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Georg Trakls Leben und Werk

              Hartmut Schönherr



Entenpaar mit Jungen auf einer Wiese bei Salzburg














    
INTERPRETATIONEN EINZELNER GEDICHTE  
  


SEITENINHALT

Leben, Werk und literaturhistorische Bezüge: Biografie - Tabellarischer Lebenslauf - Publikationsgeschichte - Rezeption - Trakls Stellung in der Literaturgeschichte - Förderer - Expressionismus - Symbolismus - Abstraktion und Lyrik - Trakl und Heym: Kriegsbilder, Naturbilder - Im Zeichen des Saturn - Klangstrukturen in Trakls Lyrik - Vertonungen - Malerische Strukturen - Wechselseitige Erhellung der Künste - Synästhesien - Topografien - "Prophet" des Ersten Weltkrieges - "Vertraklt" - Sex & Drogen - Trakl und Petrarca - Nikolaus Lenau - Arthur Rimbaud - Friedrich Hölderlin - Novalis - Johann Christian Günther

Orte, Motive, Themen: Salzburg - Innsbruck - Garten-Motiv - Die Stadt - Das Dorf - Die Magd - Die Schwester, Blutschuld, Inzest - Der Bruder - Der gute Hirt - Engel - Knabenmythos - Tiermythos - Wasser - Musik - Krieg - Abend - Herbst - Die Amsel - Vogelzug - Der Wolf - Verfall

Die Farbenwelt Georg Trakls:  Blau - Gelb - Golden - Rot - Purpur - Rosig - Braun - Grün - Schwarz - Grau - "Dunkel" - Weiß - "Hell" - Silbern

Briefe: An Karl von Kalmár, August/September 1905 - An Karl von Kalmár, 30.09.1906 - An Hermine Trakl, 05.10.1908 - An Maria Geipel-Trakl, Ende Oktober 1908 - An Erhard Buschbeck, Mai/Anfang Juni 1909 - An Erhard Buschbeck, erste Hälfte Juli 1910 - An Erhard Buschbeck, zweite Hälfte Juli 1910 - An Friedrich Trakl, Herbst 1910 - An Erhard Buschbeck, Spätherbst 1911 - An Erhard Buschbeck, 24. April 1912 - An Ludwig Ullmann, um den 24. Oktober 1912 - An Ludwig von Ficker, Anfang Dezember 1912 - An Erhard Buschbeck, zweite Hälfte Januar 1913 - An Karl Borromaeus Heinrich, um den 19. Februar 1913 - An Ludwig von Ficker, 23. Februar 1913 - An Erhard Buschbeck, 02. April 1913 - An den Kurt Wolff Verlag, 27. April 1913 - An Ludwig von Ficker, 26. Juni 1913

Primärtexte und Deutungen zu Trakls Gedichten finden Sie auf der Interpretationen-Seite.

   
KURZESSAYS ZU LEBEN, WERK UND LITERATURHISTORISCHEN BEZÜGEN



Biografie

Georg Trakl wurde am 03. Februar 1887 in Salzburg, Waagplatz Nr. 2 ("Schaffnerhaus"), geboren und starb am 03. November 1914 im Garnisonsspital Krakau an Herzversagen infolge einer Kokainvergiftung.

Trakl lebte in jenem Land, das Robert Musil in "Der Mann ohne Eigenschaften" als "Kakanien" bezeichnete, im kaiserlich-königlichen Österreich, in einer Zeit des Umbruchs und des Niedergangs der Monarchie. Sein Vater Tobias Trakl war ein wohlhabender Eisenwarenhändler, die Mutter Maria Catherina, geb. Halik, widmete sich einer umfangreichen Antiquitätensammlung und litt unter psychischen Problemen, die nach Berichten der Familie auch mit Medikamentenmissbrauch verbunden waren.

Trakl verbrachte mit seinen fünf Geschwistern (dazu lebte zunächst zeitweise noch ein Halbbruder aus erster Ehe des Vaters, Wilhelm, fast 19 Jahre älter als Georg, im Haushalt der Eltern) eine materiell gesicherte Kindheit. Eine offensichtlich äußerst engagierte Gouvernante aus dem Elsass, Marie Boring, war mit der Erziehung der sechs jüngeren Kinder (in der Reihenfolge der Geburt: Gustav, Maria, Hermine, Georg, Friedrich, Margarethe) betraut und vermittelte Georg Trakl früh das Interesse an französischer Sprache und Literatur. Als Katholikin im protestantischen Haushalt war Marie Boring der Überlieferung zufolge von religiös motivierten Schuldgefühlen belastet - gerade im Blick auf die Erziehung der Kinder. Mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Margarethe/Marguerite/Grete/Gretl verband Georg Trakl eine enge Beziehung, die in weiten Teilen der Forschung als inzestuös eingestuft wird. Spätestens mit Christoph Starks Film "Tabu" von 2011 ist dies auch allgemeiner Bestand des Trakl-Bildes. Der Trakl-Biograph Hans Weichselbaum (Leiter der Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte Salzburg) sieht allerdings im Anschluss an Eberhard Sauermann, Gunther Kleefeld und andere in den Inzestmotiven der Gedichte und Prosastücke Trakls lediglich symbolische Wunscherfüllung, nicht reale Lebenserfahrung am Werk (Weichselbaum 1994, Weichselbaum 2005).

Mit 15 hatte Georg Trakl die ersten Drogenerfahrungen (Chloroform, Opium), möglicherweise hat er sich am Medikamentenschrank der Mutter bedient. In dieser Zeit entstanden auch seine ersten Gedichte. Seine schulischen Leistungen sanken dramatisch und 1905 verlässt er das Gymnasium mit der Mittleren Reife und beginnt ein Praktikum in der Apotheke "Zum weißen Engel" Salzburg, in der Linzer Gasse. 1906 werden zwei Einakter Trakls am Salzburger Stadttheater aufgeführt, von der Kritik allerdings überwiegend negativ aufgenommen. Trakl vernichtete die beiden Texte daraufhin. 1908 erschien sein Gedicht "Das Morgenlied" in der Salzburger Volkszeitung. 1908 bis 1910 studierte er in Wien Pharmazie und schloss mit dem Magisterexamen ab (Gesamtprädikat "genügend"). Vom 01. Oktober 1910 bis 30. September 1911 diente er als Einjähriger Freiwilliger Pharmazeut bei der k.u.k. Sanitätsabteilung No. 2 in Wien. Danach wurde seine Berufskarriere brüchig. Sein Alkohol- und Nikotinkonsum führte zudem zu andauernden finanziellen Problemen, die auch seine persönlichen Beziehungen belasteten. Häufig bat er Freunde um Unterstützung. Im Mai 1913 begann er, seinen Bücherbestand an Karl Hauers Wiener Antiqariat zu verkaufen. In diesem Kontext erstellte er auch das bekannte Bücherverzeichnis (Werke II, Seite 727).

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Trakl im August 1914 aktiviert und Anfang September als "Medikamentenakzessist" nach Galizien (in der heutigen Ukraine) beordert. Dort war er in einem Feldspital während und nach der Schlacht bei Grodek eingesetzt. Dabei erlitt er einen Nervenzusammenbruch, beschrieben sind in der Krankenakte auch psychotische Störungen. Am 07. Oktober wurde er ins Garnisonsspital Krakau (Karmeliterkloster) zur Beobachtung überführt. Dort schrieb er die Gedichte "Klage" und "Grodek", die er zusammen mit einer letzten Verfügung zu Gunsten seiner "lieben Schwester Grete" am 27. Oktober an Ludwig von Ficker schickte. Am 03. November 1914 starb Georg Trakl mit 27 an einer Überdosis Kokain, die er sich selbst verabreicht hatte, durch Herzversagen.

Kurz zuvor hatte Ludwig von Ficker ihn besucht (24./25. Oktober). Wie er später berichtete, habe er Trakl dabei gefragt, ob er noch "Gifte besitze". Trakl habe geantwortet: "No freilich, als Apotheker, ich bitt' Sie, wär' ich denn sonst noch am Leben?"

Lektüreempfehlung: Walther Killy und Hans Szklenar (Hrsg.), Georg Trakl. Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Band II, Otto Müller Verlag Salzburg, 1969




Tabellarischer Lebenslauf


1887
Am 03. Februar wird Georg Trakl um 2:30 Uhr am Waagplatz Nr. 2 in Salzburg als viertes Kind einer protestantischen Familie in katholischem Umfeld geboren. Der Vater Tobias ist wohlhabender Eisenwarenhändler ungar-deutscher Herkunft, die Mutter Maria Catherina, geb. Halik, stammt aus der Wiener Neustadt.

1891
Am 08. August wird Trakls Schwester Margarethe geboren, mit der ihn später eine problematische Beziehung mit inzestuösen Zügen verbindet.

1892
Trakl wird in die Übungsschule der katholischen Lehrerbildungsanstalt eingeschult. Den Religionsunterricht besucht er in einer protestantischen Schule.

1897
Im Herbst wechselt Trakl an das Staatsgymnasium in Salzburg. Befreundete Mitschüler: Erhard Buschbeck, Karl von Kalmár, Karl Minnich, Franz Schwab.

1901
Trakl muss die 4. Gymnasialklasse wiederholen.

1904
Aufnahme in den Dichter-Zirkel "Apollo" (später "Minerva").

1905
Trakl wird am Ende der 7. Gymnasialklasse nicht versetzt und verlässt das Gymnasium. Er beginnt ein Praktikum in der Apotheke "Zum weißen Engel".

1906
Aufführung zweier kleiner Stücke Trakls ("Totentag", "Fata Morgana") im Stadttheater Salzburg.
Erste Veröffentlichung, "Traumland", in der Salzburger Volkszeitung.

1908
Februar: Erste Gedichtveröffentlichung in der Salzburger Volkszeitung, "Das Morgenlied".
September: Abschluss des Apotheker-Praktikums mit "Tirocinalzeugnis".
Oktober: Immatrikulation zum Pharmazie-Studium in Wien.

1910
Am 18. Juni stirbt der Vater, Tobias Trakl.
Im Juli erste Kontakte mit Karl Kraus.
Am 25. Juli Trakls Sponsion zum Magister der Pharmazie.
Am 01. Oktober Antritt des militärischen Dienstes als Einjährig-Freiwilliger bei der 2. Sanitätsabteilung in Wien.

1911
Im Oktober Beginn des Kontaktes mit der Literatur- und Kunstgesellschaft "Pan" in Salzburg.
10. Oktober Bewerbung um eine Rechnungspraktikantenstelle im Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien.
15. Oktober Rezeptarius in der Salzburger Apotheke "Zum weißen Engel".

1912
01. April Antritt des Probedienstes als Militärmedikamentenbeamter in Innsbruck, Garnisonsspital Nr. 10.
Im Mai erste Begegnung mit Ludwig von Ficker, "Brenner"-Herausgeber.
17. Juli Hochzeit der Schwester Margarethe.
Am 01. Oktober Übersetzung in den Aktivstand als Militärmedikamentenbeamter; gleichzeitig beginnt die regelmäßige Veröffentlichung von Gedichten Trakls im "Brenner".
Einleitung einer Subskription zur Veröffentlichung eines Gedichtbandes von Trakl.
Zum 01. November erhält Trakl eine Rechnungspraktikantenstelle im Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien. Er stellt ein Gesuch um Versetzung in die Reserve als Militärmedikamentenbeamter und beantragt Aufschub des Dienstantritts als Rechnungspraktikant.
Im Dezember bietet Trakl eine Sammlung seiner Gedichte dem Verlag Albert Langen in München an.
31. Dezember Dienstantritt als Rechnungspraktikant nach Versetzung in die Reserve.

1913
01. Januar Gesuch um Entlassung aus der Stelle als Rechnungspraktikant.
Februar und März in Salzburg zur Regelung familiärer Angelegenheiten. Auflösung der Eisenwarenhandlung des Vaters Tobias Trakl.
18. März Bewerbung um eine Stelle als Rechnungskontrollbeamter beim Kriegsministerium und Bitte um Aktivierung - unterstützt von einflussreichen Freunden.
19. März Bescheid über die Ablehnung seiner Gedichte vom Verlag Langen.
01. April Angebot des Kurt Wolff Verlages Leipzig zur Herausgabe einer Gedichtsammlung. Im Juli wird der Band unter dem Titel "Gedichte" veröffentlicht.
04. April Löschung der Eisenwarenhandlung Tobias Trakl & Co. aus dem Gewerberegister.
15. Juli Aufnahme des unbesoldeten Probedienstes als Rechnungspraktikant beim Kriegsministerium.
12. August Verzicht auf den Probedienst nach längerer Krankmeldung.
16. bis 20. August Venedigreise mit Karl Kraus, Peter Altenberg, Adolf und Bessie Loos.
21. August Gesuch um eine Assistentenstelle im Sanitäts-Fachrechnungsdepartement des Ministeriums für öffentliche Arbeiten. Mitte Dezember erhält Trakl die Absage des Ministeriums.

1914
06. März schickt Trakl das Manuskript für seinen zweiten Gedichtband, "Sebastian im Traum", an den Kurt Wolff Verlag.
Mitte März Besuch bei seiner Schwester Margarethe, verheiratet mit dem Theater-Verleger Arthur Langen, in Berlin. Die Schwester hatte eine Fehlgeburt erlitten (Brief 112) und Trakls Unterstützung erbeten. Begegnung mit Else Lasker-Schüler.
08. Juni Anfrage beim Königlich Niederländischen Kolonialamt um eine Anstellung, Ablehnung zehn Tage später.
24. August Mobilisierung als Medikamentenakzessist.
Anfang September Stationierung in Gallizien.
07. Oktober Einweisung in das Garnisonsspital Krakau.
24./25. Oktober Besuch Ludwig von Fickers in Krakau.
03. November 9 Uhr abends Herzstillstand als Folge einer Kokainvergiftung.




Publikationsgeschichte

Zwei Einakter ("Totentag", "Fata Morgana"), die dank der Beziehungen seiner Eltern und dem Einsatz des Dramatikers Gustav Streicher 1906 am Stadttheater Salzburg aufgeführt wurden, hat Georg Trakl nach negativen Kritiken vernichtet. 1909 schickte er das Gedicht "Melusine" an den Salzburger Jugendfreund Erhard Buschbeck, der später als Schriftsteller und Dramaturg reüssierte, mit der Bitte: "Habe die Güte es an irgend eine Zeitung zu schicken - da ich selbst mich ja doch nie dazu aufraffen werde. Marke lege ich bei!" Drei seiner ersten veröffentlichten Gedichte ("Einer Vorübergehenden", "Vollendung" und "Andacht") wurden kurz darauf durch den Freund an das Wiener Journal vermittelt. Über Buschbeck lernte Trakl 1912 auch den Herausgeber der Halbmonatszeitschrift Der Brenner, Ludwig von Ficker, kennen. Dieser veröffentlichte dann regelmäßig Gedichte von Trakl, die dem Verleger Kurt Wolff aus Leipzig auffielen, der am 1. April 1913 anfragte, ob Trakl einen Gedichtband in seinem Verlag publizieren möchte. Der Band "Gedichte" erschien dann noch 1913. In den Verhandlungen mit dem Verleger zeigte Georg Trakl durchaus unternehmerisches Geschick - so verhinderte er den Vorabdruck einer Auswahl der Gedichte. Nach Trakls Tod veröffentlichte der Wolff-Verlag 1915 den Gedichtband "Sebastian im Traum", den Trakl noch mit vorbereitet hatte.

1917 veröffentlichte der Kurt-Wolff-Verlag eine Gesamtausgabe der Gedichte, herausgegeben von Trakls Freund Karl Röck. 1924 erschien als erste Übersetzung eine Ausgabe von "Sebastian im Traum" auf Tschechisch. 1926 wurden erste Erinnerungen an Georg Trakl (unter dem Titel "Erinnerung an Georg Trakl", Innsbruck, Brenner-Verlag) veröffentlicht. 1929 legte der Wolff-Verlag seine Gesamtausgabe neu auf. 1933 erschien ein Band mit Trakl-Gedichten im Insel-Verlag unter dem Titel "Gesang des Abgeschiedenen". 1938 startete die Werkausgabe des Otto Müller Verlages Salzburg mit den "Dichtungen", 1939 folgte im gleichen Verlag ein Band mit den "Jugenddichtungen". Im gleichen Jahr legte der Insel-Verlag "Gesang des Abgeschiedenen" neu auf. Nach einer kriegsbedingten Unterbrechung erschien 1946 eine Gesamtausgabe der Gedichte im Verlag "Die Arche".

Danach erscheinen in kurzer Folge ab 1948 weitere Auflagen einzelnen Bände der Werkausgabe des Otto Müller Verlages, deren dritter Band, mit den Gedichten aus dem Nachlass, Briefen, Fotos, Essays und einer Biografie, 1949 erschien, herausgegeben von Wolfgang Schneditz. Einen neuen Schritt in der Publikationsgeschichte markierte 1969 die zweibändige historisch-kritische Ausgabe der "Dichtungen und Briefe" von Walther Killy und Hans Szklenar im gleichen Verlag, wobei der erste Band Gedichte, Prosatexte und Briefe enthält, der zweite einen umfangreichen Variantenapparat, Erläuterungen, eine Biografie und ein bemerkenswertes Konvolut von Dokumenten. Dem folgte mit gebührender Verzögerung marktbewußt eine günstige Taschenbuchausgabe des ersten Bandes. 1987 erschien eine zweite, korrigierte und ergänzte Neuauflage der zweibändigen gebundenen hinstorisch-kritischen Ausgabe.

Die auf sechs Bände angelegte "Innsbrucker Ausgabe" von Eberhard Sauermann und Hermann Zwerschina, die im Verlag Stroemfeld/Roter Stern erscheint (Startjahr 1995, Abschluss zum 100. Todestag Trakls 2014 mit Band VI - Dokumente und Nachträge), präsentiert neben Faksimiles der Trakl-Handschriften auch einen Lesetext, der den Prozesscharakter des Traklschen Dichtens zeigen möchte und nicht unterscheidet in Lesefassung und Apparat. Laut editorischem Konzept möchten die Herausgeber "einen Überblick über die Veränderungen von Trakls Texten ermöglichen und neue Zugänge zu deren Verständnis schaffen, nicht zuletzt durch einen Einblick in Trakls Technik der Montage, der Selbstzitate und der Übernahmen vor allem von Hölderlin und Rimbaud". Diese Ausgabe folgt damit ähnlichen Prinzipien wie die bei Stroemfeld/Roter Stern erschienene "Frankfurter Ausgabe" der Werke Hölderlins.



Rezeption

Die Reaktionen auf Trakls Gedichte im intellektuellen Milieu der Vorkriegszeit waren durchweg positiv. Zu seinen Freunden und Unterstützern zählten unter anderem der Maler Oskar Kokoschka, der "Fackel"-Herausgeber und -Alleinschreiber Karl Kraus, der Architekt Adolf Loos, der Philosoph Ludwig Wittgenstein und die Lyrikerin Else Lasker-Schüler. Rainer Maria Rilke schrieb 1915 voller Bewunderung an Ludwig von Ficker: "Trakls Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel". Trakls früher Tod, die gesellschaftlichen Veränderungen durch den ersten Weltkrieg, eine Politisierung der Literatur in der Zwischenkriegszeit und die Kritik am - literarischen - Expressionismus, er sei ein geistiger Vorbereiter des Krieges gewesen, hielten das Interesse verhalten. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurde expressionistische Literatur ebenso wie die expressionistische Malerei als "entartet" eingestuft, allerdings im Bereich Lyrik nicht ausdrücklich verfolgt. So stand Trakls Werk nicht auf der Liste der Bücherverbrennung, anders als die Werke von Kasimir Edschmid oder Franz Werfel, ersterer wurde als Avantgardist (trotz nationaler Gesinnung), letzterer aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfolgt, beide verfassten auch beachtete Dramen und Romane.

1922 vertonte Hindemith sechs Gedichte von Trakl. 1937 wurde der 50. Geburtstag Trakls in einem schmalen Bändchen von Emil Barth gewürdigt. Bald nach Ende des zweiten Weltkriegs brachte der Otto Müller Verlag 1947 ein Buch mit den Prosadichtungen Trakls und Illustrationen von Alfred Kubin auf den Markt, unter dem Titel "Offenbarung und Untergang".

Mit dem vierzigsten Todestag 1954 setzte die breite Entdeckung Trakls ein. In Benno von Wieses Sammelwerk mit Gedichten und Interpretationen "Die deutsche Lyrik" von 1956 nahm Trakl einen wichtigen Platz ein und fortan fehlte er in keiner Anthologie. So konnte der Spiegel 1957 verkünden: "Mehr als vierzig Jahre nach seinem Tode avanciert der Lyriker Georg Trakl allmählich zu einem der prominentesten Repräsentanten deutschsprachiger Literatur im Ausland, (...)". Inzwischen waren die Gedichte Trakls in zahlreichen Sprachen erhältlich und sie wurden, wie der Spiegel anmerkte, "zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gedruckt und gelesen". Trakl gilt seit dem Erscheinen des dritten Bandes der Werkausgabe 1949 als Visionär, der die Krankheit der Zeit hellsichtig in Lyrik gefasst habe und an ihr zugrunde gegangen sei. Dazu trug wesentlich der Essay des Herausgebers Wolfgang Schneditz, "Georg Trakl. Versuch einer Deutung des Menschen und des Dichters", bei. Darin prägte Schneditz das Wort von der "Prophetie des Untergangs" (S. 114). Dieses Bild der Lyrik Trakls ist bis heute weitgehend erhalten geblieben. Allerdings trug die historisch-kritische Ausgabe 1969 mit der Veröffentlichung von Notizen, weiteren Briefen und Dokumenten zu einer gewissen Versachlichung bei. Sie korrigierte das Bild von der völligen Weltfremdheit Trakls und brachte mit den umfangreichen Belegen zum früh einsetzenden Alkohol- und Drogenkonsum des Autors auch einen neuen Aspekt in das Bild vom Visionär ein.

Der Gegenwart blieb es vorbehalten, mit dem Film "Tabu" 2011 (Christoph Stark) Trakl zum Bohemien zu machen und seine inzestuöse Beziehung zur Schwester in den Vordergrund zu stellen. Womit die Arbeit der historisch-kritischen Ausgabe scheinbar ad acta gelegt ist. Der Otto Müller Verlag Salzburg hat sich zum 100. Todestag des Dichters 2014 dann des zweiten Tabu-Themas der Trakl-Rezeption angenommen, des Drogenkonsums Trakls, und dies in einer Arbeit von Hans-Georg Kemper ("Droge Trakl. Rauschträume und Poesie") wissenschaftlich differenziert bearbeiten lassen.




Trakls Stellung in der Literaturgeschichte


Die Rezeption macht bereits deutlich, dass Georg Trakl einen besonderen Beitrag zur Literatur des 20. Jahrhunderts geleistet hat. Allerdings finden sich vergleichbare Beiträge zur Literaturentwicklung auch bei anderen expressionistischen Lyrikern und zuvor schon bei Hofmannsthal oder weiter zurück im französischen Symbolismus. Der spezifisch "Traklsche" Ton hat sich eher in epigonaler, schlechter Lyrik fortgesetzt, die gerne mit Adjektiven wie "vertraklt" oder "trakelnd" abschätzig charakterisiert wird.

Der Tübinger Germanist Gotthart Wunberg sieht in Trakl eine "Übergangsfigur" auf dem Weg zur Selbstreflexivität der Lyrik, zu Autonomisierung und Hermetik, wie sie im Dadaismus dann vollendet sei (vgl. Stephan Dietrich, Gotthart Wunberg: Jahrhundertwende. Zum 70. Geburtstag des Autors, 2001, S. 53). Dem schließt sich Hans-Georg Kemper an, der in einem 2009 veröffentlichten Beitrag die literarische Entwicklung Trakls als eine hin zur Unverständlichkeit beschreibt. Von den noch inhaltlich klarer zu deutenden frühexpressionistischen Texten Trakls in der Sammlung "Gedichte" gehe es zu "Sebastian im Traum, wo der "dunkle Ton" dominiere (Kemper 2009, S. 9). Damit sind die Traklschen Texte in besonderer Weise offen für die jeweilige Ausdeutung durch den Leser.

Die Deutungsoffenheit dürfte gemeinsam mit dem Bezug zu repräsentativen Strömungen der modernen Lyrik, Symbolismus sowie Expressionismus, dazu beigetragen haben, dass sich eine breitere Leserschaft für ihn interessiert. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zügig in den Kanon des Literaturunterrichts aufgenommen, wozu auch seine Lebensgeschichte beigetrug, die durch die Zeitereignisse wesentlich geprägt war, ohne dass Trakl eine eigene politische Position eingenommen hätte. Seine Drogenexzesse sowie das Thema einer inzestuös grundierten Beziehung zu seiner Schwester blieben dabei weitgehend ausgeklammert. Betont wurden eher die diffusen Bezüge seiner Texte zu religiösen und mythologischen Themen sowie eine vermeintliche "Prophetie" des Ersten Weltkrieges.

Innerliterarisch wurden seine außergewöhnliche Virtuosität im Umgang mit Sprache und die Kraft zur Umformulierung tradierter religiöser und mythologischer Bilder in den Kontext der Moderne gewürdigt.



Trakls Förderer

Die literarische Existenz Trakls ist - wie die vieler anderer Lyriker und Schriftsteller nicht nur seiner Zeit - undenkbar ohne seine Freunde und Förderer, die ihn nicht nur ideel unterstützten. Zunächst war es der Jugend- und Schulfreund Erhard Buschbeck, der ihn ermutigte und der seine Gedichte an Zeitschriften und potentielle Verleger schickte. Er vermittelte auch zahlreiche Kontakte, so den zu Ludwig von Ficker, den Herausgeber der Literaturzeitschrift "Der Brenner", die für Trakl zur publizistischen Heimat wurde. Im Brenner-Umkreis begegnete Trakl weiteren Persönlichkeiten, die ihn schätzten und gelegentlich auch finanziell unterstützten.

Ludwig von Ficker war sicherlich der entscheidende Förderer Trakls, der dem von Existenzängsten geplagten Autor zugleich auch persönlichen Halt bot. Bei ihm und seinem Bruder Rudolf von Ficker war Trakl häufiger in Innsbruck zu Gast, unter anderem in der Familienvilla "Schloß Hohenburg". Ende Oktober 1914, wenige Tage vor Trakls Tod durch eine selbst verabreichte Kokaingabe, nahm Ludwig von Ficker die aufwendige Reise zum Garnisonsspital Krakau auf sich, um Trakl zu besuchen und ihn zu stützen. Auf Fickers Vermittlung geht auch eine größere finanzielle Förderung (20.000 Kronen) durch Ludwig Wittgenstein zurück - die für Trakl allerdings zu spät kam. Sie wurde dann seiner Schwester zugesprochen.

Der Fackel-Herausgeber und Wiener Literaturkritiker Karl Kraus zählte zu den bedeutenden intellektuellen Förderern Trakls, aber auch zu seinen Freunden, die ihm im Alltag Orientierung zu geben suchten. So vermittelte Kraus die Teilnahme Trakls an einer Venedigreise Wiener Intellektueller im August 1913. In einem Widmungsgedicht nennt Trakl den älteren Freund "Hohepriester der Wahrheit".

Ansonsten waren es vor allem der Kreis seiner Schulfreunde und der Kreis der Brenner-Mitarbeiter, die für Trakl persönlichen Rückhalt bedeuteten. Max von Esterle, Maler und Portraitist beim "Brenner", ermöglichte Trakl eigene Malversuchen - entsprechende Interessen dokumentiert auch Trakls Atelierbesuch bei Oskar Kokoschka. Mit dem Brenner-Mitarbeiter Karl Borromaeus Heinrich verband Trakl eine sehr intensive persönliche Beziehung, mit religiös-mystischen Zügen, die durch Heinrichs starke Religiosität geprägt waren. Trakl nannte Heinrich an verschiedenen Stellen "Bruder". Heinrichs Selbstmordversuch 1913 bestürzte Trakl sehr.




Trakl und der Expressionismus

In der Regel wird Trakl, trotz seiner deutlichen Bezüge zum französischen Symbolismus und der Wertschätzung, die ihm etwa Rainer Maria Rilke entgegenbrachte, eindeutig dem Expressionismus zugeordnet. Für Kurt Pinthus gehört er schon 1959 zu den "expressionistischen Klassikern".

In der von Kurt Pinthus 1919 herausgegebenen Sammlung (gegen die Bezeichnung "Anthologie" wehrte sich der Herausgeber stets) "Menschheitsdämmerung" zur Lyrik des Expressionismus mit den Rubriken "Sturz und Schrei", "Erweckung des Herzens", "Aufruf und Empörung", "Liebe den Menschen" erscheint Georg Trakl zehnmal, sechsmal in der Rubrik "Sturz und Schrei", dreimal unter "Erweckung des Herzens" und einmal unter "Liebe den Menschen". In der Rubrik "Aufruf und Empörung" fehlt er.

Die Sammlung von Pinthus gilt nach wie vor als wesentliche Gesamtdarstellung des Expressionismus - auch wenn hier zahlreiche wichtige Autoren fehlen. Ergänzend sollte in jedem Falle der Reclamband "Gedichte des Expressionismus" von 1966 beigezogen werden. Pinthus charakterisiert den Expressionismus in seinem Vorwort zur Neuausgabe der "Menschheitsdämmerung" 1959 am Beispiel Gottfried Benns durch "rapide Simultaneität" und "weltweite Willkürlichkeit seiner Assoziationen". Darüber hinaus sei das Leiden am Niedergang einer Epoche gemeinsam mit der Mobilisierung von Kräften für einen utopischen Neuentwurf charakteristisch. Pinthus legt zudem großen Wert auf die Feststellung, dass der Expressionismus eine Generationenbewegung, nicht nur eine literarische Gruppenbildung gewesen sei.

In einer Arbeit über Landschaften bei Georg Heym und Georg Trakl führt Karl Ludwig Schneider 1965 aus, dass die "Grundspannung der Epoche" in der Faszination an "Phänomenen des Verfalls und des Untergangs" einerseits, der "Neigung zur Utopie" andererseits bestanden habe. "Trakl zeigt beide Seiten der Entwicklung in seinem Werk", so Schneider. Weshalb er "nicht nur oberflächlich vom Expressionismus berührt" gewesen sei, sondern in besonderer Weise als Expressionist zu gelten habe.

