez, wobei Petrarca vor allem anführt, wieviel Vergil diesem verdanke (vgl. Fam. 23,19 - Brief an Boccaccio vom 28. Oktober 1366). In einem fiktiven Brief an Vergil vom 19. Mai 1349 oder 1350 gedenkt Petrarca ausführlich des - historisch ungesicherten - Lukrezschen Selbstmordes "aus Furcht vor schlimmerer Qual und schimpflichem Tode" (Fam. 24,11).

Inhaltlich erinnern insbesondere der Freundschaftskult Petrarcas, sein immer wieder formuliertes Bekenntnis zu einer bescheidenen Lebensführung und die Propagierung einer vita solitaria mit weitgehender Enthaltsamkeit von politischen Geschäften und wirtschaftlichem Konkurrenzgerangel an die Lehre Epikurs. Die einzige signifikante Abweichung findet sich gegenüber der entspannten Haltung Epikurs zur Sexualität. Ausgeführt werden epikureische Gedanken insbesondere in "De vita solitaria". Das epikureische Freundschaftsideal dürfte Petrarca durch Cicero, "De finibus bonorum et malorum", kennengelernt haben. Was das zurückgezogene Leben betrifft, zitiert Petrarca selbst vor allem christliche Quellen, insbesondere Hieronymus (De vita solitaria, Kapitel 5) - allerdings entspricht deren Lebensführung keineswegs dem, was Petrarca als sein Modell expliziert, ist wesentlich radikaler und entschiedener religiös begründet. Petrarcas Modell ist dem der Antike weit näher. Auch wenn Petrarca sich immer wieder ausdrücklich von epikureischen Haltungen distanzierte, vor allem in seinem Augustinus-Dialog "Secretum meum".

Angesichts von "De vita solitaria" fällt es mir schwer, den Enthusiasmus zu begreifen, mit welchem Stephen Greenblatt in "Die Wende" die Entdeckung der Handschrift von "De rerum natura" (Lukrez) feiert als eigentliche Initialzündung der Neuzeit. Sicherlich gefällt Greenblatt, der Petrarca durchaus auch würdigt, die religiöse Einbindung nicht, zu der Petrarca sich - in Greenblatts Augen wohl: "mittelalterlich" - noch bekennt. Aber die gesamte Kulturgeschichte der Neuzeit, auch im Blick auf avancierte "Atomisten" wie die herausragenden Physiker des 20. Jahrhunderts, bestätigt eher Petrarca als Lukrez. Zudem zeigt "De vita solitaria", dass Epikur und Lukrez auch vor Poggio Bracciolini höchst präsent waren bei den maßgeblichen Intellektuellen.





Rousseaus "Bekenntnisse" und ihr Bezug zu Petrarca


Verschiedentlich wird in der Forschung erklärt, Jean Jacque Rousseaus "Bekenntnisse" ("Les Confessions") seien nicht denkbar ohne Petrarca. Seinen Ursprung hat diese Auffassung in Herders Einleitung von 1790 ("Briefe") zu Johann Georg Müllers Publikation der "Bekenntnisse merkwürdiger Männer von sich selbst". Dort stellt Herder Augustinus, Petrarca und Rousseau mit ihren einschlägigen Texten in eine Traditionslinie - ohne allerdings ein unmittelbares Rezeptionsverhältnis auch für Rousseau (für Petrarca ist dieses im Blick auf Augustinus ja bekannt) zu behaupten.

Rousseau erklärt selbstbewusst im ersten Satz seiner Bekenntnisse: "Ich plane ein Unternehmen, das kein Vorbild hat und dessen Ausführung auch niemals einen Nachahmer finden wird." Dieses Unternehmen bestand in der genauen Schilderung seines gesamten Lebens, wobei Rousseau auch die dunklen Seiten seines eigenen Verhaltens recht offen darstellte, etwa die Tatsache, dass er seine Kinder in Findelhäusern abgab. Allerdings exkulpierte er sich selbst durch die Versicherung, er habe dabei nur das Wohl der Kinder und die Ehre seiner Partnerin im Auge gehabt. Befremdlich mutet an, dass er von "ebenso grausamen wie unerwarteten Folgen" dieser Handlungsweise spricht - und damit die Attacken Voltaires gegen ihn meint, als dieser Rousseaus Verhalten den eigenen Kindern gegenüber anprangerte. Rousseau spricht allerdings auch selbst einmal von einer "unseligen Tat", die seine Denkweise grundlegend beeinflusst habe (Siebtes Buch, 1747-1749). Damit geraten wir mitten hinein in den modernen Diskurs der Selbstverantwortung.

Bei Petrarca finden wir den Ansatz, das ganze Leben nachzuerzählen, im "Brief an die Nachwelt" - allerdings in weit bescheidenerem Umfang als in Rousseaus ausufernder Autobiographie, die in der Insel-Ausgabe von 1955, aus der ich hier zitiere (üs. v. Ernst Hardt), 836 Seiten in zwölf Büchern umfasst. Die unbedingte Verpflichtung zur Wahrheit der eigenen Biographie und den eigenen Handlungsweisen gegenüber verbindet Rousseaus Bekenntnisse mit Petrarcas "Secretum meum". Insgesamt ist allerdings der Bezug zu Augustinus weit auffallender, nicht nur im Titel. Augustinus gibt seine "Confessiones" in dreizehn Büchern preis. Allerdings ist er weit weniger als Rousseau an der äußeren Biographie orientiert. Wir erfahren bei ihm mehr über seine Reflexionen und seine andauernde Auseinandersetzung mit der Religion und dem eigenen Glauben bzw. der Geschichte seiner Bekehrung zum Christentum und seine Glaubenszweifel. Ähnlich wie die autobiographischen Texte Petrarcas sind die Bekenntnisse des Kirchenvaters Augustinus moralphilosophisch orientiert. Moralphilosophisch-lebenspraktisch versteht auch Rousseau seine Arbeit, auch wenn er sich von der tradierten Moralphilosophie gerade abzuheben sucht.

Direkte Hinweise auf eine Petrarca-Lektüre Rousseaus finden wir in der "Nouvelle Héloise". So ist das Motto des Buches einem Sonett aus dem Canzoniere entnommen, dem Text CCCXXXVIII: "Non la conobbe il mondo, mentre l'ebbe: conobill'io, ch'a pianger qui rimasi". Mit den verschiedenen Bezugnahmen auf Petrarca in der "Nouvelle Héloise" hat Rousseau, so die gängige Auffassung, wesentlich dazu beigetragen, Petrarca im 18. Jahrhundert wieder neu interessant zu machen für die europäischen Intellektuellen.



Im Zeichen des Saturn

Das "Goldene Zeitalter", wie es Ovid in seinen Metamorphosen literarisch entwarf, stand unter der Herrschaft des Saturn - der ab dem 3. vorchristlichen Jahrhundert mit Kronos identifiziert wurde. Also unter der Herrschaft des römischen Gottes, der vermutlich von den Etruskern übernommen wurde und der für Fruchtbarkeit, Ernte, Verschwendung und Solidarität stand. Das Fest zu seinen Ehren, die Saturnalien, glich am ehesten dem späteren Karneval/Fasching. Soziale Unterschiede, gesellschaftliche Abgrenzungen und Ausschlüsse wurden zu den Saturnalien im öffentlichen Raum ein stückweit aufgehoben. Und für alle gab es genügend zu Essen und zu Trinken.

Ovid entwirft für das "Goldene Zeitalter" das Bild einer überschaubaren, paradiesischen Gemeinschaft ohne Verbrechen und Krieg - aber interessanterweise auch ohne Handel. Wie eine frühe Globalisierungskritik mutet es an, wenn er schreibt "Fichten fällte man nicht, um die Stämme hernieder von ihren Höhn in die Meere zu rollen, nach fremden Ländern zu fahren" (I, 94f). "Ewiger Frühling herrschte" und Landwirtschaft war nicht notwendig, wie im Schlaraffenland gab es genug zu essen ohne merkliche Mühe, ohne Pflug und Hacke.

Astrologische Vorstellungen führten zu einem Bild, das den Planeten Saturn mit "Hartleibigkeit" und "schwarzer Galle" verband. Wer unter dem Saturn geboren wurde, neigte zur Melancholie, die im christlichen Mittelalter unter der Bezeichnung acedia als Laster und "Mönchskrankheit" verrufen war, aber mit der frühen Renaissance zur Krankheit besonders Begabter wurde. Diese Umdeutung wird herkömmlich auf den Neuplatoniker Marsilio Ficino (1433-1499) bezogen. Mit Dürers Kupferstich "Melencolia" (1514) ist die neue Deutung offensichtlich bereits fester kultureller Bestand.

Petrarca kennt Saturn als "grausamen Stern", wie auch "Marte". Er verbindet die beiden im Canzoniere XLI mit der Abwesenheit von Laura und dem Verdunkeln des Himmels, mit Trauer und Einsamkeit. Wir finden bei Petrarca allerdings auch deutliche Ansätze zur Umdeutung der Melancholie von der Untugend zur Auszeichnung. Schließlich handelt der ganze Canzoniere von dieser Untugend, und das in keineswegs kritischer Weise. In seinem fiktiven Dialog mit Augustinus (A), im "Secretum meum" bekennt Petrarca als Francesco (F) offen, dass er an der Acedia leide, insbesondere im 2. Buch, läßt sich von A über diese Krankheit und ihre Ursachen aufklären, auch über die Mittel, ihr zu begegnen. Und trotzdem beharrt F (im 3. Buch) darauf, keine endgültige Heilung erlangen zu können: "Denn jetzt, während wir noch miteinander reden, erwarten mich viele und große, freilich noch irdische Aufgaben." Und wie es scheint, (an)erkennt er die acedia als das, was mit seiner Arbeit untrennbar verbunden sei: "Wenn du mir das alles doch von Anfang an gesagt hättest, bevor ich mein Werk begonnen habe."

Die von A angebotene Therapie der Acedia ist im übrigen durchaus vergleichbar mit dem, was aktuell als Mittel gegen depressive Verstimmungen angeboten wird: Erreichbare Ziele setzen, Strukturen in den Alltag bringen, tätig sein. Letzte Heilung allerdings bringe nur die unbedingte Hingabe an Gott.

Es ist sicherlich müßig, angesichts der historischen Distanz und auch der anhaltenden Schwierigkeiten, das Krankheitsbild von Depression befriedigend zu bestimmen, darüber zu raissonieren, ob und wie weit Petrarca unter Depressionen gelitten habe. "Secreteum meum" sollte jedoch auch als Bericht einer Krankheit ernst genommen werden, als den Petrarca diesen Text selbst bezeichnet - mit entsprechender Einbeziehung des "Canzoniere". Eine mögliche Verbindung dieser "Krankheit" mit dem "Goldenen Zeitalter" Ovids deutet Petrarca selbst an in der unermüdlichen Verschränkung der beiden Bildbereiche im "Canzoniere", dessen dominierende Farben Gold und Schwarz sind - grundiert von Grün.



    PERSONEN, ORTE, MOTIVE UND THEMEN IM WERK PETRARCAS

 
Cino da Pistoia

Cino da Pistoia (1270-1336) gehörte zu den wichtigsten literarischen Vorbildern Petrarcas und er hat ihn auch als Person sehr geschätzt. Allerdings gibt es keine Belege für eine persönliche Begegnung der beiden. Cino, mit vollem Namen Guittoncino di Francesco dei Sigisbuldi, war wie Petrarca Literat und Jurist (allerdings mit abgeschlossener Ausbildung). Er gehörte zu einer der angesehensten Familien in Pistoia und lebte 1270-1336/37. Im Canzoniere, Text XCII, beklagt Petrarca den Tod des Cino: "Piangete, donne, e con voi pianga Amore". In einem Sonett auf den Tod von Sennuccio del Bene (Canzoniere CCLXXXVII) trägt er diesem auch - ins Jenseits - Grüße an Cino auf: "Guitton saluti e messer Cino e Dante/Franceschin nostro e tutta quella schiera." Petrarca nennt hier Cino und Dante gemeinsam. Angefügt wird auch Franceschino degli Albizzi, voraus genannt wird Guittone d'Arezzo, was uns ein prägnantes Bild gibt für die Bedeutung der - modern gesprochen - "Netzwerke" im intellektuellen Gefüge der frühen Renaissance.

Auch im Trionfo d'Amore (V, 32) wird Cino, umgeben von den andere Poeten des Dolce Stil Nuovo, genannt als Leitbild und Begleiter Petrarcas im gemeinsamen Preis der Liebe. Wir dürfen ergänzen: im gemeinsamen Preis der humanen, gebildeten, intellektuellen und bürgerlichen (nicht durch Geburt, sondern Anstrengung und Verdienst geadelten) Lebensführung. In der Canzone "Lasso me" (Canzoniere LXX) zitiert Petrarca eine Zeile Cinos: "La dolce vista, e 'l bel guardo soave." Die Canzone besteht aus fünf Strophen, wobei jede Strophe mit einem Zitat abgeschlossen wird. Das erste stammt von Arnaldo Danielo, das zweite von Guido Cavalcanti, das dritte von Dante, das vierte von Cino, das letzte schließlich von Petrarca selbst. Damit strukturiert Petrarca eine literarische Ahnenreihe, die sich über 150 Jahre erstreckt, mit Cino da Pistoia als seinem unmittelbaren Vorgänger.


Giovanni Boccaccio

Petrarca lernte den neun Jahre jüngeren Boccaccio (Giovanni da Certaldo - 1313 bis 1375) erst im Herbst 1350 kennen. Danach wurde Boccaccio zu einem geschätzten Freund und Briefpartner Petrarcas. Das erste Schreiben an Boccaccio ist auf den 2. November 1350 datiert (Fam. 11,1). 1355 bedankt sich Petrarca in zwei Briefen für Schriften von Augustinus, Varro und Cicero, die er von Boccaccio erhalten habe, darunter Vervielfältigungen aus der Hand Boccaccios. Vom 16. März 1359 bis zum 11. April 1359 war Boccaccio in Mailand zu Besuch bei Petrarca (s. Fam. 20,6,7). 1360 erhält Petrarca von Boccaccio den ersten Teil der Pilatus-Übersetzung der Ilias. 1367 besuchte Boccaccio die Familie Petrarcas (Tochter, Schwiegersohn, Enkelin) in Venedig. In seinem Testament bedenkt Petrarca den Dichterfreund mit 50 Goldgulden für ein warmes Winterkleid.

In den Schreiben Petrarcas an Boccaccio klingt bisweilen ein etwas genervter Ton an, da der Jüngere offensichtlich sehr von Skrupeln geplagt ist, nicht als Dichter angesehen werden möchte (ein Bescheidenheitstopos, der sich auch bei Petrarca selbst häufig findet) und sich bei Petrarca aufwendig entschuldigt dafür, die volkssprachliche Dichtung Dantes zu loben. Boccaccio selbst hat seine wichtigsten Texte in der Volkssprache (Italienisch) verfasst und es mag dahin gestellt bleiben, ob er sich deswegen dem mühelos lateinisch schreibenden Petrarca gegenüber tatsächlich unterlegen fühlte oder ob er mit seinen Skrupeln dem Älteren nur schmeicheln wollte. Zweifellos waren seine Lateinkenntnisse durchaus beachtlich, unter dem Einfluss von Petrarca hat er sich ab den 1350er Jahren intensiv um das Lateinische und die Schriften der Antike, dann auch um das Griechische bemüht. Wie es scheint, hat er im Alter seine eigenen italienischen Texte als unmoralisch verurteilt. Einer Legende zufolge soll Petrarca ihn davon abgehalten haben, Teile davon zu vernichten.

Boccaccio war unehelich geboren und vom Vater, der bei einer florentinische Bankgesellschaft arbeitete, für einen Karriere als Kaufmann vorgesehen. Während seiner kaufmännischen und juristischen Ausbildung in Neapel bis 1340 erwarb er sich fundierte Literaturkenntnisse und verfasste auch schon einige eigene Werke, unter anderen das Kurzepos "La caccia di Diana" 1334, den Roman "Il Filocolo" (1336-1339) und den Grundstock zu seiner Gedichtesammlung "Rime". Sein Hauptwerk, den "Decamerone", schrieb er in Florenz 1348-1353. Also in der Zeit seiner ersten Begegnung mit Petrarca.

Boccaccio hatte eine früh verstorbene Tochter, die er mit Petrarcas Enkelin Eletta verglich. Berührend und im Blick auf das Verhältnis der beiden Dichter aufschlussreich ist der Brief Boccaccios an Petrarca von 1967, in welchem Boccaccio seine Begegnung mit Eletta in Venedig schildert (Epistola XV).


Karl IV.

Karl der IV. (1316-1378) war sicherlich eine der prägnantesten Persönlichkeiten der Zeit. Was sich schon daran ermessen lässt, dass er noch als deutscher König (vor der offiziellen Krönung zum "römischen" Kaiser) von Petrarca und Cola di Rienzo angerufen wurde, in Italien eine Republik zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund politisch-sozialer und kultureller Strukturanalogien von Frührenaissance und Aufklärung kann man einige Parallelen zu Friedrich dem Großen erkennen. Petrarca wäre dann der Voltaire Karls IV., oder anders Voltaire der Petrarca Friedrichs. Sicherlich dürfen solche Analogiebildungen nicht überstrapaziert werden - aber zur Heuristik der Rolle von Intellektuellen in markanten politischen Umbruchzeiten mögen sie hilfreich sein.

Doch zurück zu Karl IV. Geboren wurde er 1316 in Prag als Sohn des Königs von Böhmen aus luxemburgischem Haus und einer Tochter des böhmischen Königs Wenzel II. Sein Erzieher am französischen Königshof war Pierre Roger, der spätere Papst Clemens VI., der in Avignon residieren sollte. Karl war mit vier Frauen verheiratet, von denen drei sehr jung verstarben, und hatte neun Nachkommen.

Sein Großvater war Heinrich VII, der die Renovatio imperii (des deutsch-römischen Kaiserreiches) betrieb und von Dante zu einer italienischen Unternehmung im Sinne dieser Renovatio ermuntert wurde. Diese verlief wenig erfolgreich, Heinrich verstab 1313 in der Nähe von Siena an Malaria. Karl war zurückhaltender, verzichtete auf alle Reichsansprüche in Italien und wurde deshalb von Petrarca als unmännlich beschimpft ("Mannestugend ist kein erbliches Gut" - Brief vom Juni 1455 an Karl IV.). Zu seiner Kaiserkrönung am 05. April 1355 in Rom - durch einen Legaten des in Avignon residierenden Papstes Innozenz VI. - reiste er lediglich mit 300 Rittern an, ohne jeglichen realen Machtanspruch auf Italien. Unterwegs war er formal auch zum König von Italien gewählt worden, in Mailand am 06. Januar 1355. Bald nach der Kaiserkrönung reiste Karl, in den Augen Petrarcas fluchtartig (Fam. 19,12), im Juni zurück nach Prag. Unterwegs krönte er noch in Pisa Zanobi da Strada, einen Freund Petrarcas und Boccaccios, zum "Poeta laureatus". Insgesamt hatte Karl mehr als ein halbes Jahr in Italien verbracht, von Oktober 1354 bis Juni 1355.

Karls Politik war föderalistisch und städtefreundlich ausgerichtet, mit starken - modern gesprochen - rechtsstaatlichen Prinzipien. Als böhmischer König ließ er die "Malestas Carolina" (1355), als deutscher König die "Goldene Bulle" (1356) erarbeiten. Italienische Quellen, allen voran Matteo Villani, sahen in ihm allerdings vorwiegend einen Versager, der lediglich zum Geldeinsammeln nach Italien kam und dort von den mächtigen Familien düpiert wurde. Dieses Urteil übernahm auch Jacob Burckhardt, der in "Die Kultur der Renaissance" Karls Auftreten in Italien "eine der schmählichsten politischen Komödien" nennt (Burckhardt 2009, S. 30). Die "Propyläen Weltgeschichte" (Alec R. Myers, Band 5, S. 571) schreibt von einem "unritterlichen, geschäftsmännischen Charakter" Karls IV..


Clemens VI.

Geboren wurde der für Petrarca bedeutsame Papst als Pierre Roger de Beaufort 1290 oder 1291 auf dem Familiensitz der Beauforts in der heutigen Region Limousin. Er starb 1352 als Papst in Avignon.

1324 wurde er in Paris Erzieher des späteren Kaisers Karl IV. Zum Papst gewählt wurde der ehemalige Benediktiner 1342 von einer französischen Kardinalsmehrheit. Er ging zügig daran, den von seinem Vorgänger Benedikt XII. begonnenen großzügigen Neubau des Papstpalastes in Avignon voranzutreiben. Bald wurde ihm ein verschwenderischer Amtsstil vorgeworfen, er veranstaltete Festlichkeiten, die offensichtlich häufig in Orgien ausuferten und von Petrarca heftig kritisiert wurden, etwa in den Babylonischen Sonetten des Canzoniere und in den 19 Briefen der Kollektion "Sine nomine" (auch als "Sine titulo" bekannt). In Giovanni Boccaccios "Decamerone" werden die Zustände am Papsthof in Avignon unter der Ortsangabe "in Rom" in der zweiten Geschichte des ersten Tages beschrieben. Wieviel an diesen Invektiven auf realen Grundlagen und wieviel sich einem antifeudalen, gegen das französische Königtum gerichteten Impuls der beiden Autoren verdankt, ist nach Datengrundlage schwer zu entscheiden.

Aus Mailand schickt Petrarca im Frühjahr 1358 seinem Freund Franco Nelli einen Brief, der diesen zum Weggang aus Avignon bewegen soll. Darin prangert er die verkommenen Sitten der Avignoneser Kurie an, die offensichtlich auch nach dem Tod von Clemens VI. dessen Stil weiter pflegte, nun unter Innozenz VI., dem Nachfolger. Petrarca vergleicht in diesem Brief, den er in der Sammlung "Sine nomine" veröffentlichte, Avignon mit Babylon: "Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden". Diese heftigen Ausfälle sollen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Petrarca sich in verschiedenen Briefen um das Wohlwollen beider Päpste bemühte. An Clemens VI. schrieb er 1352, kurz vor dessen Tod, einen besorgten Brief mit medizinischen Ratschlägen (Fam. 5,19).

Papst Gregor XI., Neffe von Clemens VI., trug den gleichen Geburtsnamen, Pierre Roger de Beaufort, was gelegentlich zu Verwechslungen führt. Er wurde 1329 geboren und bereits mit 18 Jahren von seinem Onkel zum Kardinaldiakon ernannt. Sein Pontifikat begann 1370, nach zweitägigem Konklave. 1376/77 brachte er das Papsttum aus Avignon zurück nach Rom, nachdem er in Italien gewaltsam päpstliche Interessen durchzusetzen versucht hatte. Dort verstarb Gregor XI., höchst umstritten, 1378, ohne das Papsttum erneut in Rom verankert zu haben.


Cola di Rienzo

Cola di Rienzo (1313-1354) war Sohn eines römischen Tavernenwirtes. Nach dem Tod seiner Mutter zog der Zehnjährige zu einem Onkel in der Nähe von Anagni. Aufgrund seiner herausragenden schulischen Leistungen wurde er mit Zwanzig nach Rom zum Jurastudium geschickt. Dort machte Karriere er als Notar und Mitglied der römischen Volkspartei, unter anderem seines ungewöhnlichen rhetorischen Talentes wegen. Er heiratete die Tochter eines Notars. Ende 1342 entsandte ihn die neue römische Stadtregierung der "13 guten Männer" nach Avignon, um den dort residierenden Papst Clemens VI erneut (im Mai 1342 hatte eine noch von einem Colonna geleitete Delegation dies bereits versucht) zur Rückkehr nach Rom zu bewegen. Der Papst hatte kein Interesse an einer Rückkehr in das wenig ruhmreiche Rom der Zeit, zumal er dem französischen Herrscherhaus eng verbunden war. Die beiden römischen Familien Orsini (Guelfenpartei, kaisertreu) und Colonna (Ghibellinenpartei, papsttreu) hatten die Vermögensverhältnisse und die Infrastruktur der Stadt im Kampf um die Macht erheblich geschwächt. Der Papst ernannte di Rienzo 1344 zum Treuhänder des römischen Stadtschatzes und schickte ihn in dieser Funktion zurück nach Rom.

Cola di Rienzo war diese Funktion zu wenig. Er hatte hoch greifende politische Ziele und gründete eine Bewegung, die eine Herrschaft des Volkes nach idealisiertem antikem Vorbild in Rom errichten wollte. Feindbild zur populistischen Aktivierung der Bürgerschaft war der Stadtadel, den Cola sicherlich zu Recht für die Misere Roms verantwortlich machte. Am 20. Mai 1347 eroberte er das Kapitol und verkündete die Wiedergeburt der Republik. Hier, ganz im politischen Bereich, setzte das Konzept der Renaissance an! Ausformuliert erstmals von Petrarca in seinem Brief zur Verteidigung Cola di Rienzos an das römische Volk von 1353. Von seinen Getreuen ließ Cola sich zum Volkstribun ausrufen, im August ließ er sich zum Ritter/Cavaliere schlagen, mit dem Titel "candidatus Spiritus Sancti miles, Nicolaus severus et clemens, liberator Urbis, zelator Italiae, amator orbis et tribunus augustus".

Cola und seine Mitstreiter hatten offensichtlich zunächst auch Erfolg, schufen Rechtssicherheit, hielten die streitenden Familien auseinander, sorgten für eine funktionierende Verwaltung und Lebensmittelversorgung in der Stadt. Cola überwarf sich jedoch nicht nur mit dem Adel, sondern erklärte die Republik gegen mögliche Ansprüche von König/Kaiser (zwischen 1347 und 1355 gab es keinen päpstlich gekrönten Kaiser)  und Papst als selbstgegründet und legitimiert. Das führte die zerstrittenen Parteien zusammen im Kampf gegen ihn. Einen Aufstand der Adelsanhänger, die 5000 Mann auf die Beine stellen konnten, schlugen seine Anhänger nieder. Doch dann verhängte der Papst den Bann über di Rienzo, was ihn auch bei Teilen seiner Anhänger untragbar machte. Er floh noch Ende 1347 aus Rom und lebte zweieinhalb Jahre zurückgezogen in den Abruzzen. 1348 wütete die Pest in Rom und anderen europäischen Städten. Ihr fielen auch Petrarcas "Laura" und der Kardinal Giovanni Colonna zum Opfer. Im Juli 1350 reiste di Rienzo zu König Karl IV nach Prag, um diesen zur Übernahme der Macht in Italien und zur Installation einer neuen Republik mit Rom als Zentrum zu überreden. Aus heutiger Sicht eine irritierende Vorstellung (am ehesten vergleichbar mit der Rolle, die in Transatlantiker-Kreisen den USA zugesprochen wird), aber historisch naheliegend und in intellektuellen Kreisen weit verbreitet - siehe etwa Dantes Brief von 1311 an Heinrich VII. (mit fatalem Ausgang für letzteren - er starb 1313 auf seiner Italien-Mission). Auch Petrarca hatte ähnliche politische Vorstellungen, die er in einem Brief von 1351 an König Karl IV. (ab 1355 Kaiser) formulierte. Cola di Rienzo wurde jedoch zunächst vom König an den Papst ausgeliefert, der ihn als Ketzer anklagen wollte. In Avignon angekommen wandte sich Cola um Unterstützung an Petrarca, der in Vaucluse weilte, sich aber umgehend für den Kameraden einsetzte. Unterdessen starb Clemens VI. und der neue Papst Innozenz VI. hob den Prozess auf, schickte Cola stattdessen 1353 nach Rom, wo er auf Verlangen der römischen Stadtverordnung wieder die Regentschaft übernahm. Nach einem Putsch der Colonna wurde Cola di Rienzo 1354 erschlagen.

Bereits 1343 war Petrarca in Avignon mit Cola di Rienzo zusammengetroffen, bei dessen Papstmission. Beide waren sich einig im Anliegen, die römische Republik zu erneuern und Italien zu einigen. Petrarca hat sich offenkundig auch schon früh beim Papst für Cola eingesetzt, der von Kardinal Giovanni Colonna als aufrührerischer Geist angeschwärzt worden war. Nach ihrer ersten Begegnung tauschten die beiden Republikaner regelmäßig Briefe aus, in denen sie sich ihrer wechselseitigen Wertschätzung (in seinem ersten Schreiben vergleicht Petrarca Cola mit einem "Gott") und ihrer gemeinsamen Hoffnungen auf ein geeintes Italien unter einem erneuerten Rom versicherten. Nach dem erfolgreichen Aufstand schrieb Petrarca im Juni 1347 an Cola und das römische Volk einen Hymnus der Freiheit ("ihr habt gelebt als Sklaven, ihr, denen einst alle Nationen dienten"), verbunden mit der Ermahnung, sich der römischen Geschichte nun würdig zu erweisen und - nota bene - regelmäßig die christlichen Sakramente zu empfangen, wie dies ein edler Römer, lebte er heute, auch täte. In diesem Brief titulierte Petrarca die großen römischen Familien (darunter die Familie der Colonna) als Eindringlinge und Räuber. Es liegt auf der Hand, dass sich Petrarca damit am Papsthof in Avignon zunehmend isolierte. Zur Familie der Colonna gehörten seine größten Förderer - und nun machte er gemeinsame Sache mit deren mächtigstem Feind in Rom! Etwas entschärft wurde der Konflikt durch den Tod des Kardinals im Pestjahr 1348. Und natürlich gab es auch in Avignon genügend starke Feinde der Colonna und andere Unterstützer Cola di Rienzos (in durchaus auch eigenem Interesse), die Petrarcas Position teilten.

Lektüreempfehlung: Mario Emilio Cosenza, Francesco Petrarca and the Revolution of Cola di Rienzo, 1913 (Internet Archive)


Die Familie der Colonna

An der Universität Bologna machte Petrarca in den 20er Jahren die Bekanntschaft der Brüder Giacomo, Agapito und Giordano Colonna. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt Avignon pflegte er die Freundschaft mit Giacomo Colonna weiter, der in mit Giovanni Colonna (1295-1348, Kardinal ab 1327) bekannt machte, der Petrarca unter Dienst nahm und ihm u.a. Reisen nach Paris und Köln 1333 ermöglichte.

1337 lernt Petrarca bei seiner ersten Romreise Stefano Colonna (il Vecchio) kennen, das Haupt der Familie, Vater des Kardinals Giovanni. Dieser hielt auch die Lobrede zur Dichterkrönung Petrarcas 1341 in Rom. Es gilt heute als gesichert, dass ohne den Beitrag der Familie Colonna dieses Krönungsfest nicht stattgefunden hätte. Den Kardinal Giovanni Colonna hatte Petrarca 1340 brieflich um einen Rat gebeten, welches Angebot zur Dichterkrönung, das aus Paris oder das aus Italien, er annehmen solle.

In seinem Brief an Cola und das römische Volk von 1347 fordert Petrarca den Freund auf, die trügerische Liebe zu denen, die seine Tyrannen sind, aus seinem Herzen zu verbannen. Dürfen wir hierin auch ein Selbstbekenntnis Petrarcas im Blick auf sein Verhältnis zu den Colonna, insbesondere seinen Förderer Giovanni Colonna, lesen? Bezeichnet ist sein Bild vom Vogel im Käfig, der süße Lieder singt für seine Besitzer. So heißt es in Var. 48: "der gefangene Vogel plaudert seinem Besitzer etwas vor". Bekannt ist auch der Bericht von einer Festlichkeit der römischen Adelsfamilien, zu der Cola di Rienzo geladen war. Dabei wurde Cola offensichtlich als eine Art Hofnarr behandelt, u.a. von den Mitgliedern der Familie Colonna. Es ist denkbar, dass auch Petrarca ähnliche Erfahrungen hatte machen müssen.

Wie zwiespältig das Verhältnis Petrarcas zu den Colonna war, lässt sich auch aus dem "Trostbrief" von 1348 an den Kardinal Giovanni Colonna ermessen. Beim Aufstand gegen die Regierung von Cola di Rienzo 1347 hatte die Familie an der Porta S. Lorenzo Stefano Colonna den Jüngeren (Bruder des Kardinals Giovanni) und dessen Sohn Giovanni sowie weitere Familienmitglieder verloren. Petrarcas Trostbrief war eloquent und ausgeschmückt mit antiker Trostrhetorik. Wie aufrichtig er war, muss dahin gestellt bleiben. Schließlich hat Petrarca bis zuletzt Cola di Rienzo verteidigt und dessen politischer Programmatik beigepflichtet. Man bedenke auch, dass Petrarca im Juni 1347 einen enthusiastischen Brief an Cola di  Rienzo und das römische Volk geschrieben hatte, in welchem er die streitenden römischen Familien als Eindringlinge und Räuber charakterisierte. In der Tat waren die Colonna wohl erst im 11. Jahrhundert von ihren Besitztümern am Rande der Albaner Berge nach Rom gekommen. Bei den Orsini handelte es sich jedoch um eine römische Familie, die bereits im 8. Jahrhundert einen Papst stellte.

Ein späteres Mitglied der Familie Colonna, Vittoria (1492-1547), begründete den weiblichen Petrarkismus.


Petrarcas Katze

Petrarcas Wohnhaus in Arquá bei Padua, in welchem er die letzten vier Lebensjahren gemeinsam mit der Familie der Tochter verbrachte, wurde bald nach seinem Tod zu einem Ort der Petrarca-Verehrung und sukzessive zum Museum. Dort befindet sich auch die angebliche Mumie der Katze Petrarcas in einem nach 1603 durch einen Nachbesitzer, Girolami Gabrielli, eingerichteten Grab, untergebracht im "Venuszimmer", die Pforte zu Petrarcas Arbeitszimmer "bewachend". Später wurde das Katzengrab verlegt und es befindet sich nun im "Stanza della gatta" genannten Raum. Eine Analyse der Mumie ergab, dass sie aus dem 17. Jahrhundert stammt.

Zum Grab gehört eine Tafel mit zwei Epigrammen, die Antonio Querenghi (1546-1633) zugeschrieben werden. Der humanistische Diplomat, Büchersammler und Autor der Spätrenaissance war Freund und Anreger unter anderem Torquato Tassos und Galileo Galileis. Geboren in Padua verbrachte er sein Leben überwiegend in Padua und Rom. Das Petrarca-Museum bei Padua war intellektueller Wallfahrtsort seiner Jugend, doch von der Petrarca-Verehrung seiner Zeit distanzierte er sich auch kritisch-ironisch, unter anderem mit diesen beiden Epigrammen. Der schwäbische Autor Johann Christoph Friedrich Haug (1761-1829) übertrug das erste der Epigramme Querenghis verkürzt ins Deutsche:

Petrarcha liebte Lauren sehr,
Mich, seine Katze, dennoch mehr!
Sie war nur schön, ich treu!
Sie schaffte, daß er Lieder schrieb;
Durch meine stillen Thaten blieb
Sein Buch von Mäusen frei.

Im Werk und den Hinterlassenschaften Petrarcas gibt es hierzu allerdings keine Belege. Ganz im Gegenteil beklagt Petrarca in seinem Brief an den Freund Socrates/Ludwig van Kempen vom 13. Januar 1350 den Verlust vieler Schriften an die Mäuse. Was ein Motiv für die Anschaffung einer Katze im Gefolge gewesen sein mag - aber vielleicht auch nur Anlass für die Epigramme Querenghis, in Zusammenarbeit mit dem Katzen(mumien)besitzer Girolami Gabrielli, dem damaligen Besitzer des Petrarca-Anwesens.

Der Freiburger Germanist (Nebenfach im Studium: Italianistik) Achim Aurnhammer hat sich in humorvoll-entspannter, aber durchaus auch wissenschaftliche Manier mit dem Thema beschäftigt und die Epigramme in Bezug gesetzt zu mittelalterlichen Tier-Heiligenlegenden und antiken sowie barocken Tierepigrammen.

Lektüreempfehlung: Achim Aurnhammer, Petrarcas Katze. Die Geschichte des kätzischen Petrarkismus, 2005


Vaucluse

Das "geschlossene Tal", die Vaucluse in der Provence, Namensgeber für eine ganze Provinz, ist auch heute noch ein beeindruckendes Naturwunder. Am Ende des Tales erheben sich die Felsenabbrüche des Vaucluse-Plateaus. Zu ihren Füßen entspringt 230 Meter unter dem Plateauniveau die Quelle der Sorgue, die nach Schüttung fünftgrößte Quelle auf der Welt. Ihr Wasser stammt unter anderem aus dem Untergrund des Mont Ventoux. Der Ort Fontaine-de-Vaucluse hat heute etwa 700 Einwohner und beherbergt das Petrarca-Museum - im ehemaligen Wohnhaus Petrarcas, in welchem er von 1337 bis 1353 (mit einer längeren Unterbrechungen) lebte. Gerne wird in der Literatur (mit Bezug auf Petrarcas Selbststilisierung im "Brief an die Nachwelt") von einer "Einsiedelei" geschrieben, dem war gewiss nicht so. Das Tal ist eng, aber es weitet sich immer wieder zu den charakteristischen Wiesenformationen zwischen Felsenwänden und Fluss, die Petrarca literarische zu den Zeugen seiner "Seufzer" machte. Und es ermöglichte zahlreiche Wirtschaftsweisen, als Viehzüchter, Fischer und Müller, um nur diese drei zu nennen. Seit dem 10. Jahrhundert gab es am Talende eine Klosterbruderschaft. In der Burganlage aus dem frühen 11. Jahrhundert residierte der mit Petrarca befreundete Bischof von Cavaillon. Darüber hinaus dürfte Petrarca nicht der einzige Stadtflüchtling aus dem nahen Avignon gewesen sein, schließlich lag Vauclus nur "15.000 Schritte von Avignon entfernt" ("Brief an die Nachwelt"). Ob auch die Nähe zum Familienschloss der de Sade ein Grund für die Übersiedelung an die Quelle der Sorgue war, muss dahin gestellt bleiben. Dafür spricht, dass er den Wohnsitz kurz nach Lauras Tod verlässt. Allerdings hat die Pest auch seinen Vertrauten in Avignon, den Kardinal Colonna getötet und es gab auch andere Gründe (etwa seine Sympathien für Cola di Rienzo), sich von Avignon zu entfernen und seinem neuen Gönner Giacomo de Carrara in Padua anzuschließen.

Petrarca beschreibt die Quellgrotte und nennt die Sorgue in verschiedenen Gedichten des Canzoniere. In CCLIX heißt es "anchor m’avria tra’ suoi bei colli foschi/Sorga, ch’a pianger et cantar m’aita". Und in CCLXXXI schreibt er, er sehe Laura "Or in forma di ninpha o d’altra diva/che del piú chiaro fondo di Sorga esca". Auch an anderen Stellen, wenn er von Flüssen oder Quellen schreibt, dürfen wir die Sorgue im Hintergrund mitlesen. Etwa wenn er in Canzoniere XXIII, in der Canzone "Nel dolce tempo de la prima etade", klagt "e quasi in ogni valle/rimbombi il suon de’ miei gravi sospiri". In diesem Text verschmelzen als Hintergrund die Ufer des mythologischen Peneo und der realen Sorgue. Ähnliches gilt für CCLXXX, mit den Zeilen "né già mai vidi valle aver sí spessi/luoghi da sospirar riposti et fidi". An einer anderen Stelle bezeichnet Petrarca die Sorgue als "Königin aller Bäche" (An die Nachwelt).

Um Missverständnissen zu begegnen: Ich möchte Petrara hier nicht zum Heimatdichter machen, der die Schönheit und Faszination des Sorgue-Tales beschreibt. Das wäre weit gefehlt und unhistorisch gedacht. Tatsache ist allerdings, dass Petrarca die Texte des Canzoniere zu einem Großteil wohl in Fontaine-de-Vaucluse (das damals noch nicht so hieß) schrieb. Und Tatsache ist auch, dass Naturbilder zahlreiche Texte des Canzoniere grundieren, wobei wir uns häufig in Talwiesen finden. Man mag darin eskapistische und kompensatorische Tendenzen sehen - Petrarca schrieb weite Teile des Canzoniere in den Jahren, in denen Cola di Rienzo die politischen Geschicke Italiens entscheidend prägte. Parallel arbeitete er an der Sammlung "De viris illustribus", Biographien geschichtsprägender Römer.