Für die Stellung Trakls im Expressionismus (und das grundsätzliche Problem von Epochenzuschreibungen) erhellend sind die beiden Fassungen des Gedichtes "Trübsinn". Die erste Fassung von 1912 zeigt bis in die Wortwahl eine enge Verwandtschaft mit anderen Texten des Expressionismus, etwa van Hoddis' "Weltende". Die zweite Fassung von 1914 hat einen anderen Ton, der, um im Spielbereich der Epochenbezeichnung "Expressionismus" zu bleiben, "impressionistisch" anmutet und der Ästhetik des Symbolismus nahe steht.

Lektüreempfehlung: Kurt Pinthus, Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus, Hamburg: Rowohlt, 1959



Trübsinn (1912)


Weltunglück geistert durch den Nachmittag.
Baraken fliehn durch Gärtchen braun und wüst.
Lichtschnuppen gaukeln um verbrannten Mist,
Zwei Schläfer schwanken heimwärts, grau und vag.

Auf der verdorrten Wiese läuft ein Kind
Und spielt mit seinen Augen schwarz und glatt.
Das Gold tropft von den Büschen trüb und matt.
Ein alter Mann dreht traurig sich im Wind.

Am Abend wieder über meinem Haupt
Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick.
Ein Baum, ein Hund tritt hinter sich zurück
Und schwarz schwankt Gottes Himmel und entlaubt.

Ein Fischlein gleitet schnell hinab den Bach;
Und leise rührt des toten Freundes Hand
Und glättet liebend Stirne und Gewand.
Ein Licht ruft Schatten in den Zimmern wach.


Trübsinn (1914)

In Schenken träumend oft am Nachmittag,
In Gärten früh vom Herbst verbrannt und wüst
Der trunkene Tod geht stumm vorbei und grüßt
In dunklem Käfig tönt ein Drosselschlag.

Aus solcher Bläue tritt ein rosig Kind
Und spielt mit seinen Augen schwarz und glatt.
Ein Goldnes tropft aus Zweigen mild und matt
In rotem Laubwerk aber spielt der Wind.

Schon glänzt Saturn. Im Dunkel rauscht der Bach
Und leise rührt des Freundes blaue Hand
Und glättet stille Stirne und Gewand.
Ein Licht ruft Schatten in Hollunder wach.





Trakl und der Symbolismus

Wie viele europäische Intellektuelle und Künstler der Zeit kannte Georg Trakl den französischen Symbolismus und sein Konzept des "Poète maudit" sehr gut. Trakl kann, gemeinsam vor allem mit Georg Heym, als einer der Expressionisten gelten, die dem französischen Symbolismus besonders verpflichtet sind. Hugo Friedrich hat 1956 in "Die Struktur der modernen Lyrik" darauf hingewiesen, wie eng der Expressionismus mit dem "Umsturz" der französischen Lyrik durch Baudelaire, Rimbaud und Mallarmé verwandt ist.

Mit der französischen Sprache kam schon der junge Georg Trakl über seine französische Gouvernante Marie Boring in intensiven Kontakt. Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire und Paul Verlaine hat Trakl offensichtlich gelesen, das ist auch seinem Werk zu entnehmen. Allerdings benutzte er dabei wohl überwiegend Übersetzungen, so die Rimbaud-Übersetzung von Karl Anton Klammer (1907). Trakls Text "Die tote Kirche" wirkt stellenweise wie eine eigenwillige Übersetzung von Rimbauds "Les pauvres à l'église". Die Gedichte "Psalm", beendet September 1912, und "De profundis", geschrieben September/Oktober 1912, sind deutlich abhängig von Rimbauds "Enfance".

Mit Paul Verlaine verbindet Trakl unter anderem die Thematik des Kaspar Hauser und das Konzept des "Poète maudit" (Paul Verlain, Les Poètes maudits, 1884). Verlaines "Gaspard Hauser chante" wird bei Trakl im "Kaspar Hauser Lied" jedoch kaum über den Titel hinaus als Inspirationsquelle genutzt. Teilweise findet sich bei Trakl genau das Gegenteil der Intentionen Verlaines. Wo Verlaine Kaspar Hauser in erster Person "singen" lässt, dass der Tod ihn verschmähe, schreibt Trakl "Und sein Mörder suchte nach ihm".

Adrien Finck hat 1974 vor allem den Einfluß Baudelaires auf Trakl herausgearbeitet und dabei die Kategorie "Décadence" in den Mittelpunkt gestellt, wobei er auf die Motive der Ennui und der künstlichen Paradiese sowie die Todesthematik hinweist. Die schon vor Finck erfolgte Zuordnung Trakls zur Literatur der Décadence ist umstritten, in einer Arbeit von Klaus Simon ("Traum und Orpheus") wurde ihr schon 1955 entschieden und begründet widersprochen. Aktuell hat Christoph Starks Film "Tabu" sie wieder aufgegriffen. Konkret wird der Bezug zu Baudelaire etwa in Trakls Text "Einer Vorübergehenden", der nicht nur im Titel Baudelaires "A une passante" aufgreift.

Inzwischen besteht in der Forschung Konsens, dass Trakl dem französischen Symbolismus zwar prägende Einflüsse verdankt - nicht immer auf direktem Wege -, dass ihn aber sowohl Sprachstil als auch inhaltliche Anliegen, die Simon als "ethisch" charakterisiert, enger mit dem Expressionismus verbinden.


Arthur Rimbaud
Enfance III/IV

Au bois il y a un oiseau, son chant vous arrête et vous fait rougir.
Il y a une horloge qui ne sonne pas.
Il y a une fondrière avec un nid de bêtes blanches.
Il y a une cathédrale qui descend et un lac qui monte.
Il y a une petite voiture abandonnée dans le taillis, ou qui descend le sentier en courant, enrubannée.
Il y a une troupe de petits comédiens en costumes, aperçus sur la route à travers la lisière du bois.
Il y a enfin, quand l'on a faim et soif, quelqu'un qui vous chasse.

Je suis le saint, en prière sur la terrasse, — comme les bêtes pacifiques paissent jusqu'à la mer de Palestine.
Je suis le savant au fauteuil sombre. Les branches et la pluie se jettent à la croisée de la bibliothèque.
Je suis le piéton de la grand'route par les bois nains ; la rumeur des écluses couvre mes pas. Je vois longtemps la mélancolique lessive d'or du couchant.
Je serais bien l'enfant abandonné sur la jetée partie à la haute mer, le petit valet, suivant l'allée dont le front touche le ciel.
Les sentiers sont âpres. Les monticules se couvrent de genêts. L'air est immobile. Que les oiseaux et les sources sont loin ! Ce ne peut être que la fin du monde, en avançant.
Georg Trakl
De profundis

Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt.

Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist.
Wie traurig dieser Abend.

Am Weiler vorbei
Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren ein.
Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himmlischen Bräutigams.

Bei der Heimkehr
Fanden die Hirten den süßen Leib
Verwest im Dornenbusch.

Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.
Gottes Schweigen
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.

Auf meine Stirne tritt kaltes Metall
Spinnen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das in meinem Mund erlöscht.

Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Starrend von Unrat und Staub der Sterne.
Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel.

Paul Verlaine
Gaspard Hauser chante
 
Je suis venu, calme orphelin,
Riche de mes seuls yeux tranquilles,
Vers les hommes des grandes villes:
Ils ne m’ont pas trouvé malin.
 
A vingt ans un trouble nouveau
Sous le nom d’amoureuses flammes
M’a fait trouver belles les femmes :
Elles ne m’ont pas trouvé beau.
 
Bien que sans patrie et sans roi
Et très brave ne l’étant guère,
J’ai voulu mourir à la guerre :
La mort n’a pas voulu de moi.
 
Suis-je né trop tôt ou trop tard?
Qu’est-ce que je fais en ce monde?
O vous tous, ma peine est profonde:
Priez pour le pauvre Gaspard!
Georg Trakl
Kaspar Hauser Lied

Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,

Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel

Und die Freude des Grüns.

Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums

Und rein sein Antlitz.

Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:

O Mensch!

Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;

Die dunkle Klage seines Munds:

Ich will ein Reiter werden.

Ihm aber folgte Busch und Tier,

Haus und Dämmergarten weißer Menschen

Und sein Mörder suchte nach ihm.

Frühling und Sommer und schön der Herbst

Des Gerechten, sein leiser Schritt

An den dunklen Zimmern Träumender hin.

Nachts blieb er mit seinem Stern allein;

Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig

Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.

Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.




Abstraktion und Lyrik

Es hat auch Versuche gegeben, die Lyrik des Expressionismus mit dem gleichzeitigen Aufkommen der abstrakten Malerei in eine heuristisch ergiebige Verbindung zu bringen. Zu nennen ist der beispielhafte Aufsatz von Richard Brinkmann über „Abstrakte Lyrik“, der, 1963 erstmals vorgetragen, 1965 gedruckt erschien. Leider hat der Aufsatz Brinkmanns wenig Echo gefunden.

Das mag sich einmal dem Umstand verdanken, dass in den 60er und 70er Jahren sowohl der literarische Expressionismus als auch die Abstraktion in der Malerei erneut (wie schon in den 30er Jahren im materialistisch-marxistischen Kontext) unter Formalismus- und Eskapismusverdacht gerieten. Zum anderen wurden beide Kunstströmungen von Popularisierungswellen erfasst, die einer wissenschaftlichen Erörterung nicht zuträglich waren. Und schließlich waren in den Kulturwissenschaften (damals noch Geistes-, Sozial- oder Humanwissenschaften genannt) die „wechselseitigen Erhellungen“ in Verruf geraten als bürgerlich-feuilletonistisch. Mit dem Neoexpressionismus in der Malerei der 60er Jahre, der sich explizit als Gegenposition zu abstrakter Malerei verstand, war zudem scheinbar dem Argumentationsweg Brinkmanns jede Begründung durch die Kunstpraxis selbst entzogen.

Brinkmann bezeichnet als "abstrakte Lyrik" die Abkehr vom "logisch-begrifflichen Sinn" der Wörter und Sätze. "Die abstrakte Lyrik geht hervor aus einem fundamentalen Zweifel an der Wirklichkeit. (...) In der Dichtung vollzieht sich im Zerbrechen der Sprache das Zerbrechen der Wirklichkeit. Die Bruchstücke werden zu Bausteinen einer neuen Wirklichkeit, die der Dichter nicht anschaut in der Welt, sondern die er erst schaffen zu müssen glaubt." (Brinkmann 1970, S. 110) Konkret am Beispiel von Georg Trakls "Ruh und Schweigen" stellt Brinkmann fest: "Den aufschließenden Kontext bietet nur das einzelne Gedicht Trakls selbst." (ebd. S. 100) Und er ergänzt, dass für das substantielle Verständnis zentraler Bilder Trakls eigentlich alle Gedichte Trakls beigezogen werden müssten.

Besonders interessant finde ich persönlich, dass der große Germanist und Expressionismuskenner explizit auf Wassily Kandinsky verweist, der als Begründer der abstrakten Malerei gilt, für Brinkmann weitgehend identisch mit "ungegenständlicher" Malerei. Kandinsky formuliert in "Über das Geistige in der Kunst" auch eine Aussage mit Relevanz für die Sprachkunst: "Das Wort ist ein innerer Klang". Daraus und aus Positionen von Herwarth Walden und Arno Holz leitet Brinkmann für die "abstrakte" Dichtung ab, "daß sie grundsätzlich nicht gebunden sein kann an die Grammatik, an die syntaktischen Regeln der Sprache, nicht an ihr Beziehungssystem, ihr semantisches Gefüge" (ebd. S. 97).

Expressionistische Lyrik als "abstrakte Lyrik" wird damit nicht notwendig unverständlich. Sie nähert sich allerdings dem Kunstbereich des Klanglich-Musikalischen. Sofern sie aber Sprache noch wichtig nimmt, muss der Rezipient sich darauf einlassen, dass seine üblichen Bedeutungszuschreibungen hier versagen, dass er Zeuge und Mitvollzieher einer Neukonstitution von Bedeutung ist.

Lektüreempfehlung: Richard Brinkmann, ‚Abstrakte Lyrik’ im Expressionismus und die Möglichkeit symbolischer Aussage. In: Der deutsche Expressionismus, Göttingen 1970 (2. Auflage), S. 88-114



Georg Trakl und Georg Heym: Kriegsbilder, Naturbilder

Häufig wird eine thematische und stilistische Beziehung zum gleichaltrigen Georg Heym (1887-1912) genannt, wenn es um die Stellung Trakls innerhalb des Expressionismus geht. Beiden gemeinsam sind über das Geburtsjahr hinaus eine gebrochene Schulkarriere und die Versuche, beim Militär beruflich unterzukommen. Literarisch verbindet sie die Leidenschaft für die lyrischen Arbeiten von Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud.

Heyms Gedicht "Der Krieg" (1911) und Georg Trakls den Krieg thematisierenden Texte von "Menschheit" (September/Oktober 1912) bis "Grodek" (September/Oktober 1914) zeigen im Vergleich aber auch die Eigenart der Traklschen Lyrik deutlich. Heyms Text, geschrieben zur Zeit der zweiten Marokkokrise, entwirft ein personifiziertes, auch von Faszination geprägtes Bild des Krieges. Und es gibt die problematische Stelle aus den Tagebüchern von Georg Heym, die eine Sehnsucht nach Krieg formuliert, am 6. Juli 1910: "Geschähe doch einmal etwas. Würden einmal wieder Barrikaden gebaut, ich wäre der Erste, der sich darauf stellte, (...). Oder sei es auch nur, dass man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser Frieden ist so faul, ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln." Ein Ton, der zeitgleich auch bei anderen jungen Intellektuellen und Künstlern zu finden ist.

Bei Georg Trakl finden wir Ähnliches weder in seinen Briefen, noch in seinem Schaffen. Seine Äußerungen zur Zeitsituation bleiben unbestimmter, wie etwa in einem Brief an Anton Moritz vom 29. August 1910, wo er von der "allgemeinen Nervosität des Jahrhunderts" spricht. In einem Brief an den Freund Erhard Buschbeck von Anfang November 1912 findet sich allerdings die irritierende Zeile "Ich sitze im Dienst; Arbeit, Arbeit - keine Zeit - es lebe der Krieg!". Diese sicherlich ironisch gemeinte Zeile verweist darauf, dass Trakl zu dieser Zeit Mitarbeiter des Garnisonsspitals Nr. 10 in Innsbruck in militärischem Rang war - eine Tätigkeit, die er kurz darauf, übersetzt in die "Reserve", verließ. "Grodek", aber auch frühere Gedichte Trakls mit Kriegsthematik, wie "Menschheit" oder "Trompeten" (beide 1912), entfalten die Kriegsbilder verhaltener als der Text Heyms und zeichnen auch einen klaren Bereich von Gegenbildern, die in der Regel dem Naturbereich angehören. Für die Positionierung seines Gedichtes "Trompeten" bat Trakl in einem Brief an Erhard Buschbeck im November 1912 um einen Platz am Ende, "daß nach der letzten Zeile der geneigte Leser nicht auf die erste Zeile eines kriegerischen Gesanges von Paul Stephan hinübergleitet".

Auch ein vergleichender Blick auf Heyms "Ophelia" von 1910 und Trakls Nachlass-Text "Wind, weiße Stimme ..." von 1913 mit dem Ophelia-Motiv zeigt deutlich die Eigenarten Trakls. Zum einen bleibt er in seiner Bilderwelt dem französischen Symbolismus näher, konkret Rimbaud, der das Motiv mustergebend in seiner "Ophélie" von 1870 gestaltet. Zum anderen stellt er, wie Karl Ludwig Schneider in einem nach wie vor lesenswerten Essay 1965 ausführt, den "Objektivationen spätzeitlichen Krisengefühls (...) die Sehnsuchtslandschaften frühzeitlicher Lebenssicherheit und Daseinsordnung gegenüber". Heym bringt neben "Glocken und Geläut" die Gegenwart ins Spiel mit "Maschinenkreischen. Kampf" - eben den Ton, den wir mit dem Expressionismus besonders eng verbinden. Trakl bevorzugt Naturbilder und Motive einer fernen Idylle ("Hirten"), und selbst wo Technik ins Bild kommt, ist es zumeist die überkommene Technik der "Schmiede", in der ein Pferd beschlagen wird.

Lektüreempfehlung: Karl Ludwig Schneider, Das Bild der Landschaft bei Georg Heym und Georg Trakl, in: Hans Steffen (Hrsg.): Der deutsche Expressionismus, Göttingen 1965, S. 44-62




Im Zeichen des Saturn

Mit dem Titel "Under the Sign of Saturn" erschien 1980 eine Aufsatzsammlung von Susan Sontag. Der titelgebende Aufsatz darin galt Walter Benjamin und der Verbindung von schöpferischer Intellektualität und Melancholie, die Sontag bei diesem Autor sah.

Saturn wurde in der astrologisch angereicherten mittelalterlichen Variante der Säftelehre der schwarzen Galle und somit der Melancholie zugeordnet. Sein Einfluss galt als böse, zerstörerisch. Melancholie ihrerseits wurde zuvor von Aristoteles und in aristotelischen Traditionslinien der Intellektualität, dem nachforschend-kontemplativen Denken zugeordnet, mit positiver Konnotation, allerdings auch mit einem Aspekt von Gefährdung.

In der Renaissance verbanden sich, maßgeblich geprägt durch Marsilio Ficino, die beiden Bildbereiche, Saturn regierte nun Intellektualität und Melancholie, wie dies nach Auffassung von Karl Giehlow in einer Druckgrafik von Albrecht Dürer, "Melencolia I" von 1514, dargestellt wird.

Offensichtlich war dieses Motiv allgemeiner Bestandteil selbstvergewissernder intellektueller Diskurse der Zeit um 1900. Bei so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie dem Lyriker Georg Trakl (1887-1914) und dem Philosophen Walter Benjamin (1892-1940) erscheint Saturn als das Zeichen der eigenen, durch Mühe und Qual geprägten Bestimmung. Benjamin, der von sich sagte, dass er "unterm Saturn zur Welt kam - dem Gestirn der langsamsten Umdrehung, dem Planeten der Umwege und der Verspätungen", sah Saturn auch bei Charles Baudelaire und Karl Kraus am Werke, der eine von ihnen wichtige Inspirationsquelle für Georg Trakl, der andere dessen Freund und Gönner.

Trakl selbst nennt Saturn in seinen Texten dreimal, dabei stets mit negativen Konnotationen. Am prägnantesten ist die Formulierung in "Trübsinn": "Am Abend wieder über meinem Haupt/Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick." In "Verwandlung des Bösen" heißt es weniger deutlich auf das lyrische Ich selbst als "Du" bezogen: "Aber durch die Mauer von Stein siehst du den Sternenhimmel, die Milchstraße, den Saturn; rot." Und im Nachlass findet sich eine Passage, die Saturn eindeutig negativ belegt im mittelalterlichen Sinn: "In Milch und Öde; - dunkle Plage/Saturn lenkt finster deine Stund."

Verlaine mit seinen "Poèmes saturniens" und Otto Weininger (1880-1903), dessen bizarre Geschlechtertypologie "Geschlecht und Charakter" zu Trakls Nachlass gehörte, könnten Quellen für Trakls Saturn-Motiv gewesen sein. Verlaine wendet sich explizit im ersten Text der "Poèmes saturniens" an "ceux-là qui sont nés sous le signe SATURNE". Unschwer ist darin die Vorlage zum Diktum Benjamins zu erkennen. Weininger erklärte Saturn mit seinen Ringen und Monden zur Summe des Bösen.



Klangstrukturen in Trakls Lyrik

Während schon früh auf einen "malerischen" Charakter der Traklschen Lyrik hingewiesen wurde (etwa in der Schneditz-Ausgabe der Gedichte aus dem Nachlass 1949), wurde die Klanglichkeit zunächst nicht besonders thematisiert. Ist doch Lyrik per se (auch) Klangkunst, Dichtung zur Lyra (Leier), wie ihre Bezeichnung besagt. Inzwischen ist es zum Gemeinplatz geworden, von der "klanglichen Schönheit" der Verse Trakls zu sprechen. In der NZZ beklagt Beatrice von Matt in einem Beitrag zum 100. Todestag des Dichters allerdings auch ein "klangliches Zuviel", das bisweilen bei Trakl drohe, wobei sie sich auf die 2014 erschienene Studie "Droge Trakl" von Rüdiger Görner bezieht.

Klanglich prägnant gestaltet ist die Lyrik Trakls zum einen auf der Ebene des Rhythmus, zum anderen auf der Ebene der sprachlichen Lautstruktur. Zahlreiche Gedichte gestalten insbesondere Klangmalerei mit den Vokalen. Rimbaud, ein wichtiges Vorbild Trakls, schuf ein eigenes, programmatisch zu verstehendes Gedicht mit dem Titel "Voyelles" - allerdings spielen dabei starke symbolische Festlegungen eine Rolle, was bei Trakl offenkundig hinter den musikalisch-lautlichen Stimmungsgehalt zurücktritt. Eine besondere Stellung nimmt bei Trakl der Vokal "O" ein, erkennbar etwa in den zahlreichen Gedichtanfängen, die dieser Vokal dominiert, etwa "Voll Früchten der Hollunder" ("Kindheit") oder "Voll Harmonien ist der Flug der Vögel" ("Gesang des Abgeschiedenen"). Auffallend auch die häufigen Gedichtanfänge mit einem anrufenden "O" (z.B. "O das Wohnen in der Stille des dämmernden Gartens"). Lautmalerisch arbeiten mit diesem Vokal Zeilen wie "Verhallend eines Gongs braungoldne Klänge" ("Traum des Bösen"), eher symbolisch mutet der Einsatz des Vokals als Strukturbilder in der ersten Strophe von "Passion" an: "Wenn silbern Orpheus die Laute rührt,/Beklagend ein Totes im Abendgarten -/Wer bist du Ruhendes unter hohen Bäumen?/Es rauscht die Klage das herbstliche Rohr,/Der blaue Teich." Wobei die letzte Zeile in souveräner Kunstfertigkeit eben nicht nochmals ein "O" einfügt (denkbar wären ja auch "Der rote Teich", "Der tote Teich", "Der große Teich", "Das blaue Moor" oder Ähnliches), aber doch das Bild von Rundung, das dem realen Vorbild, den Teichen von Hellbrunn (zusätzlich zu ihrer rechteckigen Grundform), aber auch dem konventionellen Bild von "Teich", zukommt. In "Die drei Teiche von Hellbrunn", 2. Fassung, wird auch Orpheus genannt.

Gerade der Verzicht Trakls auf ein "O" in der letzten Zeile von "Passion" lässt das Urteil von Görner/Matt ungerecht erscheinen. Sicherlich hat Trakl bisweilen auch schlechtere Texte geschrieben. Insbesondere die Prosastücke bieten Anlass zur Kritik, wenn es etwa in "Winternacht" am Ende heißt "Beim Erwachen klangen die Glocken im Dorf. Aus dem östlichen Tor trat silbern der rosige Tag." Da bekommt die Lautgestaltung einen vom Text losgelösten obsessiven Charakter, verselbständigt sie sich gegenüber dem Text. Ähnliches ist zu beobachten, wenn Trakl Wortvarianten nach ihrer Einfügung in die Lautgestalt eines Gedichtes auswählt. Allerdings entscheidet er sich bei den gültigen, von ihm zur Veröffentlichung vorgesehenen Gedichten im Zweifelsfall eben doch für die künstlerisch überzeugendere Variante. So erwog er in den Vorstufen zu "Musik im Mirabell" für die letzte Zeile der zweiten Strophe die Variante "Nach Greisen die ins Dunkel gleiten". Letztlich entschied er sich dann aber für das subtilere "Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten."

Lektüreempfehlung: Laura Cheie, Die Poetik des Obsessiven bei Georg Trakl und George Bacovia, Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien, 2004




Vertonungen Traklscher Gedichte


Die Eigenart der Traklschen Lyrik, musikalisch-klanglich in einer Weise gestaltet zu sein, die weit über das hinausgeht, was von Lyrik, moderner zumal, vertraut ist, trug sicherlich mit dazu bei, dass zahlreiche Komponisten Trakl-Vertonungen erarbeitet haben. Die Reihe namhafter Komponisten, die Trakl-Texte vertont haben, ist lang. Sie beginnt mit Anton Webern (Sechs Lieder nach Gedichten von Georg Trakl für Stimme, Klarinette, Bassklarinette, Geige und Violoncello - 1917 bis 1921), Hanns Eisler (Zwei Lieder für eine hohe Stimme und Klavier - 1918) und Paul Hindemith (Sechs Gedichte von Georg Trakl für eine Altstimme mit Flöte, Klarinette und Streichquartett - 1922),  geht unter tragischen Umständen weiter mit Viktor Ullmann, der im Lager Theresienstadt 1943 "Herbst" für Sopran und Streichtrio vertonte, setzt sich nach dem zweiten Weltkrieg fort mit Rudolf Kelterborn ("Elegie" für Mezzosopran und 4 Instrumente - 1958), Wolfgang Rihm ("Gesänge" - 1968-1970) und Manfred Trojahn (Trakl-Fragmente für Mezzosopran und Klavier - 1983/84) und hält in der Gegenwart an etwa mit den Arbeiten von Johannes X. Schachtner (Miniaturen nach Georg Trakl für Violine und Klavier - 2007/2010).

Dabei wurde oft der Bereich klassischer Lied-Vertonung in Richtung einer komplexen kammermusikalischen Ausarbeitung verlassen, prägnant etwa bei Hans Werner Henze ("Apollo et Hyazinthus", Improvisationen für Cembalo, Altstimme und acht Soloinstrumente - 1948/49). Auch große orchestrale Kompositionen nahmen Trakl-Gedichte zur Vorlage. Der Messiaen-Schüler Heinz Holliger veröffentlichte nach verschiedenen frühen Kompositionsversuchen zu Trakl 1960 "Drei Liebeslieder nach Georg Trakl für Singstimme und Orchester". Hans Werner Henze schuf 2004 die Komposition "Sebastian im Traum" für Orchester. Von Toshio Hosokawa wurde 2010 in Baden-Baden die Komposition "Sternlose Nacht. Requiem für Jahreszeiten" für Sopran, Mezzosopran, 2 Sprechstimmen, gemischten Chor und Orchester uraufgeführt.

Aus jüngerer Zeit erwähnenswert sind auch die Auseinandersetzungen mit Trakl im Bereich der Rockmusik im weitesten Sinne, etwa durch die NDT-Gruppierung "Das Ich" mit "Verfall" 1994 oder die Dark Metal Gruppe "Eden weint im Grab" ("Der Herbst des Einsamen" - 2009). Zum anderen möchte ich hinweisen auf die Vertonungen des Wiener Bühnenkomponisten und Klanggestalters Harry Unger. Der Komponist selbst sagt zu seiner 2014 bei Polyglobe Music erschienenen Audio-CD: „Bei der Erarbeitung der Songs war es mir ein Anliegen, die Bilder Trakls mit ein wenig Licht zu erfüllen, der Düsternis etwas entgegen zu setzen. Die Texte sollten nicht kommentiert, eher eingehüllt werden in fragile, eigenständige Arrangements.“ Beispiele sind auf der Trakl-Website des Komponisten zugänglich (http://www.georgtrakl.at).

Einen umfangreichem Beitrag leisten die Trakl-Vertonungen durch Salzburger Komponisten, etwa Klemens Vereno (Drei Lieder nach Georg Trakl für Sopran, Bassetthorn und Gitarre - 1987). Denen ist eine eigene Veranstaltung im Rahmen des Trakl-Gedenkjahres am 14. November 2014 gewidmet unter dem Titel "Nacht der Komponisten".



Malerische Strukturen im Werk Trakls

Schon in den ersten wissenschaftlichen Beschäftigungen mit Georg Trakls Lyrik wurde auf ihren besonderen Bezug zur Malerei hingewiesen. Wolfgang Schneditz nannte Trakl 1949 in seinem Essay zur Herausgabe des dritten Bandes der ersten Gesamtausgabe des Müller-Verlages "Maler in seinem Gedicht" (S. 105). Gemeint ist damit zum einen das, was Trakl selbst in Briefen als seine "bildhafte Manier" (zweite Hälfte Juli 1910 an Erhard Buschbeck) bezeichnet - ein literarisches Verfahren; zum anderen, was er als "Chaos von Rhythmen und Bildern" (zweite Hälfte Juli 1910, zweiter Brief an Erhard Buschbeck) benennt - innere Bilder, die zum Vorwurf für die lyrische Produktion werden.

Trakls Gedichte erscheinen malerisch durch die intensive, bildhafte Ausgestaltung von Vorstellungen - was Lyrik allgemein mehr oder weniger auszeichnet - und vor allem durch den eigenartigen und herausragenden Gebrauch von farblich bestimmten Sprachbildern wie "blaue Höhle", "blauer Augenblick" oder "heilige Bläue" (alle in "Kindheit"). Zum Farbengebrauch wird weiter unten ("Farben bei Georg Trakl") mehr gesagt.

Explizit thematisiert Trakl bildnerische Gestaltungen etwa in den Gedichten "Die schöne Stadt" mit den Grabtafeln in einer Kirche, in "Afra" mit den genannten Abbildungen der Heiligen. Einen konkreten Bezug zwischen textliche gestalteten Bildern bei Trakl und ihm zugänglichen Gemälden hat die Forschung bislang noch nicht systematisch untersucht. Untersucht wurden lediglich mögliche strukturelle Übereinstimmungen zwischen Trakls Lyrik und der zeitgleichen expressionistischen oder abstrakten Malerei. Konkrete Bildbezüge festzustellen dürfte nicht nur durch die Datenlage, sondern auch durch Trakls intensives lyrisches (Über-)Arbeiten im Spannungsfeld von inneren Bildern und "bildhafter Manier" erschwert sein.

Es fällt allerdings auf, dass z.B. die "blauen" Tiere Trakls eine unmittelbare Parallele in der zeitgleichen Malerei haben. So malte Franz Marc bereits 1911 ein erstes blaues Pferd. Über Bezüge zur Malerei Oskar Kokoschkas, den Trakl in seinem Wiener Atelier besuchte, als die "Windsbraut" auf der Staffelei stand (so nachzulesen in Oskar Kokoschka, Mein Leben, 1971, S. 137), wurde verschiedentlich spekuliert, etwa bei Jacques Le Rider, S. 114.