Avignon

Karlheinz Stierle hat in seiner Petrarca Biografie "Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts" nachdrücklich formuliert, Avignon sei die europäische Hauptstadt des 14. Jahrhunderts gewesen, nicht Rom oder Paris. Man darf hier die Frage nach dem Maßstab stellen - die Einwohnerzahl war es sicherlich nicht und die politische oder wirtschaftliche Macht wohl auch kaum. Bleibt die kulturelle Bedeutung, wobei auch hier Fragezeichen erlaubt sind, mit Blick auf die Universitäten von Bologna und Konstantinopel oder die Kunstentwicklung in Venedig (größte europäische Handelsmacht der Zeit). Doch eines ist gewiss, für das westliche Christentum spielte Avignon eine größere Rolle als Rom und das französische Königshaus sah in Avignon einen möglichen Zugang zur Herrschaft über Italien insgesamt.

Zwischen 1309 und 1376 hatten die Päpste ihren Sitz in Avignon. Hintergrund war die starke Stellung des französischen Königs. Die französischen Herrscher hatten im 13. Jahrhundert ein stabiles Machtsystem errichtet und König Philipp IV. griff zunehmend in die Verwaltungshoheit der Kirche ein, wollte Bischöfe einsetzen und den Klerus besteuern. Der 1295 eingesetzte Papst Bonifaz VIII. (Benedetto Gaetani) war bestrebt, die Stellung der Kirche nicht nur zu halten, sondern die weltliche Macht des Papsttums auszuweiten. Bonifaz setzte sich auch brachial gegen heimische Gegner innerhalb Roms durch, die ihren eigenen Machtbereich gefährdet sahen, insbesondere die Familie Colonna, die er teilweise enteignete und von denen zwei ehemalige Kardinäle Zuflucht am französischen Hof suchten. Sicherlich mit ein Grund für das ambivalente Verhältnis der beiden nachfolgenden Päpste zum Colonna-Gegner Cola di Rienzo.

Der Konflikt zwischen den Ansprüchen von Bonifaz VIII. und Philipp IV. eskalierte in einem Attentat auf den Papst und seiner Gefangennahme 1303. Kurz darauf verstarb der Papst. Sein Nachfolger Benedikt XI. stirbt wenige Monate nach seiner Wahl. 1305 wurde mit massiver Einflussnahme durch Philipp IV. in Perugia Clemens V. (Raymond Bertrand de Got) in einem elfmonatigen Konklave zum Papst gewählt - durch Kardinäle, die in der Mehrzahl von Bonifaz VIII eingesetzt waren. Eine seiner ersten Amtshandlung war die Ernennung zahlreicher Franzosen zu Kardinälen. 1309 macht Clemens Avignon zur Papstresidenz. Er war der erste einer Folge von sieben französischen Päpsten, die in Avignon residierten. Der letzte war Gregor XI. (Roger de Beaufort, ein Neffe von Clemens VI.), der 1376 den Papstsitz wieder nach Rom zurückverlegte. Bis 1423 gab es allerdings noch (mit Unterbrechungen) Gegenpäpste in Avignon.

Petrarcas Vater war Parteigänger von Clemens V., des Papstes also, der die Residenz von Rom nach Avignon verlegt hatte. Für Petrarcas Leben und Werk relevant war die Amtszeit von Clemens VI., eines Benediktiners, der zwischen 1342 und 1352 die Residenz prächtig ausbaute und mit großem Pomp einen feudalen Lebensstil pflegte. Die "Babylonischen Sonette" Petrarcas mit deutlicher Kritik am Papsttum in Avignon sind vor diesem Hintergrund zu lesen. Wenngleich sicherlich die Rom-Idee Petrarcas von einer Wiederbelebung der antiken Republik auch seine Avignon-Ablehnung mit prägte. In den "Babylonischen Sonetten"  (Canzoniere-Texte CXIV, CXXXVI, CXXXVII, CXXXVIII) charakterisiert Petrarca Avignon als Sündenpful, "Hure Babylon" und Hort aller denkbaren Verfehlungen. In einem Brief aus Mailand von 1358 an den Freund Francesco Nelli, den Petrarca dazu bewegen möchte, Avignon zu verlassen, wird der Autor noch drastischer in seinen Formulierungen - wie überhaupt die Briefesammlung "Sine nomine", die diesen Brief enthält, primär der Kritik des Papsttums in Avignon gewidmet ist.


Rom

Rom zu Petrarcas Lebenszeit, das war nicht das unumschränkte Zentrum päpstlicher Macht wie - mit gelegentlichen Abstrichen - davor seit Pippin und danach wieder ab dem 15. Jahrhundert. Die Verlegung der Papstresidenz nach Avignon 1309 hatte Rom auch wirtschaftlich geschwächt, politisch war es ohnedies schon bedeutungslos geworden, eingeklemmt zwischen dem Königreich Neapel im Süden und den erstarkenden italienischen Stadtstaaten im Norden.

Die Einwohnerzahl lag zwischen 30. und 40.000 - Florenz und Mailand waren um den Faktor 2.5 bis 3 größer. Petrarcas Dichterkrönung 1341 (in römisch-antiker Tradition) wurde bezeichnenderweise vom König von Neapel, Robert von Anjou (1278-1343), verfügt und nur auf Petrarcas ausdrücklichen Wunsch in Rom zelebriert - der König war in Form eines Mantels, den er davor beim dreitägigen "Examen" Petrarca in Neapel geschenkt hatte, anwesend.

"Rom" war für Petrarca die Formel für eine Einigung Italiens nach den Vorbildern des französischen Königreiches und des Sacrum Romanum Imperium - auf republikanischer Grundlage. Als Initianten und Garanten dieser Einigung sah Petrarca zunächst den "Volkstribun" Cola di Rienzo, dann Karl den IV. und immer wieder auch das Papsttum, insbesondere mit Papst Urban V., den er 1364 gemeinsam mit Kaiser Karl IV., Giovanni Boccaccio und Birgitta von Schweden in Avignon aufsuchte, um ihn zur Rückkehr nach Rom zu bewegen.

Die Personifikation "Roma" tritt bei Petrarca in Briefen an Clemens VI. und in einem Schreiben an Karl IV. (Fam. 10,1) als trauernde Greisin auf. Mit diesem Bild wollte Petrarca zur "männlichen" Beschützertat auffordern und es erstaunt vor diesem Hintergrund nicht, mit welcher Direktheit er Karl IV. der Unmännlichkeit und Feigheit bezichtigte, als dieser es vorzog, nach seiner Kaiserkrönung in Rom 1355 Italien wieder zu verlassen und keineswegs entsprechend dem Petrarcaschen Wunsch nun mit hartem Regime die italienischen Stadtstaaten und zerstrittenen Familienclans in ein gemeinsames Italien zu zwingen.

Eine bemerkenswerte, allerdings sehr verhaltene, Kritik an der Rom-Idee, zumindest ihrer historischen Grundlage, artikuliert Petrarca in seinem Brief an den Kardinal Giovanni Colonna, seinen Förderer, über die Köln-Reise 1333. "Zu Rom tönt der Räder und Waffen Gelärm und das Seufzen der Gefangenen, dort aber herrscht Ruhe und Freude, dort erklingen Stimmen von Scherzenden, zu Rom schreitet im Triumph der Kriegsfürst herein, dort der Friedensfürst."


Antike Mythologie

Die Antike war für Petrarca in ganz unterschiedlichen Bereichen Bezugspunkt, Legitimationsinstanz, Inspirationsquelle und Fundus. Die Bedeutung des antiken Rom für seine politischen Konzeptionen wurde gerade angesprochen. Jetzt geht es um die Funktion antiker Mythologeme für seine literarische Produktion.

Andreas Kablitz schreibt 2003: "Dass Petrarca den antiken Mythos aus seiner mittelalterlichen babylonischen Gefangenschaft in der Allegorese herausgeführt und befreit habe, gilt als eines seiner besonderen historischen Verdienste." Dabei griff Petrarca, Kablitz zufolge, der sich wiederum auf Alfred Noyer-Weidner bezieht, Tendenzen der volkssprachlichen Literaturentwicklungen auf und nutzte zugleich den Beitrag der Mythenallegorese zur Ablösung der Mythologeme vom historisch-narrativen Kontext, womit sie als gehaltvoll isolierbare Bausteine einer neuen, mit gebührenden Einschränkungen individualpsychologisch zu nennenden Mythologisierung dienen können.

Es fällt auf, dass Petrarca sich in seinem Canzoniere insbesondere antiker Mythologeme bediente, die dem Motivkomplex der Verwandlung, Transformation, Metamorphose angehören. Damit kann er einerseits dem Bedürfnis des Publikums nach interessanten Bildern entsprechen, andererseits aber auch seinem eigenen Gelehrsamkeitsanspruch gerecht werden. Zudem ermöglicht ihm dieser Zugriff auf den antiken Bilderbestand, komplexe psychische Prozesse mit zuhandenen Modellen kommunizierbar machen.

Wie sehr er dabei von den vorgegebenen Modellen abweicht, diese gleichsam dekonstruiert, zeigt etwa der Einsatz des Daphne-Mythos in Text VI des Canzoniere, dem sechsten Sonett. Das Ich wird hier zu Apollo, der allerdings nicht Herr seiner selbst ist, sondern dem Antrieb des Begehrens folgt. Dieses Begehren wird als ungezügeltes, nicht zu haltendes Pferd skizziert, ähnlich dem schwarzen Seelenpferd Platons oder den Pferden des Sonnenwagens, die von Phaëton nicht gezügelt werden können. Laura entzieht sich in der ersten Strophe leichtfüßig, ohne Furcht, um in der letzten Strophe, wie der Igel dem Hasen, als Lorbeerbaum zu erscheinen, der dem Verfolger nur bittere Früchte bietet.

Lektüreempfehlung: Andreas Kablitz, Laura und die alten Mythen, in: Klaus Hempfer/Gerhard Regn (Hrsg.), Petrarca-Lektüren, 2003, S. 69-96


Christentum

Das Christentum befand sich im  14. Jahrhundert in einer heftigen Krise, die sich unter anderem im Streit um den Sitz des Papstes zeigte, mit Papstresidenzen bzw. Nebenpäpsten unter anderem in Neapel und vor allem Avignon. Konstantinopel hatte sich eine starke Eigenständigkeit als Ostkirche erarbeitet, war allerdings gefährdet durch das Osmanische Reich. An der Basis gab es massiven Unmut über die teilweise luxuriöse Lebensführung der kirchlichen Amtsinhaber und die Griffe nach weltlich-politischer Macht.

Die Haltung Petrarcas zum Christentum ist extrem zwiespältig. Er war, dank Kardinal Giovanni Colonna, selbst Mitglied der Kurie - hat dies aber lediglich insofern gelebt, als er seine entsprechenden Pfründe nutzte. Seine Texte greifen zwar immer wieder christliche Themen und Motive auf, jedoch in einer Einbettung, die teilweise "heidnisch"-antike Züge aufweist, teilweise auf philosophisch-epikureische Positionen sich stützt.

Bezeichnend ist etwa sein Brief von 1336 über die berühmte Wanderung auf den Mont Ventoux. Er zitiert zwar mit etwas schlechtem Gewissen Augustinus, dessen "Confessiones" er im Taschenbuchformat ("faustgroß") mit dabei hat, erklärt dann aber auch gleich, er habe die Ermahnungen des Augustinus auch "von den Philosophen der Heiden" lernen können, dass nämlich nichts (auch Berge nicht) bewunderungswürdiger sei als die Seele. In seinem "Secretum meum" tritt Petrarca in einen fiktiven Dialog mit Augustinus zu seiner Lebensführung. Bis zuletzt beharrt er in diesem Text auf seinem Recht, zu irren; beharrt er darauf, seine Schwächen (Ruhmsucht, sinnliches Begehren) zu leben.

Die Frührenaissance gilt als Epoche mit starken strukturellen Parallelen zur Aufklärungszeit. Neuzeitliches Denken habe die mittelalterliche Scholastik abgelöst, der Rekurs auf antikes Wissen und antike Philosophie habe die religiös-kirchliche Prägung gelockert, gar ersetzt. Petrarcas Canzoniere wird auch gelesen als Verdrängung einer an christlicher Agape orientierten Liebeskonzeption durch eine antike Eros-Konzeption.

Expressis verbis hat Petrarca sich allerdings öffentlich stets zu Christentum und Kirche bekannt. Selbst in seinem durchaus aufrührerisch zu verstehenden Brief an Cola und das römische Volk Mitte Juni 1347 (Var. 48) mahnt Petrarca wiederholt zu Gebet und Kirchentreue. In seinem Testament empfiehlt er sich in keineswegs nur rhetorisch zu verstehenden Wendungen Christus, Maria und den Heiligen. Ausdrücklich verfügt er auch ein bescheidenes Begräbnis - mit sehr genauen Angaben, in/bei welchen Kirchen er begraben sein möchte. Die Bescheidenheitsgeste dürfen wir nicht überbewerten, was die Angaben zu seinem Begräbnisort betrifft, sollte man den interessanten Passus bei Jacob Buckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Kapitel "Der moderne Ruhm" zu Petrarca lesen!


Ehe und Sexualität

Wenig bekannt sind die eher autobiographischen Stellen in Petrarcas Werk, die Ehe und Sexualität thematisieren. So schreibt Petrarca in seinem unvollendeten, häufig einschlägig zitierten Brief an die Nachwelt von 1370/71, "seit meinem 40. Lebensjahre, da ich noch genug Leidenschaft und Kraft besaß, habe ich nicht nur jede unzüchtige Tat, sondern auch jeden Gedanken daran so fern von mir gehalten, als hätte ich nie ein Weib angeschaut". Und einige Zeilen weiter bezeichnet er die Sexualität als eine "mir immer verhaßte() Sklaverei". Seinen 40. Geburtstag feierte Petrarca 1344 - ein Jahr zuvor war seine uneheliche Tochter Francesca zur Welt gekommen. Zwischen 1342 und 1353 entstehen die drei Bücher "De secreto conflictu curarum mearum", in denen Petrarca sich mit dem fiktiven Augustinus unter anderem um den "Wahnsinn" seiner Beziehung zu Laura streitet. Sein Bekenntnis zum Abschied von der Sexualität könnte also auch als Topos in der Augustinus-Nachfolge gelesen werden, auch wenn Augustinus weit früher als Petrarca, im 32. Lebensjahr, seinen Lebenswandel (nach Auskunft der Confessiones) umkehrte. Im Alter von 32 Jahren zeugte Petrarca seinen unehelichen Sohn Giovanni, dieses Wendedatum war ihm also verwehrt. Sechs Jahre später kam seine Tochter Francisca zur Welt. Allerdings gibt es auch beim späteren Datum, mit 40 Jahren, Ungereimtheiten. Im Canzoniere, Sonett 230, Text CCLXXI, bekennt der Autor, den wir hier nicht als distanziertes "lyrisches Ich" verstehen können: "e di nova esca un altro foco acceso". Wobei er ausdrücklich erklärt "E se non fosse esperienza molta/de' primi affanni, i' sarei preso ed arso/tanto più quanto son men verde legno" - also gerade seines Alters wegen ("son men verde legno" - mit 44) hätte er sich nach diesem Bekenntnis auf eine Beziehung eingelassen. Wäre er nicht durch negative Erfahrungen gewarnt gewesen. In einem Brief an den Bruder Gherardo, Kartäuser in Montrieux, schreibt er am 11. Juni 1352: "Drittens fürchte ich den Umgang mit einer Frau, ohne den ich bisweilen nicht leben zu können meinte, nun stärker als den Tod. Und obwohl ich oft von heftigsten Versuchungen geplagt werde, verfliegen diese sogleich, wenn ich mich frage, was eine Frau denn sei, und dann finde ich rasch zu meiner Freiheit und Ruhe zurück." Im gleichen Brief erklärt er dem Bruder "Was bedeutet denn ein irdischer Vater ausser verächtlichem Same und was bedeutet eine Mutter ausser widerlicher Behausung?"

In "De vita solitaria" schlägt Petrarca einen ähnlichen Ton an wie in "De secreto conflictu curarum mearum". Seine "Vita solitaria" entsteht überwiegend 1346 in der Vaucluse und wird bis 1356 von Petrarca erweitert und überarbeitet. Er thematisiert im ersten Buch vor allem die Enthaltung von wirtschaftlichem und politischem Engagement. Im zweiten Buch erklärt Petrarca blank, wie angenehm Adam im Paradies lebte, ehe Eva geschaffen wurde. Keine sehr sympathische Einlassung, die ein fahles Licht auf seinen "Canzoniere" und das darin vertretene, in der Rezeption oft gefeierte Prinzip einer nobel entsagenden Liebe wirft. In Petrarcas letztem Werk, "De remediis utriusque Fortunae", entstanden zwischen 1360 und 1366, gibt es einen lebhaften Dialog zwischen Ratio und Gaudium über die Vor- und Nachteile der Heirat (I, 65 - De coniugii claritate). Wobei Petrarca erneut das zölibatäre Leben als erstrebenswert herausstellt.

Lektüreempfehlung: Eckard Lefèvre. Ehesatire bei Francesco Petrarca, in: Ulrike Auhagen u.a. (Hrsg.), Petrarca und die römische Literatur, 2005


Sinnlichkeit und Begehren

Der Canzoniere gilt als wesentliches Gründungsdokument der bürgerlichen Liebeslyrik - "bürgerlich" im Unterschied zum Minnesang, der noch in der Tradition höfischer Lob-, Preis- und Schmeichelrede einerseits, anzüglicher Volksdichtung andererseits stand. Die im Canzoniere anklingende erotische Komponente bezieht sich auf Körperphänomene wie Augen und Haar, sanfte Stimme, vage Berührungen. Doch sind diese so weit zurückgenommen, dass in der Literatur häufig von einer platonischen Beziehung des lyrischen Ichs und auch des Autors zur geliebten Laura die Rede ist. Unübersehbar sind allerdings auch Stellen, die nach heutiger Auffassung höchst unplatonisch und befremdlich anmuten, an Stalking gemahnen (allerdings erscheint in diesem Lichte dann auch der Minnesang als Stalking). Dass solche Stellen durchaus einen konkreten Hintergrund haben könnten, legt Petrarca selbst nahe, wenn er in "Secretum meum" die Liebe zu Laura immer wieder als Abweichen vom rechten Weg, als Laster, Wahnsinn, Besessenheit tadelt. Erinnert sei auch daran, dass Petrarcas Rückzugsort in der Vaucluse nur fußläufig entfernt vom Stammsitz der Familie de Sade lag. Und vor dem Hintergrund der Schrift "Secretum meum" darf gefragt werden, welche konkreten Beziehungserfahrungen und -bilder sich in Canzoniere CLXXXIII artikulieren, wo der Autor die verehrte Laura pikiert karikiert mit: "Femina è cosa mobil per natura;/ond' io so ben ch' un amoroso stato/in cor di donna picciol tempo dura." In CCXXV beschreibt er, wie er Laura mit zwölf Gefährtinnen beobachtet. Dabei könnte es sich um eine Phantasievorstellung handeln, der Text lässt dies um Unklaren. Aber die Stellen, in denen er konkrete Begegnungen zu beschreiben angibt, sind zahlreich. Und häufig beklagt er sich darüber, dass die Geliebte ihn ignoriere, sich abwende. Dann spricht er gelegentlich gar von "Rache", "vendetta", die er nehmen möchte. Etwa in XCIV, CXXI, CCI oder CCLVI. Dabei bittet er in CXXI, einem Madrigal, den Gott Amor darum, Rache für sie beide zu nehmen. Bemerkenswert ist auch die Canzone XXIII mit der Geschichte des Liebesverhältnisses, die zahlreiche Bilder von Verfolgung und Jagd aufbietet.

Im zweiten Buch von "Secretum meum" bekennt Franciscus (Petrarca), er werde "von so vielen fleischlichen Trieben aufgewühlt" (S. 289) - präsentisch formuliert und damit auf das Jahr 1343 zu beziehen. Im dritten Buch wirft Augustinus dem Francisus (Petrarca) vor, in seiner Liebe zu Laura durchaus den Körper gemeint zu haben (S. 320), sinnlich begehrt zu haben (S. 318, 323). Mehr noch, Augustinus deutet an, Franciscus sei nur zur platonischen Liebe geführt worden, weil er nicht bekommen konnte, was er wollte. Explizit macht Augustinus diese Deutung im zweiten Buch mit Blick auf Petrarcas Zurückweisung des Vorwurfs, habgierig zu sein (S. 286f) und mit Verweis auf Petrarcas Ruhmsucht (S. 287f).

Was aber wollte Petrarca von seiner Laura? Haben diejenigen Recht, die hinter Laura den "lauro" sehen, den Lorbeer der Dichter? Jene, die reine Fiktion am Werke sehen, ohne realen Antrieb, reale Erfahrung oder auf Realität sich richtende Sehnsucht? Man möchte es fast wünschen für den Autor, den Menschen Petrarca. Denn es fällt schwer zu verstehen, dass er eine Frau begehrt haben soll, die ihm das Gegenteil der von ihm beständig gepriesenen "vita solitaria" vorlebte und abgefordert hätte - eine Frau, die etwa alle zwei Jahre entbunden hat, also immer wenn Petrarca ihr - sofern wir eine reale Grundlage annehmen müssen - begegnete, entweder schwanger war oder gerade ein Kind geboren hatte? Was konnte Petrarca da suchen - und finden? Worin begegnen sich Laura und der Petrarcasche Eros?

Giorgio Agamben schreibt in "Stanze" im sechsten Kapitel, an der einzigen Stelle, wo er Petrarca erwähnt, über die unmittelbaren Vorgänger Petrarcas: "L'eredità che la lirica amorosa del '200 ha trasmesso alla cultura europea non è, perciò, tanto una certa concezione dell'amore, quanto il nesso Eros-linguaggio poetico, l'entrebescamen di desiderio, fantasma e poesia nel topos outopos del poema." Ortlos-utopisch wäre diese Erotik, die das Objekt ihres Begehrens in Poesie transformiert. In Verdrehung einer bekannten Bibelsentenz ließe sich sagen "und das Fleisch ist Wort geworden".


Sexualmoral

Freizügigkeit in sexuellen Angelegenheiten war offenkundig zur Zeit Petrarcas die Norm, davon künden zahlreiche Dokumente der Zeit (etwa Boccaccios Decamerone). Selbst innerhalb der katholischen Kirche war die Haltung zur Sexualität noch wenig rigide. Das Zölibat wurde erst 1134 formal zur allgemeinen Verpflichtung der Priester und hat vermutlich Petrarca daran gehindert, zu heiraten - aber auf sein Sexualleben hatte es offensichtlich keinen Einfluss. Petrarca hatte zwei Kinder (wohl 1337 und 1343 geboren), was allgemein bekannt war. Dennoch hatte er bei den Colonna ein Amt als Hauskaplan und Erzieher inne und am 23.08.1348 wurde er von Clemens VI. (dem Spiritus rector des ausschweifenden Treibens am Papsthof zu Avignon) zum Erzdiakon der Kathedralkirche zu Parma ernannt, 1349 von Giacomo de Carrara zum Kanonikus in Padua. Im "Brief an die Nachwelt" erklärt er, er habe "von früher Jugend an das Leben eines Geistlichen" geführt.

Alberto Angela vergleicht in seiner Sexualgeschichte Roms die sexuelle Freizügigkeit im antiken Rom mit der aktuell in westlichen Ländern gegebenen. Für Angela - und das ist heute auch weitgehend Konsens - habe erst das zur politischen Macht aufgestiegene Christentum sexuelle Reglementierung und Lustfeindlichkeit in die europäische Kulturgeschichte eingeführt. Vor diesem Hintergrund irritiert es zunächst, dass Petrarca gerade an der Kirche sexuelle Libertinage kritisiert und zugleich im Rückgriff auf antike Werte und Lebenshaltungen Enthaltsamkeit propagiert. Wobei er bezeichnenderweise auf Augustinus rekurriert, der sowohl für antike Weltsicht, als auch für christliche Werte stehen kann. Wir können in Petrarcas Auseinandersetzung mit der "Hure Avignon" auch einen Ansatz dazu lesen, die katholische Kirche an ihren eigenen Maßstäben zu messen - was etwa die monastische Reformbewegung des Franz von Assisi 100 Jahre zuvor weit behutsamer, Girolamo Savonarola 100 Jahre später weit vehementer unternommen haben.

Verstärkend kam sicherlich auch eine propagandistische Absicht Petrarcas hinzu, die auf eine Rückkehr des Papsttumes aus gleichsam "babylonischer Gefangenschaft" nach Rom abzielte. Blicken wir auf Petrarcas Laura-Sonette und seine in der Augustinus-Rezeption aufscheinende Körper- und Lustfeindlichkeit, können wir in seiner heftigen Kritik am sexuellen Treiben der Kurie von Avignon zugleich die Zeichen einer neuen bürgerlichen Sexualmoral ahnen.

Dass es Petrarca um mehr geht als nur eine Kritik an höfisch-klerikalen Ausschweifungen zeigt auch seine Haltung zur arabisch inspirierten Volkslyrik, die er in einem Brief an den Freund Giovanni Dondi 1370 so formuliert: "Ich weiß, wie ihre Dichter beschaffen sind; es lässt sich nichts denken, was weichlicher, üppiger, entnervter, sittenloser wäre." Damit kritisiert Petrarca die von Sizilien ausgehende Popularisierung der durchaus Petrarcas Anliegen nahestehenden - aber diesem vermutlich gar nicht bekannten - hispano-arabischen Liebeslyrik der Zeit vor der Jahrtausendwende zu sinnenfroher Volkslyrik mit betont erotischem Gehalt.


Alter und Tod

Alter und Tod sind wichtige Themen insbesondere der stoisch-epikureischen Literatur der Antike. Sie galten als Bedrohungen, denen der philosophisch Gebildete durch Vernunft zu begegnen habe. Insbesondere die Angst vor dem Tod wurde vielfach thematisiert. "Der Tod berührt uns nicht" schreibt Lukrez in "Über die Natur der Dinge". Denn entweder vergehe die Seele mit dem Tod oder aber sie habe, sofern sie weiterexistiere in der einen oder anderen Weise, nichts mehr mit uns zu tun, da wir gerade durch die Einheit von Körper und Seele bestimmt sind.

Die beiden Themen wurden auch in der hispano-arabischen Literatur gerade im Kontext der Liebeslyrik verfolgt. Zum einen wurde erörtert, wieweit es geziemend sei, im Alter noch auf Liebesabenteuer sich einzulassen. Zum anderen wurde Liebe auffallend häufig als unglückliche und/oder maßlose Seelenregung thematisiert, die zu Krankheit und Tod führe. So beschäftigt sich Ali Ibn Hazm in "Halsband der Taube" zu Beginn des 11. Jahrhunderts in zwei Kapiteln mit "Siechtum" und "Tod" als Folgen der Liebe. Im Kapitel "Über den Tod" führt er einleitend aus: "In der religiösen Überlieferung heisst es: 'Wer sich verliebt, ohne sich erotisch zu betätigen, und dann stirbt, ist ein Märtyrer.'" Dies könnte durchaus auch als Motto über dem Canzoniere Petrarcas stehen - wäre Petrarca dieser Lyriktradition nicht so explizit abholt gewesen. Als "Märtyrer" wird der Liebende zwar nicht explizit stilisiert. Doch seine Leidenserfahrungen aus unerfüllter Liebe werden stets verbunden mit Erlösungshoffnungen. Am eindringlichsten geschieht dies im letzten Sonett des Canzoniere, vor der Wendung "Alla Vergine" mit dem letzten Text. Das Sonett beginnt mit der ergreifenden Zeile "I'vo piangendo i miei passati tempi". Und der Liebende wendet sich an den "Re del cielo" mit der Bitte "se la stanza/fu vana, almen sia la partita onesta" - "auch wenn mein Aufenthalt auf Erden/sinnlos war, so sei doch mein Abschied ehrenvoll".

Petrarca steht in beiden Traditionen, der antik-moralphilosophisch-rhetorischen wie der arabisch-religiös-lyrischen - auch wenn er letztere zu leugnen suchte. Alter und Tod sind bei ihm ganz deutlich mit der erotisch-sexuellen Sphäre verbunden. Und zwar mit charakteristisch unterschiedlichen Akzentuierungen. Zum einen beklagt er, dass seine leidenschaftlich-"verrückte" Liebe zu Laura ihm den Tod bringe. So heißt es in Canzoniere VI (6. Sonett): "E, poi che 'l fren per forza a sè raccoglie,/i'mi rimango in signoria di lui,/che mal mio grado a morte mi trasporta". Zum anderen erklärt er, dass Alter und Sexualität sich nicht gut vertrügen. Bereits mit 40 habe er sich von der Sexualität verabschiedet (kurz nach der Geburt seiner Tochter also) und einer neuen Liebe, die ihm mit 44 begegnete, habe er entsagt aus Vernunftgründen, sei er doch bereits von "men verde legno" - weniger grünem Holz - gewesen (Canzoniere CCLXXI). Allerdings erklärt er auch, dass er zu dieser Zeit durchaus noch vital gewesen sei. Und kurz vor seinem 32. Geburtstag hatte er sich im Blick auf die Besteigung des Mont Ventoux als "Jüngling" bezeichnet. In seinem "Brief an die Nachwelt" wird deutlich, dass er erst mit 60 den Beginn des "Alters" ansetzt.

Lukrez, den Petrarca gelegentlich nennt, den er aber vermutlich nur aus der Überlieferung durch Macrobius kannte, hat Alter und Tod als notwendige Begleiter und Ergänzungen von Jugend und Leben angesehen. Petrarca sah sie in christlicher Orientierung als Hinführung zu einem Leben in Gott. Allerdings bekommt seine Konzeption einen zwiespältigen Ton dadurch, dass er sie im Canzoniere ausdrücklich und in vielfachen Wendungen verbindet mit der Hoffnung des Liebenden, dort die Geliebte wieder zu sehen.


Natur

Mit seiner Besteigung des Mont Ventoux, der Nachwelt überliefert durch den Brief an Francesco Dionigi, datiert auf den 26. April 1336, markierte Petrarca den Beginn eines neuen Naturverständnisses unter den europäischen Intellektuellen. Petrarca tadelt sich zwar selbst mit einem Augustinus-Zitat: "Und es gehen die Menschen, zu bestaunen die Gipfel der Berge und die ungeheuren Fluten des Meeres (...), und haben nicht acht ihrer selbst." (Bekenntnisse, Zehntes Buch, 8,15) Doch die Wende ist da, die Aristoteles-Rezeption, die dann im 15. Jahrhundert breit einsetzen sollte, wird vorbereitet gleichsam aus dem Geiste des Tourismus - wenn wir einmal die etwas forsche These akzeptieren wollen, Petrarca habe den Bergtourismus begründet. Andere Deutungen sehen in diesem Brief ein erstes Dokument moderner Subjektivität - mit Verweis auf Jacob Burckhardts Diktum, Petrarca sei "einer der frühesten völlig modernen Menschen".

Auch später finden wir bei Petrarca Belege für eine besondere Aufmerksamkeit Naturdingen gegenüber. Der "Canzoniere" ist reich an intensiven, klarsichtigen Naturbildern, liebevoll gezeichneten Landschaftsdetails, in denen die Figuren der Gedichte sich bewegen. Davon ist vieles literarischem Repertoire entnommen - aber die Gestaltung verrät, dass hier auch eigene Anliegen und Erfahrungen einfließen.

"Hier in Vaucluse gab mir der Charakter der Landschaft ein, ein bukolisches Gedicht, ein Lied des Waldes zu verfassen" schreibt Petrarca in seinem "Brief an die Nachwelt". Und er bekennt, die "Schönheit des Ortes" habe ihn eingenommen. Im gleichen Text erklärt er, der Gedanke zu seinem zentralen lateinischen Werk "Africa" sei ihm in den Bergen gekommen, an einem Karfreitag. Der Anblick der Landschaft bei Selvapiana habe ihn später veranlasst, die lange unterbrochene Arbeit an "Africa" fortzusetzen. Berühmt ist auch die Beschreibung des Golfes von La Spezia am Ende des VI. Gesanges von "Africa".

1367 schreibt er an den Jugendfreund Guido Sette (gelegentlich: Scetten): "Du strebtest nach Rechtsstreit und Rednertribüne, ich nach Muße und Waldaufenthalt" und nach einem Einschub fährt er fort: "Wie soll ich dir aber jetzt diese ländliche Stille, dies beständige Murmeln des reizenden klaren Bächleins schildern, das Gebrüll der Rinder im Widerhall der Täler, den Chorgesang der Vögel in den Zweigen bei Tage wie zur Nacht?" (Sen. 10,2).


Medizin

Die Aufmerksamkeit für medizinische Fragen und allgemein Fragen der Gesundheit prägt das gesamte Schaffen Petrarcas. Dabei ist vor allem seine Sensibilität für psychosomatische Zusammenhänge und für das Wechselspiel zwischen Lebensführung und Gesundheit auffallend. In einem Brief von Ende Juli/Anfang August 1348 an Manfredo Pio (Fam. 9,1), den Herrn von Carpi auf Verfügung des Königs Ludwig von Bayern, ermahnt Petrarca diesen dazu, seinen Geist gesund zu halten und sich nicht in seelischem Gram gesundheitlich zu erschöpfen. In diesem Falle war die Ermahnung allerdings fehl am Platz, denn Manfredo Pio verstarb kurz darauf, am 12. September des Jahres, an der Pest. Petrarca war sich dessen wohl bewußt, denn in seinem Brief empfiehlt er Gottvertrauen, schreibt vor allem von der Nichtigkeit des Todes und würdevollem Sterben. Der Verweis darauf, dass eine - modern formuliert - positive Lebenshaltung Krankheiten zu besiegen vermag, scheint eher der Vollständigkeit angeführt.

Deutlich artikuliert Petrarca auch verschiedentlich seine Kritik an einer auf Profite ausgerichteten Ärzteschaft. In einem Brief an Francesco Nelli vom 18. Januar 1352 spricht er von einer "schwatzhaften Ärzteversammlung" am Krankenbett des Papstes Clemens VI. und nennt diese die "gefährlichste Pest der Reichen" (Fam. 12,5). Sie verhindere die Genesung eher als dass sie diese befördere. Zahlreiche Klagen gegen die Ärzteschaft enthält auch "De remediis utriusque fortunae". Der Kölner Medizinhistoriker Klaus Bergdolt nennt in seiner Habilitation Petrarca einen der "profiliertesten und nachhaltigsten Medizinkritiker der europäischen Kulturgeschichte".

In "Secretum meum" finden wir einen heilkundlich strukturierten Dialog zwischen Augustinus und Franciscus, in welchem der Kirchenvater Petrarcas "Seele" heilen möchte. Dies geschieht grundsätzlich noch im Rahmen antiker Moralphilosophie und christlicher Heilsversprechung, bedient sich dabei aber so nachdrücklich des medizinischen Vokabulars, dass wir - zugestanden höchst ahistorisch - immer wieder versucht sind, an die Psychoanalyse zu denken. Gewiss, Augustinus befragt Franciscus nicht nach seinem Verhältnis zu seiner Mutter oder seinem Vater. Aber er stellt doch bisweilen höchst präzise Fragen nach der Genese und der Entwicklung seiner Verstrickung in die Beziehung zu Laura. Und als Franciscus einmal bittet: "Gestattest du während deiner ärztlichen Ausführungen einen Einwurf des Kranken, der seine Krankheit sehr genau kennt?" antwortet Augustinus: "Warum sollte ich das nicht zulassen? Viele Ärzte stießen erst durch die Aussagen der Kranken auf den richtigen Weg der Heilung." (S. 329)

Lektüreempfehlung: Klaus Bergdolt, Arzt, Krankheit und Therapie bei Petrarca. Die Kritik an Medizin und Naturwissenschaft im italienischen Frühhumanismus, 1992


Verwandlung

Ein immer wiederkehrendes Motiv im lyrischen Werk Petrarcas ist die Verwandlung. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um biologische Metamorphosen, sondern um mythologische. Schmetterlinge erscheinen zwar gelegentlich bei Petrarca, so etwa im 110. Sonett (Canzoniere CXLI). Allerdings thematisiert er nirgendwo die Verwandlung des Schmetterlings vom Ei über Raupe und Puppe. Diese biologischen Bezüge waren dem Mittelalter und der frühen Renaissance noch unbekannt. Aristoteles hatte zwar in seiner Historia animalium die Metamorphose etwa der Zikaden im Ansatz beschrieben (Buch VII, Absatz 17), aber seine naturwissenschaftlichen Schriften wurden erst nach Petrarca wiederentdeckt. Und es blieb der Barockzeit vorbehalten, hier grundlegende Einsichten zu gewinnen und diese angemessen zu publizieren - etwa durch Maria Sibylla Merian (1647-1717) mit ihrem Hauptwerk "Metamorphosis insectorum surinamensium" 1702/1705.

Verwandlung bei Petrarca orientiert sich an der antiken Mythologie, insbesondere an den "Metamorphosen" Ovids. So ist im Besonderen der Daphne-Mythos in seinem Werk präsent, die Verwandlung der von Apollo begehrten Frau in einen Lorbeerbaum (Lorbeer = Lauro). Die männliche Analogie gibt es im Akteion, der zur Strafe für sein Spannertum bei Dianas Bad in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden zerrissen wird. Auch der wandlungsfähige Zeus begegnet bei Petrarca, als Goldregen, der sich mit der Danaë verbindet, als Schwan, wie er sich Leda nähert, als Flammenkranz in der Begegnung mit Semele.

Von besonderer Bedeutung ist der Motivkomplex der Verwandlung in der sogenannten Canzone der Metamorphosen, Text XXIII im Canzoniere. Dort transformiert sich der Autor/das Ich zunächst in einen Lorbeerbaum (der selbst im Winter seine grünen Blätter nicht verliere), dann in einen Schwan und schließlich in einen Stein. In der letzten Wendung des Textes, der sich an das Lied ("canzon") selbst wendet, wird "Giove", die römische Entsprechung des Zeus, evoziert als Referenz. Das Ich verwandle sich nicht in einen Goldregen, der das Liebesfeuer ja teilweise zum Erlöschen bringe, sondern in einen Schwan - dessen Gesang die Geliebte erhebe - und eine Flamme, die von Blicken entzündet werde. Aus moderner Sicht haben wir hier eine ganz bemerkenswerte psychologische Modellbildung vor uns, eine frühe Formulierung des Freudschen Sublimationsprinzips.

Damit wird die antike Metamorphose als Struktur einer Verbindung zwischen weltlicher und himmlischer Sphäre, die auch noch im Christentum wirksam ist, bereits hier bei Petrarca, im 14. Jahrhundert wohlgemerkt, säkularisiert zu einer innerweltlichen Übersteigung der Bindung an Leib und Sterblichkeit in einem neuen Kult von Liebe, Schönheit und Kunst, bekannt auch als "dolce stil nuovo".


Redewendungen

Viele heute gängige Redewendungen oder verbreitete bildhafte Ausdrücke gehen auf Petrarca zurück oder wurden von ihm populär gemacht. "Mit einem weinenden Auge lachen" findet sich im Canzoniere CXXXIV und an anderen Canzoniere-Stellen als "piangendo rido". "Bleich wie Schnee" haben wir im Trionfo della Morte I als "Pallida no, ma più che neve bianca". "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach" geht zwar zurück auf das Neue Testament, Matthäus 26,41- doch hat es im Canzoniere eine prägnante Formulierung gefunden als "Lo spirto è pronto, ma la carne è stanca" (CCVIII). In Verdis Rigoletto singt der Herzog von Mantua "La donna è mobile", bei Petrarca heißt es "femina è cosa mobil per natura" (Canzoniere CLXXXIII). Aus dem antiken "Vita brevis, ars longa" macht Petrarca sein unvergleichliches "Sí breve è ’l tempo e ’l penser sí veloce" in Canzoniere CCLXXXIV. Und wo immer ein lyrisches Ich einsam am Fenster steht, ist Petrarca gegenwärtig: "Standomi un giorno solo a la fenestra" (Canzoniere CCCXXIII). Wenn wir heute vom "seidenen Faden" sprechen, an welchem ein Schicksal, ein Leben hänge, zitieren wir eine der berührendsten Canzonen Petrarcas, die beginnt mit "Sí è debile il filo a cui s’attene la gravosa mia vita" (Canzoniere XXXVII).

In jedem Gedicht des Canzoniere können wir eine Sentenz finden, die es wert ist, im Gedächtnis zu bleiben, die das Leben bereichert durch ein Bild, das eine wesentliche Erfahrung, eine Stimmung, ein Befinden gelungen benennt. In den Übersetzungen geht davon leider viel verloren, weshalb ich dringend empfehle, die Originale zu lesen - sei es auch mit der begleitenden Unterstützung einer Übersetzung, mit Google Translate oder einem Wörterbuch in Reichweite.