Gottfried Benn spricht im Gefolge C.G. Jungs einmal vom Glück der "endogenen" Bilder, "endogene Bilder sind die letzte uns gebliebene Erfahrbarkeit des Glücks" - in "Provoziertes Leben", 1942. In "Der Geburtstag", einer Erzählung aus dem sogenannten Rönne- oder Gehirne-Zyklus, entfaltete Benn bereits 1916 das Jungsche Konzept eines Denkens in Bildern, Bildern, die, so äußert sich Benn bzw. seine Figur Rönne, "sich selbst" denken. Carl Gustav Jung entwickelt seine Vorstellung vom assoziationsgelenkten Denken in Bildern in "Wandlungen und Symbole der Libido", 1912 (Kapitel "Über die zwei Arten des Denkens"). Allerdings geht es dabei primär um die Bildproduktion im Traum, die Jung nahe an das "mythologische Denken des Altertums" rückt, wobei er Nietzsches Diktum aus "Menschliches-Allzumenschliches" (1.12) zitiert, welches besagt "im Schlaf und Traum machen wir das Pensum früheren Menschtums noch einmal durch".

Es ist sicherlich problematisch, diese (für sich schon fragwürdige) Konzeption auf den höchst elaborierten, kunstfertigen und kulturell geformten Korpus der Traklschen Bildschöpfungen zu übertragen.

Lektüreempfehlung: Wolfgang Riedel, Endogene Bilder, in: Pfotenhauer/Riedel/Schneider (Hrsg.), Poetik der Evidenz. Die Herausforderung der Bilder in der Literatur um 1900, Würzburg 2004

Lektüreempfehlung: Jacques Le Rider, Zur Intermedialität von Text und Bild bei Trakl, in: Károly Csúri (Hrsg.), Georg Trakl und die literarische Moderne, Tübingen 2009





Wechselseitige Erhellung der Künste


Den Titel "Wechselseitige Erhellung der Künste" wählte der österreichische Literaturwissenschaftler Oskar Franz Walzel für seinen programmatischen Berliner Vortrag vom 3. Januar 1917, der einen Ansatz zur interdisziplinären Arbeit in den Kulturwissenschaften skizzierte. Im Untertitel der im gleichen Jahr erfolgten Publikation präzisierte Walzel: "Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe". Es ging also vorrangig um die heuristische Nutzung der Fortschritte in der Kunstgeschichtswissenschaft für die Literaturwissenschaft, die zu Walzels Zeit noch keinen wissenschaftlich befriedigenden Ansatz gefunden hatte, der gegenüber strenger Philologie, die sich lediglich auf die Textgestalt bezieht, eigenständig bestehend konnte.

Mit den "Künsten" sind also vorrangig die jeweiligen Wissenschaften gemeint, wobei die Künste im engeren Sinne einander insofern erhellen, als wir das, was wir bei der Betrachtung einer Kunstsparte lernen, auf eine andere übertragen können, nach Walzel. Dem korrespondiert auch eine Beziehung der Künste aufeinander, wie sie im 19. Jahrhundert mit der Idee des Gesamtkunstwerkes - im Anschluss an die Romantik - entwickelt und in Symbolismus, Expressionismus und Konstruktivismus dann je eigenständig ausgeführt wurde.

Wichtig für Walzel zur Entwicklung seiner Methodik war die Freundschaft mit dem Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, der kurzzeitig bei Jacob Burckhardt studiert hatte und sich wie dieser vorrangig mit der italienischen Renaissance beschäftigte. "Mir flößen seit langem die Vertreter der Kunstgeschichte hohe Achtung ein wegen ihrer ausgezeichneten Mittel, Züge eines Kunstwerks sprachlich zu bezeichnen, die einem Laien nur gefühlsmäßig aufgehen und für die er keine Worte bereit hat." So führt Walzel zu Beginn seines Vortrages aus.

Es ist bekannt, dass sich Walzel zur Zeit des Vortrages mit expressionistischer Lyrik auseinander setzte. Bedeutsam waren ihm dabei die Radikalisierung der sprachlichen Eigenständigkeit von Literatur sowie die äußerste formale Verknappung der sprachlichen Mittel. Unschwer erkennen wir hier die Kategorien wieder, die Wölfflins Ansatz auszeichneten, der die Kunstmittel gegenüber den Darstellungsinhalten in den Vordergrund rückte.




Synästhesien

Synästhesien gehören zum Programm des französischen Symbolismus, der Trakl erheblich beeinflusste. In den so genannten "Seher-Briefen" vom Mai 1871 fordert Rimbaud ein "immense et raisonné dérèglement de tous les sens". In seine lyrische Praxis ist dies nur verhalten eingedrungen, zitiert wird in der Forschung vor allem sein Text "Voyelles", in welchem er jedem Vokal eine Farbe zuordnet. So sind Blau und das "O" ein synästhetisches Paar in diesem Sinne. Auch in der Musik erschienen Zeugnisse synästhetischer Grenzüberschreitung, wobei auch hier Programm und konkrete Erfahrung nicht klar zu scheiden sind. So komponierte Modest Mussorgsky zeitgleich zu Rimbauds Schreiben 1874 seine "Bilder einer Ausstellung".

Nach der Jahrhundertwende erscheinen Synästhesien dann mit einer auffallenden Selbstverständlichkeit in der Lyrik und in der Malerei. Wassily Kandinsky malte unter dem Eindruck der Kompositionen Arnold Schönbergs. Zahlreiche seiner Werke tragen den Titel "Komposition" - und damit ist durchaus auch musikalische Komposition gemeint. Seine Farbentheorie in "Über das Geistige in der Kunst" spricht wiederholt von der "Bewegung" der Farben und ihrem "Klang". Im Bereich der Lyrik gilt die Arbeit mit Synästhesien geradezu als ein Merkmal des Expressionismus.

Georg Trakl konfrontiert uns in seinem gesamten Werk mit synästhetischen Bildern. Das beginnt mit "Der Tote malt mit weißer Hand/Ein grinsend Schweigen an die Wand" in "Romanze zur Nacht" und endet mit "Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes" in "Grodek". Im ersten Bild wird ein akkustisches Ereignis "gemalt", im zweiten Bild "tönt" ein abstraktes Naturphänomen, der Herbst. Im Gedicht "Vor Sonnenaufgang" ist es unmittelbar eine Farberscheinung, die akkustisch wahrnehmbar wird: "In Wolken tönt ein rosenfarbnes Glimmen".

Es sind vor allem Klangereignisse, die in Trakls Lyrik auffallen als synästhetische Bildungen - häufig als Glockenton, Läuten. Prägnant etwa in "Dämmerung": "Im Grau, erfüllt von Täuschung und Geläuten,/Sieh, wie die Schrecklichen sich wirr zerstreuen." Wir müssen davon ausgehen, dass auch die Erfahrungswelt Trakls von ungewöhnlichen Klangerfahrungen geprägt war. So berichtet die Krankenakte aus dem Militärhospital Krakau lakonisch, "Seit seiner Kindheit schon hat er zeitweise Gesichtshallucinationen (...) Von 12-24 Jahren hat er keine solche Erscheinungen gehabt, jetzt seit 3 Jahren leidet er wieder an diesen Gesichtstäuschungen außerdem hört er sehr oft Glockenläuten".




Topografien

Auf die besondere Bedeutung runder, oft topografisch bestimmter Formen bei Georg Trakl hat Laura Cheie 2004 hingewiesen und diese unter der Deutungskategorie "Obsession" erörtert. Ein prägnantes Bild hierzu ist die "blaue Höhle" der Kindheit im so benannten Gedicht.

Auffallend ist, dass runde Formen häufig im Kontext konkreter Ortsbestimmungen erscheinen. So im Gedicht "Abend in Lans" die "getünchten Bogen". "Dunkle Bögen" begegnen in "Ein Herbstabend" als Bestimmung einer Schenke im "braunen Dorf". In "Die schöne Stadt" (gemeint ist Salzburg) haben wir in fast jeder Strophe das Bild einer Einhüllung, Rahmung, Überwölbung - nicht immer explizit rund geformt, aber doch von bergendem Charakter. Wobei dieses "Bergen" durchaus ambivalent entworfen ist, ein gewaltsames Festhalten, eine Ausweglosigkeit häufig mitklingen lässt. Die "schülen Buchen", unter denen die Nonnen hasten, die "braun erhellten Kirchen", "Blütenkrallen" in sich wölbenden Bäumen, "Tore", "feuchte Lippen", "Blätterrahmen", "Fenster", "Lider" - sie gemeinsam prägen diesen ambivalenten Gehalt im Salzburg-Gedicht, der die "blaue Höhle" der Kindheit auffallend konterkariert.

Insbesondere im Spätwerk Trakls finden sich dann extreme Topografien, die das Runde, Gewölbte aufbrechen. Die "schaurigen Riffe" in "Klage" oder die "goldnen Ebenen" in "Grodek" stehen für die beiden Extreme, die dabei Gestalt gewinnen. Die "schaurigen Riffe" sind bereits im Bild bedrohlich. An ihnen zerschellt der "purpurne Leib". Die zunächst nach dem goldenen Zeitalter der antiken Mythologie klingenen Ebenen in "Grodek" klingen von "tödlichen Waffen"- auch sie also sind wenn nicht bedrohlich so doch substantiell gefährdet und der Gefahr Raum gebend.

"Hügel" und "Meer" sind dem gegenüber eher neutrale topografische Angaben, die sich durch das ganze Werk ziehen und die einen gleichsam archetypischen Gehalt zu transportieren scheinen. Interessant ist, dass diese beiden Topographien bereits sechs Jahrhunderte vor Trakl das lyrische Werk Francesco Petrarcas prägten, das ich persönlich als dem Werk Georg Trakls eng verwandt ansehe.



Georg Trakl - Prophet des ersten Weltkrieges?


Es ist ein Gemeinplatz der Trakl-Forschung seit Beginn und bis heute in populären Darstellungen präsent: Georg Trakl habe den ersten Weltkrieg gleichsam vorausgeahnt, dies erkläre die Düsternis und oft auch Gewalttätigkeit seiner lyrischen Bilder und Gestaltungen. Auch sein berühmtestes Gedicht, "Verfall", sei letztlich Prophetie des Krieges. Begründet wurde diese Tradition durch Eduard Lachmann in seinem Essay zum dritten Band der Trakl-Ausgabe von Wolfgang Schneditz, 1949.

Nun ist allerdings festzuhalten, dass der erste Weltkrieg lange Schatten vorauswarf. Bereits 1909 brachte die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn Europa an den Rand eines großen Krieges. Die mit der zweiten Marokko-Krise 1911 anhebenden politischen Spannungen eskalierten im November 1913 mit der Marinekonvention zwischen Deutschem Reich, Österreich-Ungarn und Italien sowie der Zabern-Affäre. Die Jahre 1912/1913 brachten zwei Balkankriege. Zum ersten Balkankrieg brachte "Der Ruf" eine Themenheft "Krieg" heraus. Trakl stellte dafür sein Gedicht "Trompeten" zur Verfügung. In Medien und allgemeinem Bewußtsein war bereits seit dem deutsch-französischen Krieg 1871 und mit der Ausbreitung des modernen Kolonialismus in Mitteleuropa Krieg als Mittel zur Durchsetzung von Politik präsent und häufig auch als notwendig und legitim dargestellt. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts bekam dieses Verständnis eine neue Qualität auch durch eine Ideologie allgemeiner "Reinigung", die ein Krieg leisten könne.

Diese auch in den Bereich der persönlichen Lebenshaltung hinein wirksame Vorstellung findet sich in einem beliebten Naturbild der Zeit wieder, der Konzeption vom "reinigenden Gewitter". Bei Trakl finden wir diese etwa in einem Brief von Januar 1914: "Zwischen Trübsinn und Trunkenheit verloren, fehlt mir Kraft und Lust eine Lage zu verändern, die sich täglich unheilvoller gestaltet, bleibt nur mehr der Wunsch, ein Gewitter möchte hereinbrechen und mich reinigen oder zerstören." Georg Heym notiert schon 1910 in sein Tagebuch: "Würden einmal wieder Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, daß man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein." In seinem Gedicht "Gewitter" heißt es: "Der Himmel wird so schwarz, als würd es Nacht./Der bleiche Schein der fernen Blitze loht./Wie Todes Aug aus gelber Maske droht./Das Wetter zieht herauf in dunkler Pracht." Ernst Jüngers Buch "In Stahlgewittern" ist der wohl prägnanteste Ausdruck für die politische Bedeutung dieses Naturbildes in der Zeit. "Visionär" waren damit also viele, auch schlichte Zeitungsredakteure.

2014, zum 100. Todestag Trakls und 100. Jahrestag des Kriegsbeginns, tauchte das Bild von Trakl als düsterem "Visionär" und "Propheten" des ersten Weltkrieges erfreulicherweise eher selten auf. Bei Hans-Georg Kemper ("Droge Trakl", 2014) finden wir vielmehr eine überzeugende kulturhistorische Einordnung des Bildes vom Propheten: "Grundsätzlich bedeutet im Kontext der Sprach- und Autorschaftskrise um 1900 die Verbindung von Dichter- und Prophetentum eine Nobilitierung von Autorschaft, (...) Dieser Prophetenstatus wurde Trakl von seinen frühen Freunden und Bewunderern zuerkannt (...), und Trakl hat ihn dankbar aufgegriffen und seine aus den Traumräuschen erwachsenen 'Gesichte' als prophetische Inspirationen poetisch in Szene gesetzt" (Kemper 2014, S. 25).




"Vertraklt"

Kurt Pinthus schrieb im Vorwort zur Neuausgabe seiner Expressionismus-Anthologie "Menschheitsdämmerung" 1959, man könne zur zeitgenössischen Lyrik sagen, es werde "viel getraklt, gebennt und gegollt". Später kam noch "celant" dazu, eine Epigonie mit politischem Anspruch, konnte man doch mit entsprechender Lyrik auch gleich eine antifaschistische Grundhaltung demonstrieren.

"Getraklt" oder "vertraklt/vertrakelt" wurde zur gebräuchlichen Bestimmung für eine Lyrik, die Trakls emphatischen, bildkräftigen, von Verfallsbildern und Klageton geprägten Stil kopierte. Der Lyriker, Erzähler und Dramatiker Gert Jonke bekannte einmal, als Fünzehnjähriger ein halbes Jahr "getraklt" zu haben, "das war grauenhaft". Jonke erläuterte weiter, dass "die Art und Weise, in der er Sprache gebaut hat, bei mir Rauschzustände verursacht hat" (nach Klaus Amann im Nachwort zu "Alle Gedichte", 2010).

In einer Besprechung zur Anthologie "Trakl-Echo. Poetische Trakl-Spuren aus 100 Jahren", von Hans Weichselbaum herausgegeben, führt Rüdiger Görner 2013 einige weitere Beispiele literarischer Trakl-Epigonie an. Er zitiert auch den Grazer Kabarettisten und Wahl-Salzburger Manfred Koch mit dem spöttischen Programm "je vertrakelter, desto besser". Görner zeigt zugleich, wie schwer es fällt, konzise Wertungskategorien zu erstellen für eine Entscheidung zwischen bloßem Epigonentum und bedeutender Eigenleistung. Auch über sein eigenes Urteil, einen Text von Martin Amanshauser in Weichselbaums Anthologie den "gekonntesten" zu nennen, darf man streiten.

Georg Trakl selbst hat sich stets bemüht, nicht der eigenen Manier zum Opfer zu fallen, hat überarbeitet und verworfen, hat Glattes aufgeraut und Raues überprüft. Davon kann sich jeder überzeugen, der seine Texte in den verschiedenen Varianten vergleicht. Dass er seine Gedichte vor 1909 allesamt verworfen hat und ihm keine Gelegenheit blieb, die letzten seiner Texte zu überarbeiten, ist dabei zu berücksichtigen.



Sex & Drogen

Christoph Stark zeichnete Trakl 2012 in seinem Film "Tabu" als exaltierten Bohemien, der nicht primär seine Lyrik, sondern geschwisterlichen Sex und Drogen über eine bürgerliche Existenz stellte. Dabei zeigt jeder auch nur oberflächliche Blick in die Biographie Trakls, wie sehr dieser sich bis zuletzt um eine bürgerliche Existenzgrundlage bemühte und auch seine Lyrik gesellschaftlich anerkannt sehen wollte.

Rüdiger Görner hat mit "Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme" 2014, zum 100. Todestag Trakls, den von Stark beschrittenen Weg der weiteren Beschäftigung mit Trakl fixiert. Ganz auf der Spur des von Christoph Stark 2012 mit seinem Film "Tabu" inszenierten Skandalisierens (Görner erwähnt Starks Film gleich zu Beginn in seinem "Vorworthaften Dreiklang") rücken der Drogenkonsum und das bohemienhafte Außenseitertum in den Mittelpunkt - wenngleich auf wissenschaftlich weit anspruchsvollerem Niveau und im Gehalt weit sachlicher und belesener entfaltet. Und so schreibt Beatrice von Matt in der NZZ vom 03.11.2014 mit Berufung auf Görner eines dieser feinsinnigen, gar nicht böse gemeinten Verdikte über den Dichter: "Georg Trakl ist mit seinen traumverloren-morbiden, narkotisierend-bildstarken Gedichten zu einer Ikone der deutschsprachigen literarischen Moderne geworden." Den Inzest mit der Schwester Grete markiert Gröner als unbewiesen. Zum Ende seines "Vorworthaften Dreiklangs" schreibt er vom "Verhältnis der vermeintlich inzestuösen Geschwister".

An anderer Stelle (Die Presse, 16.11.2013) erwähnt Görner die Trakl-Rezeption der "Informellen Gruppe des jungen Wiener Undergrounds" - diese "konsumierte ihn mit Drogen und Jasmintee". Und in der Tat, die Trakl-Rezeption hatte bisweilen delirierende Momente, angefangen mit dem Preislied auf den "Propheten", der den ersten Weltkrieg "vorhergesehen" habe in den 50er Jahren bis in die Gegenwart mit der intensiven Thematisierung von Drogengebrauch und Inzestverdacht. Und so erstaunt es nicht, dass ein anderer Trakl-Forscher, Hans-Georg Kemper, im gleichen Jahr 2014 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Droge Trakl". Auch er stellt, wie Stark, die Drogensucht gemeinsam mit der Geschwisterbeziehung in den Mittelpunkt. Doch schon der Titel verweist auch auf die von Gröner angesprochene Tendenz der Rezeption, Trakls Lyrik weniger als Literatur denn als Narkotikum wahrzunehmen. Kemper führt in seinem Werk mit dem Untertitel "Rauschträume und Poesie" dann akribisch aus, wieweit sich Strukturen von Drogenerfahrungen in der Lyrik Trakls wiederfinden lassen.

Im Programm der Salzburger Festspiele wurde, gleichfalls 2014, ein Stück von Walter Kappacher uraufgeführt, das nach einer Rezension von Barbara Petsch in "Die Presse" Trakl als "Berserker" zeige. Walter Kappachers Text "Der Abschied" ist daran allerdings weitgehend unschuldig. Regisseur Nicolas Charaux zeichnet verantwortlich für dieses Werk, das als Theaterstück und Performance überzeugen kann. Im Kontext der Trakl-Rezeption markiert es jedoch den Punkt, an dem alles gesagt scheint.




Trakl und Petrarca

Die beiden Dichter Georg Trakl und Francesco Petrarca trennen 600 Jahre. Und auf den ersten Blick trennen sie auch die Lebensumstände und -stile. Der eine erfolgreicher "poeta laureatus", geschätzter Diplomat und wohlhabender Familienvater (wenngleich in komplizierten Konstellationen), der andere zu Lebzeiten nur von Insidern als Lyriker bewundert, beruflich als Apotheker von Anstellung zu Anstellung stolpernd und im Beziehungsleben desolat aufgestellt. Der eine dem Ideal der "vita solitaria" verpflichtet, der andere zu Alkoholexzessen, Drogenmissbrauch und Bordellbesuchen neigend. Ein genauerer Blick könnte jedoch bereits hier Gemeinsamkeiten finden, insofern hinter Petrarcas frührenaissancehaft gefasster Bürgerlichkeit durchaus gefährdende Unruhen sich verbargen, die sein Canzoniere teilweise preisgibt. Und Trakls Bordellbesuche hatten von den Freunden mit Irritation vermerkte kontemplative Züge.

Was beide eindeutig eint ist die Dichtkunst. Und beide waren Sonette-Dichter. Von Petrarca ist das allgemein bekannt. Trakl dagegen wird eher als Dichter freier Rhythmen wahrgenommen. Dabei folgt ein Großteil seiner lyrischen Texte klaren Reim- und Rhythmusschemata, die meisten davon der Sonettform nahe stehend. Und sechs seiner von ihm zur Veröffentlichung autorisierten Gedichte sind formvollendete Sonette. In der Sammlung Gedichte sind das "Traum des Bösen", "Dämmerung", "Verfall", "In der Heimat" und "Ein Herbstabend", in der Sammlung Sebastian im Traum (mit einem höheren Anteil an freien Rhythmen) ist es "Afra". Diese sechs Gedichte zählen zu den besten Arbeiten Trakls. Dazu kommen im Nachlass noch einmal acht Sonette.

Doch während Petrarca das Sonett gleichsam mit erfand, zumindest wesentlich zu seiner formalen Entfaltung und seiner kulturgeschichtlichen Durchsetzung beitrug, stand Trakl am Ende einer von Goethes Sonett-Kritik markierten Krise des Sonetts und war, mit seinem Zeitgenossen Rainer Maria Rilke, einer der letzten ernstzunehmenden Vertreter dieser Form im deutschsprachigen Raum vor Adornos allgemeinem Diktum zum Gedicht.

Erstaunlicherweise gibt es zwei moderne Komponisten, Rudolf Kelterborn und Uwe Strübing, die Kompositionen geschaffen haben, in denen Texte von Trakl und Petrarca vereint werden. Kelterborn in "Drei Fragmente für gemischten Chor" (Bärenreiter 6153, 1973 - Texte von Georg Trakl, Robert Browning und Francesco Petrarca), Strübing in einem Madrigal für sechs Stimmen (op. 94, 2008 - Francesco Petrarca: Sonett CCCVI, Georg Trakl: In ein altes Stammbuch). Ich sehe darin ein Indiz, dass die Kontrastierung der beiden Autoren auch heuristisch ergiebig sein könnte. Der Blick zu Trakl macht aufmerksam auf einen Subtext, der die Texte des Canzoniere durchzieht und von Bedrohung, Verfall und angestrengtem Widerstand dagegen handelt. Ein wichtiges Motiv für die lyrische Begegnung der beiden Dichter über Jahrhunderte hinweg hat nach meiner Einschätzung Kelterborn in seinem Text von Robert Browning genannt: "Love among the ruins".

Kurzessays zu Petrarca finden Sie auf meiner Petrarca-Seite.



Nikolaus Lenau

Am 16. Juni 1903 schickt Trakl einer seiner Schwestern, vermutlich Margarethe, eine Abschrift des Lenau-Gedichtes "Frage"  II: "O Menschenherz, was ist dein Glück?/ Ein räthselhaft geborener/ Und, kaum gegrüsst, verlorener/ Unwiederholter Augenblick." Die biedermeierliche, von Brüchen durchzogene Idyllik Lenaus könnte Hintergrund sein für einige irritierende Züge in Trakls Werk, etwa die Verbindung heiter bis pathetisch gefärbter Stimmungs- und Naturschilderungen mit abrupten Wendungen, die ironisch-melancholisch bis sarkastisch wirken können auf Leser, die mit dem Traklschen Werk nicht vertraut sind. Etwa das "Wie schön sich Bild an Bildchen reiht" in "Verklärter Herbst".

Lenau wurde am 13. August 1802 geboren im damaligen Königreich Ungarn und war ein wichtiger Vertreter der integrativ orientierten ungarisch-österreichischen Intelligenz. Er hat in Wien u.a. ungarisches Recht studiert. Er verstarb nach sechsjähriger Unterbringung zunächst in einer Stuttgarter Nervenheilanstalt und dann in einer Wiener "Privat-Heilanstalt für Gemüthskranke" am 22. August 1850. Trakl-Biograph Hans Weichselbaum hält es für denkbar, dass mit "Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land" (aus dem Gedicht "Der Spaziergang") Lenau gemeint sein könnte, da Trakl zweimal "Ungarland" erwogen habe statt "verwunschnem Land" (Weichselbaum 1994, S. 16).

In Lenaus Gedicht "Vergänglichkeit" findet sich das Bild "Die ernste Schaar bekreuzter Hügel dort". Ganz ähnlich heißt es bei Trakl "Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel" in "Der Herbst des Einsamen". Solche Stellenentsprechungen lassen sich zahlreich finden. Allerdings sind viele dieser Bilder allgemeiner Bestand der Literatur und Kunst seit der Romantik. Zu Kreuz und Hügel sei nur verwiesen auf Eichendorffs "Die stille Gemeinde" mit einem "Kreuz auf stiller Höh", an Kerners Gedicht "Wanderung" mit den "heimatlichen Kreuzen", "Bäumen" und '"Hügeln" oder an Caspar David Friedrichs Gemälde "Kreuz im Gebirge" ("Teschener Altar").

In Lenaus "Winternacht" erscheint auch ein "Wolf", gemeinsam mit "Kind" und "Mutter" - eine ähnliche Bildverflechtung finden wir in Trakls "Traum und Umnachtung". In Trakls Prosatext mit dem Titel "Winternacht" gibt es den "roten Wolf" und es erscheinen wesentliche Bilder wieder, die Lenau verwendet. Lenaus "An einen Knaben" wirkt wie eine naive Vorlage zu Trakls Gedicht "An den Knaben Elis". Zahlreiche der Lenauschen Gedichttitel finden sich wörtlich oder ähnlich bei Trakl wieder.




Arthur Rimbaud

Georg Trakl und seine Geschwister hatten eine französischsprechende Gouvernante aus dem Elsass, Marie Boring. Sie dürfte mit den Kindern kaum Rimbaud gelesen haben und es ist nicht einmal anzunehmen, dass sie Rimbaud überhaupt kannte. Sie vermittelte Trakl jedoch früh das Interesse an französischer Kultur und gewisse Französischkenntnisse. Wie weit diese tatsächlich reichten, ist nicht bekannt. Eine auf französische verfasste Grußkarte Trakls an die Schwestern vom November 1897 dürfte wesentlich von der Gouvernante mitgeschrieben sein. Bekannt ist allerdings bereits seit 1925 durch die Arbeit von Adolf Meschendörfer, dass Trakl den Texten Rimbauds erhebliche Anregungen verdankt - und dass er sich dabei auf die deutsche Übersetzung von Karl Anton Klammer (Pseudonym: K. L. Ammer) stützte.

Deutlich werden Rimbaudsche Einflüsse vor allem in Trakls Gedicht "De Profundis", das Gestaltungselemente und Motive aus Rimbauds Text "Enfance" aufgreift. Das repetitive "Es ist ein" verweist auf eine Rimbaudsche Erfindung, das "Il y a une". Motiventsprechungen finden wir vor allem in der Gestaltung der "Waisen". Es wäre jedoch verfehlt, hier bloße Übernahmen zu sehen oder eine Art freier Übertragung eines Rimbaudschen Textes. "De Profundis" ist vollkommen eigenständig. Und ein Vergleich von Rimbauds "Enfance" mit Trakls "Kindheit" zeigt, bei vordergründig gleicher "Thematik", deutlich, welche inhaltlichen und künstlerischen Differenzen Rimbaud und Trakl trennen.

Das "Il y a une" Rimbauds findet sich auch wieder in Trakls "Psalm" I. Dieser Text von September 1912 ist gewiss ohne das Vorbild des französischen Symbolismus, insbesondere Rimbauds nicht zu denken. Doch sein gleichfalls unverkennbarer Bezug zur Lyrik des Berliner Expressionismus verweist auch auf die vielfältigen Interdependenzen und Motivübernahmen innerhalb der verschiedenen Traditionslinien der Lyrik, was eine allzu forcierte Bezugnahme auf einzelne Beziehungspaare wie etwa Trakl-Rimbaud verbietet.

Gerne wird für das Verhältnis Trakls zu Rimbaud das Gedicht "Die tote Kirche" angeführt. Der Bezug zu Rimbauds "Les pauvres à l'église von 1870 ist unübersehbar. Doch was ist damit gesagt? Trakl hat sein frühes Gedicht "Die tote Kirche" nicht in eine seiner beiden für die Publikation vorgesehenen Sammlungen übernommen und auch nicht anderweitig verwendet. Es mutet eher wie eine Fingerübung an, am Leitfaden des Rimbaudschen Textes geschrieben.



Hölderlin

Friedrich Hölderlin ist im Werk Trakls unübersehbar präsent. So erscheint der Titel eines berühmten Hölderlin-Gedichtes, "Brot und Wein", bei Trakl mehrfach, etwa in "Der Spaziergang" und "Gesang des Abgeschiedenen". Auffallend ist, dass in beiden Gedichten auch der bzw. ein "Bruder" genannt wird. In "Ein Winterabend" und "Menschheit" finden wir das Abendmahls-Motiv "Brot und Wein" gleichfalls. Das Hölderlinsche Motiv des "Landmanns" verwendet Trakl in "Helian" (dort unmittelbar verbunden mit "Brot und Wein") und "Verklärter Herbst" sowie im Prosatext "Traum und Umnachtung".

Von Martin Heidegger ist überliefert, dass er Georg Trakl und Friedrich Hölderlin gemeinsam für sich entdeckt habe, im Zeitraum zwischen 1910 und 1914, als Hölderlins Pindar-Übertragungen und seine späten Hymnen durch Norbert von Hellingrath veröffentlicht wurden. Heidegger erklärt in "Aus einem Gespräch von der Sprache" für sein Verständnis des Verhältnisses von Sprache und Sein seien bedeutsam geworden "aus meiner Studienzeit vor dem ersten Weltkrieg die Dichtung Hölderlins und Trakls".

"Georg Trakl. Eine Erörterung seines Gedichts" lautet der Titel von Heideggers 1952 im Kurheim "Bühlerhöhe" bei Baden-Baden, im Beisein Ludwig von Fickers, gehaltener Rede zu Ehren Trakls. Der Titel ist Programm und will besagen, dass Trakls Werk einem einzigen "Gedicht" zuzuordnen sei. "Jeder große Dichter dichtet nur aus einem einzigen Gedicht", heißt es gleich zu Beginn der Rede. Die intertextuellen Bezüge zwischen Trakl und Hölderlin würden dieser Ästhetik zufolge darauf hinweisen, dass sie aus einem "gemeinsamen" Gedicht gearbeitet haben. Etwas zurückhaltender formuliert dürfen wir davon ausgehen, dass Trakl Hölderlins Werk wichtige künstlerische Impulse verdankte.