Die Briefe Petrarcas und sein Trostbuch, "De remediis utriusque forunae", eines der meistgelesenen Bücher im Europa des 15. bis 17. Jahrhunderts, lieferten zahlreiche lateinische Sequenzen, die zu allgemeinem Kulturgut wurden. "Das Leben ein Traum" kennen wir aus den Briefen Petrarcas als "Totam mihi vitam nihil videri aliud quam leve somnium". Das "Dizionario comparato di proverbi e modi proverbiali" von Augusto Arthaber zitiert Petrarca vierzehn Mal. Damit wird jedoch nur sehr schwach angedeutet, was Petrarca eingebracht hat in den allgemeinen Schatz an Bildern und Redewendungen, auch dort, wo er selbst nur zitiert oder aufgreift.


Lauras Name

In Secretum meum wirft Augustinus (der Kirchenvater) seinem Gesprächspartner Franciscus (Petrarca) vor, mit dem Namen Lauras einen Kult zu betreiben, der "Wahnvorstellungen" gleich komme (S. 326). Dieser Vorwurf gewinnt zusätzliches Gewicht wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Bedeutung Namen im Leben Petrarcas zukam. So nannte er seine Tochter Francesca, deren (von Petrarca vermittelter) Ehemann hieß Francescuolo ("der kleine Francesco"), der erste Enkel wurde Francesco genannt, die erste Enkelin nach Petrarcas Mutter Eletta.

In den Texten des Canzoniere spielt Petrarca häufig nicht nur mit dem Anklang an "lauro/alloro" (Lorbeer), sondern auch mit anderen klanglichen Andeutungen des Namens Laura, etwa an "auro" (Gold) und "aura" (Atmosphäre, Lufthauch, Ausstrahlung). Besonders prägnant gestaltet dies die erste Zeile in Text CCXLVI (Sonett 208): "L'aura, che 'l verde lauro e l'aureo crine/soavamente sospirando move". Mit den Buchstaben des Namens spielt der Text V: "LAUdando s'incomincia udir di fore ...". Der Philologe Roberto Antonelli hat daher mit einem gewissen Recht in der Einführung zur Contini-Ausgabe des Canzoniere (Einaudi 1992, S. XVIII) geschrieben: "Laura prima di essere una donna è un nome."

Allerdings sollten wir die Person Lauras, die - wie idealisiert auch immer - hinter diesem Namen steht, nicht übersehen. Ihre Beschreibungen haben in der Regel wenig mit den klanglich oder etymologisch begründeten Konnotationen ihres Namens zu tun. In einer bemerkenswerten Studie hat Giulia dell'Aquila 2008 die "Perifrasi per Laura nei Rerum vulgarium fragmenta" zusammengetragen. Dabei unterscheidet sie zwischen den Periphrasen "in vita" und denen "in morte". Bei den ersteren sondert sie die Texte aus, die von der Vorahnung des Todes von Laura sprechen (CCXLVI-CCLIV). Bei den letzteren behandelt sie getrennt die Gedichte, in denen von der Erinnerung an Laura die Rede ist. Sehr ergiebig sind diese Unterscheidungen nicht, sie machen aber zumindest deutlich, dass Petrarca sich dabei sehr präzise an den Vorgaben orientiert, nach ihrem Tod allgemeine Charakterisierungen bevorzugt und erinnernd vor allem ihre Einflüsse und ihre positiven Wirkungen auf ihn nennt.

Die erste Periphrase finden wir in Text IX, 10: "ch'è tra le donne un sole". Wir könnten nun, ausgehend von den Namensassoziationen, daran denken, dass Sonne mit der Vorstellung "Gold" verbunden ist. Doch gerade dies verbindet Petrarca nicht mit Laura an dieser Stelle. Vielmehr geht es um die strahlenden Augen Lauras, die sie sonnengleich machen. Nehmen wir die nächste von dell'Aquila angeführte Stelle, in XIV, 2: "quella che v'ha morti". Nun geht es um die Augen des lyrischen Ich, die "quella", Laura, mit Kummer fülle, ersterben mache. Auch dies hat nicht das Geringste mit dem Namen Lauras zu tun. Analoges gilt für fast alle weiteren Stellen.


Lauras Stern(e)

Ist von Laura bei Petrarca die Rede, so erscheinen häufig auch Sterne. Nach einem gängigen Urteil seien Sterne eine wichtige Metapher für Lauras Augen. Schaut man genauer hin, findet man allerdings nur wenige entsprechene Stellen. So nennt Petrarca in Canzoniere CLX Lauras Augen einmal "le mie due stelle fide". Die hier entscheidende übergeordnete Metapher erscheint klärend gleich in der Zeile danach, "altro lume non è ch'infiammi e guide". Um "Licht" geht es, ein "Licht in der Dunkelheit" dürfen wir ergänzen. Das machen die drei Canzonen deutlich, die Lauras Augen gewidmet sind, LXXI, LXXII, LXXIII. Dort werden die Augen kein einziges Mal als "stelle" bezeichnet, dafür in jeder Canzone als "Lichter", "luci beate e liete" (LXXI), "le due divine luci" (LXXII) und "quei be'lumi" (LXXIII).

Sterne erscheinen in den Augen-Canzonen auch, allerdings ganz anders als eine romantisierende Petrarca-Deutung dies erwarten würde. Nämlich in einem wichtigen Attribut Gottes als "'l Motor eterno de le stelle". Deutlicher wird der Bezug in einem Sonett, das Laura als unmittelbare Schöpfung des "re de le stelle" anspricht (CCXV). Dort erscheint auch im Rekurs auf gängige astrologische Vorstellungen der Zeit "il suo pianeta", der gleichsam die Einwirkung des "re" auf menschliches Schicksal vermittelt. Laura erscheint als die perfekte Widerspiegelung der Schöpfung im Menschen.

Der Frühhumanismus war auch der Beginn der wissenschaftlichen Astronomie, noch kaum zu trennen von der Astrologie. Petrarcas Freund Giovanni Dondi baute eine der ersten astronomischen Uhren. Daher sein Beiname "dell'Orologio". Sein Vater war bereits ein berühmter Astronom. Die Apostelbrüder stützten ihre Lehre vom kommenden antipapistischen Zeitalter des Geistes auf eine Verquickung astronomischer, astrologischer, religiöser und politischer Ideen. Die Sterne hatten für einen intellektuellen Dichter wie Petrarca daher einen wesentlich weiteren Gehalt als eine romantisierende Deutung von Lauras Sternen-Augen aus heutiger Sicht zu erfassen vermag.

Daher muss auch Aufmerksamkeit den Sternen in anderen Kontexten gelten. In Text XXII schreibt Petrarca von brennenden Sternen: "quand'io veggio fiammeggiar le stelle/vo lagrimando". "Fera stella" sei der, unter dem er geboren wurde (CLXXIV). Für die Vorsehung steht der Stern auch in Text CLIII: "se pur sua asprezza o mia stella n'offende" oder CCXII: "in tale stella presi l'esca et l'amo". Nicht nur sein eigenes Schicksal oder die Persönlichkeit Lauras verbindet das Ich des Canzoniere mit den Sternen, sondern auch allgemeines Geschehen, etwa in CLXXXVII und CCXXXIII.

Im Bild der Sterne überkreuzt sich also Petrarcas Liebesdiskurs mit dem neuplatonistischen Transzendenzdiskurs und dem astrologisch-astronomischen Diskurs der Zeit. Gemeinsam zu erörtern sind daher die Stellen zu "pianeta", "stella/stelle", "lume/lumi" und "luce/luci".


Zahlen und Daten

Es ist nicht zu übersehen, dass Petrarca Zahlen und Daten besonderes Gewicht beimaß, insbesondere im Kontext seiner Laura-Beziehung. So legte er offenkundig Wert darauf, festzuhalten, dass Laura am gleichen Kalendertag starb, an dem die beiden sich zum ersten Mal begegnet sind, am 6. April. Dieses Datum ist mittelalterlich-christlich mit der Erschaffung Adams und dem Tod Christi verbunden. Ein Strukturelement des Canzoniere sind die Zahlen der Jahre, die ein bestimmtes Ereignis von der ersten Begegnung entfernt ist - als habe für den Liebenden mit dieser Begegnung eine neue Zeitrechnung begonnen. So heißt es etwa in CCCLXIV "Tennemi Amor anni ventuno ardendo". In CCLXXI verbindet er dieses Datum mit dem Aufflackern einer neuen Liebe ("e di nova esca un altro foco acceso"). Die Zahl 21 ist als Verbindung von 3 und 7 nicht nur christlich eine symbolisch besonders herausgehobene Zahl. Mit 366 Texten erfüllt der Canzoniere darüber hinaus die Zahl der Tage eines Schaltjahres - was das Jahr 1348, Pestjahr und Todesjahr Lauras, realiter war.

Wichtige Bedeutung haben ansonsten im Werk vor allem die Zahlen Drei - etwa als Strukturelement von Secretum meum - und Zwölf -  etwa als Strukturelement der Familiares (2x12 Bücher). "Secretum meum" ist in drei Bücher gegliedert, die drei Tagen des Gesprächs zwischen Augustinus und Francesco entsprechen. Daneben betont der Autor ausdrücklich, die Gespräche haben "zu dritt" stattgefunden, insofern nämlich "die Wahrheit" mit anwesend war. Und am Ende des 2. Buches von Secretum meum bekennt er ausdrücklich "Ich habe sogar eine Vorliebe für die Zahl Drei". Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Zahl Drei zeigt sich schon in der populären Wendung "Aller guten Dinge sind drei" und ist in allen Kulturen herausgehoben, im Christentum insbesondere mit der göttlichen Dreifaltigkeit. Die Briefsammlung Familiares ist in zweimal 12 Bücher gegliedert, mit dem Jahr 1352 als Zäsur - genau genommen dem 24. Mai 1352 als Datum des letzten Briefes im ersten Konvolut. Im Canzoniere CCXXV, einem Sonett über eine Begegnung aus der Ferne mit Laura, beschreibt Petrarca die Geliebte umringt von zwölf Gefährtinnen, in einem Boot. Die Zahl Zwölf findet sich kulturgeschichtlich etwa in der Zahl der Genien, in der Zahl der Liktoren im römischen Königtum und in der Zahl der Apostel.

Bedeutsam ist auch die Sieben bei Petrarca. In seinem in vielen Hinsichten, als autobiographisches Zeugnis, als Auskunft über sein Verständnis der eigenen Arbeit und als Dokument seiner Krise im Gefolge des Pestjahres, wichtigen Brief an den Freund Socrates (Ludwig van Kempen) vom 13. Januar 1350 berichtet Petrarca, er sei mit sieben Monaten von Arezzo weggebracht worden und im siebten Lebensjahr dann weg von Italien (Fam. 1,1).



Zeitalterlehre

Petrarca datiert seinen fiktiven Brief an Homer nach dem Erhalt des ersten Teils der Ilias-Übersetzung von Leontius Pilatus (aus dem griechischen Original, das Petrarca 1354 über den byzantinischen Gesandten in Avignon, Nikolaus Sigeros, erhalten hatte) wie folgt (Fam. 24,12):

"am 9. Oktober im Jahr 1360 des letzten Zeitalters"

In der Forschung wird dies zumeist auf den Mythos vom "goldenen Zeitalter" bezogen, dessen Wiederkehr Petrarca zunächst von Cola di Rienzo erwartet habe und nun, wie es scheint, auf die Erneuerung der griechischen Mythologie beziehe. Eine Parallele hätten wir bei Dante, der in der "Divina comedia" ein neues goldenes Zeitalter entwirft aus einer Verbindung von Antike und Christentum.

Denkbar ist allerdings auch ein Bezug zur Zeitalterlehre des Joachim von Fiore (1130/1135-1202), der in Anlehnung an die Trinitätslehre des Christentums seine Vorstellung von drei aufeinanderfolgenden Zeitaltern entwickelte, einem Zeitalter des Vaters (altes Testament), des Sohnes (neues Testament) und des Heiligen Geistes (bevorstehend). Joachim von Fiore sah den ersten Ansatz für das dritte Zeitalter mit Benedikt von Nursia (480-547) gegeben, seine Durchsetzung erwartete er für das Jahr 1260. Die Papstkirche werde dann durch die Geistkirche abgelöst, die Leitfunktion der Priester durch die der Mönche. Für die um 1260 in Anlehnung an Fiore entstandene radikale Gemeinschaft der "Apostelbrüder" verkörperte das Papsttum die "Hure Babylon" - man beachte dazu die Babylonischen Sonette Petrarcas! Vom Papsttum wurden die Apostelbrüder mit allen Mitteln bekämpft und im Jahr 1302 (zwei Jahre vor Petrarcas Geburt) wurden an ihrem Rückzugsort bei Vercelli (Piemont) die letzten Brüder im Rahmen eines "Kreuzzuges" getötet oder gefangengenommen und der Inquisition unterworfen. Die franziskanischen Minoriten/minderen Brüder, die Petrarca in seinem Testament bedachte, waren gleichfalls beeinflusst von Joachim von Fiore.

Joachim von Fiore geht von einer beständigen Weiterentwicklung im Gefolge der Zeitalter aus, entwirft also durchaus eine kontinuierlich Fortschrittsidee (die von Hegel z.B. aufgegriffen wurde) - was in einer gewissen Spannung zu Petrarcas Auffassung einer dunklen Verfallszeit im Mittelalter und einer "Neugeburt" aus dem Geist der Antike steht. Petrarca trug bekanntlich wesentlich dazu bei, die Vorstellung vom "finsteren Mittelalter", dem eine neue "lichte" Zeit der Renaissance gegenüberstehe, zu begründen.

Nicht vergessen sei allerdings auch, dass der Brief an Homer letzter Brief der Familiares ist - sieht man von Fam. 24,13 ab, der Nachrede an den Leser. Somit könnte auch - ganz individualgeschichtlich - ein resignativ-pathetischer Abschied von der eigenen Lebensgeschichte gemeint sein. Allerdings spricht dagegen der hoch stilisierte Anspruch dieses Briefes, über die Zeiten hinweg mit Homer zu korrespondieren - der selbst fiktiv in Petrarcas "Africa" vom "letzten Zeitalter" ("ultima ... etas", "tempus in extremum") spricht. Was einer individualgeschichtlichen Deutung der Zeitangabe entgegensteht.

Lektüreempfehlung: Marjorie O'Rourke Boyle, Petrarch's Genius. Pentimento and Prophecy, University of California Press, 1991


WERKE, BRIEFSAMMLUNGEN




"Francisci Petrarch(a)e laureati poeta(e) rerum vulgarium fragmenta" oder "Il Canzoniere"

Die Texte des  "Canzoniere" entstanden ab 1327, gearbeitet hat Petrarca an dieser Sammlung bis zum Ende seines Lebens 1374. Die Sammlung umfasst 366 Texte, gegliedert in die Abteilungen "In vita di madonna Laura" und "In morte di madonna Laura" - wobei diese Bezeichnungen nicht von Petrarca stammen. Der Canzoniere wird oft als "Sonettzyklus" bezeichnet, was nicht ganz richtig ist. Sonette machen zwar den größten Teil der Texte aus, 317 von 366, doch immerhin 49 Texte sind von anderer Form, 29 Canzonen (mehrere längere Strophen mit gleicher Verszahl), 9 Sestinen (geprägt durch sechsversige Strophen), 7 Balladen (3 Strophen) und 4 Madrigale (3x3 Verse). Den Titel "Canzoniere" erhielt die Gedichtsammlung erst durch die Petrarkisten des 16. Jahrhunderts. Petrarca selbst hatte den lateinischen Titel "Francisci Petrarch(a)e laureati poeta(e) rerum vulgarium fragmenta" gewählt. Inhaltlich beziehen sich die meisten Texte auf die Laura-Liebe - doch etwa 5% widmen sich politisch-gesellschaftlichen Themen und einige Texte sind konzentriert auf moralisches Raisonnement (das in den Laura-Texten häufig auch mit einfließt).

Dass die Rezeption weitgehend auf die Sonette konzentriert war, verdankt sich verschiedenen Umständen. Ein ganz pragmatischer ist, dass die Sonettform klarer und kompakter auftritt. Die schiere Textmasse der Canzonen (einzelne Canzonen umfassen die Textmenge von neun Sonetten) schreckt nicht nur Übersetzer. Auch inhaltlich sind etliche der Canzonen so aufgestellt, dass wir Petrarcas eigenes Urteil gerne aufgreifen möchten, sein poetisches Werk habe vorwiegend der Zerstreuung gedient. Drei Canzonen von insgesamt 279 Zeilen, die den Augen Lauras gewidmet sind, können auch geduldige heutige Leser doch sehr strapazieren. Allerdings sollten die Canzonen deshalb nicht pauschal unter den Tisch gekehrt werden, einige der bedeutendsten und wirkmächtigsten Texte des Canzoniere sind Canzonen, so Text CXXVI, das neuzeitlich erste Preislied auf die Natur, eine wortmächtige elegische Canzone, mit dem unvergleichlichen Auftakt "Chiare, fresche et dolci acque", oder CXXIX, eine tragische Canzone, in der Naturbilder und Liebessehnsucht in einer psychologisch eindringlichen Studie verschmelzen. Bemerkenswert ist ohne Zweifel auch CXXVIII, der politisch-patriotische Aufruf "Italia mia". Und gewiss der letzte Text des Canzoniere, die 29. Canzone, Text CCCLXVI, der sich an die "Vergine" wendet, wobei unterschiedliche Bilder in eines gehen, auch das biblische Bild von den klugen Jungfrauen wird zitiert, die ihr Öl aufsparen für die Ankunft des Herrn (Zeile 16). Ganz zum Ende erst wird explizit die Jungfrau Maria angerufen, "Raccomandami al tuo Figliuolo" (Zeile 135).

Insbesondere die Sonette des Canzoniere sind ausgezeichnet durch eine komplexe, am Lateinischen geschulte Syntax, die bis in die Gegenwart als Lyrikmodell nachwirkt und die dazu beigetragen hat, dass etwa Heidegger "Dichten" mit "Verdichten" zusammenbringt. Dazu kommt die Freude an einer bildkräftigen, rhetorisch gleichfalls an der Antike geschulten Sprache, die bisweilen schiefe Bilder produziert, die den Sinn entgleisen lassen und die Übersetzer zur Verzweiflung gebracht haben. Dies führt zu bisweilen einander diametral entgegengesetzten Übersetzungsvorschlägen. Wobei wir häufig bewußt konstruierte Ambivalenzen, verhüllende Mehrdeutigkeiten und philosophisch begründete Unentschiedenheit des Originals annehmen dürfen.



Africa

Das auf Latein verfasste Epos Africa entstand zwischen 1338 und 1343 und hat als Vorbild u.a. das 8. Buch der Aeneis Vergils mit seiner Schilderung der Schlacht von Actium als Auseinandersetzung zwischen Zivilisation und Barbarei. Africa behandelt die Taten des Publius Cornelius Scipio Africanus (Scipio der Ältere), der gegen die Meinung des römischen Senates im Zweiten Punischen Krieg (218-201 v.Chr.) auf afrikanischem Boden gegen Karthago vorging und dabei Hannibal in der Schlacht von Zama vernichtend schlug, damit den einzigen verbliebenen Konkurrenten um die Herrschaft im Mittelmeerraum entscheidend schwächte.

Für Petrarca hatte dieses Epos einmal die Funktion, seinen Anspruch auf literarischen Ruhm in der Nachfolge Vergils zu begründen. Zum anderen sollte das Epos seine Vorstellung von einer Neubegründung der römischen Reichsidee bildkräftig propagieren. Wobei sein neues Rom auf weit bescheidenerer Grundlage als das historische stehen sollte. Primär wünschte er eine Einigung Italiens unter römischer Führung - eingebunden in das Reich Karls IV. als "Haupt". Er begründete mit diesem Epos seinen Ruhm als Schriftsteller und wurde weitgehend aufgrund der bereits vorliegenden Teile des Epos 1341 in Rom zum Dichter gekrönt. Wieweit dabei auch machtpolitische Überlegungen des französischen Königshofes eine Rolle spielten, muss dahin gestellt bleiben. Auffallend ist allerdings, dass ihm zugleich von Paris und Rom/Neapel (Haus Anjou) die Würde angetragen wurde.

In einem Brief an Paganino Bizzozzero, Statthalter im Dienste Luchino Viscontis, mahnt Petrarca die Mailänder zu Mäßigung bei ihren Eroberungszügen in Norditalien. Er lobt in diesem Brief den jüngeren Scipio Africanus (Enkel des älteren), der ein Kultlied, das von den Göttern "eine Mehrung des römischen Wohlergehens erflehte", abändern ließ, da er der Meinung war, man möge "um nichts anderes als um die Bewahrung des erreichten Zustandes und um dessen Dauerhaftigkeit" bitten (Fam. 3,7). Sein Epos sollte daher als Formulierung imperialer Ansprüche verstanden werden. Primär ging es Petrarca um ein Ende der Bürgerkriege in Italien um die Vorherrschaft einzelner Städte und/oder Familien.

Interessant an "Africa" ist auch die Bedeutung von Naturschilderungen. Häufig zitiert wird vor allem die Beschreibung des Golfes von La Spezia am Ende des VI. Gesanges. In seinem "Brief an die Nachwelt" teilt Petrarca mit, die Idee zu "Africa" sei ihm in den Bergen gekommen. Und der Anblick der Landschaft bei Selvapiana habe ihn später veranlasst, die unterbrochene Arbeit an "Africa" fortzusetzen.


Secretum meum

"De secreto conflictu curarum mearum", ursprünglich "Riguardo al segreto conflitto delle mie angosce", ist ein fiktiver Dialog mit sokratischem Anklang zwischen Petrarca ("Franciscus") und dem Kirchenvater Augustinus, in drei Büchern, über drei Tage sich hinziehend. Auch kurz als "Secretum" oder als "De contemptu mundi" überliefert. Ab 1342 verfasst, vor Lauras Tod, vermutlich 1347, konzeptionell beendet, denn im Text selbst spricht Franciscus von seinem Wunsch, vor Laura zu sterben (S. 315). Überarbeitet hat Petrarca den Text allerdings nachweislich noch bis 1358 mehrmals. Im Text selbst wird auf das Jahr 1343 verwiesen als Zeitraum des Gesprächs (S. 313, Anm. 85). Von Petrarca unter Verschluss gehalten, erst durch eine Abschrift des Florentiner Franziskaners Teldada della Casa 1378 bekannt gemacht. Ins Deutsche übersetzt wurde der Text erstmals mit dem Erscheinungsdatum 1919 durch Hermann Hefele, dann erneut durch Friederike Hausmann, Klett Stuttgart 2004.

Karl Enenkel hat darauf hingewiesen, dass dieser Text in der Form einer Beichte angelegt sei, entlang eines Beichtspiegels der sieben "Hauptsünden". Das dritte und wichtigste Buch behandelt die den Menschen bindenden "Ketten" Liebe und Ruhm. Hier bekennt Franciscus bis zum Ende, auf Ruhm und Liebe nicht verzichten zu können - wobei er die Liebe zu Laura meint, die "niemals von einem unschönen, schamlosen Gedanken verunreinigt war" (S. 316). Er lässt sich von Augustinus vorhalten, dass er mit dieser Liebe - heute würden wir von einer Amor fou sprechen - seine seelische Gesundheit zerstöre und den Sinn seines Lebens verfehle. Augustinus empfiehlt ihm, nach Italien zurückzukehren, Avignon ganz zu meiden. Mehr noch, sein Alter ego sieht selbst in Petrarcas Rückzug in die Einsamkeit (und das heißt in die Vaucluse, in die Nähe Lauras) nur einen Vorwand, sich ganz der unglücklichen Liebe zu widmen, sich in sie einzuspinnen, sich dem Laster der "accidia" hinzugeben, das im Mittelalter als Hauptgefährdung der mönchischen Tugend galt und im Kern des zweiten Buches steht. Heute würden wir es am ehesten mit Depressionen oder dem "ennnui" des französischen Symbolismus verbinden. Anders als in den Sokratischen Dialogen steht am Ende von "Secretum meum" nicht die Einsicht oder zumindest ein Irritation der ursprünglichen Sicherheit. Vielmehr ist Franciscus zum Abschluss des dritten Buches zwar der Überzeugung, dass Augustinus im Prinzip Recht habe, beharrt jedoch darauf, seinen Weg weltlicher Aufgaben zu Ende zu gehen um sich "dann diesem Größten und Wichtigsten zuzuwenden", i.e. dem ewigen Heil.

Aus heutiger Sicht ist zunächst nicht verständlich, weshalb Petrarca das hier Niedergeschriebene als "Secretum" bezeichnet. Wird doch vordergründig nicht mehr kundgetan, als wir auch aus dem Canzoniere kennen. Doch vergessen wir nicht, dass zu dieser Zeit die Öffentlichkeit nur einzelne Texte aus dem Canzoniere kannte. Zudem galten diese als literarische Fiktion. Erst Secretum meum macht deutlich, dass Petrarca von seiner Liebe zu Laura existentiell betroffen war. Es erscheint gerade vor dem Hintergrund von Secretum meum als verfehlt, seine einschlägigen Bekenntnisse im Canzoniere lediglich als lyrische Stilisierungen und rhetorische Gestaltungen zu lesen. Im fiktiven Gespräch mit Augustinus bekennt Petrarca auch seine eigenen Zweifel an den Moralsystemen, die er in der Öffentlichkeit vertritt. Sie erscheinen ihm in kritischer Selbstdistanzierung und Distanzierung vom Stoizismus als weltfremd und heuchlerisch, letztlich nur der Selbstauszeichnung dienend. So sagt Franciscus über die Lehre der Stoiker, sie würde "jeder gängigen Meinung zuwiderlaufen und der Wahrheit zwar nahekommen, kaum aber der Praxis". Gewiss, er widerruft sogleich und streitet ab, dass er "auch nur einen Moment daran dächte, den Maximen der Stoiker die Irrtümer der Volksmeinung vorzuziehen". Doch hätte er sich ganz von Augustinus - und dessen christlichem Verständnis der Stoa - überzeugen lassen, wäre aus dieser Schrift kein "Secretum meum" geworden.

Lektüreempfehlung: Karl A. E. Enenkel, Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius, Walter de Gruyter 2008


De Vita solitaria

In den Jahren ab 1346 verfasste Petrarca seine Abhandlung über die Vita contemplativa oder solitaria als Gegenentwurf zur Vita activa oder occupata. Petrarca propagiert hier ein Leben in Bescheidenheit und im Einklang mit der Natur. Ein schönes Bild dafür ist seine Empfehlung, von Tongeschirr statt von Silber zu essen. Es geht ihm dabei weder um eine klösterliche Zurückgezogenheit - an der würde er die freie Studienarbeit vermissen -, noch um eine Einsiedelei, vielmehr um die Ferne von städtischer Betriebsamkeit, von Luxus, Begehrlichkeiten, Konkurrenzgerangel und Statuspräsentation. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass er heute gerne als ein Vordenker der Moderne gepriesen wird. Gegliedert ist das Werk in zwei Bücher, das erste umfasst neun Kapitel, das zweite fünfzehn Kapitel. Inhaltlich ist keine klare Unterscheidung zwischen den beiden Büchern auszumachen, die beide sehr heterogenen Anliegen vortragen, von der heftigen Kirchenkritik über geradezu antikapitalistische Gesellschaftskritik avant la lettre bis hin zu Preisungen der schlichten, ländlichen Lebensart. Eines sei allerdings auch angemerkt: Frauen stören Petrarcas Vita solitaria und sind gleichfalls ausgeschlossen. Und zur Begründung verweist der Autor gerne mit reichhaltigen Literaturbezügen darauf, dass die Liebe zu einer Frau von der Liebe zu Gott ablenke.

Doch seiner eigenen Identifizierung der Vita solitaria mit der Vita contemplativa im 1. Kapitel des 1. Buches widerspricht Petrarca im 8. Kapitel, in welchem gleichsam hinter dem Rücken des Autors deutlich wird, dass es ihm nicht primär um ein Leben im Dienste der Gottesliebe gehe - er hätte ja sonst das Klosterleben aufsuchen können, woran er, wie bereits gesagt, die Abkehr von weltlichen Studien bedauert. Hier im 8. Kapitel nennt Petrarca "das vielleicht schlimmste Übel" die "Hoffnung auf die Zukunft", die uns vom "Leben in der Gegenwart" abhalte. Das "Leben in der Gegenwart" ist nun aber eine sehr eigenwillige und höchst neue Auffassung von der Vita contemplativa - und lässt uns heute z.B. an die Lehre vom "Leben im Hier und Jetzt" der Bhagwan-Bewegung denken. Und gehört die "Hoffnung auf die Zukunft" denn nicht zu den Hauptmerkmalen des Christentums? Hoffnung auf ein kommendes Reich Gottes, auf die Belohnung für irdische Mühsal, auf ein belohnendes und strafendes "Jüngstes Gericht"?


De remediis utriusque fortunae

Eines der meistgelesenen Bücher im Europa der Zeit vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, verfasst wurde es von Petrarca zwischen 1354 und 1366. Wörtlich besagt der Titel "Von den Hilfsmitteln beider Arten von Glück" - gemeint sind Hilfsmittel gegen täuschendes Glück ebenso wie gegen Unglück. Auf Deutsch erschien das Werk zunächst unter dem Titel "Von der Artzney bayder Glück / des guten und widerwertigen" (1532, Peter Stahel/Georg Spalatin), dann unter den griffigeren Titeln "Glücksbuch", "Trostbuch" oder "Trostspiegel". Die älteste deutsche Übersetzung liegt mit dem "Innsbrucker Fragment" vor, das wohl aus dem frühen 15. Jahrhundert, möglicherweise aber auch noch dem 14. Jahrhundert datiert. Von 1463/69 liegen die "Translaze" des Niklas von Wyle vor.

Über sein Arbeitsprogramm erklärt Petrarca in einem Brief vom 1360: "Alle Philosophen, alle Erfahrung und die Wahrheit selbst stimmen darin überein, dass in Zeiten des Unglücks (...) das einzige Heilmittel geduldiges Ertragen (...) und dass in Zeiten des Wohlergehens (...) das einzige Heilmittel die Mäßigung ist (...). Ich hatte es in der letzten Zeit im Sinn, über diese beiden Heilmittel ausführlich zu schreiben" (Fam. 23,12).

Gegliedert ist das Werk in zwei Bücher, von denen das erste sich dem Glück, dem "Gaudium" widmet, das zweite dem "Dolor", dem Schmerz. Beide treten personifiziert als Sprecher in Dialogen auf, denen jeweils die Vernunft, die "Ratio", Antwort und Belehrung gibt. Die Ratio verhandelt dabei die Position des Menschen zwischen den Steuerungsgrößen "Fortuna" und "Virtus". Wir haben also, wie in vielen anderen Werken Petrarcas, eine trinitarische Struktur vorgegeben. Denke wir etwa an Secretum meum, wo Franciscus, Augustinus und die Veritas auftreten, oder den Canzoniere mit den Hauptpersonen Laura, Amor und Liebender. Das dem positiven Glück gewidmete Buch thematisiert unter anderem "Muße und Ruhe" (21), "Schriftstellerruhm" (44), "Angenehme Liebschaften" (69), den "Vortrefflichen Lehrer" (80), das "Friedliche Leben" (90) oder das "Warten auf bessere Zeiten" (115). Das zweite Buch erörtert etwa das "Unglückliche Würfelspiel" (16), die "Unzüchtige Ehefrau" (21), das "Nichtgeachtetwerden" (36), die "Zerstörung des Vaterlandes" (69), "Traurigkeit und Elend" (93) oder das "Freiwillige Handanlegen an sich selbst" (118). Beiden Büchern sind Einleitungen vorangestellt, die für sich höchst lesenswert sind.

So schreibt Petrarca gleich zu Beginn der Vorrede zum zweiten Buch "Von allem Gelesenen oder Gehörten, das meine Zustimmung fand, hat wohl kaum etwas so tief sich in mir eingeprägt, so zäh in mir gehaftet, so häufig dem Gedächtnis Grund zur Wiederholung gegeben wie jenes Wort Heraklits: 'Alles geschieht gemäß dem Streit.'" Petrarca zitiert dabei: "Omnia secundum litem fieri". Dabei führt er in überzeugender philosophischer Deutung den Streitbegriff so aus, wie er bis heute in tieferem Heraklit-Verständnis interpretiert wird, als Widerstreit und Wechselspiel. Man denke etwa an die unüberholten Darstellungen von Georg Simmel in "Der Streit". Leider kursiert im Deutschen nach wie vor die wüste Heraklit-Übersetzung "Der Krieg ist der Vater aller Dinge".

Das Trostbuch enthält neben allgemein lebenspraktischen Erörterungen auch eine an Plinius orientierte, durchaus originelle Kunsttheorie. Petrarcas Auseinandersetzung mit medizinischen Fragen ist unter den Bedingungen eines aktuell exponential sich ausdifferenzierenden und komplizierenden Gesundheitswesen gleichfalls neu lesenswert, betont es doch die Aspekte der Psychosomatik, der Lebensführung und der Eigenverantwortung. In der Summe wird daraus allerdings kein brauchbarer medizinischer Ratgeber, dazu waren Petrarcas einschlägige Kenntnisse zu dürftig und seine polemische Grundhaltung gegen die damalige Schulmedizin zu einseitig (wie etwa der Brief an Giovanni Dondi von 1370 dokumentiert).

Auf Deutsch liegt aktuell lediglich die äußerst löbliche Trostbuch-Ausgabe von Rudolf Schottlaender vor, die 1988 im Wilhelm Fink Verlag erschien. Diese lateinisch-deutsche Ausgabe enthält eine brauchbare Einleitung, die beiden Vorreden Petrarcas und eine äußerst knappe Auswahl der Dialoge, 13 von 233. Schottlaender begründet seine Auswahl durchaus auch mit dem subjektiven Kriterium des heutigen Geschmacks, sondert die Dialoge aus, die uns heute "eher langweilen oder sogar verstimmen".


Familiares

Bis 1366 arbeitete Petrarca an seiner Briefesammlung "Familiarum rerum libri", auch als "Familiares", "Familiaria" oder "Epistolae de rebus familiaribus" bekannt. Sie enthält Briefe der Zeit bis 1360. Eine zweibändige deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel "Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten" 2005 (Bücher 1-12) und 2009 (Bücher 13-24), herausgegeben von Berthe Widmer. Neben dieser Sammlung erstellte Petrarca noch zwei weitere, "Sine nomine" (später gelegentlich auch: "Sine titulo") mit 19 Briefen vorwiegend politischen und kurienkritischen Inhaltes aus den Jahren 1342 bis 1358 und "Seniles" (17 Bücher) mit Briefen aus der Zeit 1361-1374. Nach seinem Tod wurde von Freunden noch die Sammlung "Variae" mit 65 Briefen zusammengestellt, darunter der emphatische Brief an das römische Volk zum Aufstand von 1347.

Im ersten Brief der Familiares, dem Brief an den Freund Socrates vom 13. Januar 1350, bietet Petrarca eine Art Einleitung zu seiner Sammlung. Er berichtet unter anderem, wie er sich im Gefolge des Pestjahres 1348 einer Sichtung seiner Schriften angenommen habe. Dabei habe er einen Großteil seiner Briefe und Gedichte verbrannt, "wohl tausend oder mehr". Einen Teil seiner Briefe habe er aber bewahrt und möchte diese seinem Freund Socrates/Ludwig van Kempen überlassen. In diesem Brief setzt sich Petrarca auch mit bekannten antiken Briefesammlungen auseinander, insbesondere mit Ciceros "Epistulae ad familiares". Im Unterschied zu Autoren der Antike aber habe er, Petrarca, nicht nur wenige Vertraute, denen seine Briefe gelten, sondern eine Vielzahl an unterschiedlichsten Adressaten. Dies verdanke sich seinem unsteten Leben, das Petrarca mit den "Irrfahrten des Odysseus" vergleicht. In diesem Leben habe er "sicher unzählige Bekannte gefunden".

Die Sammlung wurde von Petrarca streng redigiert unter dem Hauptgesichtspunkt, ob ein Brief ihn in Schwierigkeiten bringen konnte etwa bei der Familie Colonna oder am Papsthof. So fehlen frühe Briefe an Cola di Rienzo, die ihn als Parteigänger Rienzos zeigen. Lediglich der Rienzo tadelnde Brief vom 29. November 1347 ist aufgenommen (Fam. 7,7).


Seniles

In 17 Bücher versammelte Petrarca hier seine Korrespondenzbeiträge der Jahre von 1361 bis zu seinem Lebensende 1374. Der erste Brief dieser Sammlung, an Francesco Nelli/Simonides, berichtet 1361 vom Tod des Freundes Socrates (Ludwig van Kempen), dem die große Briefsammlung Familiares gewidmet war. Petrarca bekennt in diesem Brief seine Niedergeschlagenheit und schreibt "Quantum sane vel rerum vel vite superet incertum est;". Er sollte indes immerhin noch 13 Jahre leben und zahlreiche weitere Texte schreiben, darunter die in Seniles versammelten Briefe.

Der Schritt von den Familiares zu den Seniles ist einmal durch den Empfang der ersten Ilias-Übersetzung des Leontius Pilatus und den fiktiven Brief an Homer (Fam. 24,12) als Schlusspunkt der Familiares markiert, zum anderen durch den Tod des Socrates/Ludwig van Kempen als Beginn der Seniles. Genau genommen ist der Brief an Homer der vorletzte Brief der Familiares, jedoch folgt als Fam. 24,13 lediglich eine Nachrede an den Leser. In diesem begründet Petrarca den Abschluss der Familiares auch mit dem bereits überbordenden Umfang ("schon zu dick (...) um noch mehr zu fassen").

Petrarca hatte die Seniles wohl auf 18 Bücher angelegt und betrachtete den "Brief an die Nachwelt" als 18. Buch der Seniles. Seiner besonderen Bedeutung wegen wird dieser Brief jedoch als selbständige Publikation behandelt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Seniles nach wie vor nicht in einer kompletten Druckausgabe vorliegen, lediglich die Bücher I-XII stehen in drei Bänden der Petrarca-Werkausgabe der "Commissione per l'Edizione Nazionale" zur Verfügung, herausgegeben von Silvia Rizzo 2006, 2009 und 2014.

Die Altersbriefe verraten uns mehr über den "privaten" Petrarca als die anderen Sammlungen. Das beginnt schon mit dem ersten Brief, der den Tod des Freundes Socrates beklagt. 1367 schreibt er an den Jugendfreund Guido Sette die gerne zitierte Zeile: "Du strebtest nach Rechtsstreit und Rednertribüne, ich nach Muße und Waldaufenthalt". Und den eigenen "Waldaufenthalt" konkretisiert er wie folgt: "Wie soll ich dir aber jetzt diese ländliche Stille, dies beständige Murmeln des reizenden klaren Bächleins schildern, das Gebrüll der Rinder im Widerhall der Täler, den Chorgesang der Vögel in den Zweigen bei Tage wie zur Nacht?" (Sen. 10,2)


Sine nomine

Die Sammlung umfasst 19 Briefe vorwiegend politischen Inhaltes, die sich etwa auf Petrarcas Sympathien für Cola di Rienzo oder auf seine Kritik am Papsttum in Avignon beziehen. Um sich selbst und die Adressaten zu schützen, brachte Petrarca diese Briefe ohne Verfasser- und Adressatenangaben in Umlauf. Außerdem kursierten die Briefe nur im vertrauten Kreis.

Bekannt sind insbesondere die Briefe 2, 3, 4 und 7, die sich an Cola di Rienzo wenden. Wobei Brief 4 an das gesamte römische Volk adressiert ist, das sich mit Cola di Rienzo erhoben habe, um die Römische Republik neu erstehen zu lassen. Diese so genannten Cola-Briefe sind ein bemerkenswertes Zeugnis der politischen Ambitionen und Interessen Petrarcas und seiner engen Verbundenheit mit Cola von der ersten Begegnung in Avignon an bis zu Colas Tod. Noch der letzte Brief zeigt seine Nähe zu Cola, von der häufig behaupteten Distanzierung Petrarcas nach dem 4. Brief ist nichts zu lesen. Dieser Forschungsmythos kann sich lediglich auf den Brief 7,7 der Familiares stützen, der das "offizielle" Gesicht Petrarcas in dieser Angelegenheit zeigt.