Es erstaunt nicht, dass die Trakl-Forschung Anfang 2016 einen gewichtigen Fund, "Sensationsfund", bekannt geben konnte, ein Gedicht Trakls mit dem Titel "Hölderlin". Der Text fand sich in einem Band der Hölderlin-Ausgabe von 1905, die zu Trakls Bibliothek gehört hatte. Der Band enthält Hölderlins Dramen bzw. Dramenübersetzungen "Empedokles", "Ödipus" und "Antigonae". Der Text zeigt in der ersten Strophe Parallelen zum Gedicht "Melancholie des Abends", das im gleichen Jahr entstanden ist wie "Hölderlin", 1911. In der zweiten Strophe wird explizit Bezug auf Hölderlin, dessen "Wahnsinn", genommen.




Novalis

Schon das Widmungsgedicht "An Novalis" verweist auf eine besondere Beziehung Trakls zum früh, mit 28 Jahren, verstorbenen Dichter der Romantik, Friedrich von Hardenberg. Trakl schrieb den Text Ende 1913 oder Anfang 1914. Er bezeichnete ihn als "Grabsteinschrift", gleich die erste Zeile schließt inhaltlich auch an die entsprechende Textsorte an, mit "Ruhend in kristallner Erde". Trakl selbst war damals 26 oder 27 Jahre alt. Es ist sicherlich nicht abwegig, auch die Vorstellung des eigenen Grabsteins bei Trakl mitbeteiligt an der Verfassung zu sehen.

Als "Fremdling", wie er Novalis im Widmungsgedicht charakterisiert, sah Trakl auch sich selbst, verschiedene autobiographisch geprägte Texte zeigen dies, etwa "Offenbarung und Untergang" in Zeile 35 ("ein Fremdling am Abendhügel"). Im selben Text erscheint gleich zu Beginn seine Schwester als "Fremdlingin" (Zeile 5). "Fremdling" und "Fremdlingin" sind allerdings Bilder Hölderlins, nicht Novalis'. Es ist ohnedies nicht bestimmt auszumachen, wieweit Trakl dem Werk des Novalis Einflüsse und Prägungen verdankt. Angelika Overath sieht im "Heinrich von Ofterdingen" eine mögliche Grundlage für die Bedeutung der Farbe Blau bei Georg Trakl, wie sie insbesondere im Gedicht "Kindheit" erscheint. Auch die bei Trakl signifikante Verbindung von Blau und Gold kennen wir bereits von Novalis - allerdings kann sie ebenso auf die allgemeine Marienikonographie zurückgeführt werden. Bei Trakl wie bei Novalis finden wir auch explizite Marien-Anrufungen (Trakl: Blutschuld, Novalis: An Maria).

Vielleicht war es vor allem das Leben des Friedrich von Hardenberg, was Trakl zu seinem Widmungsgedicht veranlasste, ein Gefühl der Verbundenheit im Schicksal. "Vom dunklen Mund nahm ein Gott ihm die Klage" lautet die zweite Zeile in "An Novalis". Wir dürfen annehmen, dass Trakl dies auch auf sein eigenen Schaffen bezogen sah. Bei Goethe heißt es im Torquato Tasso "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,/Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide".




Johann Christian Günther

Der Barocklyriker und Frühaufklärer Johann Christian Günther (1695-1723) war Sohn eines Arztes, der die schriftstellerischen Ambitionen seines Sohnes nicht billigte und von diesem eine Karriere als Arzt erwartete. Von 1715-1717 studierte der Sohn daher in Frankfurt an der Oder Medizin. Er verfolgte daneben jedoch zielstrebig eine Karriere als Autor und ließ sich 1716 zum Poeta laureatus Caesareus krönen - was mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden war, weshalb er im Schuldgefängnis landete. Nach seiner Freilassung schrieb er sich an der Universität Leipzig ein und versuchte, mit Gelegenheitsdichtungen Einkommen zu erzielen. Es gelang ihm nicht, eine Anstellung als Hofdichter August des Starken in Dresden zu erhalten, auch eine Niederlassung als Arzt misslang. Er starb, mittellos, vermutlich an Tuberkulose.

Bei seinem Klinikaufenthalt in Krakau 1914 hatte Georg Trakl einen bei Reclam 1879 erstmals erschienenen Gedichtband des Autors dabei. Er zeigte ihn Ludwig von Ficker bei dessen Besuch am 24.10.1914 und fragte den Besucher, ob er den Dichter kenne. Von Ficker verneinte, worauf Trakl nach Fickers Bericht erklärte: "Auch ich kannte ihn nicht, aber er ist es wert, dass man ihn kennt, gerade heute in Deutschland kennt; ja: wert, dass man sich seiner erinnert und ihn nicht vergisst". Den Text Nr. 74, "An sein Vaterland", nannte Trakl in diesem Gespräch "die bittersten Verse, die ein deutscher Dichter geschrieben hat". Im übrigen hatte auch Goethe den Autor sehr gelobt, mit der zwiespältigen Konklusion "Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerann ihm das Leben wie sein Dichten".

Einflüsse Günthers auf das Werk Trakls können wir nicht annehmen, dies verwehrt das Bekenntnis Trakls, "Auch ich kannte ihn nicht". Doch es berührt, die letzten Tagen Georg Trakls begleitet zu sehen vom Werk eines anderen, 200 Jahre älteren Dichters, der einen Text, den letzten der Reclam-Sammlung, die Nr. 75 mit dem Titel "Bußgedanken", enden lässt mit den Zeilen "Wem irgend noch von mir ein Ärgernis geblieben/Dem sei der Spruch ans Herz, wie mir an Sarg, geschrieben:/Oft ist ein guter Tod der beste Lebenslauf". Es war dies der zweite Text von Johann Christian Günther, den Trakl bei Fickers Besuch vorlas. Er nannte dieses Gedicht "Das schönste und bedeutendste". Und er fügte hinzu: "Sie müssen wissen, dass Günther jung gestorben ist, mit 27 Jahren."

Lektüreempfehlung: Ludwig von Ficker, Der Abschied. In: Erinnerungen an Georg Trakl, herausgegeben von Hans Szklenar, Salzburg: Otto Müller Verlag, 1959 (zuerst 1926)




      
ORTE, MOTIVE, THEMEN IM WERK TRAKLS



Salzburg

Eines vorweg: Es geht hier nicht darum, jeden vorkommenden Garten in Trakls Gedichten auf den Familiengarten in der Pfeiffergasse 3 zurück zu beziehen oder jeden Fluss auf die Salzach. Doch ganz so zu tun, als habe Trakl seine Gedichte im luftleeren Raum der Poesie verortet, ist sicherlich auch verfehlt. Meine Hinweise verstehe ich daher als ergänzendes Reflexionsangebot zum Verständnis seines Werkes, nicht mehr.

Trakl blieb seiner Heimatstadt stets eng verbunden, auch wenn die Beziehung eine ambivalente war, geprägt zum einen durch eine offensichtlich starke emotionale Bindung auch an die äußere Erscheinung der Stadt, zum anderen durch Zwistigkeiten im Elternhaus, die schulischen Probleme und Ähnliches. Das zeigen seine häufigen Aufenthalte dort und die Briefe, die er von dort schrieb. Im Blick auf die in seinen Texten verwendeten Bilder und Situationen spielen topographische Gegebenheiten wie die Lage der Stadt zwischen Flusstal (Salzach) und markanten Hügeln (Mönchsberg und andere) eine Rolle wie auch die Prägung der Stadtarchitektur und des Stadtbildes durch religiöse Bauten - Kirchen, Klöster und Friedhöfe, sowie Prunkbauten (insbesondere das Schloß Hellbrunn mit zugehöriger Parkanlage). Auch Motive, die wir heute gewiss nicht mit Salzburg verbinden würden, wie etwa Hirten an einem Hügel, gehörten um 1900 noch zum Alltagsbild. Wir müssen uns auch die Stadt selbst als weit ländlicher, bäuerlicher, durch Gärten mitten in der Stadt, durch Handwerksbetriebe und dergleichen geprägt vorstellen. Insgesamt waren die Grenzen zwischen Stadt und Land fließender, als wir dies heute kennen.

Explizit genannt werden die Stadt oder Elemente ihrer Topografie und Architektur in "Musik im Mirabell", "Am Mönchsberg" (der Mönchsberg wird auch in "An einen Frühverstorbenen" genannt), "In Hellbrunn", "Die drei Teiche von Hellbrunn" und "St. Peters Friedhof". Als Widmungsgedicht an Salzburg kann "Die schöne Stadt" gelten. Andere Gedichte, etwa "Vorstadt im Föhn", sind stark geprägt durch Salzburger Gegebenheiten.

Lektüreempfehlung: Hans Weichselbaum, Georg Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Otto Müller Verlag Salzburg, 1994



Innsbruck


Obgleich Trakl sich häufig in Innsbruck aufhielt, veranlasst durch seinen dortigen Freund und Förderer Ludwig von Ficker, Herausgeber der Zeitschrift "Der Brenner", die Trakls Gedichte umfangreich abdruckte, lehnte er die Stadt vehement ab. Davon gibt etwa ein Brief an Erhard Buschbeck vom 24. April 1912 aus Innsbruck Zeugnis: "Ich glaube nicht, dass ich hier jemanden treffen könnte, der mir gefiele, und die Stadt und die Umgebung wird mich, ich bin dessen sicher, immer abstoßen." Dies war allerdings vor der ersten Begegnung mit Ludwig von Ficker, seinem künftigen Freund und Gönner, geschrieben. Die Arbeit in der Apotheke des Garnisonsspitals belastete ihn zudem sehr. Von 01. April bis 30. September 1912 leistete er dort einen Probedienst.

Das Gedicht "Dämmerung", entstanden vermutlich zum Ende der Probezeit in Innsbruck, dürfte sehr stark durch Innsbrucker Erfahrungen geprägt sein in seinen Bildern von "weichen Kranken" und "dunkelnden Arkaden". Arkadengänge sind charakteristisch für die Innsbrucker Altstadt und das Garnisonsspital gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den größten Einrichtungen seiner Art.

Explizit erscheinen Innsbrucker Gegebenheiten in den Gedichten "Hohenburg" und "Abend in Lans". Die Hohenburg war das Anwesen des Bruders von Ludwig von Ficker, des Musikwissenschaftlers Rudolf von Ficker. Bei ihm war Trakl 1913/14 mehrmals zu Gast. Lans ist ein kleiner Ort bei Innsbruck, in der Nähe der Hohenburg. Dass der Autor gerne lange Spaziergänge unternahm, ist mehrfach überliefert. Das Gedicht "Abend in Lans" beginnt mit "Wanderschaft durch dämmernden Sommer". In Lans war speziell das Gasthaus "Traube" mit der Isserwirtin Antonia Raitmayr Ziel der Ausflüge Trakls.

Weitere Gedichte mit geographischen Angaben sind "In Venedig" (wo Georg Trakl sich im August 1913 gemeinsam mit Karl Kraus, Adolf Loos und Elisabeth Bruce aufhielt) und sein kurz vor dem Tod geschriebenes Gedicht "Grodek". Damit sind wir zusätzlich gehalten, solchen Angaben Gewicht beizumessen. Sie waren für den Autor augenscheinlich ein wichtiges Mittel, sich und sein Werk konkret zu verorten. Platte Schlussfolgerungen wie etwa die, dass er "Abend in Lans" in Lans geschrieben habe, sind natürlich zurückzuweisen.



Garten-Motiv

Die Biographie Georg Trakls weiß von vielfältigen lebensweltlichen Bezügen des Autors zu Gärten. Als Kind habe Georg Trakl gerne an Turngeräten im elterlichen Garten gespielt, berichtet sein Bruder Fritz Trakl 1952 der Kulturjournalistin Barbara Bondy. Der Garten in der Pfeiffergasse 3 war auch für den Jugendlichen häufiger Rückzugsort. Eine Photographie aus der Zeit um 1906 zeigt ihn wohlgekleidet in selbstbewußter Pose auf einem Gartenstuhl vor einer Hecke. Der Literatenzirkel "Minerva", dem Trakl angehörte, traf sich offensichtlich auch gerne in Gärten oder Gartenwirtschaften. Dies muss auch vor dem Hintergrund der damaligen Wohnverhältnisse gesehen werden. Selbst die Wohnungen der Bessergestellten, zu denen Trakls Eltern zweifellos gehörten, waren durch Kühle und Dämmerlicht geprägt. Heizung und Beleuchtung hatten einen anderen Status als heute. Für das Bürgertum bedeutete der Garten darüber hinaus auch einen Anschluss an die feudale Tradition des einem Schloss angefügten Parks.

Gärten boten in der durch starre Konventionen, soziale Kontrolle und konkrete Enge (Salzburg war in der Zeit um 1900 massiv von Zuwanderung betroffen) geprägten Stadt Räume relativer Freiheit und Großzügigkeit. Eine Soziologie des Gartens zu Beginn des 20. Jahrhunderts müsste dabei natürlich differenzieren zwischen dem ländlichen, auf Nutzung zur Lebens- und Gesundheitsmittelerzeugung und für den Blumenschmuck ausgerichteten Bauerngarten, dem proletarischen Kleingarten, dem bürgerlich-familiären Erholungsgarten, den feudalen Parkanlagen und den Stadtgärten (teilweise aus feudalen Anlagen entwickelt). Im Blick auf die Lyrik Trakls scheint mir eine solche Differenzierung nicht notwendig.

Selbst die konkrete Ansprache einer feudalen Gartenanlage wie in "Musik im Mirabell" lässt sich bei Trakl nicht abtrennen von seiner eigenständigen Entwicklung des Motivs im Gesamtwerk. So wird "Garten" nicht nur in diesem Gedicht von Trakl als "alt" charakterisiert. "Dunkel" und "dämmervoll" sind weitere häufige Charakteristika. Dazu fügt sich, dass die häufigste mit "Garten" verbundene Jahreszeit der Herbst, die häufigste Tageszeit der Abend ist. In "Schwesters Garten" greift Trakl auch das Motiv des Paradiesgartens auf, das bei ihm unterschwellig die Thematisierungen von "Garten" häufig begleitet. Dabei bestimmt ein deutlich durch Vergangenheitsbezug und Verlusterfahrung geprägter Ton die Gestaltung des Motivs.



Die Stadt

Die Stadt gilt als eines der Zentralthemen des Expressionismus. Paul Zechs "Fabrikstraße Tags", Alfred Ehrensteins "Der Ausflug", Georg Heyms "Der Gott der Stadt" und "Die Dämonen der Städte", Alfred Wolfensteins "Städter", Jakob van Hoddis' "Die Stadt" und andere Texte legen davon Zeugnis ab. Doch bei Trakl ist das Thema eher selten zu finden. Ein frühes Gedicht wie "Die schöne Stadt" (1909/10) lässt zudem eher an die Lyrik des französischen Symbolismus denken als an die der Zeitgenossen. Anders verhält es sich mit dem Gedicht "Vorstadt im Föhn", entstanden zwischen Juli 1910 und Februar 1912, das die modernen großstädtisch-industriellen Motive des Expressionismus kennt und gestaltet, Gestank, Zugverkehr, armselige Hütten mit Kindern, Ratten, Kanal, Verfall, Halluzinationen.

Die Stadt Trakls hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht ist eher kleinstädtisch, mit idyllischen Zügen. Allerdings finden wir in Gedichten wie "Die schöne Stadt" auch bedrohliche Töne, die dem Titel einen fast spöttischen Unterton geben. So "hasten" die Nonnen in der ersten Strophe, und ihre behauptete Sanftheit wird konfrontiert mit "schwüler Buchen Schweigen". Im leichten Singsang der Vierzeiler dieses Gedichtes erklingt der von Baudelaire her bekannte Schrecken der "Fleur du Mal". Das andere Gesicht reflektiert die Ambivalenz der sich entwickelnden Industrialisierung, wobei direkte Einflüsse des Berliner Expressionismus anzunehmen sind.

Deutlich expressionistische Züge finden wir in "Vorstadt im Föhn" und "Winterdämmerung". Beide enthalten das Bild des Kanals, das wir auch aus Oskar Loerkes "Blauer Abend in Berlin" (1911) kennen, aus Paul Zechs "Im Dämmer" (1911) und "Mai-Nacht" (1911). Beide enthalten mit dem Kanalmotiv verbunden das Motiv des Blutes, beide das Motiv der Bahnbrücke, Lärm und Gestank sowie den harten Kontrast zu einem freundlichen, hellen Bild ("Theatersaal" im einen, "rosenfarbene Moscheen" im anderen Text). Gestalterisch und thematisch sind die beiden Texte allerdings ansonsten von erheblicher Differenz.

Offensichtlich war "Stadt" kein wichtiges literarisches Thema oder auch nur Motivgeber für Georg Trakl. Er hat sicherlich die entsprechenden Beiträge des französischen Symbolismus aufgegriffen und einige von expressionistischen Kollegen gestaltete Motive gleichfalls verwendet. Aber wesentlich für seine Lyrik war offensichtlich das Gegenbild zur Stadt, das Dorf.



Das Dorf

Georg Trakl hatte gewiss mit der Natur- und Lebensreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig zu tun. Rudolf Steiners Lehre kannte er, insbesondere deren theosophische Grundlagen, die auch Reflexe in seinem Werk finden. Doch die Dorf- und Bauernromantik der Zeit war ihm fremd, Dostojewski stand ihm näher als Tolstoi, Karl Kraus war ihm vertrauter als Hermann Hesse. Zur ästhetischen Differenz zwischen der Lyrik Trakls und Hesses hat Karlheinz Deschner sich in "Kitsch, Konvention und Kunst" - mit einiger Übertreibung - deutlich geäußert.

Es ist unübersehbar, dass einfache ländliche Lebensformen, dass Dorf, Weinberg und Acker, dass Hirte, Magd und "Landmann" eine zentrale Rolle in Trakls Werk spielen. Bukolische Motive durchziehen seine Texte, allerdings eingebettet in Kontexte, die keinen Raum für Verklärungen lassen. Von der Schäferidylle des Barock wie vom romantischen Eskapismus beider Jahrhundertwenden der Industrialisierung unterscheidet Trakls invertierte Bukolik sich durch die klar gesetzte betrachtende Distanz, durch Aufrichtigkeit der ländlichen Mühsal gegenüber und durch die explizite Markierung der Gebrochenheit im Umgang mit der Thematik. Wir müssen uns natürlich davor hüten, Trakls Gedichte platt als Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Landleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu lesen. Aber auch die bloße Verengung auf einen innerliterarischen Diskurs mit Hölderlin, Rimbaud und Rilke greift zu kurz, ebenso wie die Annahme einer gänzlich individuellen, mit künstlerischen Mitteln gestalteten Seelenwelt.

Wie nun begegnet das Dorf in Trakls Werk? "Das braune Dorf", so beginnt der Text "Ein Herbstabend". Lakonisch gesetzt steht der Satz da, steht das "braune Dorf" da. Ein Bild, und dann folgt die Beschreibung des Bildes, äußerlich sachlich, doch inhaltlich sehr spezifisch und irritierend entwickelt. "Ein Dunkles" zeige sich. "Gestalten" werden genannt: Mann und Weib. "Verstorbene" handeln wie selbstverständlich, bereiten Mann und Weib das (Ehe-?)Bett. Das Dorf als ein Ort, wo Verstorbene noch (im Unterschied zur Stadt?) gegenwärtig sind? Ein Ort geschichtlicher Präsenz, bewahrter Traditionen? Oder eher ein absterbender Ort, ein dem Untergang geweihter? Gegen Letzteres spricht, dass noch Kinder spielen, konkret "Knaben", dass (als jung zu imaginierende) Mägde anwesend sind. Beide markieren allerdings keine Idylle, neben den Knaben breiten sich "schwere Schatten", "braune Jauche" wird genannt und die Mägde gehen durch "feuchte Bläue".

Und doch haben wir hier auch Züge einer Idylle, einer gebrochenen, einer, von der man sagen könnte, sie sei immer noch besser als Nichts: "Für Einsames ist eine Schenke da". Bemerkenswert, dass "Einsames" ein Neutrum ist, "Mann wie Weib" zur Seite gestellt, "gegenüber" wäre schon zu viel gesagt. Mit "Einsames" wird zugleich Individualität thematisiert, ausgeführt in der letzten Strophe als durch Schwarz, Trunkenheit und Nachsinnen markierte Eigenheit. Das Dorf bietet ihm Zuflucht, bleibt dabei aber fremd.

Im Gedicht "Landschaft" (2. Fassung), wie "Ein Herbstabend" von Trakl in die Sammlung "Sebastian im Traum" aufgenommen, bestimmt den Auftakt des Gedichtes eine Zeit, "Septemberabend". Hier sind es "Hirten", die das Dorf besuchen. "Traurig" klingen ihre Rufe durch das Dorf. Unklar bleibt, ob sie im Dorf leben und nun am Abend zurückkehren mit ihren Herden, oder ob sie nur durch das Dorf ziehen. Möglich ist auch die Deutung, dass sie außerhalb des Dorfes sich aufhalten und nur ihre Rufe das Dorf erreichen. Dem Dorf gewiss zugehörig sind wieder die "Mägde", dazu ein Schmied bei der Arbeit. Doch dem Dorf sind nur die ersten vier Zeilen des Gedichtes gewidmet. Die zweite Hälfte, wiederum vier Zeilen, gehört dem Außenbereich, Wald, Teich, ein brennender Baum (Sonnenuntergang? wirkliches Feuer?) Fledermäuse.



Die Magd

Unter den "Bewohnern" des lyrischen Dorfes bei Trakl fällt besonders auf die Figur der "Magd". Ihr widmet Trakl sogar ein eigenes Gedicht, "Die junge Magd". Dass er dieses Gedicht seinem Gönner Ludwig von Ficker zugeeignet hat, spricht bereits für seine Bedeutung. Mit sechs Abschnitten zu je drei Strophen zählt das Gedicht zu den wenigen Langgedichten Trakls. Es gestaltet im Stil einer Ballade das Portrait einer "jungen Magd" und ihrer kurzen Leidensgeschichte, die mit einer Vergewaltigung beginnt und mit einer tötlich verlaufenden Schwangerschaft endet. Wobei Trakl sich auf Andeutungen beschränkt und wir nur erfahren, dass ein "Knecht" beteiligt war, der in der "Schmiede" arbeitet.

Ähnlich düster gestimmt ist das Gedicht "Die Bauern". Auch dort erscheinen lediglich "Knechte und Mägde", "Bauern" werden im Gedicht selbst nicht genannt und erscheinen auch sonst in Texten als solche selten (in "Im Dorf" und "Dezembersonett, dazu "Bauersleut" in "De Profundis"; im reifen Werk erscheint gelegentlich der "Landmann"). Und das, was zwischen "Knechten" und "Mägden" abläuft, scheint, wie das Geschehen in "Die junge Magd", aus einer schlechten Klischeesammlung zu stammen, es ist "Gier", blödsinniges Schweigen und "eintöniges", wie es scheint heuchlerisches Gebet. "Bauersleut" interessierten Trakl augenscheinlich nicht als freie Unternehmer, was reiche Bauern um 1900 im Salzburger und Innsbrucker Land zweifellos waren (und das dürfte auch Trakl nicht entgangen sein), sondern in der Bindung an einer einfaches, von Naturabläufen bestimmtes Leben.

Ganz anders als in "Die Bauern" ist auf den ersten Blick die Situation in "Der Spaziergang". Auch dort werden "die Mägde" schwanger, doch nun heißt es "Gesegnet auch blüht armer Mägde Schoß,/ Die träumend dort am alten Brunnen stehn./ Einsam froh auf stillen Pfaden gehn/ Mit Gottes Kreaturen sündelos." Mit Blick auf den Titel könnten wir allerdings vermuten, dass dies mit dem Blick des Spaziergängers, des Außenstehenden gesehen ist, der das ländliche Leben idealisiert. Während dieses Leben in Wirklichkeit alles andere als idyllisch ist, wie das Gedicht selbst auch weiß und uns kundtut in Zeilen wie "Ein Knabe legt am Weiler einen Brand" oder "Im Dornenstrauch verendet weich ein Wild". Woher die "Weichheit" dieses Verendens und der insgesamt besänftigende Ton des Gedichtes herrührt, darauf scheint das Gedicht selbst schon in der dritten (von neun) Stophe zu verweisen: "Du träumst". Später im Gedicht heißt es "Traumwandelnd hörst du".

Alle drei Texte erschienen in der Sammlung "Gedichte". Der letzte Text dieser Sammlung, "Helian", das wohl bekannteste Langgedicht Trakls, konfrontiert uns erneut mit Mägden, nun nicht einem Knecht, sondern einem "Hirten" zugesellt, mit religiösem Beiton: "Schlanke Mägde tasten durch die Gassen der Nacht,/ Ob sie den liebenden Hirten fänden". Die Sammlung "Sebastian im Traum" kennt dann die Figur der Magd nicht mehr. Die bestimmenden Frauenfiguren sind nun "die Schwester" und "die Mutter". Wobei die Schwester in ähnlichen Bildkonstellationen erscheint wie die Magd.



Die Schwester, Blutschuld, Inzest


Georg Trakls besondere Beziehung zu seiner viereinhalb Jahre jüngeren Schwester Margarethe wurde in der Forschung immer wieder thematisiert. Mit dem Film "Tabu" von Christoph Stark (2011) wurde für die breite Öffentlichkeit festgeschrieben, was nach wie vor nicht stichhaltig belegt ist, dass Georg Trakl ein andauerndes inzestuöses Verhältnis mit seiner Schwester hatte.

Fakt ist, dass die beiden Geschwister einander besonders eng verbunden waren, einander häufiger sahen und schrieben, als dies mit den anderen Geschwistern der Fall war. Die Korrespondenz ist allerdings nicht erhalten, es gibt nur Hinweise darauf. Anzunehmen ist, dass die Familie die Korrespondenz vernichtet habe. Im März 1912 wurde Georg Trakl als Vormund seiner noch nicht volljährigen Schwester eingesetzt, um deren Hochzeit mit dem 34 Jahre älteren Berliner Buchhändler Arthur Langen zu ermöglichen. In Berlin wollte Margarethe Trakl ihre Ausbildung zur Pianistin fortsetzen, nachdem sie in Wien ein Semester Klavier und Musiktheorie studiert hatte. Georg Trakl dürfte seine Schwester gemeinsam mit seinem Freund Erhard Buschbeck in Kontakt mit Opium gebracht haben. Mit Buschbeck hatte die Schwester offensichtlich auch eine Liebesbeziehung, 1912/1913. In seinem Testament vom 27. Oktober 1914 vermachte Trakl seinen Besitz der "lieben Schwester Grete".

Als Motiv erscheint "Schwester" sehr häufig in den Gedichten Trakls. Einmal auch in einem Gedichttitel, allerdings eines unveröffentlichten Gedichtes, "Schwesters Garten". Die beiden eher fragmentarisch-vorläufig anmutenden Fassungen des Gedichtes wurden vermutlich im September 1913 in Innsbruck geschrieben. Auch "Freundin", "Mönchin" oder "Fremdlingin" als Motive der Lyrik Trakls werden von der Forschung auf die Schwester bezogen. Silbern und Weiß sind die Farben, die der "Schwester" in den Gedichten am häufigsten zugeordnet sind. Beide Gedichte aus den letzten Tagen Georg Trakls im Garnisonsspital Krakau, "Klage" II und "Grodek", nennen die "Schwester", in "Klage" mit der Zeile "Schwester stürmischer Schwermut/ Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt/ Unter Sternen", in "Grodek" heißt es "Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain".

Dem Verhältnis zur Schwester in besonderer Weise zugeordnet wird in der Forschung das Gedicht "Blutschuld". Allerdings handelt es sich bei diesem Text um einen der schwächeren Texte Trakls, der schablonenhaft gestaltet wirkt und wenig überzeugt in seiner Übersättigung mit religiösen und mythologischen Bildern. Protagonisten sind ein unbestimmtes "Wir", als bestimmte Person wird lediglich "Maria" genannt, die christliche Muttergottes augenscheinlich, an die das Gedicht sich im Namen des "Wir" wendet mit der Bitte um Vergebung für die Verfehlung der "Blutschuld". "Traum und Umnachtung" sowie "Passion" sind weitere Texte, in denen das Inzestmotiv bei Trakl gestaltet wird.

Das Motiv war den Intellektuellen der Zeit geläufig. Dazu hatte wesentlich Sigmund Freud beigetragen, allerdings erscheint das Motiv gehäuft bereits vor Freuds "Totem und Tabu" in der Literatur der Decadence, etwa bei Gabriele D'Annunzio oder Élémir Bourges. Daher sollte durchaus auch Hans Weichselbaums im Anschluss an Sauermann und Kleefeld vorgetragene Vermutung, es handele sich beim Traklschen Inzestmotiv um symbolisch-literarische "Wunscherfüllung" und Zeitgenossenschaft, weiterhin Beachtung finden (Weichselbaum 1994, S. 60).

Lektüreempfehlung: Anja Elisabeth Schoene, Ach, wäre fern, was ich liebe!, Studien zur Inzestthematik in der Literatur der Jahrhundertwende, Würzburg 1997



Der Bruder

Im Gedicht "Der Spaziergang" werden wir innerhalb einer komplexen Figurenkonstellation, die "Kinder", "die Schwester", einen "Freund", einen "Knaben", "Liebende", ein "Weib", ein "Kindlein", "die tote Rahel" (die biblische Ra(c)hel starb bei der Geburt ihres zweiten Sohnes) und "Mägde" umfasst, auch mit einem "Bruder" konfrontiert. Die Fülle an Figuren macht den Titel doppeldeutig, gemeint könnte der Spaziergang des "Du" sein, aber auch der Spaziergang eines ganzen Figurenreigens im übertragenen Sinne, der Weg von "Gottes Kreaturen" durch den Nachmittag des Lebens.

Vom "Bruder" heißt es in "Der Spaziergang": "Der Bruder stirbt dir in verwunschnem Land". Dieses Bild könnte der persönlichen Erfahrung Trakls entnommen sein. Ein älterer, unehelich geborener Bruder, Gustav, ist mit eineinhalb Jahren an einem Gehirnödem in Wien verstorben. Statt "verwunschnem Land" stand in früheren Entwürfen "Ungarland" oder "Schwabenland", das könnte auch auf die Lyriker Nikolaus Lenau bzw. Friedrich Hölderlin hinweisen, denen Trakl sich verwandt fühlte.

Dass Trakl auch zeitgenössischen Autoren sich "brüderlich" verbunden fühlte, zeigt explizit sein Verhältnis zu Karl Borromaeus Heinrich, einem Brenner-Mitarbeiter, dem das Gedicht "Untergang" mit der wiederholten Anrufung "O mein Bruder" gewidmet ist sowie das Gedicht "Gesang des Abgeschiedenen". Heinrich hat auch zwei Texte zu Trakl-Gedichten im "Brenner" veröffentlicht. In zwei persönlichen Widmungen  (Nr. 9 und Nr. 10 in der Killy/Szklenar-Ausgabe Bd. I, 1987, S. 465) nennt Trakl Heinrich direkt "Bruder". Heinrich verübte im März 1913 einen Selbstmordversuch mit Veronal, das er von Trakl zuvor erbeten hatte gegen Schlafstörungen (Brief an Trakl vom 05. März 1913).

"Frühling der Seele" endet mit "Der sanfte Gesang des Bruders am Abendhügel". In "Am Mönchsberg" findet sich die Zeile "Sanfter ein Krankes nun die wilde Klage des Bruders". Dies verknüpft das Bild des "Bruders" mit dem Bereich von Dichtung, Lyrik - der bei Trakl mit "Gesang" und "Klage" elementar verbunden ist.

Den religiösen Kontext bei "Bruder" konnotiert Trakl etwa in der Rede vom "heiligen Bruder" im Gedicht "Helian". Im gleichen Text erscheint auch ein "junger(r) Novize" und "(d)as Fleisch der Heiligen auf glühendem Rost".



Der gute Hirt

Immer wieder erscheinen in Trakls Gedichte archaisch anmutende Berufs- oder Standesnennungen. Auffallend häufig ist dies "Hirt". Weniger häufig erscheinen die in diesen Umkreis gehörigen Bezeichnungen "Fischer", "Jäger" und "Landmann". Ferner werden als Beruf/Stand Bauer, Magd, Schmied, Mönch, Soldat und Krieger genannt. Wir scheinen uns in einer eher mittelalterlichen Welt zu befinden - darauf wurde in der Forschung häufiger schon hingewiesen.

Die Zugehörigkeit der wichtigsten Gruppe zum ländlich-dörflichen Leben vor der Industrialisierung ist unübersehbar. Der im ganzen Werk präsente "Hirt" hat überdies deutlich religiöse Konnotationen, was uns darauf hinweist, dass diese Bildergruppe besondere Aufmerksamkeit verdient. Neben "Hirt" verweisen uns auch "Fischer" und "Mönch" auf den christliche-religiösen Kontext. Über Hölderlin vermittelt trägt selbst der "Landmann" religiöse Züge. Erinnert sei an Hölderlins Gedicht "Wie wenn am Feiertage ...", wo der "Landmann" seinen Feldumgang macht - hier eher einen heidnisch-kultischen denn einen christlichen Kontext evozierend.

Seinen prägnantesten Auftritt hat das Motiv des Hirten in Trakls Gedicht "Kindheit", das die Sammlung "Sebastian im Traum" einleitet, die als reifster Ausdruck des Traklschen Schaffens gelten kann. "Ein Hirt/ Folgt sprachlos der Sonne, die vom herbstlichen Hügel rollt." Eine Passage, die zwischen der von Blau und Naturbildern dominierten früheren "Wohnung" der Kindheit und der erinnernden und wehmütig gestimmten Gegenwart vermittelt. Dem Hirten kommt ein Wesenszug von Grenzgängertum zu, er ist stummer Betrachter des Weltlaufs, der Geschichte, des Vergehens der "Kindheit". Mit dem religiösen Bezug, den die "alten Glocken" und der "verfallene Friedhof am Hügel" herstellen, hat er die Sprachlosigkeit gemeinsam. Die Glocken "ruhn" und der Friedhof kann nur noch an "erzählte Legenden" erinnern, er erzählt selbst nicht mehr.

Deutlicher ist die religiös-christliche Einbindung des Hirtenmotivs im Gedicht "Abendländisches Lied", gleichfalls in "Sebastian im Traum" aufgenommen und gestaltet. Ein nicht näher bestimmtes "Wir" ist in der ersten Strophe bezeichnet als "Hirten", in der vierten Strophe als "friedliche Mönche". Erinnert sei an christliche Gebetsformeln wie "der Herr ist mein Hirt", an die Charakterisierung der Priesterschaft als "Seelenhirte" oder an die Bedeutung der Hirten zu Bethlehem. In "Elis" heißt es: "Am Abend zog der Fischer die schweren Netze ein./ Ein guter Hirt/ Führt seine Herde am Waldsaum hin."



Engel

Der Anfang des 20. Jahrhunderts brachte in der Kunst eine auffallend häufige Gestaltung des Motivs "Engel". Im Rückblick mag man geneigt sein, darin eher die Engel der Apokalypse als etwa Schutzengel wiederzuerkennen. Doch Paul Klees "Angelus Novus" von 1920 wirkt heiter und wird in der Forschung auch als Zeichen einer Versöhnung verstanden. Walter Benjamin erwarb das Bild 1921 und thematisierte es mehrmals in seinen Schriften, allerdings deutet er es ambivalent. "Der Engel der Geschichte muss so aussehen" schreibt er in "Über den Begriff der Geschichte", These IX. Klee malte/zeichnete das Engelsmotiv zwischen 1913 und 1940 etwa einhundertmal. Ähnlich produktiv wurde das Motiv bei Rainer Maria Rilke, vom "Buch der Bilder" 1902 bis zu den "Duineser Elegien" 1923.

Bei Trakl finden wir Engel in ganz unterschiedlichen Konstellationen, als bedrohlich oder eher verheißungsvoll, als machtvoll oder eher hilflos. In "Geistliches Lied" singt ein Engel "Kinder in den Schlaf hinein", ähnlich erscheint ein "rosiger Engel" in "Sebastian im Traum" - ganz anders jedoch erscheint das Bild in "De Profundis", wo "kristallne Engel" am Ende des Gedichtes keinen Trost bringen für den, der "Starrend von Unrat" sich nachts im freien Gelände findet, oder in "Verwandlung des Bösen", wo "ein Engel mit kristallnem Finger" an das Haustor klopft. In "Drei Blicke in einen Opal" geht der "Einsame" als ein "bleicher Engel" durch den Hain, während der "eherne() Engel" in "Helian" brachial auftritt, flankiert von "Schreie im Schlaf" und ""glühendem Rost".

Franz Fühmann verweist in seinem Essay "Der Sturz des Engels" auf das Bild des "dunklen Engels" bei Georg Trakl als Motiv von Krieg und Verfall. Doch wir sehen, dass das Engelsmotiv bei Trakl weit vielschichtiger ausgeführt ist. In der Forschung wird das Motiv abgelöst vom christlichen Kontext als Verbildlichung numinoser Kräfte und Mächte, die auch im Menschen selber wirksam sind. So werden in zahlreichen appositionalen Fügungen Engel bei Trakl unmittelbar mit dem Menschsein verbunden, als gleichsam dessen Innenseite. So etwa in "Drei Blicke in einen Opal", wo wir die ganz erstaunliche Fügung finden "Des Einsamen Gestalt kehrt also sich nach innen/Und geht, ein bleicher Engel, durch den leeren Hain". Analog in "Helian": "Ein bleicher Engel/Tritt der Sohn ins leere Haus seiner Väter".



Knabenmythos

Knaben werden in den Gedichten Trakls häufig genannt, im Singular ebenso wie im Plural. Darüber hinaus fallen verschiedene Knabenfiguren auf, die stark mythologisch verankert sind. So die Figuren des Heliand (in "Helian") und des Endymion (in "Abendmuse"). Gunther Kleefeld verweist in "Das Gedicht als Sühne" auch auf Hyazinth und Narziss. Dazu kommt die Figur des Elis, die aus der neueren Literatur bekannt ist als literarisches Aufgreifen einer historischen Person, verarbeitet im deutschsprachigen Bereich etwa bei E.T.A. Hoffmann ("Die Bergwerke zu Falun", 1818) und Hugo von Hofmannsthal ("Die Bergwerke zu Falun", 1906).

Die Figur des Elis wird in der Forschung bezogen auf die Person des Bergmanns Elis Fröbom, der im 17. Jahrhundert lebte. Der junge Elis Fröbom verunglückte am Tag seiner Hochzeit tödlich, Jahrzehnte später wurde seine von den spezifischen Bedingungen untertage konservierte Leiche gefunden. Bei Trakl finden wir die Figur in den Texten "Elis" und "An den Knaben Elis". Dabei ist nicht eindeutig geklärt, ob Trakl nicht doch eine mythologische Figur meint, genannt wurden in der Forschung Helios, Endymion und Adam, verwiesen wurde auch auf die Klangbeziehung zu "Elysium".

In der Trakl-Forschung wird der Komplex als "Knabenmythos" bei Trakl bezeichnet, etwa bei Hans Esselborn, der eine erhellende Interpretation zu "An den Knaben Elis" verfasste. Ursula Heckmann hat in einer Arbeit zu Motiven Otto Weiningers in Trakls Werk den als kosmisches Unheil verstandenen Geschlechterunterschied als wesentliche Problemstellung Trakls herausgestellt. Den Knaben kommt dabei die Rolle geschlechtlich noch nicht ausdifferenzierter, essentiell androgyner Wesen zu.

Eng verbunden damit ist das Motiv des "Jünglings" bei Trakl, wie wir es etwa in "Klage" (I) gestaltet finden. In "Ruh und Schweigen" erscheint die Schwester als "Ein strahlender Jüngling". Was die Androgynie der Traklschen Knaben- und Jünglingsfiguren unterstreicht. Im Text "Helian", für Trakl "das teuerste und schmerzlichste, was ich je geschrieben" (an Erhard Buschbeck im Januar 1913), erscheinen "die Fieberlinnen des Jünglings", der "Wahnsinn" des "Knaben" und "der junge Novize" - in einem Kontext, der auch die Figur Hölderlins evoziert.



Tiermythos

Bei Trakl begegnen auffallend häufig "Tier" allgemein oder "Wild" allgemein, "Vogel" allgemein. Gelegentlich finden wir individualisierte Vögel (vor allem Amsel, dazu Raben, Dohlen, Krähen, Spatzen, Schwalben, Drosseln, Kuckuck, Möven, Kranich, Habicht, Adler, Geier), finden wir Wolf, Hirsche, Hirschkuh, Pferde, Rösser, Rappen, Kühe, Hund, Katze, Ratten, Hähne, Feldermäuse, Kröten, Schlangen, Schnecken, Fische, Grillen, Heimchen, Spinnen, Mücken, Fiegen, Bienen, Hummeln, Falter, Würmer. Eine ganze Arche Noah ist da versammelt. Allerdings fehlen bemerkenswerterweise die Tierarten, die menschlichen Hirten, die Trakl häufig nennt, zunächst pragmatisch zugeordnet werden, Schafe oder Ziegen. Lediglich "Herde" erscheint vereinzelt gemeinsam mit "Hirt" oder "Schäfer".

Den generalisierenden Bezeichnungen "Wild", "Herde" oder "Tier" kommt ein eigener Stellenwert im Werk Trakls zu, insofern sie menschheitsgeschichtliche und kulturgeschichtliche Themen reflektieren. Wolfgang Riedel verweist 2005 in "Endogene Bilder" in erhellenden Ausführungen zu Gottfried Benns Lyrik auf das Deutungskonzept vom "Tier als Figuration der Erlösung" (S. 183) in der Literatur um 1900. Dies ist ein wichtiger Hinweis zum Verständnis der Traklschen Bildprägungen in diesem Kontext.

"Wild" und "Tier" sind bei Trakl in der Regel mit Stille, Sanftheit und Scheue verbunden. So in "Seele des Lebens": "Ein Tier tritt leise aus den Baumarkaden" oder in "Im Dorf": "Der Saum des Walds schließt blaue Tiere ein". "Am Waldsaum zeigt sich ein scheues Wild" heisst es in "Kindheit". An den Parallelstellen für "Wild" tritt zu diesen Merkmalen für "Tier" häufig noch Bluten/Verbluten hinzu. "Ein blaues Wild/Blutet leise im Dornengestrüpp" ("Elis"). "Ein Wild verblutet sanft am Rain" ("Im Winter"). "Finster blutet ein braunes Wild" (im Nachlass).

Was Trakl mit dem Adjektiv "wild" charakterisiert, sind Tänze ("Klagelied"), der Föhn ("Das Grauen"), die "Klage des Bruders" ("Am Mönchsberg") - das spielt sich durchaus in konventionellen semantischen Bezügen ab. Mit "Wild" jedoch ist eher Passivität, eine Opferrolle gar verbunden. Das "Wild" bei Trakl ist eher friedfertig. Der Autor expliziert dies im Gedicht "Kindheit", in der ganz und gar überzeugenden Formulierung "zeigt sich ein scheues Wild und friedlich/Ruhn im Grund die alten Glocken und finsteren Weiler". Das "Wild" gehört einem Raum von Friede an, einem paradiesischen zukünftigen Ort, es ist Teil einer Utopie jenseits von "Glocken" und "Weiler" - also jenseits oder nach der menschlichen Kultur.

Lektüreempfehlung: Wolfgang Riedel, Endogene Bilder, in: Poetik der Evidenz, Würzburg 2005. Darin Kapitel 3: "Exzentrische Positionalität - Tierische Transzendenz - Thalassale Regression", S. 180-190



Wasser

Ein Foto von 1913 zeigt Georg Trakl am Lido von Venedig, in einem Badekostüm der Zeit. Überliefert ist auch, dass er 1913 während des Aufenthalts auf der Hohenburg im Lanser See gebadet habe. Das Freischwimmerzeugnis hat er 1894 abgelegt. Dem Körperkult der Zeit mit seinem Nacktheitspathos stand er ablehnend gegenüber, wie Karl Röck berichtet. Dafür mag es ganz persönliche Gründe geben, Trakl wurde als Kind seiner rundlich-kräftigen Figur wegen öfter gehänselt (Weichselbaum 1994, S. . Die Abbildung aus Venedig zeigt allerdings weder Unbehagen noch betonte Zustimmung der eigenen Körperlichkeit gegenüber.

Aus der elterlichen Wohnung im Haus Waagplatz 2 ("Schaffnerhaus", die vierte Salzburger Wohnung der Eltern) hatte Trakl bis zum 6. Lebensjahr einen privilegierten Blick auf die Salzach. Auch die fünfte und letzte Wohnung (Waagplatz/Mozartplatz) befand sich in Salzach-Nähe. Von Dritten überliefert sind verschiedene Äußerungen Trakls, wonach Wasser ihn stets angezogen habe, unter anderem die stark überzogen wirkende Äußerung, er habe bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr nichts von seiner Umgebung wahrgenommen als das Wasser (gegenüber Hans Limbach - s. "Erinnerung an Georg Trakl", 1966, S. 122). Im Gedicht "Sebastian im Traum" begegnen die Zeilen "Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,/ Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg". Wir sollten uns allerdings hüten, hier zu blank Autobiographisches zu lesen.

Im Werk Trakls begegnet Wasser auffallend häufig, in den verschiedensten Erscheinungsformen, als Wasser allgemein, als Brunnen, Quell/Quelle, Bach, Fluß, Strom, Kanal, Tümpel, Teich, Weiher, See, Flut, "die Fluten", "die Wasser", Meer, Wogen, Regen, Tau, Tränen. Dabei erscheinen Wasserbilder in allen Werkphasen. In der Sammlung 1909 dominieren die - meist im Plural verwendete Bilder "See", "Meer" und "Flut" sowie das kulturell bestimmte Wasserbild "Bronnen/Brunnen". Dazu kommen einzelne Nennungen von "Teich(en)" und "Quellen". In der Werkphase 1909-1912 tritt "Meer" zurück, stattdessen erscheint "Weiher" auffallend häufig, "Tümpel" und "Teich" begegnen gelegentlich. Vereinzelt finden wir "Wasser" und "Kanal", weiterhin auch "Quell(en)" und "Brunnen".

Das reife Werk des Jahres 1913 enthält die reichhaltigste Palette an Wasserbildern, nun finden wir interessanterweise am Ende des Jahres/Anfang 1914 auch fließendes Wasser, "Bach" ("Anif", "Der Wanderer"), "Fluß" ("An einen Frühverstorbenen"), "Strom" ("Siebengesang des Todes"). Weiterhin dominiert allerdings auffallend in der Häufigkeit "Weiher".  Auch die beiden letzten Gedichte Trakls enthalten zentrale Wassermotive, in "Klage" II heißt es: "die eisige Woge/ Der Ewigkeit" und "es klagt die dunkle Stimme/ Über dem Meer". In "Grodek" 2. Fassung "die goldnen Ebenen/ Und blauen Seen, darüber die Sonne/ Düstrer hinrollt".



Musik

Schon in der Titelgebung seiner Gedichte thematisiert Trakl den Motivkomplex "Musik" auffallend häufig: "Abendländisches Lied", "Geistliches Lied", "Im roten Laubwerk voll Guitarren", "Kleines Konzert", "Musik im Mirabell", "Rosenkranzlieder", "Trompeten", "Wintergang in a-Moll" und andere. Dabei zeigt sich die ganze Spanne von militärischem Musikgebrauch ("Trompeten") über Tanzmusik ("Im roten Laubwerk") bis zu kirchlicher Musik ("Geistliches Lied").

Musik spielte für Trakl auch eine besondere familiär-persönliche Rolle, insofern seine mit zweifellos inzestuösen Zügen geliebte jüngere Schwester Gretl mit besonderem Talent Klavier spielte und später auch für kurze Zeit Klavierspiel und Komposition studierte. Allerdings - und auch dies spricht für die Qualität der Traklschen Lyrik - wird das Schwester-Motiv in den Gedichten höchst selten mit musikalischen Themen in Verbindung gebracht. Wenn, geschieht dies nicht unmittelbar auf "Schwester" bezogen. Die "Schwester" erscheint nicht als musikalischer Akteur. Im unveröffentlichten Text "Schwesters Garten" etwa erscheint lediglich der "Amselruf" als musikalische Anspielung. Das Gedicht "Passion" beginnt mit "Wenn Orpheus silbern die Laute rührt", einige Zeilen später wird der "Schatten der Schwester" genannt. Das Motiv wiederholt sich zum Ende des Gedichtes mit "Oder es tönt in dunkler Verzückung/Voll das Saitenspiel/Zu den Füßen der Büßerin".

In "Psalm I", das die "fremde Schwester" in "bösen Träumen" erscheinen lässt, findet sich die Zeile "Es sind Zimmer, erfüllt von Akkorden und Sonaten". Später werden "Endakkorde eines Quartetts" genannt. Ob wir hier das Traklsche Elternhaus imaginiert sehen dürfen, ist fraglich. "Psalm" lässt deutliche Einflüsse des französischen Symbolismus erkennen, die Struktur übernimmt Elemente aus Rimbauds "Enfance", bei Baudelaire finden wir die Zeile "Ne suis-je pas un faux accord/Dans la divine symphonie,/Grâce à la vorace Ironie/Qui me secoue et qui me mord."



Krieg

Trakls Äußerungen zur Kriegsstimmung seiner Zeit bleiben unbestimmt, etwa in jenem Brief vom 29. August 1910 an Anton Moritz, wo er die "allgemeine Nervosität des Jahrhunderts" anspricht. In einem Brief an Erhard Buschbeck von Anfang November 1912 findet sich die ironisch zu verstehende Zeile "Ich sitze im Dienst; Arbeit, Arbeit - keine Zeit - es lebe der Krieg!". Trakl war zu dieser Zeit Mitarbeiter des Garnisonsspitals Nr. 10 in Innsbruck in militärischem Rang. Der Dienst hat ihn sehr belastet, die Einrichtung des Hospitals empfand er als bedrücken. Gespenstische Bilder entnimmt er diesem Bereich, etwa für sein Gedicht "Dämmerung": "Im Hof, verhext von milchigem Dämmerschein,/Durch Herbstgebräuntes weiche Kranke gleiten."

Gedichte wie "Grodek" (1914), aber auch frühere Gedichte wie "Menschheit" oder "Trompeten" (beide 1912), entfalten Kriegsbilder betont verhalten und zeichnen deutliche Gegenbilder, zumeist aus dem Naturbereich. Für die Positionierung seines Gedichtes "Trompeten" in der Zeitschrift "Der Ruf" bat Trakl in einem Brief an Erhard Buschbeck November 1912 um einen Platz am Ende, "daß nach der letzten Zeile der geneigte Leser nicht auf die erste Zeile eines kriegerischen Gesanges von Paul Stephan hinübergleitet".

Als Trakl in den Krieg zieht, von Innsbruck aus in der Nacht vom 24. auf den 25. August 1914, überreicht er am Bahnhof dem Freund und Förderer Ludwig von Ficker jenes berühmte Billet, auf welchem stand: "Gefühl in den Augenblicken totenähnlichen Seins: Alle Menschen sind der Liebe wert. Erwachend fühlst du die Bitternis der Welt; darin ist alle deine ungelöste Schuld; dein Gedicht eine unvollkommene Sühne."

Unter dem Eindruck der entsetzlichen eigenen Kriegserfahrungen in den ersten Kriegswochen in Galizien schreibt Trakl die Gedichte "Klage" und "Grodek". Krieg ist hier als abgründiges Menschenschicksal thematisiert, ohne jegliches Element einer heroischen Stilisierung oder Rechtfertigung. Politische Bezüge, wie sonst im Expressionismus, fehlen gleichfalls.



Abend

Das häufigste Substantiv im Werk Trakls ist "Nacht", die häufigsten Adjektive sind "dunkel" und "schwarz". Dass ich dennoch hier "Abend" behandle,  ist in meinem Gesamtverständnis des Traklschen Werkes begründet, lässt sich allerdings auch numerisch stützen. "Abend" kommt nach "Schatten" immerhin an dritter Stelle unter den Substantiven nach der Häufigkeit. Die höhere Häufigkeit von "Nacht" verdankt sich großteils dem Frühwerk Trakls. Im reifen Werk haben wir ein zumindest ausgewogenes Verhältnis der beiden Phänomene. In den beiden letzten Gedichten erscheint in "Klage" II die Nacht, in "Grodek" der Abend und die Nacht. In "Klage" I finden wir gleichfalls Abend und Nacht nebeneinander.

Die enge Verbindung der beiden Motive "Abend" und "Nacht" zeigt sich auch in anderen Gedichten, etwa in "Abendländisches Lied". Dort finden wir die Bilder "Abendgarten" und "Ruh des Abends" neben "O, das sanfte Zyanenbündel der Nacht". Charakteristisch für den Bedeutungsgehalt von "Abend" im Traklschen Werk ist das Gedicht "Verklärung", das in "Sebastian im Traum" unmittelbar auf "Abendländisches Lied" folgt. Hier haben wir eine ganze Fülle an Bildern, die das Werk Trakls prägen, haben wir die Farbe Blau in verschiedenen Erscheinungen, unter anderem als "blaue Blume", daneben Weiß, Gelb ("vergilbt") und Silber, hier begegnen uns ein "sanfter Mönch" und ein "weißer Engel", Todesbilder sind gestaltet, "Stille" und "dunkler Gesang" bestimmen die klangliche Ebene. Und eingeleitet wird das Gedicht mit "Wenn es Abend wird". Das ist die Zeit, um die es Trakl geht in seinem Werk, die Zeit des Übergangs, des Abschlusses und der Erinnerung, der Verklärung und des Niedergangs. Die Nacht wird nur mitgedacht als nachfolgend, wird manchmal mit genannt als das Vorgeahnte oder das im Abend sich schon Zeigende. Deutlich etwa in "Grodek", wo der Bezug der Zeiten so benannt wird: "Am Abend (...) umfängt die Nacht/ Sterbende Krieger".

Zahlreich sind die Gedichttitel, die "Abend" enthalten, von "Abendgang" bis "Zu Abend mein Herz". Auch die Zahl der Gedichtanfänge mit der Zeitangabe "Am Abend" ist beeindruckend. Die Trakl-Ausgabe von Killy/Szklenar verzeichnet zwölf, von "Am Abend hört man den Schrei der Fledermäuse" bis "Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald". Deutlich wird hier, dass "Abend" als Zeitangabe ein besonderes Gewicht hat, während "Nacht" im Werk Trakls stark geprägt wird durch die ihr verbundenen Erscheinungen wie Schlaf, Traum, Sterne, Mond, Stille, Finsternis.



Herbst

36 mal wird "Herbst" in Trakls Werk genannt, nur viermal "Winter". Das Verhältnis von Herbst zu Winter ist bei Trakl ähnlich dem von Abend zu Nacht zu lesen. Der Herbst ist bedeutsam als Jahreszeit des Übergangs, der Vordeutungen auf den Winter aber auch der Möglichkeiten, diesem zu entkommen (im Bild des Vogelzuges etwa). Er birgt bei Trakl auch die Hoffnung, es könne etwas geben, das den Winter überdauert. Der Winter seinerseits ist primär insofern im Werk präsent, als er sich im Herbst bereits andeutet, diesen mitprägt. Als eigenständiges Bild ist "Winter" bei Trakl weit weniger entwickelt als "Nacht".

Bezeichnend ist die Gestaltung des Herbstes in "Der Herbst des Einsamen". "Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle" - so hebt das Gedicht an, mit einer Aussage, die ganz gängigen Bildern entspricht, mit Ausnahme der Charakterisierung "dunkle". Der Text enthält dann in der Folge weitgehend Bilder mit versöhnlichem Ton, von "milder Stille", Ruhe, Geborgenheit und Versorgtsein. Doch die Geborgenheit ist trügerisch, das Dach ist "von dünnem Stroh", die Stuben sind "kühl" - und dies bereits im Herbst. Vom Winter ist nicht die Rede, aber wir ahnen, dass es schwierig sein wird, den Winter zu überleben für die "Bewohner" dieser Bilder.

Und wie mit einem schlechten Ohmen endet das Gedicht dann, "anfällt ein knöchern Grauen,/ Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden". Ob dies der Hauch des Wintes ist, bleibt dahingestellt. Der Winter ist bei Trakl zwar durchaus konventionell mit "Tod" verbunden, doch dominiert dessen Bildbereich keineswegs. So ist in "Wintergang in A-Moll" zwar von einem Begräbnis die Rede, doch auch von "Maskenfesten". Das Leben besteht zweifelsfrei, unterstrichen durch die letzte Zeile: "Der Gaumen schmeckt des Frostes starke Würzen."

Schweigen und Stille sind dem Herbst zugeordnet bei Trakl, nicht dem Winter. Als interessierte ihn weit mehr die Drohung mit "Winterlichem" (Frost, Tod, völlige Stille) als dessen Vollzug. In "Verklärter Herbst" endet das Jahr "gewaltig", "Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten". Ein Verdacht drängt sich auf: dass der Winter für Trakl weit mehr ein allererster Neuanfang sei denn ein Ende! Und der Herbst? "Es ist der Liebe milde Zeit." Ironie? Spielerisch erprobte Idylle? Oder ein Trakl, den das bisherige Trakl-Bild noch nicht hinreichend wahrnimmt?



Die Amsel

Schon eine flüchtige Bekanntschaft mit dem Traklschen Werk genügt, um die besondere Bedeutung eines eher unscheinbaren Vogels zu erkennen: der Amsel. Sie ist den Krähen und Raben äußerlich ähnlich mit ihrer Größe (verglichen mit anderen Singvögeln) und dem intensiv schwarzblauen Gefieder, aber weniger imposant. Gerühmten Singvögeln wie der Nachtigall oder der Lerche ist sie durchaus ebenbürtig wenn nicht überlegen im Gesang, aber sie tritt weniger spektakulär auf und ist auch weniger verehrt und künstlerisch gewürdigt. Bei Trakl jedoch reüssiert sie in vielen seiner bedeutendsten Gedichte, in "An den Knaben Elis", "Kindheit" und "Frühling der Seele", aber auch in "Verfall", "An einen Frühverstorbenen", "Siebengesang des Todes". Gelegentlich erscheint "Schwarzvogel" und in ähnlichen Konstellationen auch "Drossel".

In der christlichen Symbolik wird sie gelegentlich als Gefährte von Einsiedlern aufgeführt - gleichsam als Gegenspielerin zum Raben der Hexen und Zauberer. So finden wir sie etwa als Begleiterin des Kevin von Glendalough. Hierbei dürften auch ältere keltische Mythen eine entscheidende Rolle gespielt haben, wonach die Amsel mit der Geisterwelt verbunden ist. Daneben galt die Amsel im Christentum auch als Bote des Teufels - den heiligen Benedikt soll der Widersacher in Amselgestalt versucht haben. Im Mittelalter galt das Verspeisen einer Amsel als Heilmittel gegen Melancholie. Was diesen Vogel auszeichnet als Symbolträger sind seine einzelgängerischen Züge sowie die Verbindung von schlichtem Äußerem mit außergewöhnlichen sanglichen Fähigkeiten, von eher kompakter Gestalt mit filigraner Liedführung. In der neuzeitlichen Volkskultur finden wir sie als Element des Aberglaubens ebenso wie in den verbreiteten Liedern "Vogelhochzeit" und "Alle Vögel sind schon da".

Literarisch fand die Amsel im Umkreis von Georg Trakl keine sonderliche Beachtung. Zu nennen ist lediglich Robert Musils Erzählung "Die Amsel", zurückgehend auf ein Kriegserlebnis des Autors vom September 1915. Unter Trakls Vorbildern hat Hölderlin die Amsel einmal im hymnischen Entwurf "Griechenland" verwendet. Hölderlin verbindet dort den Gesang der Amsel mit der "Stimmung" durch Gott - einen keinesfalls christlich, sondern antik gedachten Gottes, mit den Merkmalen von Zeus ausgestattet. Bei Trakl erscheint die Amsel sehr häufig in Verbindung mit "Klage", etwa in der Zeile "Sanft ist der Amsel Klage. Ein Hirt/" aus "Kindheit" oder in "Geistliche Dämmerung": "Verstummt die Klage der Amsel,/". Sie ist verbunden mit dem Abend, mit Dämmerung, mit der Welt der Geister und des Todes: ""Abend, da an dämmernden Mauern die Amsel sang,/ Der Geist des Frühverstorbenen stille im Zimmer erschien./" ("An einen Frühverstorbenen").