Aufschlussreich sind auch die Briefe dieser kleinen Sammlung, die sich mit dem Papsttum in Avignon kritisch auseinander setzten. In schärfster Polemik attackiert Petrarca hier die Verhältnisse am Papsthof, nennt Günstlingswirtschaft, Verschwendung, Korruption und sexuelle Ausschweifung als vorherrschende Missstände. In der Reformationszeit wurden diese Briefe als argumentative Waffe gegen den Alleinvertretungsanspruch Roms eingesetzt. Der US-amerikanische Romanist Robert Coogan (University of Maryland) vermerkt hierzu, "this is only one of the many ironies associated with Petrarch - in the trecento he labored for the rehabilitation of Roman values by synthesizing them with Christian ones, in the cinquecento his reputation figures in the disintegration of a Romanized Christendom".

Coogan hält es auch für höchst fragwürdig, dass Petrarca hier die "Verweltlichung" der Kirche anprangere, von der er selbst erheblich profitiert habe, der er die finanzielle Grundlage seiner Existenz weitgehend verdanke: Er verfügte über kirchliche Pfründen in Lombez, Pisa, Parma, Padua, Modena und Monselice, er hatte Kaplansstellen bei Kardinal Giovanni Colonna, bei König Robert von Neapel und dessen Nachfolgerin, der Königin Johanna von Neapel inne. Zur gleichen Zeit, als Clemens den fünfzehnjährigen Sohn Petrarcas, Giovanni, mit einer Pfründe in Verona versorgt, prangert Petrarca den laut Coogan integren und effektiven Papst Clemens VI in Brief VII als "Nimrod" (Herrscher von Babylon) an. Das offenbare "a typical example of Petrarch's questionable behavior".

Lektüreempfehlung: Robert Coogan, Petrach's Liber sine nomine and a Vision of Rome in the Reformation, in: "Renaissance and Reformation/Renaissance et Réforme", Vol. 19, No 1 (1983), S. 1-12



EINZELNE BRIEFE

 

An Francesco Dionigi/Dionigi da Borgo San Sepolcro - 26.04.1336

Es handelt sich hier um den berühmten Brief zur Besteigung des Mont Ventoux, gemeinsam mit dem drei Jahre jüngeren Bruder Gherardo. Mit seiner Besteigung des Mont Ventoux markierte Petrarca den Beginn eines neuen Naturverständnisses unter den europäischen Intellektuellen. Petrarca tadelt sich kurz vor dem Abstieg zwar selbst mit einem Augustinus-Zitat: "Und es gehen die Menschen, zu bestaunen die Gipfel der Berge und die ungeheuren Fluten des Meeres (...), und haben nicht acht ihrer selbst." (Bekenntnisse, Zehntes Buch, 8,15). Doch dies hindert ihn nicht, danach sich auf dem Rückweg beständig zurück zum Berggipfel zu wenden.

Der Kunsthistoriker
Jacob Burckhardt (1818-1897) sah in diesem Brief ein erstes Dokument moderner Subjektivität. Bestätigungen hierfür finden wir in den ausgeklügelten psychologischen Reflexionen des Briefes. So behauptet Petrarca ganz zum Ende des Schreibens einen wesentlichen Bezug zwischen der Bereitschaft, körperliche Strapazen einer ungewöhnlichen Naturerfahrung wegen auf sich zu nehmen und der Fähigkeit, auch in moralischer Rücksicht Einschränkungen und Bemühungen auf sich zu nehmen (Augustinus legt eher das Gegenteil nahe). Ferner weist er darauf hin, den Brief unmittelbar nach der Erfahrung, noch im "Basislager" gleichsam, geschrieben zu haben, um von der "Gemütserregung" als Antrieb des Schreibens zu profitieren. Dies mag eine Konstruktion sein, denn in der Forschung wird nicht nur der Zeitpunkt der Abfassung, sondern bisweilen gar die Realität des Ereignisses - so von Giuseppe Billanovich - angezweifelt. Dennoch bleibt der Gehalt dieser Einsicht. Sicherlich waren psychologische Einsichten auch der Antike bereits geläufig - etwa bei den Epikureern. Neu hier ist die Verbindung mit dem Thema der Selbststeigerung und Selbsterkenntnis - ohne unmittelbaren Bezug zur Leidensvermeidung oder Glücksökonomie.

Selten erwähnt wird, dass Petrarca in diesem Brief auch sein Liebesleben anspricht. Er benennt in diesem Brief den Zeitraum 1333/34 als Zeit einer diesbezüglichen Wende: "Noch habe ich nicht das dritte Jahr hinter mich gebracht, seit jener verkehrte und böse Wille, der mich völlig beherrschte und in meiner Herzenskammer ohne Widerspruch regierte, auf einen anderen stiess, der aufbegehrte und sich ihm widersetzte." Ob er damit die Laura-Beziehung meint, bleibt unklar. 1333 hatte Petrarca Köln besucht, für das gleiche Jahr war eine Romreise mit Giacomo Colonna geplant, die Colonna zu Petrarcas Leidwesen ohne diesen unternahm. Laura dürfte in dieser Zeit in den Hintergrund getreten sein. Bemerkenswert ist allerdings, dass im Jahr nach diesem Bekenntnis einer Wende zur "Tugend" 1337 Petrarcas Sohn Giovanni geboren wird, von einer unbekannten Mutter. Im Anschluss an diese Stelle spekuliert Petrarca darüber, ob es nicht genüge, diesen beiden Jahren der Abkehr von den "fleischlichen Befleckungen" (so zitiert er Augustinus) noch weitere zehn Jahre ("zwei fernere Lustren) hinzuzufügen und dann aus dem Leben zu scheiden - "im vierzigsten Lebensjahre dem Tode entgegengehen", um den Abstieg des Greisenalters zu vermeiden.

Der Augustinus-Bezug in diesem Brief erklärt sich nicht nur aus der allgemeinen Begeisterung Petrarcas für diesen Autor und seiner Einschätzung, an einer ähnlichen Lebenswende zu stehen wie einst Augustinus. Der Briefadressat Francesco Dionigi war Augustinermönch und Petrarcas Beichtvater vermutlich seit 1333, als Dionigi nach Avignon kam und die beiden sich kennen lernten (andere Quellen sprechen davon, die beiden hätten sich bereits zuvor in Paris kennengelernt). Dionigi hatte Petrarca mit den Bekenntnissen des Augustinus bekannt gemacht und ihm den Textband geschenkt, der im Brief angesprochen wird.

(Fam. 4,1)



An Olimpio/Luca Cristiani - vier Briefe im Mai 1349

Ein Briefkonvolut, das verdient, ähnlich bekannt zu sein wie der Brief zur Besteigung des Mont Ventoux. Petrarca thematisiert hier Freundschaft und entwirft das Projekt einer Wohn- und Lebensgemeinschaft von Freunden in Petrarcas Haus bei Parma.

Geschrieben sind die in Fortsetzung verfassten Briefe in Parma nach dem Abklingen der Pestepidemie. Der erste Brief ist lediglich als Vorbereitung auf die nachfolgenden Briefe formuliert. Im zweiten Brief (Fam. 8,3) spricht Petrarca das Projekt eines gemeinsamen Lebens an, erklärt sich zunächst auch bereit, über die Vaucluse als möglichen Ort der Gemeinschaft nachzudenken. Er beklagt den Tod zahlreicher Freunde in Avignon, geht dann aber zügig auf konkrete leibliche Bedürfnisse ein und spricht von ermüdenden "städtischen Vergnügungen", denen man in Vaucluse entgehen könne. Anders als in früheren Zeugnissen hält er aber nun die Vaucluse nicht mehr für einen geeigneten Rückzugsort, zumal nicht mit einer Gemeinschaft von Freunden. Obgleich der Freund Socrates/Ludwig van Kempen ihn dränge, dorthin zurückzukehren. Zunächst argumentiert Petrarca mit der dürftigen Versorgungslage in Vaucluse. Er zitiert Aristoteles: "Die Natur genügt für sich allein nicht zum Spekulieren, vielmehr muss auch der Körper gesund und es müssen auch Speisen und das Übrige zum Unterhalt vorhanden sein."

Er erinnert sich an Africa und andere Schriften die er in Vaucluse begonnen oder verfasst habe. Mit ironischem Ton erinnert er sich auch an "die unter jugendlichen Qualen entstandenen volkssprachlichen Lieder, derer ich mich heute reuevoll schäme" - sprich: an seine Liebeslyrik. Mit diesem jugendlichen Werk wolle er nun abschließen. Vaucluse sei auch verbunden mit der Autorität des Kardinals Colonna, der aber sei verstorben. Nun wolle Petrarca sich seiner Freiheit bedienen.

Dann beschreibt Petrarca die üppige Natur und den kulturellen Reichtum Italiens, dem gegenüber ihm nun die Vaucluse dürftig erschiene. In den nächsten beiden Briefen konkretisiert er den Vorschlag an die Freunde, mit ihm zusammen in seinem Haus in Parma zu leben. Im ersten Brief hiervon (Fam. 8,4) mahnt er, nicht mehr an jugendlicher Ungebundenheit zu hängen, sondern eigenständig und auf Dauer den Lebensort und die Lebensform zu bestimmen. Denn der Tod komme rascher, als man erwarte. Sein zentrales Konzept hier ist "Freiheit", auch die Freiheit von Habsucht und einengenden Wünschen.

Der letzte Brief (Fam. 8,5) beginnt mit der stoisch-epikureischen These: "Wir alle trachten nach einem glücklichen Leben". Dies erwartet er sich von einem gemeinsamen Leben mit Freunden. Konkret skizziert er eine bescheidene, dem Luxus abholte "Vita solitaria" in freundschaftlicher Gemeinschaft, mit einer schönen Landschaft zur Naturerfahrung und Städten für kulturelle und soziale Anregungen in der Nähe. In, wie er schreibt, "vollkommener Liebe und gegenseitiger Achtung".

Zitiert wird in diesen Briefen insbesondere Seneca.

(Fam. 8,2 bis 8,5)



An die Florentiner - 02.06.1349

Zum Raubmord an seinem Freund Mainardo Accursio. Petrarca äußert in diesem Brief seine Empörung über einen Raubüberfall auf zwei Freunde in der Nähe von Florenz, der von den Florentinern ungesühnt blieb.

Dem Brief Petrarcas könnte man bei flüchtigem Lesen entnehmen, dass die Freunde als normale Reisende in privater Angelegenheit in unmittelbarer Nähe der Stadt oder gar in den Gassen von Florenz überfallen wurden und die Florentiner nicht in der Lage seien, die Ordnung und Sicherheit in ihrer Stadt zu gewährleisten.

Ganz so war es jedoch nicht. Die beiden Freunde, Mainardo Accursio (im Freundeskreis "Simpliciano" genannt) und Luca Cristiani (Olimpio), beide im Dienste des Kardinals Colonna stehend, sollten 2000 Golddukaten aus Avignon nach Florenz überbringen. Dies wohlgemerkt im Jahr nach der Pest, bei noch anhaltender gesellschaftlicher Zerrüttung. Überfallen wurden sie keinesfalls in unmittelbarer Nähe der Stadt, sondern im Apennin, in der Nähe der Castelli der Familie Ubaldini, die am Überfall beteiligt war. Accursio starb, Cristiani überlebte, blieb aber einige Zeit für Petrarca verschollen. Die Anwesen der Familie Ubaldini wurden später in Strafexpeditionen aus Florenz weitgehend zerstört.

Die im Brief enthaltene lange Anklage an die Mörder mag lediglich als rheorischer Einschub aufgefasst werden. Denkbar ist allerdings, dass Petrarca unter den Herren der Stadt Florenz durchaus auch Mitwisser und Beteiligte des Anschlags vermutete, die er direkt ansprechen wollte. Ganz vergessen dürfte für Petrarca auch nicht die Vertreibung der eigenen Familie aus Florenz 1302 gewesen sein. Der Brief ist ein beredtes Zeugnis der rhetorischen Stärken Petrarcas, die er hier im Interesse seiner Freunde und Vertrauten, wozu auch der Kardinal Colonna gehörte, einsetzt. So erinnert er die Florentiner an deren behauptete Herkunft von den Römern, an geschichtliche Größe, und beschwört Gerechtigkeit als Grundlage des erstaunlichen Erfolges dieser Stadt (faktisch verdankte sie ihren Aufstieg dem Handel, dem Bankwesen, militärischer Stärke und Rücksichtslosigkeit). Er wünsche, so schreibt er, keine Rache, aber doch Aufklärung der Angelegenheit und Bestrafung der Täter und Helfer.

In einem Brief an Socrates (Fam. 8,9), drei Wochen danach datiert, berichtet Petrarca von diesem Überfall und beklagt, dass damit das Projekt der Lebensgemeinschaft mit Freunden (s. Fam. 8,2 bis 8,5) zerstört sei.

(Fam. 8,10)



An Socrates/Ludwig van Kempen - 13.01.1350

Mit diesem gleichsam programmatischen Brief leitet Petrarca seine Sammlung "Familiares" ein.

Zunächst äußert er seine Trauer über den Verlust vieler Freunde im Pestjahr 1348. Im Gefolge der zahlreichen Todesfälle habe er sich die Sichtung seiner Gedichte und Briefe vorgenommen und zahlreiche ("tausend und mehr") verbrannt, "nicht weil sie durchaus missfallen hätten, wohl aber weil sie mehr Künstlichkeit als Erfreulichkeit besassen". Begründet wird dies auch mit dem teilweise sehr schlechten Erhaltungszustand der Papiere. Die berühmte Katze (sofern es sie jemals gab) scheint er damals noch nicht besessen zu haben, denn er spricht auch von Schäden durch Mäuse, ohne eine Katze zu erwähnen. Wie weit auch Trauerverarbeitung bei dieser Schriftenverbrennung eine Rolle spielte, wird im Brief nicht deutlich.

Er spricht Socrates die Briefe zu und die poetischen Werke Barbato (Barbato da Sulmona, gestorben 1363), das sei so einmal besprochen worden. Socrates solle keine "Sprachgewalt" ("gehobene Sprache") erwarten, die stünde Briefen nicht zu und im übrigen stünde sie Petrarca auch nicht zu Gebote - wie er bescheiden anmerkt. Er habe sie auch nicht benötigt, da er "öffentlichen Ämtern fern geblieben" sei. Er stellt es Socrates anheim, selbst zu entscheiden, welche der Briefe er "unter das Volk" bringen möchte, bittet den Freund aber, dabei auf die Bewahrung seines (Petrarcas) Ruf zu achten.

Interessant (und geschickt einleitend) ist dieser Brief auch durch eine stark stilisierte autobiographische Skizze seines Lebens, wobei Petrarca besonders seine häufigen Ortswechsel, schon in der frühen Kindheit, anführt. Diese seien auch der Grund dafür, dass er so unterschiedliche Briefpartner habe. Er sei auch bestrebt gewesen, jedem Briefschreiber im Ton individuell gerecht zu werden, weshalb die Sammlung auch uneinheitlich im Ton sei. Der Autor gesteht auch, einiges an den Briefen gekürzt zu haben - um nicht durch "mancherlei häusliche Sorgen, die zur Zeit der Niederschrift wohl der Bekanntgabe wert waren" zu langweilen.

(Fam. 1,1)



An Karl IV. - 24.02.1350/51

Der Brief enthält den ersten Aufruf Petrarcas an den noch nicht zum Kaiser gekrönten Karl IV., nach Italien zu kommen und die Machtkämpfe im Land zu beenden, Italien zu einen.

Petrarca spricht Karl IV. als "Cäsar" an, Papst Clemens VI. hatte ihm schon die Zusage zur Kaiserkrönung in Rom gegeben, allerdings zögerte der Kaiser noch mit seiner Romfahrt. Zuhause war der monarchische Absolutismus definitiv am Ende, die Reichsfürsten eigenständig und eigenwillig (die Goldene Bulle sollte dies 1356 rechtsfest machen). Dem Papst hatte Karl IV. 1346 erhebliche Zugeständnisse gemacht, alle konkreten Ansprüche auf eine Herrschaft in Italien aufgegeben.

Und nun kommt Petrarca und fordert Karl IV. mit üppiger Rhetorik dazu auf, Italien hinter dem Rücken des Papstes (in Avignon) zu einen und Rom zu neuem Glanz zu verhelfen. Italien sei das eigentliche Zuhause Karls, hier sei er erzogen und als Kind mit seinem Vater, Johann von Böhmen, gereist. Sein Großvater, Heinrich der VII., habe die Einigung Italiens begonnen, er müsse sie vollenden. Als alte, aufrechte aber abgerissene Frau stellt Petrarca Rom dar, "eine Matrone von hohem Alter mit wirrem, ergrautem Haar, zerissenem Mantel, trauriger Blässe und die dennoch mit ungebrochenem, hohem Mut und nicht uneingedenk ihrer einstigen Würde" zu Karl als "Cäsar" spreche und ihn an die Geschichte Roms und des römischen Kaisertums erinnere. Auch den Großvater Karls, Heinrich VII., lässt Petrarca an den "liebenswertesten Enkel" sich wenden.

Petrarca drängt, nach dem Aufstand von Cola di Rienzo und den Wirrnissen der Pest ist die Gelegenheit günstig, die italienischen Städte/Familienclans haben sich noch nicht wieder konsolidiert. In der Tat bestand in diesen Jahren in der Region ein gewisses Macht- und Ordnungsvakuum, ob allerdings "Italien" den Kaiser tatsächlich so freudig begrüßt hätte, wie Petrarca in diesem Brief schildert, mag bezweifelt werden. Das Vakuum wurde dann auch zügig durch die Visconti in Mailand, die Medici in Florenz und andere besetzt - nicht im Sinne einer Reichsidee, sondern dezentral durch mehrere Handels-, Finanz- und Machtzentren.

(Fam. 10,1)


An Francesco Nelli - 09.08.1352

Francesco Nelli war Miglied der bischöflichen Kurie in Florenz. Petrarca lernte ihn gemeinsam mit Giovanni Boccaccio während seines Florenzaufenthaltes im Herbst 1350 kennen. Unter den - eher belanglosen - in die "Familiares" aufgenommenen Briefen an Nelli aus dem Jahr 1352 ragt der Brief vom 9. August 1352 heraus. Hier erlaubt Petrarca einen detailreichen Blick in seine sehr eigene Rezeptionsästhetik, die den Leser als unbedingten Vertrauten konzipiert. Schon im Einleitungssonett des Canzoniere wird deutlich, dass Petrarca an einer persönlichen Beziehung zum Leser gelegen ist und dass er seine Hervorbringungen genauer Aufmerksamkeit für wert befindet - auch wenn er rhetorisch Bescheidenheit signalisiert und als Inhalt des Canzoniere "vane speranze e 'l van dolore" anführt. Und in seinem späten "Brief an die Nachwelt", 1370/71, demonstriert Petrarca einen Anspruch an die Leser auch über Zeiten und Räume hinweg.

In diesem Brief an Nelli nun zeigt Petrarca eine besonders interessante Facette seiner Ästhetik. Er erwarte, dass der Leser "ganz mich allein, (...) im Kopf habe". Wer gerade mit geschäftlichen oder privaten Angelegenheiten zu tun habe, der solle diese für die Zeit der Lektüre beiseite schieben "und (er) richte seine Gedanken auf das, was er vor sich hat". Falls der Leser das nicht könne, solle er auf die Lektüre verzichten. Denn "ich will nicht, dass er ganz ohne Anstrengung aufnehme, was ich nicht ohne Anstrengung hinschrieb". (Fam. 13,5,23) Eine sehr selbstbewußt und anspruchsvoll vorgetragene Programmatik, die zum einen deutlich macht, dass oberflächliche Lektüre keine Erfindung der Moderne ist. Zum anderen installiert Petrarca sich hier als Autorität eines Gehaltes, der über ihn und den Leser hinaus gehe, der Anstrengungen von beiden erfordere, Autor und Leser. Anstrengung und Bereitschaft, wie er in seinem Brief an Francesco Carrara 1373 zu den Qualitäten eines Herrschers nochmals kurz vor seinem Tod ausführt: ""l'efficacia del discorso dipende assai più dalla disposizione dell'animo in chi ascolta, che da qualsivoglia eloquenza die chi favella" (Lettere senili 1869, S. 1087). Der Adressat Nelli darf im übrigen als besonders enger Vertrauter Petrarcas gelten. Sechs der neunzehn Briefe der brisanten Sammlung "Sine nomine" sind an Nelli gerichtet. Und seine Briefsammlung "Seniles" hat Petrarca ausdrücklich Nelli gewidmet. Das gibt den Ausführungen hier ein besonderes Gewicht.