Es gibt durchaus gute Gründe für die Annahme, Trakl habe sich der Amsel sehr eng verbunden gefühlt, habe in ihr einen Repräsentanten seiner eigenen lyrischen Anliegen gesehen. So ist die Amsel bei ihm auch Kaspar Hauser zugeordnet, von dem er schreibt: "Er wahrlich liebte die Sonne, (...), den singenden Schwarzvogel". Einen Hinweis darauf, wie wir die Stellung der Amsel im Werk Trakls ganz anders begreifen könnten, gibt Theodor W. Adorno in seinem Spätwerk, der "Ästhetischen Theorie", Frankfurt 1973, S. 105:

"Schön gilt allen der Gesang der Vögel; kein Fühlender, in dem etwas von europäischer Tradition überlebt, der nicht vom Laut einer Amsel nach dem Regen gerührt würde. Dennoch lauert im Gesang der Vögel das Schreckliche, weil er kein Gesang ist, sondern dem Bann gehorcht, der sie befängt. Der Schrecken erscheint noch in der Drohung der Vogelzüge, denen die alte Wahrsagerei anzusehen ist, allemal die von Unheil."

Adorno hat im übrigen vor 1945, als er sich noch intensiver mit Komposition beschäftigte, auch Lieder auf Gedichte von Georg Trakl geschaffen. Und zwar im einzelnen zu "In Venedig", "Im Park", "Nachts", "Im Frühling", "Entlang", "Sommer" und "Klage".



Vogelzug

Das Diktum Adornos verweist auf ein weiteres Naturmotiv, das im Werk Trakls eine besondere Rolle spielt, den "Vogelzug" und, damit eng verbunden, den "Vogelflug". Der Schrecken, den Adorno an diesem wie am Gesang der Amsel erkennt, sei der Unfreiheit geschuldet. Wie die Amsel - nach Adorno - nicht anders kann denn zu singen und nicht anders singen als ihr gegeben ist, so wäre der Mensch unfrei, der sich sein Handeln von Deutungen des Vogelzuges vorschreiben ließe. Also wäre Trakl, der die "dunkle Deutung des Vogelflugs" ("An den Knaben Elis") durchaus affirmativ nennt, zunächst als Unfreier verdächtig. Da Trakl aber den Schrecken zu kennen scheint, von welchem Adorno spricht, wäre er dem Philosophen durchaus ebenbürtig. "Laß, wenn deine Stirne leise blutet/ Uralte Legenden/ Und dunkle Deutung des Vogelflugs." - So lautet die ganze Strophe in "An den Knaben Elis". Andererseits klingt es ganz und gar ungebrochen, wenn Trakl in "Der Herbst des Einsamen" festhält "Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen". Der Bruch kommt erst ganz am Ende dieses Textes mit "anfällt ein knöchern Grauen,/ Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden".

Trakl unterscheidet nicht klar zwischen "Vogelzug" und "Vogelflug". Im Gedicht "Verfall" werden "der Vögel wundervolle Flüge" wie folgt beschrieben: "lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen". Es handelt sich also offensichtlich um ziehende Vögel, die auch im thematisch schärfer formulierten Gedicht "Untergang" genannt werden. Eindeutig heißt es in "Verklärter Herbst": "Ein Vogelzug grüßt auf der Reise". Und in "Musik im Mirabell": "Ein Vogelzug streift in die Weiten". In "Stundenlied" finden wir das eigentümliche Bild "Die runden Augen/ Spiegeln (...) Vielleicht unsäglichen Vogelflug". Ein kühne Neuformulierung des antikes Begriffes von der "Vogel-Schau" ("auspicium"). Vergleichbares findet sich in Hölderlins sehr spätem Gedicht "Der Herbst" mit der Formulierung "Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder".

Ich neige dazu, "Vogelzug" und "Vogelflug" bei Trakl gleichbedeutend zu verstehen. Allerdings nennt Trakl eindeutig nicht nur der Vogelzug, sondern auch sonstige Flugmuster zeichenhaft: "Schwalben irre Zeichen ziehn" heißt es in dem Gedicht "In einem verlassenen Zimmer". Zudem geht es Trakl nicht immer um eine Verbindung des Vogelzuges mit antiken Vorstellungen einer darin verborgenen Botschaft. In "Ein Herbstabend" sinnt der "Trunkne" den "wilden Vögeln nach, die ferngezogen". Es geht offensichtlich auch um ein Freiheitsmotiv, um die Möglichkeit der Vögel, sich einer feindlichen Situation, dem drohenden Winter in concreto, zu entziehen, davon zu fliegen.

In der Theosophie, mit deren Lehren Trakl zweifelsfrei zumindest in Grundzügen bekannt war, wurde (und wird) der antike Glaube an Zeichen der Götter im Vogelflug durchaus ernst genommen. "Auspicium" bedeutete unmittelbar "Vogelschau" und bezog sich ursprünglich auf das Verhalten von Vögeln, auf die Beobachtung und wahrsagende Deutung vor allem ihrer Flugrouten und ihrer Schreie. Im Vogelflug zeigt sich nach theosophischer Auffassung die "Gruppenseele" der Vögel. Wie weit Trakl diesen Vorstellungen verbunden war, lässt sich seinen Texten nicht verbindlich entnehmen.

Trakl vermeidet in den von ihm selbst zur Veröffentlichung vorgesehenen Texten jeden Hinweis auf einen verlockenden "Süden", in den die Vögel zögen. Einen solchen finden wir lediglich im Nachlasstext "Im Weinland". Im Gedicht "Melancholie des Abends" gibt es die spielerisch umschreibende Formulierung "(ahnet man ...) Ein Heer von wilden Vögeln wandern/ Nach jenen Ländern, schönen, andern". Im Gedicht "Die Raben" heißt es alledings, fast provokant (könnte diese Charaktersierung denn auf Trakls Werk je zutreffen), diese zögen "nach Nord" - "wie ein Leichenzug".



Der Wolf

Das zweite (neben Amsel) markant (allerdings nicht häufig) genannte Tier in Georg Trakls Werk ist der Wolf. Auch der Wolf scheint, wie die Amsel, für Trakl ein stückweit lyrische Identifikationsfigur gewesen zu sein. In einigen Texten, die von der Forschung als stark autobiographisch geprägt angesehen werden, erscheint dieses Tier. So in "Traum und Umnachtung": "Aber in dunkler Höhle verbrachte er seine Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem weißen Antlitz der Mutter." Und später heißt es im gleichen Text: "Ein Wolf zerriß das Erstgeborene und die Schwestern flohen in dunkle Gärten zu knöchernen Greisen." Als möglicher Hinweis auf ein inzestuöses Verhältnis zwischen Georg Trakl und seiner Schwester Margarethe gewertet wird die Wolf-Stelle in "Passion": "Unter finsteren Tannen/ Mischten zwei Wölfe ihr Blut/ In steinerner Umarmung;". Im Text "Winternacht" werden wir mit dem Bild "Ein roter Wolf, den ein Engel würgt" konfrontiert. In einem der letzten Gedichte, vom Kriegseinsatz, "Im Osten", brechen "(w)ilde Wölfe" durchs Tor und konfrontieren "erschrockene() Frauen".

Dass ein Engel einen Wolf würge, ist ein Bild, das genauere Beachtung verdient. Der Wolf wird für eine erste Betrachtung zum dämonischen Wesen, das ein Engel bändigen muss; das Bild insgesamt zu einer Allegorie des Kampfes zwischen Gut und Böse. Die Farbe Rot könnte auf den Kriegsgott Mars hinweisen, dem der Wolf als Symboltier unter anderen in der Antike zugeordnet wurde. Dass der Engel "würgt" macht die Situation allerdings vieldeutig, der Wolf gerät in eine Opferrolle, unterstrichen durch die syntaktische Nachstellung der eigentlichen Handlung. An verschiedenen Stellen der Bibel treten die von Luther außerhalb seiner Bibelübersetzung "Würgengel" (s. Grimmsches Wörterbuch Bd. 30, sehr interessanter Artikel!) genannten Rache- und Strafengel auf, die in der Johannes-Apokalypse 9, 13ff gemeinsam mit einem gewaltigen Reiterheer ein Drittel der Menschheit durch Feuer, Rauch und Schwefeldampf töten.

Im Umfeld dieser Stelle bei Trakl in "Winternacht" wird ein "Du" angesprochen, in welchem wir eine lyrische Repräsentation des Autors annehmen dürfen, denn die verwendeten Charakterisierungen ("Antlitz versteinert", "Wollust des Frostes") kennen wir aus Briefen Trakls als Selbstbeschreibungen. "Ein roter Wolf" ist auch implizite zu lesen als Apposition zum "Du". Folgen wir dieser Deutungslinie, so werden auch Prometheus und der Kentaur Nessos/der Titan Atlas zu möglichen lyrischen Repräsentationen des Autors. Auf sie wird angespielt wie folgt: "Ein weißes Sternenhemd verbrennt die tragenden Schultern und Gottes Geier zerfleischen dein metallenes Herz."



Verfall

Georg Trakl sei der Dichter des Verfalls, gar der "Prophet des Verfalls". Das ist gängiges Urteil über sein Werk, begriffgewordene Gesamtinterpretation - davon zeugt selbst Google Trends, "Verfall" ist das häufigste mit Trakl verbundene Suchwort. Verfall, Herbst, Abend, Abschied, Tod - das seien seine großen Themen. Wir haben gesehen, dass es auch andere Motive gibt, die dem entgegenstehen oder dieses Bild doch zumindest modifizieren, Vogelzug, Dorf, Amsel, Wasser etwa. So ergibt sich eine andere Deutungsrichtung, wenn wir den Herbst nicht (nur) mit Verfall, sondern (auch) mit dem Vogelzug assoziieren.

Dass "Verfall" im Zentrum vieler Trakl-Deutungen steht, verdankt sich auch den katastrophischen Zeitumständen, mit erstem Weltkrieg und dem Verfall der Habsburgermonarchie, es verdankt sich aber auch der Biographie Trakls, die von individuellen und familiären Verfallserscheinungen geprägt war. Das Werk selbst bietet gleichfalls genügend Anhalt für diese Deutungen. Da gibt es das Gedicht "Verfall", da gibt es aber auch die vielfache Verwendung des Wortstammes und zahlreiche Bilder, die dem Umkreis angehören, von Fäulnis, Unrat, Verwesung, Untergang.

"Verfallen" ist in Trakls Lyrik ganz Unterschiedliches. Mauern, Pfade, Garten, Friedhof, Gewand, Stiege, "Hausgerät der Väter" - gemeinsam ist dem allem, dass es sich um Menschenwerk handelt, um Artefakten. Im Gedicht mit dem gleichsam programmatischen Titel "Verfall", geschrieben 1909, ist der Verfall noch ganz naturhaft im Bild, zunächst auf den Herbst bezogen, auf Blattfall und von der Kälte bedrohte Blumen, Astern. Doch auch hier werden in unmittelbarer Nachbarschaft hierzu Artefakten genannt, die erst bei genauem Hinschauen als vom Verfall bedroht kenntlich werden: "rostige Gitter" und "dunkle Brunnenränder, die verwittern". Ort des Geschehens ist ein "dämmervoller Garten" - da der Morgen bei Trakl kaum erscheint, handelt es sich wohl um die Abenddämmerung.

Ein Vogelzug "Entschwindet in den herbstlich klaren Weiten", heißt es in "Verfall". Und, das ist bemerkenswert, "Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen". Amsel und Vogelflug erscheinen als Motive hier gemeinsam. Ähnlich in "An den Knaben Elis". Die Amsel als Standvogel muss den Winter über ausharren, doch ihr bleibt der Gesang, ihre Klage zu artikulieren. Der Vogelzug verläßt die Bedrohung, den Anlass der "Klage", den "Verfall". Allerdings vermeidet Trakl hier jeden Hinweis auf einen verlockenden "Süden", in den die Vögel zögen. Mit kitschverdächtigen Verheißungen wird die Qualität dieses Textes nicht getrübt.






 
FARBEN BEI GEORG TRAKL



Die Farbenwelt Georg Trakls

Die Forschung tat sich schwer mit der Charakterisierung der Traklschen Bilder, nicht nur sofern sie von Farben geprägt sind. Als Metaphern, absolute Metaphern, Symbole und Chiffren wurden sie bezeichnet - ohne dass sich eine Benennung durchgesetzt hätte. Richard Brinkmann hat 1965 vorgeschlagen, sie als eigensprachliche Wortprägungen aus dem Kontext des Traklschen Gesamtwerkes zu verstehen. Was die Traklschen Farben betrifft, bieten sich daher drei Ansätze an, ihnen auf die Spur zu kommen: Zum ersten vor dem Hintergrund der konventionalisierten Farbensymbolik, zum zweiten über die Farbenpsychologie, zum dritten als Konstruktionen des Traklschen Werkes.

Dass die konventionelle Farbensymbolik nicht mehr als ein erster Ausgangspunkt sein kann, zeigt Trakls häufige Verwendung von Farben in klarem Widerspruch zur symbolischen Konvention. So verwendet er die Farbe Weiß im Gedicht "Sonja" zur Charakterisierung der Augenbrauen ("Sonjas weiße Brauen"), die zwei Zeilen später mit "Wildnis" assoziiert sind ("die Wildnis ihrer Brauen"). Der enge Kontext legt es nahe, hier zunächst einmal von Schnee weiß gefärbte Brauen zu sehen. Doch zwei Strophen davor heißt es "Sonnenblumen, sanftgeneigte/Über Sonjas weißes Leben" - wir müssen uns also bequemen, sowohl die Symbolik "Unschuld" von Weiß als auch den konkreten Bezug zu Schnee als ungenügend für eine Deutung des Gedichtes anzusehen.

Diese Stellen legen auch schon nahe, dass wir mit dem Rückgriff auf Farbenpsychologie gleichfalls nur eingeschränkt erfolgreich sein können. Weiß ist farbenpsychologisch eine höchst problematische Farbe, da sie ja eigentlich farblich - und damit psychologisch relevant - unbestimmt ist. Dennoch spielt gerade sie bei Trakl eine große Rolle - wie auch andere Farben mit schwer zu bestimmendem emotionalem Gehalt, etwa Silber. Eine farbenpsychologische Untersuchung von Helmuth Sagawe ermittelte unter anderem, welche Farben mit Kindheit assoziiert werden, und fand als Hauptfarbe Rosa. Die Farbe Blau landete weit abgeschlagen auf einem der letzten Plätze. Bei Trakl hingegen wird die Kindheit engst mit Blau verbunden (s. "Kindheit").

Es spricht daher viel dafür, dass wir in der Tat die Bedeutungen der Farben bei Georg Trakl nur aus dem Gesamtkontext seines Werkes erschließen können. Dabei kommt keiner Farbe eine durchgängig bestimmende Rolle zu. Vielmehr gilt Goethes Satz aus dem "Faust", "Am farbigen Abglanz haben wir das Leben", in ganz eigentümlicher Weise für die Produktivität der Traklschen Lyrik im Einsatz der Farben.

In Klammern angegeben die Belegstellenzahl im Werk Trakls nach dem Trakl-Index von Klein/Zimmermann, entsprechend der Konvention ohne verworfene Varianten. Diese Zahlen sind nur relativ zu verstehen. Werden noch Komposita und abgeleitete Formen dazu genommen (bei Blau etwa "Abendblau" oder "Bläue"), ergeben sich geringfügig andere Werte. Bedeutsamere Verschiebungen ergeben sich, wenn lediglich die von Trakl zur Veröffentlichung freigegebenen Texte gewertet werden.



Blau
(161)

In Goethes "Farbenlehre" spielt die Farbe Blau eine besondere Rolle. Zwischen der Behauptung, Blau sei eigentlich keine Farbe, über die er in seiner "Konfession des Verfassers" berichtet, und der Auffassung, nur Gelb und Blau könnten als eigenständige Farben gelten, spannt sich der Bogen seiner Bemühungen um ein Verständnis dieser Farbe. "Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung" erklärt er im Kapitel "Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe" seiner Farbenlehre von 1810. Über das Blau in der modernen Literatur hat Angelika Overath eine bemerkenswerte Arbeit geschrieben. Und wer sich die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergegenwärtigt, der wird von Picassos Blauer Periode über den "Blauen Reiter" Kandinskys und Marcs bis zu Yves Kleins blauen Monochromien die Präsenz dieser Farbe wahrnehmen. Auch bei Trakl kommt Blau eine prägende Bedeutung zu. Die damit verbundenen Bilder sind in der Regel positiv und gehören den Themenkreisen Kindheit, (religiöser) Ursprung, Klarheit, Sicherheit an. Im Gedicht "Kindheit" finden sich "blaue Höhle", "blaues Wasser", "blauer Augenblick" und "heilige Bläue".

Blau erscheint am häufigsten im Werk Trakls, geringfügig vor Schwarz. Blau kommt zumeist die Funktion eines Gegenspielers zu Schwarz zu, etwa in "Frühling der Seele", wo Schwarz negativ konnotiert ist: "durch schwarze Gassen stürzt der Wind"; daneben steht "Das Blau des Frühlings winkt". Allerdings ist Blau dem Schwarzen zugleich bedeutungsnah, wie in "Ruh und Schweigen", wo Schwarz ein eher bedrohliches, Blau ein eher verheißungsvolles Geheimnis benennt: "der schwarze Flug der Vögel", daneben steht "das Heilige blauer Blumen".

Doch wir sollten uns vor allzu fixen Bedeutungszuordnungen hüten. In "Abendland", 4. Fassung, heißt es "Mond, als träte ein Totes/Aus blauer Höhle". Die "blaue Höhle" ist hier Ursprung eines Schreckens, es folgen "ein Krankes" und "Auf schwarzem Kahn/Hinüberstarben Liebende". Erhellend ist zum Gehalt der Farbe Blau bei Georg Trakl die von Angelika Overath gegebene Deutung des Gedichtes "Kindheit". Sie verweist hier gut begründet auf den Roman "Heinrich von Ofterdingen" von Novalis hin und stellt aufschlussreiche Verbindungen her. Im Nachfolgenden wird sich allerdings auch zeigen, dass Blau zwar in besonderer Weise präsent ist im Werk Georg Trakls, wir jedoch seine Farbenwelt nicht darauf fokussiert sehen dürfen.

Lektüreempfehlung: Angelika Overath, Das andere Blau. Zur Poetik einer Farbe im modernen Gedicht, Metzler 1987



Gelb
(28)

Für Goethe ist Gelb Komplement und Gegenspieler von Blau, die Lichtfarbe gegenüber der Dunkelheitsfarbe. Bei Trakl übernimmt diese Rolle häufig Golden, allerdings in einer merkwürdigen Ambivalenz, sehr nahe zur Dunkelheit. Gelb erscheint bei Trakl als Wirklichkeitsfarbe, Beschreibungsfarbe und ist weniger stark als Blau mit vermittelter Bedeutung aufgeladen. Es charakterisiert Dinge, die auch in der Wirklichkeit durch ihre Gelbtönung auffallen, etwa das "Rohr" in dem frühen Gedicht "Im Winter" oder das "Korn" im späteren Gedicht "Stundenlied". Gelb tritt bei Trakl nie als expliziter Gegenspieler zu Blau auf. Wo die beiden Farben zusammen auftreten, geschieht dies in einem klaren welthaften Zusammenhang, so in der zweiten Fassung von "Landschaft": "Und die gelben Blumen des Herbstes/ Neigen sich sprachlos über das blaue Antlitz des Teichs". In der ersten Fassung des Textes ist Gelb gerahmt durch Purpur und Rot.

In der inhaltlich-bildlichen Nachbarschaft zu Gelb finden sich vorwiegend Farben aus dem Rotspektrum - dabei stets auch einen naturhaft-tatsächlich gegebenen Bildzusammenhang benennend. In "Stundenlied" ist dieser Zusammenhang gegeben durch "Korn-gelb" und "Laub-purpurn". In "Im Winter" durch "Rohr-gelb" und "Wild-verblutet" sowie "Gossen-blutig" - denn wir dürfen bei Trakl Blut unmittelbar mit der Farbe Rot assoziiert sehen.  Besonders prägnant erscheint die Gelb-Rot-Verbindung in der Zeile "O! Stille gelb und roter Blumen" im Gedicht "Im Park". Eine interessante Parallelstelle biete das Gedicht "Afra" mit der Formulierung "Und Afras Lächeln rot in gelbem Rahmen/ Von Sonnenblumen". Rot erscheint hier inselhaft umgeben von Gelb. Was die beiden Farben in ein wechselseitiges Verhältnis der Steigerung fügt. Das Gedicht "Die Sonne" nennt "Sonne-gelb" und "Fisch-rötlich". Erst nach "Weiher-grün" kommt das Bild "Kahn-blau" - explizit als eigenständig markiert durch die Zeile "Unter dem runden Himmel".



Golden
(89)

Dieser Farbwert kann als zentraler Farbwert im Traklschen Werk gelten - gerade weil und insofern er sich nicht selbst eindeutig zentrieren lässt. Er steht, und dies gilt in besonderer Weise im Werk Trakls, mehrdeutig zwischen Licht und Dunkel. Gemeinsam mit Blau konstituiert er einen deutlichen Bezug zur christlichen Marien-Ikonographie. Darüber hinaus schafft er eine seltsam berührende Korrespondenz zur byzanthinischen liturgischen Bildkunst sowie zur Ikonenmalerei der orthodoxen Kirche, insofern er häufig als Hintergrundswert eingesetzt wird ("Zeitalter": "Auf Goldgrund uralte Liebesmär"). Häufig erscheint der Farbwert in Fügungen wie "das dunkle Gold" ("Stundenlied") oder "dunkelgolden", etwa in "Kindheit": "doch manchmal erhellt sich die Seele,/ Wenn sie frohe Menschen denkt, dunkelgoldene Frühlingstage." Damit ist die Ambivalenz dieses Farbwertes bei Trakl prägnant benannt, seine Bedeutung als Lichtwert, Licht-Bild einerseites, aber auch sein Bezug zu Vergangenem, Versunkenem, dunkel Verborgenem.

Gelegentlich findet sich "Golden" in der Nachbarschaft zu "Gelb", so etwa in "Kleines Konzert": "Felder-gelb", "Wälder-golden". Ansonsten steht der Farbwert eher für sich. Bemerkenswert ist auch, dass Trakl die konventionellen Zuschreibungen von "golden" weitgehend vermeidet. Getreidekorn ist bei ihm niemals "golden" sondern stets "gelb". Auch den "goldenen Herbst" finden wir bei ihm nicht, lediglich "goldenen Wein" in Herbstbildern - etwa in "Verklärter Herbst". Ein Bild, das mehrmals erscheint, ist die "goldene Wolke". Dabei kann es sich zunächst einmal schlicht um die Erfahrung von Wolkenbildern im Sonnenauf- oder -untergang handeln. Denn, das kann nicht genug betont werden: Trakl war auch ein aufmerksamer Beobachter und Naturerfasser. Doch begleitet seine Naturbilder - darin steht er der Romantik nahe -  stets ein Subtext religiös-mythologischer Bedeutungen. Deutlich wird dies etwa im Gedicht "An einen Frühverstorbenen" in der Fügung "Goldene Wolke und Zeit". "Golden" wird hier nicht nur auf die Wolke, sondern auch auf die mythologische Vorstellung eines 'goldenen Zeitalters' bezogen.

Neben die Verbindung mit Blau tritt häufig auch die mit Rot. So im Gedicht "Nachts", das als blau-gold-rotes Farbenbild erscheint. Als Interpret steht man vor diesem Gedicht recht hilflos. Ein "Sündenfall" von Blau zu Rot scheint gestaltet, aber mit der "Bläue meiner Augen" ist unmittelbar verbunden das "rote Gold meines Herzens". Und das angesprochene 'Du' mit einem bergenden blauen Mantel trägt zugleich den roten Mund. Der Text "Nachts" macht deutlich, dass wir uns hüten sollten davor, Trakls Werk eine einzige Farbe als "charakteristisch" zuzuordnen. Vielmehr ist es die Fülle der Farbwelt, die uns bei ihm entgegentritt. Goethes "Am farbigen Abglanz haben wir das Leben" im "Faust" gewinnt bei Trakl eine neue produktive, aber auch höchst beunruhigende Bedeutung.



Rot
(82)

Rot ist auch bei Trakl die Farbe des Blutes. Darin eng verbunden mit dem Bild "Mund", der bei Trakl häufig als "Wunde" erscheint. So etwa explizit in einem Ludwig von Ficker, dem Freund und Förderer gewidmeten Gedicht, "Die junge Magd", in der Zeile "Und ihr Mund gleicht einer Wunde". Unübersehbar ist Rot mit Vitalität, Sexualität, Bedrohung und Gewalt verbunden, ganz den tradierten Vorstellungen entsprechend. Prägnant wird dies etwa in "Geburt": "Rot vom Wald niedersteigt die Jagd". Und "Der Gewitterabend" hebt an mit einem klagenden "O die roten Abendstunden!" In "Herbstseele" begegnet uns die "rote Pein" der menschlichen Existenz.

Allerdings dürfen wir Rot nicht auf die hier anklingende negative Konnotation reduzieren. Auch wenn Vitalität und Sexualität bei Trakl häufig eng mit Gewalt, Schmerz und Leiderfahrung verbunden sind, gibt es auch ein bejahendes, Rot als Farbe der weltlichen Existenz geradezu feierndes Moment, wenn auch selten. So etwa in "Kleines Konzert", das beginnt mit "Ein Rot, das traumhaft dich erschüttert -/Durch deine Hände scheint die Sonne./Du fühlst das Herz verrückt vor Wonne/Sich still zu einer Tat bereiten." Der Kontext des Gedichtes schafft allerdings auch hier eine irritierende Ambivalenz, in der "Verwesung" sich auf "Genesung" reimt.

Auf die Verbindung von Rot mit der Farbe Gelb bin ich bereits in der Erörterung dieser Farbe eingegangen. Bemerkenswert ist, dass Trakl Rot gelegentlich auch mit Blau zusammenführt. Indirekt (über Blut und Feuer vermittelt) geschieht dies in "An einen Frühverstorbenen" in der rätselhaften vorletzten Strophe "O, das Blut, das aus der Kehle des Tönenden rinnt,/ Blaue Blume; o die feurige Träne/ Geweint in der Nacht." Direkt verbindet er die beiden Farben in seinem Dramenfragment über die Bilder "rote Fische" und "das blaue Wasser". Ähnlich in "Unterwegs" mit der Zeile "Der blaue Quell zu deinen Füßen, geheimnisvoll die rote Stille deines Munds". "Aus Händen sinken Astern blau und rot" heißt es in "Menschliches Elend". Bedeutsamer scheinen allerdings die Gegenstellungen von Rot und Blau, etwa in "Beim jungen Wein", wo in der letzten Strophe "Rote Gesichter" auf die "blaue Stimme des Engels" treffen. Eine Konfrontation finden wir auch in "Delirium" mit "roter Finger" neben "blaue Firne".



Purpur
(69)

Purpur tritt in ähnlicher Bedeutung wie Rot auf, ist allerdings deutlich stofflicher und naturhaft gebunden, die Farbe charakterisiert etwa die Augenhöhlen ("Helian"), die Nüstern von Pferden ("Landschaft") oder den menschlichen Leib ("Klage") und nähert sich bei Trakl auch im sinnhaften Gehalt - wie die Farbe konkret - den Farbwerten Blau und Schwarz. Deutlich ist auch ein Bezug zur Farbe von Blut, dargestellt etwa in "Drei Blicke in einen Opal", wo es zum Ende des zweiten Blicks heißt: "Die Purpurschnecken kriechen aus zerbrochen Schalen/Und speien Blut in Dorngewinde starr und grau." Diese Verbindung zeigt sich auch in "Sebastian im Traum", in der Zeile "Aus der Wunde unter dem Herzen purpurn das Blut rann."

Die Nähe zu Schwarz zeigt sich etwa in der letzten Zeile des Gedichtes "Geburt", wo es heißt "Schnee, der leise aus purpurner Wolke sinkt". Wolken, Gewölk sind bei Trakl häufig rosig oder rosenfarben bestimmt, in erkennbarem Bezug zu Sonnenunter- oder -aufgang. Hier jedoch, im Gedicht "Geburt" befinden wir uns in einem umfassend nächtlich bestimmten Bildbereich, "nächtlich" und "Nacht" erscheinen auch wörtlich, von Schlaf ist die Rede und der "kalte Mond" erscheint. Als Farbwert dominiert Schwarz und unmittelbar mit "purpurner Wolke" verbunden ist "schwarze(r) Schnee". Im Zentrum des Gedichtes, exakt in der mittleren Zeile des formal streng gegliederten Gedichtes erscheint der Farbwert Blau, der bei Trakl mit Geburt und Kindheit verbunden ist.

Doch gibt es auch für Purpur eine Verbindung zur Sonne, im "Kaspar Hauser Lied", gleich zu Beginn: "Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg". Ein weiteres Lichtphänomen, das Trakl gelegentlich als purpurfarben charakterisiert, sind Flammen. Zuerst im Gedicht "In der Heimat", dort ist es eine "Kerzenflamme, die sich purpurn bäumt". Für Eduard Lachmann ist Purpur bei Trakl "die Farbe erlittener Wollust, erlittenen Schmerzes, die Farbe der Reue, der Todeswunde" ("Trakl und Hölderlin" in: Trakl, Gesammelte Werke, Bd. 3, 1949, S. 172).




Rosig
(26)

Es gibt eine Fotografie, die Georg Trakl im Badeanzug am Lido von Venedig zeigt. Eine schwarzweiße Aufnahme, die den Künstler gravitätisch-ernst, zugleich aber auch bis ins Äußerste grazil-kindlich zeigt. Für mich ein Bild, das unwillkürlich den Farbton altrosa evoziert.

Trakl nennt gelegentlich, aber doch auffallend, den unbestimmten Farbton "rosig" in seinen Gedichten. Da er auch an zwei Stellen "rosenfarben" bzw. "rosenfarbne" nennt, liegt zunächst nahe, dass er damit nur unbestimmt die Pflanze ansprechen möchte, die Rose, die in seinen Gedichten gelegentlich erscheint. Rosen sind in seinen Texten eng verbunden mit Friedhof und Garten, mit Mauern und Gittern/Zaun. So etwa in "Lebensalter" mit den "wilden Rosen am Gartenzaun".  Ihre Zugehörigkeit zu Grenzen, Einhegungen bezeugt schon der erste Text im Werk Trakls, der Rosen thematisiert, "Geistliches Lied". Dort ruhe "Maria weiß und fein" in "Rosen Kranz und Reihn". Der Bezug zum Rosenkranz, der in Trakls Werk gleichfalls exponiert erscheint, etwa im Zyklustitel "Rosenkranzlieder", ist offenkundig.

Dass Trakl indes auch einen klaren Farbton vor Augen hatte, zeigt die Rede vom "Rosengewölk", wie wir sie in den Texten "In Venedig" ("Zaubrisches Rosengewölk") und "Frühling der Seele" ("Leise tönt die Sonne im Rosengewölk am Hügel") finden. Das es sich dabei um ein spezifischen Farbphänomen handelt, macht eine Parallelstelle im Gedicht "Vor Sonnenaufgang" deutlich. Dort heißt es: "In Wolken tönt ein rosenfarbnes Glimmen". Es sind zumindest hier also blasse, luftige Rottöne gemeint, wie sie in den Dämmerungszeiten erscheint. Bei Caspar David Friedrich in "Mondaufgang am Meer" von 1822 sehen wir solches "Rosengewölk". "Schon lichtet sich der rosige Flor" heißt es in "Frühling der Seele".

Allerdings können wir Trakl nicht auf diese Farbtöne von Sonnenauf- und -untergang festlegen. In "Drei Blicke in einen Opal" haben wir die Wendung "rosig hängt ein Tropfen Tau/Im Rosmarin", in "Sebastian im Traum" finden wir die "Rosige Osterglocke im Grabgewölbe der Nacht", den "rosige(n) Engel" sowie ein "rosiges Kindlein" - und bei "Elis" verstummen "die rosigen Seufzer" der Liebenden. Festzuhalten bleibt eine Verbindung mit Dunkelheit oder Dämmerung und eine Tendenz zu synästhetischen Wahrnehmungen. Unübersehbar ist auch die Nähe zu Bildern von Unschuld und Erlösung.




Braun
(67)

"Des Abends braun und blaue Farben" aus dem Gedicht "Rondel" machen uns darauf aufmerksam, dass auch Assonanzen mit eine Rolle spielen für die Konstellationen, in denen Farben im Werk Trakls erscheinen. Dass es sich indes um mehr als bloße Lautspielerei handelt, können wir etwa im Gedicht "Amen" erkennen, wo "Braune Perlen", die den Rosenkranz meinen, unmittelbar den "blauen Mohnaugen" eines Engels korrespondieren und in der Strophe darauf "Blau ist auch der Abend" ein "braunes Gärtchen" begleitet. Deutlich ein Gegenspiel gestaltet der Anfang von "Melancholie": "Die blaue Seele hat sich stumm verschlossen,/ Ins offne Fenster sinkt der braune Wald".

Braun ist Naturfarbe bei Trakl, daran besteht kein Zweifel, es benennt einen ursprünglichen, tendenziell harmonischen Zustand. Braun sind Erde, Dörfer, Bauern. In "Melancholie II" (Killy/Szklena Bd. 1., S., 332) erscheint der "braune Wald" nicht per se als eine Bedrohung der "blauen Seele", aber doch als Ort, dem die Seele sich verschließt. Und in der nächsten Strophe ist der "Garten braun und kalt". Wobei die Kälte allerdings wohl, können wir vermuten, nicht der "Bräune" geschuldet ist oder ihr wesentlich verbunden, sondern dem einbrechenden Winter - wie immer bildlich wir diesen verstehen wollen. Braun ist in der zweiten Strophe des Gedichtes "Die Raben" verbunden mit dem Bild von Ackerfruchtbarkeit. Doch schon die Zweideutigkeit, mit der Trakl über "ein Weib, das schwere Ahnung berückt" den braunen Acker mit den schwarzen Raben verbindet, macht deutlich, dass die Farbe über Fruchtbarkeit komplex verbunden ist mit deren Gegenspielern, Tod und Verfall, die in "Aas", wovon die Raben sich ernähren, erinnert werden.

Im Gedicht "Melancholie II" findet sich auch der Farbklang braun-rot, in "Ein Zug von Rossen/Sprengt rot ins Dorf. Der Garten braun und kalt." Welche konstitutive Bedeutung diese Farbklänge für ein Gedicht haben können, zeigen die verschiedenen Bearbeitungsstufen und Varianten von "Melancholie/Melancholia", in denen sich mit unterschiedlichen Objekten verbunden die Klänge braun-blau und rot/purpur-braun/schwarz durchhalten. Was auch die Nachbarschaft von Braun und Schwarz bestätigt. Wobei schwierig zu deuten bleibt, ob Braun und Schwarz nur graduell differenziert sind, oder ob, wofür es starke Argumente gibt, Schwarz eher den Verfallsaspekt, Braun eher den Fruchtbarkeitsaspekt trägt.



Grün
(68)

"Grünlich dämmert der Fluss, silbern die alten Alleen/Und die Türme der Stadt" heißt es in "Frühling der Seele". Und wir können dies durchaus auch deskriptiv verstehen. Ein vorausgehender "purpurner Nachttau" ist da noch kein fundierter Einwand, denn bei entsprechendem Morgenlicht kann dieses zunächst irritierende Bild eine durchaus konkret treffende Beschreibung sein. Grün ist bei Trakl in der Regel das, was auch "in Wirklichkeit" grün ist. Irritierende Verwendungen wie bei Blau ("blauer Augenblick", "blaues Antlitz"), Gelb ("gelbes Antlitz", "gelbe Mauern"), Rot/Purpur/Rosig ("purpurne Male der Schwermut", "rote Schauer", "rosige Osterglocke"), Braun ("braunes Dorf", "brauner Wein"), Silber ("silberne Hände", "silberne Lider") finden sich gar nicht. Grün sind die Wälder in "Abendland", "Grünes" sind bei Trakl Pflanzen, nichts weiter. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das "grüne Kristall" aus einem unfertigen Text im Nachlass.

Daher stellt sich weniger die Frage nach den Bedeutungsgehalten von Grün bei Trakl als vielmehr die, wo Grün bei Trakl auftaucht, in welchen Werkphasen, Kontexten und Bildfeldern. In den Texten der Sammlung 1909 erscheinen ganz allgemein wenige Farben, Grün erscheint bis 1909 nicht. In der mittleren Werkphase haben wir neben den anderen Farben häufig auch Grün, das in den von Trakl freigegebenen späten Gedichten dann nicht mehr vorkommt. Bemerkenswert ist der Gebrauch von Grün im Text "Am Abend", der von Trakl nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war. In der ersten Fassung steht die kühne Formulierung "Aber mit ergrünendem Schritt gehst du am Wald hin". Daraus wird dann "Aber am Abend dämmert ein Grün auf". Es ist offensichtlich, dass Trakl Grün von allen angespannten Verwendungen fernhalten wollte. Umso gewichtiger kann es in seinem Werk eintreten für eine versöhnende, stützende, wohlwollende Natur. "Er wahrlich liebte die Sonne" heißt es im "Kaspar Hauser Lied", und weiter: "Und die Freude des Grüns". In "Stundenlied" gibt es zwar die "Abendängst im Grün" - doch es ist nicht das Grün beängstigend. Es ist vielmehr so, dass selbst das Grün die Ängste nicht zu bannen vermag.



Schwarz
(157)

Schwarz ist knapp nach Blau die zweithäufigste Farbe im Traklschen Werk, im autorisierten Werkteil knapp die häufigste. Allerdings ist ihre Verwendung wenig auffallend. Was Trakl schwarz nennt, ist in der Regel schlicht phänomenal schwarz. Das Gedicht "Geburt" beginnt mit "Gebirge: Schwärze, Schweigen und Schnee", weiters begegnen hier "schwarze() Tannen". In "Am Abend" finden wir "schwarze Bänke", in früheren Fassungen des Gedichtes ist "grau und schwarz der Baum" bzw. "grau und schwarz der Wald". In "Traum des Bösen" "ragt der Kirchen trauriges Gepränge" schwarz empor.

Wenn allerdings in "Trübsinn" ein Kind "mit seinen Augen schwarz und glatt" spielt und einige Zeilen weiter "Gottes Himmel" schwarz und "entlaubt" schwankt, bleibt ein Bezug auf reale Phänomene unbefriedigen. Sicherlich, es gibt schwarze Augen. Und "Gottes Himmel" könnte das schwarze Geäst von entlaubten Bäumen in einer Winternacht sein, die man auf dem Rücken liegend betrachtet. Doch bleiben solche Erklärungen dürftig auch vor dem Hintergrund des Gedichttitels. Hier liegt nahe, Schwarz vorrangig als Farbe einer seelischen Verfassung zu lesen. Dies bleibt allerdings im Rahmen üblicher Farbkonnotationen, lässt uns nicht stocken wie etwa ein "blaues Tier" oder "rote Fische". Vor allem aber sind noch konkrete Phänomene assoziiert.

Nur selten verlässt Trakl mit seiner Verwendung der Farbe Schwarz den Bereich realer Dingbeziehungen. So früh in seinem Dramenfragment mit der kühnen Formulierung "Sein Antlitz ist schwarz von Hochmut und Trauer, Vater!" Dann exponiert im "schwarzen Wind" und in den "schwarzen Flügeln" der Fäulnis in "Am Moor". In ähnlicher Verwendung wie in "Am Moor" dann in einem der letzten Gedichte, "Grodek", mit der Zeile "Alle Straßen münden in schwarze Verwesung". An diesen Stellen wird Schwarz zur Farbe der vollkommenen Negation, im Hochmut als Negation der gesellschaftlichen Welt, der totalen Abkehr von ihr, in der Verwesung als Negation der stofflichen Welt.

Wie der Versuch klingt, auch diese Negation noch zu übersteigen, zeigt uns Trakl in einem Sonett ohne Titel aus dem Nachlass (Werke I, 312): "Die Nacht, die schwarz an deinem Haupt zerbricht".




Grau
(29)

Grau ist die unbunte Farbe schlechthin, Weiß und Schwarz werden häufig noch dem Farbbereich zugeordnet, so kommt ihnen in der Farbenpsychologie eine weit höhere Bedeutung zu als dem Grau, des gleichen in der künstlerischen Auseinandersetzung. Kandinsky spricht 1910 (Jahr der Fertigstellung des Manuskriptes) in "Über das Geistige in der Kunst" von zwei Hauptgegensätzen bei den Farben, dem zwischen Gelb und Blau sowie dem zwischen Weiß und Schwarz. Grau ist für ihn das Gleichgewicht von Schwarz und Weiß, spannungslos, ohne jegliche eigene Aktivität. Er charakterisiert es als "klanglos und unbeweglich" (Kandinsky 99). Anders als das bei Kandinsky gleichfalls unbewegliche, jedoch "selbstzufrieden" ruhende Grün (Gleichgewicht von Gelb und Blau) ist Grau für den Maler trostlos, erstickend. Johannes Itten, der große Bauhauslehrer, nannte Grau eine "charakterlose, indifferente Nichtfarbe".

Grau erscheint bei Trakl eher selten und meist nahe an konkreten, allerdings stofflich nicht zu greifenden Phänomenen, etwa im "grauen Himmel" des Textes "Am Moor" oder in der "graue(n) Wolke" von "Das Herz", den "graue(n) Wolken" von "Drei Blicke in einen Opal". Dabei sind es vor allem Naturphänomene, die so charakterisiert sind, auch bei metaphorischen Gehalten wie in "Der Wald im grauen Totenhemd" ("Jahreszeiten"). Grau sind Wolken, Gewölk, der Himmel, die Dämmerung, ein Wald in der Dämmerung, die Nacht, der Morgen. Davon abweichend gibt es etwa "graue() Zimmer" in Psalm, "graue() Möven" in "Abendlied", "grauen Marmor" in "Helian", die "grauen Türme" in "Die Nacht". Der achtmal bei Trakl genannte Wolf ist nie grau, sondern "flammend" oder "rot".

Im Gedicht "Dämmerung" finden wir die Zeile: "Im Grau, erfüllt von Täuschung und Geläuten". Damit wird Grau werkimmanent aufgeladen mit der Semantik von "Täuschung" - und nebenher auch "Geläute" mit eben dieser Semantik. Den engen Bezug von "Grau" zu "Grauen" erschließt uns ein Vergleich dieses Gedichtes mit "Das Grauen". Dort erscheint "(a)us Graun und Finsternis ein Antlitz" im Spiegel: Kain. Der Farb-/Lichtwert Grau ist sprachlich und semantisch nicht mehr klar zu scheiden vom Emotionswert "Grau(e)n".  "Grauen" und "grauen" finden wir an insgesamt vierzehn Belegstellen. Wobei "grauen" als Adjektiv in der Regel den Farbwert meint, allerdings auch in den übertragenen Bereich ragt, so in "Frühling der Seele" mit dem "grauen, steinernen Schweigen()" oder in "Afra" mit "grauer Schwüle". Oft ist gerade bei Trakls Verwendung von "grau" nicht deutlich, ob es sich um ein Attribut oder einen adverbialen Bezug handelt. So in den Fügungen "Sein Antlitz grau im Mond verfällt" in "Romanze zur Nacht" oder "Zwei Schläfer schwanken heimwärts, grau und vag" in "Trübsinn". Besonders prägnant in einem Beispiel aus "Drei Blicke in einen Opal" mit Rechtsstellung ohne Kommaabtennung: "Gebein steigt aus dem Erbbegräbnis morsch und grau" - mit folgender Parallelstelle in unmittelbarer Nachbarschaft: "Und speien Blut in Dorngewinde starr und grau".




"Dunkel"
(228)

Gewiss ist "dunkel" kein eigentlicher Farbwert, aber doch ein Lichtwert, der schon in der konventionellen Semantik eng an Grau und Schwarz sich anlehnt. "Dunkel" erscheint bei Trakl sehr häufig. Auffallend ist dabei im adjektivischen Gebrauch vor allem die Verbindung mit Klangphänomenen, etwa als "dunkle Stimme" in "Klage" oder als die "dunkeln Flöten des Herbstes" in "Grodek". 54 mal erscheint das "Dunkel", die substantivierte Form. Dabei ist in der Regel die weitgehende Abwesenheit von Licht gemeint. Auch die prädikative Form bleibt in der Bedeutung meist konkret auf die Lichtverhältnisse bezogen, etwa in "Unterwegs": "O, wie dunkel ist diese Nacht." Wobei hier sicherlich auch ein übertragener Gehalt anklingt.

Der adverbiale Gebrauch arbeitet eher mit dem metaphorischen Gehalt, wie ihn auch die konventionelle Semantik kennt, etwa in "Traumland": "fühlte ich dunkel die Größe und Schönheit des Lebens". Auch hier finden wir häufig Klangphänomene angesprochen, etwa in einem dreistrophigen Gedicht mit dem bezeichnenden Titel "Immer dunkler" aus dem Nachlass, in welchem in der ersten Strophe das "schwarze Dorf" und "(d)rei Schatten" erscheinen. In der zweiten Strophe "dämmert unten" das Tal und die Rede ist vom Ende des Tages. In der dritten Strophe grüßt dann "(f)romm und dunkel ein Orgelklang".

Bemerkenswert scheint mir in der Auseinandersetzung mit "dunkel" auch der Lichtwert "düster" (mit lediglich 7 Belegstellen), der eine starke emotional-wertende Komponente enthält. Es ist sicherlich kein Zufall, dass "düster" bei Trakl exponiert in den beiden letzten Gedichten auftritt, die auch zwei Bilder mit "dunkel" enthalten. In "Klage" erscheinen gleich in der ersten Zeile die beiden "düstern Adler" Schlaf und Tod, in "Grodek" rollt die Sonne "düstrer" über die "blauen Seen" und die "goldnen Ebenen". In einem Brief vom 26. Juni 1913 an Ludwig von Ficker schreibt Trakl von seiner beklemmenden Situation in Salzburg, wo er nach dem Scheitern seiner erneuten Bemühungen um ein geregeltes Arbeitsverhältnis in Wien von seinen persönlichen Problemen eingeholt wurde, und bekennt: "Bisweilen fällt dann ein Strahl der letzten sonnigen Innsbrucker Tage in diese Düsterniß und erfüllt mich mit tiefster Dankbarkeit für Sie und all' die edlen Menschen, deren Güte ich in Wahrheit so gar nicht verdiene."




Weiß
(86)

Die "unbunte" Farbe Weiß ist nicht nur bei Georg Trakl problematisch in Bedeutung und Einsatz. Erinnert sei daran, dass sie in manchen Kulturen der Unschuld und der Geburt zugeordnet ist, in anderen dem Sterben und dem Tod. Dass sie in Trakls Werk mit Tod und geisterhafter Existenz verbunden ist, überrascht vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kultur nicht. So war die Malerei des 19. Jahrhunderts voll weißer Gestalten. Doch darf man die Farbe noch nach 1900 so einsetzen, ohne sich dem Kitschverdacht auszusetzen? Kasimir Malewitsch malt 1919 sein "Weißes Quadrat auf weißem Grund" als Versuch einer Ablösung dieser Farbe vom Diktat gegenständlicher Malerei (nach seinem spektakulären "Schwarzen Quadrat" von 1915 und einem "Roten Quadrat" im gleichen Jahr). Bei Trakl sind wir auf den ersten Blick näher bei Böcklin oder Füssli als bei Malewitsch. So wenn etwa die "weißen Greise" in "Helian", zu denen "die Schwestern" gegangen seien, das Leichenhafte, Todesnahe, Gespenstische evozieren.

Im "Helian" heißt es auch: "An den Wänden sind die Sterne erloschen/ Und die weißen Gestalten des Lichts." Die "weißen Gestalten" verweisen noch auf den Bereich der "geisterhaften" Erscheinungen. Wenn allerdings diese Sterne bei Trakl "weiß" sind (einige Zeilen zuvor in "Hirten und weiße() Sterne", so belehrt ein Blick zum nächtlichen Himmel, dass er dies durchaus deskriptiv meinen könnte. Auch wenn in Volksliedern Sterne gerne als "golden" genannt werden. Des gleichen sollten wir uns bei den Bildern "Winter" und "Schnee" nicht allzu sehr in Farbenpsychologie versteigen, um deren Weißheit bei Trakl zu "erklären". Sicherlich steigert das Adjektiv "weiß" hier noch den zumeist intendierten Gehalt von Todesnähe und auch seelisch gemeinter Kälte, doch zunächst einmal ist dies ein Naturphänomen. Das solche von Trakl mit besonderer Aufmerksamkeit und Intensität wahrgenommen wurden, bezeugen seine Gedichte, bezeugen aber etwa auch Berichte Ludwig von Fickers in "Denkzettel und Danksagungen".

Die zitierte Stelle von den "weißen Gestalten des Lichts" im "Helian" macht entschieden darauf aufmerksam, dass wir gestalthafte weiße Erscheinungen bei Trakl nicht eindeutig im gängigen Verständnis als bedrohlich geisterhaft lesen dürfen, trotz der auch textlichen Nähe zu den "weißen Greisen". Weiß ist bei Trakl auch eine positiv konnotierte Farbe des Lichtes, einem Bereich jenseits von Tod und Leben angehörend, dessen Gehalt aus seiner Beschäftigung mit theosophischem Gedankengut erschließbar wird. Die ganze Ambivalenz von Weiß artikuliert sich in der bewegenden Zeile aus "Dämmerung": "Die Sterne weiße Traurigkeit verbreiten."



"Hell"
(21)

"Hell" erscheint lediglich 21 mal. Bleibt also bedeutungslos, verglichen mit seinem Gegenbild, "dunkel". Doch die Belegstellen sind teilweise sehr prägnant, weshalb dieser Lichtwert keineswegs vernachlässigt werden sollte. Am häufigsten ist der adverbiale Gebrauch, zum ersten Mal in der Ludwig von Ficker gewidmeten Ballade "Die junge Magd", an einer trügerischen Lichterscheinung in der Schmiede, nach der die unglücklich schwangere Magd vergebens hascht: "Hell versprühn im Raum die Funken". Hell kommt damit ein Aspekt von Erlösungsverheißung zu, die jedoch in den Traklschen Texten selten eingelöst wird. So ist im gleichen Text später vom "bläulich hellen Himmel" die Rede - kurz vor der endgültigen Wende im Balladengeschehen zum Tod der Magd, eingeleitet durch "Und ihr Mund gleicht einer Wunde".

Oft sind es auch Spiegel, in denen Helle aufscheint, und gerade hier scheint Erlösung möglich, behaftet jedoch mit dem Verdacht des Betrugs, wie in "Im hellen Spiegel der geklärten Fluten/Sehn wir die tote Zeit sich fremd beleben", Zeilen 10 und 11 von "Einklang".

Das Adjektiv "hell" wird nicht nur zur optischen, sondern auch zur akustischen Charakterisierung verwendet, so in "Die schöne Stadt": "Helle Instrumente singen." Ähnlich in "De Profundis" mit "hellem Geklirr" - womit sich eine Tür öffnet, an die der Wind "(ge)pocht" hat. Dass klanglich-musikalische Ereignisse bei Trakl ein gemeinsames Feld ausmachen, ist bekannt. Das Eichendorffsche "Und die Welt hebt an zu singen,/Triffst du nur das Zauberwort" hat sich weiter entwickelt. Keine Zauberwörter sind allerdings mehr notwendig zum Erklingen der Welt, sondern ein offenes 'Ohr' - die Wörter dienen dann dazu, dieses Klingen mitzuteilen.

Substantiviert haben wir zwei Belegstellen, "Helle im Theatersaal" in "Winterdämmerung" und die äußerst gewichtige Stelle, Hölderlin zitierend, in "Ein Winterabend": "Da erglänzt in reiner Helle/Auf dem Tische Brot und Wein." Auch hier wieder ist beide Male der Aspekt von Erlösung präsent.

Ähnlich wie "düster" im Kontrast zu "dunkel" kommt auch "blass" (9 Belegstellen) im Kontrast zu "hell" bereits in der konventionellen Semantik eine ins Negative ziehende emotional-wertende Komponente zu, die Trakl weitgehend übernimmt. Prima vista hat "blass" mit den doch weitgehend positiven Konnotationen von "hell" nichts zu tun, während "düster" bereits in "dunkel" mit Präsentes aufgreift. So bleibt kein Raum für Hoffnung, wenn es in "Das Grauen" heißt "Aus dem Geäst fällt wie aus einer Wunde/Blaß schimmernd Tau". Doch eine Stelle wie "Im Hasel spielen Mädchen blaß und blind,/Wie Liebende, die sich im Schlaf umschlingen" ("Menschliches Elend") macht deutlich, dass "blass" durchaus zehrt von den Heilsbotschaften, die "hell" übermittelt. "Blass" sind die Kinder in "Verfall", ist der letzte Schein des Tages in "Ausklang".

Interessant ist auch der Kontrast von "hell" und "bleich". In "Drei Blicke in einen Opal" sind "Engel" und "Priester" als "bleich" charakterisiert.




Silbern
(61)

Silbern ist bei Trakl mit Gefahr, Gewalt und Tod verbunden - zumeist mit Gewalt in subtiler, verhüllter, oft auch nur angedeuteter Form. Beispielhaft sei die Schlusszeile aus dem "Kaspar Hauser Lied" zitiert: "Silbern sank des Ungebornen Haupt hin". Brachialer klingt es im Gedicht "Föhn": "Silbern zerschellt an kahler Mauer ein kindlich Gerippe". Doch auch hier lässt der lakonische Gesamtton des Gedichtes dieses Bild zurücktreten. Mit "silbernen Füßen" steht Helian in den kotigen Haaren der "Schwestern". Und silbern ist der "Dorn", der in "Frühling der Seele" II, im Kontext von "gewaltiges Sterben" in einer seltsamen Fügung "blüht". Auffallend oft tragen Körperteile diese Farbe, Füße im "Helian", Hände in "Verklärung", Augenlider in "Abendländisches Lied".

Silbern sind auch sonst mit Körperlichem verbundene Erscheinungen, wie etwa Tränen in "Abendland" ("Silbern weint ein Krankes"). Dies verweist uns auf die Stellung von Silber im theosophischen Lehrgebäude. Danach ist der menschliche Leib auch als Harfe zu begreifen, die mit zwei Saitensätzen bespannt ist, einem "tierischen" aus Darm und einem spirituellen aus Silber. Allgemein ist Silber in mystisch-magischen Systemen dem Mond (wenig überraschend) und der menschlichen Seele zugeordnet. Aus der Biographie Trakls gibt es einen bemerkenswerten Bericht des Kindheitsfreundes Anton Moritz in einem Brief an den Trakl-Herausgeber Walther Killy vom 14.06.1965. Darin schreibt Moritz, der junge Trakl habe sich die Seele als ein silbernes Stäbchen vorgestellt, das den Körper durchziehe!

Damit gewinnt gerade dieser Farbwert bei Trakl eine besondere Bedeutung - und zwar als weitgehend von natürlich gegebenen Bezügen freier Farbwert. Auch wo der Mond erscheint, ist er bei Trakl nicht unvermittelt silbern, sondern lediglich vermittelt so präsent in Bildern wie "silberner Kahn" oder "silberne Nacht". Die Todesnähe der Farbe Silber bei Trakl überträgt sich auch auf den Mond. So heißt es zu Beginn von "Abendland": "Mond, als träte ein Totes/ Aus blauer Höhle".



DIE BRIEFE GEORG TRAKLS





Bedeutung der Briefe

Georg Trakl gilt nicht als kulturhistorisch bedeutender Verfasser von Briefen. Was er zu sagen hat, finden wir in seinen Gedichten. In seinen Briefen geht es oft um formale Angelegenheiten im Kontext seiner Gedichte, um Einreichungen, Formulierungsänderungen, Veröffentlichungen, Reaktionen von Publikum und Freunden. Und doch erfahren wir in seinen Briefen auch einiges über die Entstehungsgeschichte einzelner Texte, Trakls Arbeitsweise und sein eigenes Verständnis zentraler Bilder seines Werkes - ebenso über die Bedeutung seines Schreibens für sein Leben und insbesondere über die Persönlichkeit des Autors. Etwas über die Wertschätzung seiner Briefe durch Trakl selbst zeigt uns einer der frühesten erhaltenen Brief, an den Freund Karl Kalmár, vom 30. September 1906: "Du weißt, mein Lieber, daß ich mich am besten im geschriebenen Wort anderen zu äußern vermag. Ich hab nie die Gabe des Redens besessen." Auch wenn Trakl damit die Übersendung eines Gedichtes ankündigt, dürfen wir das Diktum durchaus auch auf sein nicht-literarisches Schreiben beziehen. Den fraglichen Brief erörtere ich gleich anschließend näher.

Zu einem tieferen Verständnis seiner Gedichte ist die Beschäftigung mit Trakls Briefen durchaus hilfreich und sie vermag einige Mißverständnisse aufzuklären, die ein vermeintlich "unvoreingenommener" Blick auf die Texte nahelegt - der doch immer auch ein Blick ist, der von mitgebrachten Lesegewohnheiten, Erwartungen und Urteilen bereits voreingenommen ist. Damit sei nicht gesagt, dass ein literaturhistorisch und mit der Autorbiographie unbelastetet Blick nicht Gehalte eines Textes zu erfahren vermag, die auch überindividuell von Wert sind. Das Recht auf einen "naiven" Blick sei jedem unbenommen. Wer jedoch darüber hinausgehen möchte, wird gerne annehmen, was die Briefe Trakls uns an Zugängen zum Werk eröffnen. Zumal Trakl selbst stets großen Wert darauf gelegt hat, am Leben seiner Freunde in brieflichen Zeugnissen Anteil zu nehmen: "Und soll man sich denn wirklich nicht so oft es nur angeht, die Hand reichen und sich sagen: Ich bin es!" - Brief an Karl von Kalmár am 30. September 1906.

Die Nummerierung bezieht sich auf die Zählung der Briefe in der Werkausgabe von Killy/Szklenar.



1. An Karl von Kalmár - August/September 1905

Georg Trakl schrieb diesen Brief mit achtzehn Jahren an den Freund Karl von Kalmár. Die beiden besuchten 1897-1905 das Staatsgymnasium in Salzburg, davon vier Jahre in der gleichen Klasse, ehe Trakl 1901 ein Jahr wiederholen musste. Trakl hatte 1905 eine Ausbildung in der Apotheke "Zum weißen Engel" begonnen, Kalmár war nach Abschluss seiner Matura nach Wien umgezogen und hatte Trakl dorthin eingeladen, wofür Trakl sich in diesem Brief bedankt. Während seines längeren Aufenthaltes in Wien 1908-1911 hatte Trakl regelmäßigen Kontakt mit dem Jugendfreund.

In diesem Brief an Kalmár werden Themen angesprochen, die das Leben und auch die literarische Arbeit Trakls bis zu seinem Tod 1914 bestimmen sollten. Es sind die Themen "Arbeit", "Drogen" und "Geldnöte".

Trakl klagt gleich zu Beginn des Briefes über Arbeitsbelastung. Und da er am 18. September die Praktikantenstelle als Apotheker antrat, denken wir zunächst an eine Belastung durch diese Tätigkeit. Doch ist im vorliegenden Brief von "Ferien" die Rede - gemeint ist wohl die Zeit zwischen dem 15. Juli, dem Ende seiner Schulzeit (Trakl wird nicht versetzt), und dem Antritt der Praktikantenstelle am 18. September 1914. Die gemeinte Arbeit war also wohl Schreibarbeit, Arbeit an Gedichten oder anderen literarischen Texten (etwa an den Anfang 1906 aufgeführten Stücken?). So schreibt Trakl in einem Brief an Kalmár ein Jahr später beispielsweise von einer "kleine(n) Arbeit aus letzten Tagen" - und meint damit ein Gedicht.

Die Belastung durch literarische Arbeit habe Trakl zu Chloroform geführt, teilt er dem Freund mit: "Um über die nachträgliche Abspannung der Nerven hinwegzukommen habe ich leider wieder zum Chloroform meine Zuflucht genommen". Damit ist ein weiteres Lebensthema des Autors angesprochen, der sich bereits mit 15 erstmals Rauschmittel aus dem Medikamentenschrank der Mutter holte. Es sollte ihn begleiten bis zu seinem frühen Tod durch eine Überdosis Kokain.

Die Eisenwarenhandlung des Vaters konnte die Familie finanziell durchaus komfortabel sichern. Doch Trakl hat früh schon einen relativ aufwendigen Lebensstil gepflegt, viel Geld für Tabak, Alkohol, Kneipenbesuche ausgegeben. Im Brief berichtet er auch von einer fünftägigen Reise ("Partie") zu Beginn der Ferien nach Gastein, wo "alles rasend teuer" gewesen sei. Um den Vater nicht weiter finanziell zu belasten, so schreibt er, sehe er Probleme darin, die Einladung des Freundes nach Wien anzunehmen, denn "(i)n Wien werden die Hotels auch nicht billig sein". Es ist bekannt, dass Trakl seine Freunde und Bekannte häufig um finanzielle Unterstützung anging. In den langen Ausführungen zu Finanzfragen, die etwa 50% dieses Briefes einnehmen, klingt eine diesbezügliche Anfrage durchaus an.