Der Brief hebt an mit der Entfaltung einer persönlichen Anekdote, wonach man Petrarca in der päpstlichen Kurie empfohlen (eigentlich: befohlen) habe, schlichter zu schreiben. Er nimmt dies, in vertrauter Bescheidenheitsgestik, als Lob auf, besage es doch, dass er gehobener, besser schreibe, als er selbst von sich annehme. Und dann erklärt er frank, dass er doch bereits auf der untersten Stileben in seinen Korrespondenzen schreibe, dass er nicht darunter schreiben könne und dürfe, da es darunter nur Nicht-Stil gebe, bäuerliches und plebejisches Schreiben.

Der fiktive Augustinus in "Secretum meum" kritisiert solches als hochmütige Bescheidenheitspose.

(Fam. 13,5)



An den Sohn Giovanni - 30.08.1359

Petrarca selbst adressierte den Brief "an einen Unbelehrbaren" (Fam. 22,7). Sechs Jahre zuvor hatte er, im Herbst 1353, einen anderen erhaltenen Brief an den Sohn mit "an einen ungebärdigen jungen Mann" überschrieben (Fam. 17,2). Diese beiden Briefe dokumentieren, dass Petrarca sich auch um seinen Sohn weit mehr kümmerte, als dies in der Forschung gemeinhin den Anschein hat. Noch immer verbinden wir Petrarcas Liebesleben fast ausschließlich mit seiner obskuren Liebesbeziehung zu Laura. Dass er ein, wie auch immer bruchstückhaftes, eigenes Familienleben hatte, wird weitgehend in der Hintergrund gerückt wenn nicht ganz verschwiegen. Daran hat der Autor Mitschuld, denn in seinem Brief an die Nachwelt kommen seine Kinder und ihre Mutter/Mütter nicht vor - anders als 400 Jahre später bei Rousseau.

Nehmen wir diese beiden Briefe zusammen mit dem wenigen, was über Petrarcas Beziehung zu seiner gleichfalls unehelichen Tochter bekannt ist, die möglicherweise die gleiche Mutter wie der Sohn hatte, so ergibt sich ein durchaus "unmodernes", mittelalterlich-klerikales Bild dieses laut Jacob Burckhardt ersten modernen Menschen. Seine eigene Familie führte, wie auch heute noch bei katholischen Priestern mit "Fehltritten" üblich, ein Schattendasein. Dazu kam eine bizarr anmutende "Liebesbeziehung" zu einer verheirateten Frau, die in den Jahren der Petrarcaschen Anbetung eine zahlreiche Kinderschar zur Welt brachte - womit Petrarca in der Tat alles überbot, was der Minnesang und die arabische Liebeslyrik hervor gebracht hatten.

Der Brief an Giovanni von 1359 blieb in vielen seiner Gehalte bislang unaufgeklärt. Es ist offensichtlich zu einem großen Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn gekommen und der Sohn hält sich auf Veranlassung des Vaters seit 1357 in Avignon auf, möchte aber zurück zum Vater, der in dieser Zeit in Mailand lebte. Der Vater weist dies zurück und erwartet vom Sohn, dass er nicht nur sein Verhalten zum Vater, sondern insbesondere seine Haltung zur Religion ändere. Offensichtlich hat der Sohn sich von der Kirche abgewandt, möglicherweise sich an antiklerikalen Ausschreitungen beteiligt. Haupttenor des Briefes ist, dass Petrarca den Sohn bislang zu nachsichtig behandelt habe. "Ich werde dafür sorgen, dass ich nicht mehr als einer gelte, der mit seiner Treue Dich treulos gemacht und mit seiner Liebe Dich verdorben hat."

Hilfreich zum Verständnis der Vater-Sohn-Beziehung sind auch die Briefe an Guido Sette/Guido von Genua vom Sommer 1357 (Fam. 19,17,9) und vom 01. Dezember 1360 (Fam. 23,12). Im ersten äußert Petrarca noch Hoffnung auf die Entwicklung des Sohnes. Im zweiten resigniert er in Klage darüber, dass der Sohn ihn nicht unterstütze bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten. Im Jahr darauf (1361) stirbt der Sohn in Mailand an der Pest.

(Fam. 22,7)


An Guido Sette, Erzbischof von Genua - vermutlich 1367 - "De mutatione temporum"

Guido Sette ist ein Jugendfreund Petrarcas und offensichtlich enger Vertrauter über die Jahre geblieben, denn an ihn wendet er sich auch in familiären Angelegenheiten, den eigenen Sohn betreffend (Fam. 19,7 und Fam. 23,12). Der Brief an den nunmaligen (1358-1367) Erzbischof von Genua, "Ad Guidonem septem  archiepyscopum Ianuensem", wohl kurz vor dem Tod des Freundes geschrieben, trägt den Titel "De mutatione temporum" und handelt vom Alter. Zu Beginn zitiert Petrarca das Diktum des Horaz aus der Ars poetica, die Alten seien "difficilis, querulus, laudator temporis acti/se puero, castigator censorque minorum" (V. 173f).

Der Brief hat den Charakter eines Lebensrückblickes und wird daher gerne auch zusammen mit dem "Brief an die Nachwelt" erörtert, den Petrarca als Buch XVIII der Seniles betrachtet sehen wollte. Wie schon nach der Einleitung, dem Horaz-Zitat zu vermuten ist, beklagt sich Petrarca über den Verfall der Sitten. Zunächst allerdings erläutert er, warum es nicht notwendig sei, dass die Alten klagen und die Jungen das Leben genießen. Denn es gebe für manche Menschen durchaus ein erfreuliches Alter und für andere eine qualvolle Jugendzeit. Also sei wohl nicht das Alter alleine ausschlaggebend, sondern durchaus auch die Umstände.

Und die Umstände seien im 14. Jahrhundert durchaus unerfreuliche geworden. Die Welt habe sich in eine Hölle verwandelt, so führt Petrarca zunächst am Beispiel des mit Guido Sette gemeinsamen Schulortes Carpentras aus. Bereits wenige Jahre nach dem Weggang der Freunde aus Carpentra sei dieses "domus demonum" (12) geworden. Streitereien, Neid, Gier, Rechtlosigkeit bestimmten den Alltag. Ähnlich sei es Montpellier ergangen, wo die Freunde anschließend Rechtswesen studierten (wohlgemerkt als gerade einmal zwölf-/dreizehnjährige Knaben). Zu ihrer Studienzeit ein Ort des Friedens und der Freundlichkeit, sei es nun von Armut und Elend, "omnium penuria" (14), geprägt. Und so geht es dann fort, allen Orten und Städten, die Petrarca kennengelernt hatte, sei es ähnlich ergangen, hätten sich die Dinge zum Schlechteren gewandelt. Schließlich geht er auch noch auf die Pest und auf Erdbeben ein, auf Naturkatastrophen, die, so scheint es ihm, die ganze bekannte Welt heimsuchen. Und das von der Natur verursachte Unbill erfolge, so schließt er, "permittente quidem aut iubente Deo propter humana flagitia" (67). Dies wirft ein ganz anderes Licht auf die gelegentlichen Hinweise Petrarcas, im "letzten Zeitalter" zu leben. Diese Hinweise werden in der Regel positiv gedeutet, als Erwartung eines goldenen Zeitalters, eines Zeitalters der Vernunft und des Friedens. Hier klingt eher die Erwartung eines strafenden Weltendes an. Man lese hierzu auch den 11. Brief "Sine nomine", mit der Erwartung einer strafenden Flut für Avignon ("scelerum universali diluvio"), ohne einen Noah. Doch überzeugend klingt der Verweis auf göttliche Intervention an beiden Stellen nicht. Im Falle Avignons scheinen die Menschen selbst diese "Flut" zu produzieren, im Falle des Lebensrückblicks führt Petrarca immer wieder aus, dass die Ursachen des seine Zeit prägenden Wandels unbekannt seien, dass aber Wandel zum Grundprinzip des Lebens gehöre. "Non queror ergo mutata tempora, nec causas quero, sed mutationem astruo contra opinionem nostrorum qui" (56).

Dieser letzte Brief an Guido Sette ist auch bedeutsam durch Petrarcas Bekenntnis zum ländlichen Leben. Schon mit 12 Jahren habe er die Vaucluse als die ihm bestimmte Heimat erkannt (27). Dann stellt er sein Leben mit der Neigung zur Waldeinsamkeit dem vom Freund gewählten Leben gegenüber: "Wie soll ich dir aber jetzt diese ländliche Stille, dies beständige Murmeln des reizenden klaren Bächleins schildern, das Gebrüll der Rinder im Widerhall der Täler, den Chorgesang der Vögel in den Zweigen bei Tage wie zur Nacht?" - "Quid vero tibi nunc ego illud agreste silentium .. explicem?" (28)

Es gibt eine Passage in diesem Brief (25), die eine frühere Datierung, eher auf 1358, nahelegt, wo Petrarca sich an seine Kindheit mit ca. 12 Jahren erinnert und ausführt, sein Vater sei damals etwa im gleichen Alter gewesen wie Petrarca zur Zeit des Briefes. In der Forschung wird dies jedoch lediglich als großzügige Chronologie Petrarcas gewertet, mit der er allgemein zwischen Kindheit und Alter habe unterscheiden wollen. Die Erwähnung des Basler Erdbebens von 1356, die Petrarca auf etwa 11 Jahre zurückliegend datiert (66), bestätigt die Datierung des Briefes auf 1367.

(Sen. X,2)


An Giovanni Dondi (dall'Orologio), "da Padova" - 17.11.1370

"Ich bitte dich, berufe dich mir gegenüber nicht auf diese deine Araber; ich hasse sie insgesamt. (...)  Ich weiß, wie ihre Dichter beschaffen sind; es lässt sich nichts denken, was weichlicher, üppiger, entnervter, sittenloser wäre." ("Unum antequam desinam te obsecro, ut ab omni consilio mearum rerum tui isti Arabes arceantur atque exulent: odi genus universum. (...) Arabes vero (...) quales autem poete, scio ego: nichil blandius, nichil mollius, nichil enervatius, nichil denique turpius." - Sen. XII,2,271-273) Diese Passage gehört zu den am häufigsten zitierten aus den Briefen Petrarcas. Der Freund Giovanni Dondi berief sich auf "die Araber" als medizinische Autoritäten. Petrarca wollte diese Autorität nicht als Mediziner anzweifeln, sondern aus poetologischer, moralphilosophischer und wohl auch politisch-chauvinistischer Perspektive. Aus heutiger Sicht und Quellenlage irritiert diese Aussage zunächst, denn die hispano-arabische Literatur ist der Petrarcaschen Poetologie auffallend nahe und die Liebeskonzeption eines Ibn Hazm al-Andalusi könnte durchaus als unmittelbare Vorlage der Petrarcaschen Konzeption aufgefasst werden. Doch Ibn Hazm wurde 310 Jahre vor Petrarca geboren. Und die hispano-arabische Literatur hatte zu Petrarcas Zeit ihren Höhepunkt weit überschritten, war zum einen von darstellungsfeindlichen Strömungen innerhalb des Islam großteils vernichtet, zum anderen popularisiert und banalisiert.

Petrarcas Äußerung - nebenbei im hohen Alter, vier Jahre vor seinem Tod geschrieben - gehört in die Nachfolge der (zu Petrarcas Jugendzeiten) Auseinandersetzung innerhalb der sizilianischen Dichterschule und bei den anderen Vertretern des "Dolce stil nuovo" mit der arabischen Liebeslyrik, und in den Kontext der Aneignung des antiken philosophisch-weltanschaulichen Erbes, die auch als Abgrenzung gegen den arabisch-islamischen Kultureinfluss gewertet werden muss. Avicenna (Abū Alī al-Husain Ibn Abdullāh Ibn Sīnā) und Averoes (Abū I-Walīd Muḥammad Ibn 'Aḥmad Ibn Rušd) verloren damals auch ihre Autorität als maßgebliche Vermittler des antiken Denkens.

Der Brief an Giovanni Dondi handelt ansonsten von ganz anderen, nämlich medizinischen Themen. Damit steht er nicht alleine innerhalb der Sammlung "Seniles", deren Texte häufig von Alter, Lebensgefahren, Krankheit und Tod handeln oder diese doch zumindest prominent ansprechen. Auch der zweite Brief des XII. Buches der Sammlung "Seniles" ist an Giovanni Dondi gerichtet. Zentrales Thema in beiden sind die Erkrankungen Petrarcas, die ihn, wie er im Brief XII,1 schreibt, nach einem gesunden und vitalen Leben nun plötzlich gleich mehrfach betreffen und dem Tode nahe bringen, "ego, nondum quidem in morte sed in morbo gravi ac multiplici et nescio quam vicinus morti", "imo qui prosperrima ad hoc tempus fretus valitudine" (Sen. XII,1,2-3).

Petrarca wendet sich im Brief vom 17.11.1370 gegen die Ratschläge des Freundes zu einer alters- und krankheitsadäquaten Lebensführung und insbesondere dagegen, sich Fachleuten, Medizinern anzuvertrauen. Petrarca vertraue mehr der Natur als den Medizinern, teilt er dem Freund in fast schon aggressiv anmutendem Ton mit. "Neque tamen hoc medicis sed nature credo, imo nec id ipsum credo sed scio." (Sen. XII,2,232) Wesentlich geht es in diesem Brief auch um konkrete Ernährungsanweisungen, wobei Petrarca eher auf Wasser, Früchte und das Fasten setzt, sein Freund eher auf Rotwein und Fleisch zur Kräftigung. Kurze Zeit nach diesem Brief erlitt Petrarca vermutlich einen Herzinfarkt.

(Seniles XII, 2)


Brief an die Nachwelt - 1370/71

1370/71, wenige Jahre vor seinem Tod und abgebrochen durch einen von der Forschung angenommenen Herzinfarkt, verfasste Petrarca seinen Brief an die Nachwelt ("Posteritati"), eine stilisierte und dennoch aufschlussreiche, oft erstaunlich unverhüllte Darstellung seines Lebens, von der Kindheit bis zum Jahr 1351.

Der Brief wendet sich in direkter Du-Ansprache an unbekannte Leser in der Zukunft und in fremden Länder. Er möchte nach seinen einleitenden Worten diesen Lesern, die vielleicht Gerüchte über den Autor vernommen haben, die ein Bild aus zweiter Hand präsentiert bekamen, die Möglichkeit geben, den Autor direkt, durch dessen Selbstbeschreibung kennen zu lernen.

Zunächst geht Petrarca kurz auf seine Familie und seine Veranlagungen ein, die er beide als nicht ungünstig, aber auch nicht besonders privilegiert oder besonders herausgehoben darstellt. Danach erklärt er, die Kindheit habe ihn betrogen (vermutlich denkt er an die Flucht der Eltern und den frühen Tod der Mutter) und die Jugend verdorben (eine Neigung zur Verschwendung und ein wohl eher freizügiges Sexualleben dürfen angenommen werden) - das Alter aber habe ihn gebessert, das Alter und die weise Führung Gottes.

Zu seiner körperlichen Gestalt meint er desgleichen, dass sie eher durchschnittlich gewesen seien. Nicht kräftig aber gewandt, nicht hervorragend schön, aber in der Jugend ansehnlich sei er gewesen. Bis ins Alter sei er gesund gewesen, dann hätten ihn die üblichen Altersschwächen heimgesucht.

Nach diese Einstiegsskizze geht er etwas genauer auf seine Herkunft und seine Eigenschaften ein, wobei er die kritischen Töne der Einleitung etwas zurücknimmt. Er sei keineswegs geldgierig und verschwenderisch gewesen, allerdings weniger, weil er nicht gerne reich gewesen wäre, sondern weil er die mit Reichtum verbundene Mühe gehasst habe. Auch sei sein Liebesleben eigentlich keusch gewesen, er habe nur einmal, und dies ehrbar, wirklich geliebt - gemeint ist die Leidenschaft für Laura. Keineswegs sei er hochmütig gewesen (was ihm wohl häufig unterstellt wurde), es sei der Drang zur Freiheit gewesen, der ihn oft ungesellig und abweisend gemacht habe. Zu seinen geistigen Fähigkeiten meint er, sie seien eher auf ruhige Arbeit und Betrachtung als auf Kritik und Innovation gerichtet gewesen.

Danach folgt ein Abriss seines Lebens von der frühesten Kindheit bis 1351, wobei er sich wiederum explizit bescheiden gibt, seine Fähigkeiten und Verdienste kleinschreibt. Understatement ist der sich anbietende moderne Begriff für seinen Darstellungsstil hier - und nicht nur hier, sondern in seinem gesamten Werk.


An Francesco Carrara - 1373

Die Familie der Carrara herrschte in Padua zwischen 1318 und 1405. Giacomo II. veranlasste Petrarca 1348, sich für einige Zeit in Padua niederzulassen. 1349 bekam Petrarca von seinem Gönner das Kanonikat des Hl. Jakobus an der Kathedrale zu Padua zugesprochen. 1350 wurde Giacomo von einem Verwandten ermordet. Ihm folgte der gerade 25jährige Sohn Francesco, Adressat dieses Briefes aus der Sammlung "Seniles". Gezeichnet von einem Schlaganfall/Herzinfarkt 1370 fasst Petrarca hier kurz vor seinem Tod nochmals zusammen, was er als seine politische Lehre versteht, "Quale esser debba chi regge il governo della sual patria".

Das Programm des Briefes verkündet bereits, dass Petrarca bis zuletzt Republikaner war. Er wendet sich nicht an einen autokratischen Herrscher, sondern an den, der einer Regierung vorstehe, "chi regge il governo". Nach einer langen Bescheidenheitserklärung und ausführlichen Verneigungen vor dem Adressaten und seiner Familie rechtfertigt Petrarca, wie er es wagen könne, zu einem Thema, das zur Erörterung eigentlich vieler Bücher benötige, nur einen Brief zu schreiben: "l'efficacia del discorso dipende assai più dalla disposizione dell'animo in chi ascolta, che da qualsivoglia eloquenza die chi favella" (Lettere senili 1869, S. 1087).

Mit einem Cicero-Zitat aus dem sechsten Buch von "De re publica", das sich an Scipio Acricanus wendet, leitet Petrarca dann über zum thematischen Teil seines Briefes ("prima di entrare in materia") - und zitiert damit natürlich auch sein eigenes Werk "L'Africa", das diesem römischen Heerführer verbunden ist. Cicero verweist auf eine Transzendenz, die auch Petrarca nun, christlich gewendet, anführt. Wir würden dem Autor sicherlich Unrecht tun, wollten wir dies lediglich als rhetorischen Kunstgriff auffassen. Wie konkret christlich ausgestaltet die Transzendenzvorstellung Petrarcas gewesen sei, mag dahin gestellt bleiben. Ich halte es jedoch für ausgemacht, dass er davon überzeugt war, nur eine transzendente Instanz könne eine gelingende Herrschaft - und damit gelingendes gesellschaftliches Leben - garantieren: "porgiti sempre più grato e divoto a Lui che largisce ogni bene, ogni virtù, perché dandoti forza a superare ogni più difficile impedimento" (S. 1089).

Konkret fordert Petrarca dann bemerkenswerterweise zunächst, was wir heute die unbedingte Verpflichtung auf Rechtsstaatlichkeit nennen würden. "Sia amico della giustizia". Nicht durch Willkür, durch das Schwert, über die Furcht der Untertanen solle regiert werden, sondern durch Liebe - womit die gemeinsame Verpflichtung auf eine umfassende Ordnung intendiert ist.

(Seniles XIV, 1)












Petrarca ist in den vorstehenden Texten zitiert nach:

Le Rime (Canzoniere, Trionfi). Hg. v. Enrico Bianchi, Firenze 1958
Dichtungen, Briefe, Schriften. Hg. v. Hanns W. Eppelsheimer, Frankfurt (Main) 1980
Das einsame Leben (De vita solitaria, Secretum meum). Hg. v. Franz Josef Wetz, üs. v. Friederike Hausmann, Stuttgart 2004
Familiaria. Hg. u. üs. v. Berthe Widmer, Berlin/New York 2005, 2009
Res Seniles, Libri IX-XII, a cura di Silvia Rizzo, Firenze 2014
Lettere senili. Volgarizzate e dichiarate con note da Giuseppe Fracassetti, Firenze 1869



Augustinus ist zitiert nach:

Confessiones. Lateinisch und deutsch. Üs. v. Joseph Bernhart, München 1955