3. An Karl von Kalmár - 30. September 1906

Auch dieser zweite Brief an den Kindheits- und Jugendfreund Karl von Kalmár erlaubt uns einen Einblick in die Persönlichkeit des Autors. Es geht nun vorrangig um literarische Themen, Trakl bedankt sich zunächst für die Glückwünsche des Freundes zur Aufführung seines Dramas "Fata Morgana". Im späteren Verlauf des Briefes beklagt er die Anstrengung des Schreibens, er habe in diesem Jahr nur wenig gearbeitet, nur "kleine Geschichten" vollendet - es dürfte sich um die Prosaarbeiten "Traumland" und "Aus goldenem Kelch" handeln, die im "Salzburger Volksblatt" 1906 veröffentlicht wurden. Zur frühen Traklschen Produktionsästhetik aufschlussreich ist die Erklärung, "daß ich mich am besten im geschriebenen Wort anderen zu äußern vermag". Dies nennt er als Begründung dafür, dem Freund eine "kleine Arbeit" beizulegen, vermutlich "Vollkommenheit", die dem Freund mitteilen möge, "was zu sagen mir so leicht nicht möglich ist".

Der Brief ist auch bedeutsam als Zeugnis der Bemühungen Trakls, Freundschaften zu pflegen. Nach einem Absatz mit guten Wünschen für den Freund, abschließend mit einer allgemeinen Lebensweisheit, schreibt Trakl: "Es würde mich freuen und zugleich lebhaft interessieren wenn Du mir ein mal über Dich schreiben wolltest." Seine Ausführungen kulminieren in der Aufforderung, man solle sich "die Hand reichen und sich sagen: Ich bin es!" Eine sehr prägnante Aktualisierung der zeitgleichen Sozialtheorie George Herbert Meads, die Konstituierung des Ich im sozialen Gefüge benennend. Die Formulierung "Ich bin es" klingt nach einem Zitat, eine Referenz ist bislang in der Forschung nicht belegt. Ein Bezug zu den "Ich bin"-Aussagen Christi ist denkbar, auch zu den "Ich"-Aussagen im "Also sprach Zarathustra".

Kulturhistorische Parallelen gibt es auch zum "Tat twam asi" des Hinduismus und zu einer Stelle aus der Brihadāranyaka-Upanishad über das ātman ("Das da bin ich" in der Übersetzung von Walter Slaje). Die Beschäftigung mit den Upanishaden ist ein Signum der Trakl-Zeit, später beim "Brenner" in Innsbruck kam Trakl gewiss verschiedentlich damit in Berührung, im Heft 20 des "Brenner" vom 15. März 1911 wird die Chândogya-Upanishad in einem Beitrag von Hugo Neugebauer zu Theodor Däublers "Nordlicht" erwähnt (S. 598). Auch über seine Kontakte mit der Theosophie in Wien dürfte Trakl hindustischem Gedankengut begegnet sein. Dass Trakl 1906 die hinduistische Philosophie (etwa vermittelt über eine Schopenhauer-Lektüre) bereits kannte, ist nicht belegt.




4. An Hermine Trakl - 05. Oktober 1908


Die Adressatin des Briefes ist eine der beiden älteren Schwestern Trakls, Hermine, von ihm "Minna" genannt, geboren 1884. Am 06. Februar 1909 heiratete sie in Salzburg den Bahnbeamten Erich von Rauterberg, die kinderlose Ehe wurde 1927 geschieden, 1950 verstarb Hermine von Rauterberg in Salzburg. Ihr Mann, der 1942 starb, bemühte sich 1913 um eine Anstellung für Georg Trakl (Brief an Georg Trakl vom 13. November 1913).

Georg Trakl hatte sich auf den 5. Oktober 1908 an der Wiener Universität für ein Pharmazie-Studium eingeschrieben und war kurz davor nach Wien umgesiedelt. Der Brief wurde noch in den ersten Wiener Tagen geschrieben und ist in der Trakl-Forschung besonders geschätzt als Dokument der Traklschen Weltwahrnehmung und seines Erlebens. Einige auch zum Werkverständnis häufig zitierte Passagen finden sich hier, so etwa das Diktum: "Ich bin bei mir, bin meine Welt! Meine ganze, schöne Welt, voll unendlichen Wohllauts."

Deutlich wird, wie extrem die Gefühlspole sind, zwischen denen Trakl offensichtlich schwankte, die ihn und sein Werk prägten. Auf der einen Seite schreibt er in diesem Brief von einem "Vollgefühl all der animalischen Triebe", das ihm in Wien zum Bewußtsein gekommen sei, mit erschreckenden möglichen Perspektiven: "Ich habe die fürchterlichsten Möglichkeiten in mir gefühlt, gerochen, getastet und im Blute die Dämonen heulen hören". Doch an einem anderen Tag sei das alles wieder fern gewesen: "Heute ist diese Vision der Wirklichkeit wieder in Nichts versunken, ferne sind mir die Dinge, ferner noch ihre Stimme und ich lausche, ganz beseeltes Ohr, wieder auf die Melodien, die in mir sind, und mein beschwingtes Auge träumt wieder seine Bilder".

Seine Wien-Erfahrung bezieht Trakl selbst hier auf seine "Veranlagungen", die in Wien nur den Anstoß fanden, sich zu artikulieren. Veranlagungen, die offensichtlich auch die Schwester sehr gut kannte, sonst hätte er sicherlich hier nicht so offen über seine Empfindungen berichtet. Bemerkenswert an diesem Brief ist auch die Konkretisierung eines Aspektes seiner Persönlichkeit, die in der Rezeption gerne als seherische Gabe des Autors benannt wurde, etwa von Eduard Lachmann, der Trakl in "Kreuz und Abend" der Tradition einer "prophetischen Dichtung" zuordnet. So schreibt Trakl an die Schwester: "Als ich hier ankam, war es mir, als sähe ich zum ersten Male das Leben so klar wie es ist, ohne alle persönliche Deutung, nackt, voraussetzungslos, als vernähme ich alle jene Stimmen, die die Wirklichkeit spricht, die grausamen, peinlich vernehmbar."




5. An Maria Geipel-Trakl - Ende Oktober 1908

Maria, von Georg Trakl und seinem Bruder Wilhelm Mitzi/Mizzi genannt, war die älteste Schwester Georg Trakls, 1882 geboren. Sie heiratete 1903 einen sechzehn Jahre älteren Privatier, Wilhelm Geipel, bei dem sie nach der Hochzeit jedoch nur einige Monate in Graz lebte. Sie kehrte noch im Jahr der Hochzeit zurück nach Salzburg. Dort starb sie am 25. Oktober 1973 in der ehemaligen elterlichen Wohnung am Waagplatz 3, die 1917 verkauft worden war. Sie hatte kurz vor ihrem Tod noch dazu beigetragen, die 1973 eröffnete Gedenkstätte für Georg Trakl am Waagplatz 1a/2 ("Georg-Trakl-Haus") einzurichten mit Möbelstücken aus dem Familienbesitz. Es gab keine weiteren Nachkommen der Familie Trakl-Halik.

Trakl spricht die etwas mehr als vier Jahre ältere Schwester in diesem Brief aus Wien an mit "Liebes Schwesterlein". Der Brief ist plaudernd und herzlich gehalten, schildert Trakls Erfahrungen in Wien aus einer eher touristischen Perspektive, das Wiener Trinkgeld-Wesen bekommt sein Fett ab und überhaupt werden die Wiener geschildert als "ein Volk, das eine Unsumme, dummer, alberner, und auch gemeiner Eigenschaften hinter einer unangenehmen Bonhomie verbirgt". Heimweh klingt an, gleich im zweiten, längsten Absatz des Briefes schildert Trakl einige Bilder Salzburgs, Kapuzinerberg, Gaisberg, das Glockenspiel am Residenzplatz, den Residenzbrunnen, den Dom. "Könnt' ich doch inmitten all' dieser Herrlichkeiten bei euch weilen, mir wäre besser."

Den Zauber Salzburgs schildert er als etwas, das ihn in besonderer Weise anspreche, "ein Zauber, der einem das Herz traurig vor übergroßem Glücke macht!". Und dann folgt ein Satz, der gerne zitiert wird, um das Traklsche Seelenleben zun charakterisieren: "Ich bin immer traurig, wenn ich glücklich bin!"

Eine von den Schwestern gemeinsam angekündigte Lieferung Salzburger Kochkunst begrüßt Trakl mit dem Wunsch "Schickt nur Manna!" - es ist nicht bekannt, was genau aus der eigenen Küche die beiden zu schicken beabsichtigten. Trakl verrät nur so viel: "Daß Ihr durch die Produkte Euerer Kochkunst meinen Gaumen sehr erfreuen würdet, brauche ich wohl nicht lange zu betonen!". Unklar bleibt auch, ob der im Brief kurz vor der Kochkunst genannte Gustav Streicher als Überbringer gedacht war. Der 1873 geborene Dramatiker war Förderer Trakls und wesentlich beteiligt an den Uraufführungen Traklscher Stücke am Salzburger Stadttheater 1906. Er übersiedelte kurze Zeit nach der Abfassung des Briefes von Salzburg nach Wien - was von der Schwester angekündigt worden war.




8. An Erhard Buschbeck - Mai/Anfang Juni 1909

Aus dem Jahr 1909 ist nur wenig Korrespondenz Trakls überliefert, darunter knappe Grußkarten im Freundeskreis sowie vor allem Briefe an Buschbeck, in denen es um die Veröffentlichung Traklscher Gedichte geht. Unter diesen Briefen ist der vorliegende besonders bemerkenswert, insofern er den Einstieg in das Unterstützungsverhältnis Buschbecks zum Werk Trakls und auch - z.B. im finanziellen Bereich - zur Lebensführung Trakls markiert.

Die beiden kennen sich bereits aus dem protestantischen Religionsunterricht der Grundschule. Das Verhältnis Trakls zu Buschbeck war distanzierter, weniger durch "Saufkumpanei" mitgeprägt, als das zu Minnich, Kalmár und Schwab, stärker sachorientiert. Denn Buschbeck machte sich schon früh zum Sachwalter der Traklschen Lyrik, vermittelte Publikationsmöglichkeiten und Kontakte, war weltgewand und rasch Teil der Kulturszene in Wien, wohin er Ende 1909 übersiedelte, wie schon Trakl, Minnich, Kalmár und Schwab zuvor. Buschbeck war es auch, der Trakl 1912 mit Ludwig von Ficker und dem Brenner-Kreis zusammen brachte. Nach August 1913 bricht der Kontakt ab, vermutet wird als Hintergrund eine Affäre Buschbecks mit Trakls Schwester Margarethe.

Trakl erwähnt in diesem Brief einen "Vorschlag" Buschbecks, mit dem er "einverstanden" sei. Es ist nicht bekannt, worauf er sich hier bezieht. Einige Tage später schreibt er "Was deinen Vorschlag angeht, so scheint mir derselbe ausgezeichnet" - hier ist der Vorschlag gemeint, Trakl in "Kürschners Literaturkalender" aufnehmen zu lassen. Faktisch wurde die Angelegenheit von Trakl jedoch nicht weiter verfolgt.

Mit diesem Brief übersendet Trakl das Gedicht "Melusine" II. Er bittet Buschbeck, die Korrespondenz dazu ganz zu übernehmen - "gib es womöglich unter einem anderen als meinen Namen heraus! Vor allem lasse diese Angelegenheit auf Dich beschränkt!" Buschbeck hat den Text an "Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte" und an die Wiener Tageszeitung "Die Zeit" geschickt, von beiden wurde abgelehnt.




13. An Erhard Buschbeck - zwischen 9. und 15. Juli 1910

Vieles hatte sich ereignet unmittelbar vor Abfassung dieses Briefes. Der Vater Tobias Trakl war am 18. Juni in Salzburg verstorben. Und Georg Trakl hatte Ende Juni/Anfang Juli seine beiden praktischen Magisterprüfungen erfolgreich abgelegt (Pharmakognosie: genügend, Chemie: ausgezeichnet).

Der Tod des 1837 geborenen Vaters scheint Trakl erschüttert haben und in eine resignative Stimmung versetzt, auch wenn er diesen Tod nicht ausdrücklich erwähnt. So schreibt Trakl dem Freund, aus Wien nach Salzburg, "meine Angelegenheiten interessieren mich nicht mehr". Mit den "Angelegenheiten" meint er hier primär das Schicksal seiner Gedichte. Am 04. Juli 1910 hatte Buschbeck Trakl mitgeteilt, dass er ihm noch keinen definitiven Bescheid über drei Gedichte geben könne, die er bei der Zeitschrift "Der Merker" ("Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater") eingereicht habe. Trakl antwortet darauf in diesem Brief: "Was meine Gedichte anlangt, die Du an den Merker geschickt hast, so interessiert es mich nicht mehr, was mit ihnen geschehen wird." Eines der Gedichte, "Drei Teiche in Hellbrunn", wurde am 25. Juli im Merker veröffentlicht.

Da Buschbeck auch nach den Examina gefragt hatte, antwortet Trakl darauf, allerdings nur in einem Klammerhinweis, äußerst knapp. Wichtiger sind ihm andere Mitteilungen, "Ich bin ganz allein in Wien", er bekennt "eine große Angst" und "beispiellose Entäußerung". Ob dies Reaktionen auf den Tod des Vaters sind - den Buschbeck in seinem Brief vom 04. Juli mit keinem Wort erwähnt hatte -, erfahren wir nicht. Dass die Firma des Vaters massiv überschuldet war, könnte Trakl vom ältesten Bruder, Wilhelm, der die Firma weiterführen sollte, zu diesem Zeitpunkt bereits gewußt haben. Trakl beschreibt nur weiter seinen desolaten Zustand, dass er gerne "anderswohin unsichtbar werden" möchte, schreibt von einer "fürchterlichen Ohnmacht" und dass er sich nach dem Freund Karl Minnich sehen. "Mein Gott ich wäre so froh, wenn er jetzt nur einen Abend hier wäre." Offensichtlich weilte Minnich gerade auch in Salzburg, denn Trakl trägt Buschbeck Grüße an ihn auf.

Dass es nicht nur der Tod des Vaters war, der Trakl erschütterte, zeigt der letzte Absatz des Briefes. Dort klagt Trakl, "man wird immer ärmer, je reicher man wird" - wobei der Reichtum sich wohl auf künstlerische Inspirationen bezieht, wie der nachfolgende Brief nahelegt. Dies erinnert auch an die Passage aus dem Brief an die Schwester Maria, "Ich bin immer traurig, wenn ich glücklich bin".




14. An Erhard Buschbeck - zweite Hälfte Juli 1910

Dieser Brief aus Wien an den Freund in Salzburg beginnt mit der Bitte, Buschbeck möge ihm 30 Kronen leihen bis 01. Oktober - dann sollte Trakl seinen Präsenzdienst in Wien antreten, würde also eigenes Einkommen haben. Buschbeck kann ihm nicht aushelfen und teilt das postwendend mit, worauf Trakl in einem weiteren Brief vom Juli 1910 mitteilt, dass er darüber "wahrhaftig nicht böse" sei. In einem Brief von Anfang November 1912 sendet Trakl 15 Kronen an Buschbeck, die er ihm schulde. In drei Briefen Trakls an Buschbeck Anfang bis Mitte April 1913 geht es um 50 Kronen, die Buschbeck anweisen lässt.

Nicht nur eigene finanzielle Nöte werden das Leben Georg Trakls in der Folge immer wieder bestimmen. Auch seine eng vertraute Schwester Margarethe hatte offenkundig damit zu kämpfen. Der einzige erhaltene Brief von ihr an den Bruder Georg, geschrieben 1913 oder 1914, formuliert die dringende Bitte, beim ältesten Bruder Wilhelm ("Willy") 200 Mark für sie zu erwirken.

Im Sommersemester 1910 hatte Trakl in Wien den Journalisten und Theaterkritiker Ludwig Ullmann (und dessen Verlobte Irene Amtmann) kennengelernt, leitendes Mitglied des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik in Wien und Mitarbeiter der Fackel 1910 und 1911. Ullmann war im Besitz der Abschriften einiger Gedichte Trakls und hatte Trakl ein eigenes Gedicht vorgelesen, in welchem Trakl ein Plagiat seines Textes "Der Gewitterabend" zu erkennen meinte. Davon berichtet er in diesem Brief wortreich und mit großer Empörung Buschbeck, der mit Ullmann im Akademischen Verband zusammen arbeitete ("Vereinsdreck" nennt Ullmann das mal in einem Brief an Buschbeck vom 27. Juni 1911). Einzelne Wendungen und Bilder seines, des Traklschen Gedichtes, seien von Ullmann fast wörtlich übernommen worden und auch die Reimform des Gedichtes. Insbesondere beklagt Trakl, dass Ullmann ein Verfahren kopiert habe, das Trakl für sein ureigenstes hält. Er nennt dies Verfahren im Brief "meine bildhafte Manier, die in vier Strophenzeilen vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck zusammenschmiedet" und er habe dies "heiß errungen". Nun ist dieses Verfahren allerdings aus der expressionistischen Lyrik insgesamt bekannt (Reihungsstil, Jakob van Hoddis "Weltende" 1911, Alfred Lichtenstein "Die Dämmerung" 1911 - während Trakls Text erst 1913 veröffentlicht wurde) und es hat Vorläufer in der Lyrik des französischen Symbolismus (Rimbaud insbesondere, den Trakl gut kannte, etwa "Enfance"). Das muss nicht heißen, dass Ullmanns Text (der uns nicht vorliegt) kein Plagiat gewesen sei, relativiert aber doch die Einschätzung Trakls.

Buschbeck hat offensichtlich erfolgreich zu vermitteln vermocht, denn in einem Brief an Buschbeck kurz darauf erklärt Trakl, er betrachte die Angelegenheit als erledigt, werde auch seine Gedichte nicht von Ullmann zurückfordern und er danke "Herrn U." dafür, seine, Trakls, Gedichte Stefan Zweig empfohlen zu haben. In diesem zweiten Brief zur "Plagiats-"Angelegenheit findet sich auch der oft zitierte Passus, der eine besonders schöpferische Phase Trakls dokumentiert, "ich bin derzeit von allzu viel (was für ein infernalisches Chaos von Rythmen und Bildern) bedrängt, als daß ich für anderes Zeit hätte, als dies zum geringsten Teil zu gestalten".




18. An Friedrich Trakl - Herbst 1910

Friedrich, genannt Fritz, war Georg Trakls jüngerer Bruder, 1890 geboren. Er hatte eine Militärkarriere begonnen, und weilte nun zum Dienst in Rovereto (gehörte bis 1919 zu Österreich-Ungarn), wohin der Brief adressiert ist. Friedrich Trakl war im 1. Weltkrieg dann Major der Landesschützen/Kaiserschützen, die teilweise in Galizien (auch Grodek) zum Kriegsbeginn 1914 in großer Zahl in aussichtslosen Gefechten umkamen. Nach dem Krieg war Trakls jüngerer Bruder in verschiedenen militärischen Funktionen tätig. Er starb 1957 in Salzburg.

Da Georg Trakl sich selbst nachdrücklich immer wieder um Anstellungen beim Militär bemüht hat, erstaunt es nicht, dass er hier den jüngeren Bruder zum weiteren Militärdienst ermutigt. "Wie bekommt Dir wohl diese militärische Touristik? Anstrengend wirds schon genug sein - aber ich glaube es verlohnt des Schweißes." Daran anschließend berichtet Trakl von seiner eigenen Tätigkeit bei der K. und k. Sanitätsabteilung in Wien, ganz im Militärjargon, der bildreich zwischen "echtem" Militärdienst und der Schreibstubenarbeit unterscheidet: "Was mich anbelangt - so sitze ich mein Jahr ab - und finde es bedauerlich, daß bei dieser Angelegenheit mein Popo das einzige ist, was strapaziert wird."

Dieser Brief ist ein weiteres Dokument, neben den beiden schon angesprochenen Briefen an die Schwestern, der engen Verbundenheit Trakls mit Familie und Heimatstadt. Er kündigt dem Bruder seinen Weihnachtsaufenthalt in Salzburg an und erwartet, dort auch Fritz wiederzusehen. Danach folgt ein knapper Bericht über die Korrespondenz mit den beiden Schwestern Mitzi (Maria) und Gretl (Margarethe). Die Mutter erscheint in einer verklausulierten Bemerkung: "Von daheim selbst, wie je, keine Nachrichten."

Aufschlussreich ist auch Trakls Bericht über seine aktuelle Wohnsituation in Wien. Nach zwei verschiedenen Wohnungen seit dem Studienbeginn im Oktober 1908 und zeitweisem Unterschlupf bei seinem Schulfreund Ludwig Schwab wohnte er nun in einem "Zimmerchen in der Josefstädterstrasse, (...) das die Größe eines Klosetts ausmacht". In der Ausführung zu seinem Befinden dort erscheinen Bilder, die wir auch aus den Gedichten Trakls kennen: "Im geheimen fürchte ich, darin idiotisch zu werden. Aussicht nehme ich auf einen finsteren kleinen Lichthof - Wenn man zum Fenster hinaussieht, versteinert man vor Trostlosigkeit." Allerdings tröstet er sich und den Bruder dann doch mit der Perspektive, nach Ablauf seines Präsenzdienstjahres das Zimmer wieder zu verlassen. Am 20. Mai 1911 teilt er Buschbeck seine neue Adresse in der Klimschgasse 10 mit.

Am Ende des Briefes wird nochmals darauf hingewiesen, dass Georg Trakl den Bruder an Weihnachten in Salzburg antreffen möchte.




26. An Erhard Buschbeck - Spätherbst 1911

Buschbeck war intensiv bemüht, Veröffentlichungsmöglichkeiten für Trakls Gedichte zu finden, auch über Ludwig Ullmann und dessen Braut Irene Amtmann (1887-1978, Heirat 1915), die Trakl besonders gewogen war. Dabei ging es auch um Veröffentlichungen im "Ruf", einer Zeitschrift des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik in Wien, dessen Obmann Ullmann war. In der "Karnevalsnummer" 1912 erscheint Trakls Gedicht "Heiterer Frühling". Im vorliegenden Brief geht es um das Gedicht "Klagelied", das von Trakl wohl für den "Ruf" gedacht war, aber von Buschbeck abgelehnt wurde, wofür Trakl in einem Brief an Buschbeck vom 02. Februar 1912 Verständnis zeigt.

"Klagelied" wurde nicht veröffentlicht, obgleich Trakl es intensiv umgearbeitet hatte und für Buschbeck in dieser Überarbeitung dem Brief beilegt und wortreich empfiehlt: "Es ist umso viel besser als das ursprüngliche als es nun unpersönlich ist, und zum Bersten voll von Bewegung und Gesichten." Wie Trakl weiter ausführt, habe es eine "universelle Form" gefunden, die Buschbeck zusagen müsse. Die ursprüngliche Version ist nicht erhalten. Was Trakl weiter ausführt, wird häufig zitiert, um Trakls Poetik zu erläutern:

"Du magst mir glauben, daß es mir nicht leicht fällt und niemals leicht fallen wird, mich bedingungslos dem Darzustellenden unterzuordnen und ich werde mich immer und immer wieder berichtigen müssen, um der Wahrheit zu geben, was der Wahrheit ist." Es wird diese Aussage gewertet als Zeichen dafür, dass Trakl an seinen Gedichten bis zur geistigen Erschöpfung gearbeitet habe und dass es ihm nicht um die Bewältigung persönlicher Probleme, sondern um künstlerische Anliegen überindividueller Art gegangen sei. Dazu benötigen wir heute nicht mehr diese Briefstelle, die historisch-kritische Ausgabe zeigt mit dem aufwendigen Varianten-Apparat, welch intensiven künstlerischen Arbeitsprozess die Texte Trakls durchlaufen haben.




30. An Erhard Buschbeck - 24. April 1912

Ab dem 01. April 1912 arbeitete Trakl im Probedienst in der Apotheke des Garnisonsspitals Nr. 10 in Innsbruck. In einem ersten Schreiben aus Innsbruck an Buschbeck nennt Trakl seinen neuen Aufenthalt die "brutalste und gemeinste Stadt". In seinem zweiten Brief aus Innsbruck an den Freund in Wien dankt er Buschbeck nun zunächst für eine Karte vom 21. April 1912. Buschbeck bedauerte in diesem Schreiben, dass Trakl eine Stelle in Innsbruck, nicht in Wien erhalten habe. Er und die anderen Freunde wünschten sich, dass Trakl bald wieder nach Wien zurückkehren werde. Mit dieser Karte hat Buschbeck auch die Ausgabe des "Ruf" geschickt, er nennt ihn "Frühlingsruf",  in der ein Text Trakls veröffentlicht war, "Heiterer Frühling".

Trakl drückt seine Freude über diese Veröffentlichung aus, wendet sich dann aber gleich einer weiteren Innsbruck-Schelte zu, als Reaktion auf den Wunsch Buschbecks, in Innsbruck Kontakte zu finden, die ihn mit der Stadt versöhnen könnten. "Ich glaube nicht, daß ich hier jemanden treffen könnte, der mir gefiele, und die Stadt und Umgebung wird mich, ich bin dessen sicher, immer abstoßen." Aber auch die Aussicht auf eine Rückkehr nach Wien begeistert ihn nicht wirklich: "Allerdings glaube ich wohl, daß ihr mich eher in Wien aufscheinen sehen werdet, wohl als ich selber will." Interessant ist die Aussparung des zweiten "eher" in "wohl (eher) als ich selber will". Nicht nur in seinen Gedichten war Trakl also ein Meister der Ellipse. Auch Wien schätzte er keineswegs, seine Kontakte dort waren bekanntlich weitgehend auf den Kreis der Salzburger Schulfreunde beschränkt.

Auf die maßlose Kritik an Innsbruck und die implizite Kritik an Wien folgt das höchst erstaunliche Bekenntnis "Vielleicht gehe ich auch nach Borneo". Und dahinter stand offensichtlich eine konkrete Überlegung. Es ist dokumentiert, das Trakl sich mit einem Schreiben vom 08. Juni 1914 beim königlich-niederländischen Kolonialamt erkundigte, ob und unter welchen Bedingungen er in den niederländischen Kolonien eine Anstellung als Apotheker finden könne.

Die Unzufriedenheit mit seiner Lebenssituation beschreibt Trakl als "Gewitter", das sich in ihm ansammle. Es werde sich wohl schon entladen, "(m)einetwegen und von Herzen auch durch Krankheit und Melancholie".




34. An Ludwig Ullmann - um den 24. Oktober 1912

Ludwig Ullmann war eine wichtige Person im Wiener Kulturbetrieb und nach einer anfänglichen erheblichen Verstimmung Georg Trakls durch ein Gedicht Ullmanns, das er für ein freches Plagiat eines eigenen Textes hielt, hatte sich das Verhältnis durchaus freundschaftlich entwickelt - nicht zuletzt durch die Vermittlung Erhard Buschbecks. Trakl bedankt sich zunächst für einen Brief Ullmanns, der jedoch verschollen ist.

Ullmann hatte sich offensichtlich erkundigt, wie es um die berufliche Weiterentwicklung Trakls bestellt sei nach dem Ende des Innsbrucker Probedienstes am 30. September, zu welchem Trakl ein sehr positives Zeugnis ausgestellt wurde. Trakl antwortet "Leider bin ich über mein ferneres Schicksal noch immer im unklaren". Allerdings hatte er am 23. Oktober den Bescheid über die Aufnahme in eine mit 600 Kronen Jahressold dotierte Rechnungspraktikantenstelle am Ministerium für öffentliche Arbeiten erhalten, worauf er sich im Postscript zu diesem Brief bezieht. Der Brief war also kurz vor dem Eintreffen dieses Schreibens zumindest begonnen worden.

Für den Antritt der neuen Stelle wurde eine Übersetzung in die Reserve notwendig, da Trakl am 01. Oktober in den Aktivstand versetzt worden war und in der Garnisonsapotheke weiter Dienst versah. Diese Übersetzung beantragte Trakl am 30. Oktober, sie wurde vom Kriegsministerium am 20. November genehmigt, mit Wirksamkeit zum 30. November. Vor diesem Hintergrund bat Trakl zweimal um Aufschub des Dienstantrittes am Ministerium für öffentliche Arbeiten. Den Dienst trat er dann am 31. Dezember an, um am 01. Januar 1913 ohne Angabe von Gründen um Entlassung aus dieser Stelle anzusuchen, was gewährt wurde.

Vor diesem Hintergrund gewinnt es ein besonderes Gewicht, wenn Trakl im Brief an Ullmann schreibt, er verlebe hier (im urspünglich verhassten Innsbruck) "den unsäglich wundervollsten Vorfrühling seit Gedenken". "Ich glaube ein gutes Stück Arbeit hinter mir zu haben" - was sich auf seine lyrische Arbeit bezieht, nicht auf den Dienst in der Garnisonsapotheke. In diese Arbeit "eingeflochten" seien "die etwas melancholische Erinnerung an Ausschweifungen jeder Art". Und nun wünsche er sich auch "ein wenig zu rasten, wenn Gott es will". Er führt diese Grundstimmung dann in einem besonders bemerkenswerten Absatz dieses Briefes weiter aus, mit deutlichen Hinweisen auf die erhebliche innere Distanz zu seiner beruflichen Tätigkeit:

"Viel Licht, viel Wärme und einen ruhigen Strand, darauf zu wohnen, ich brauche nicht mehr, um ein schöner Engel zu werden; allerdings ist es traurig, wenn man dann einen schlechten Witz mit sich macht und k. und k. Militär-Medikamentenakzessist wird."

Die genannten Zeugnisse, Gesuche, Genehmigungen und ähnliche Dokumente sind im übrigen in der vorzüglichen Werkausgabe von Killy/Szklenar im genauen Wortlaut zu finden. Was einen vorzüglichen Einblick auch in das Alltags-, Berufs- und Verwaltungsleben der Zeit gewährt.




48. An Ludwig von Ficker - Anfang Dezember 1912

Dieser Brief, der erste erhaltene an Ludwig von Ficker, markiert eine ganz entscheidende Wende im Schicksal Trakls. Bereits im April 1912 hatte Trakl durch die Vermittlung Buschbecks, über dessen Freund Robert Müller, Kontakt zur Zeitschrift "Der Brenner" aufgenommen. Am 01. Mai 1912 erschien dort sein Gedicht "Vorstadt im Föhn". Und noch im gleichen Monat lernte er Ludwig von Ficker, den Herausgeber, sowie den Mitarbeiterkreis des Brenner persönlich kennen. Was seine Haltung zu Innsbruck erheblich modifizierte und insbesondere den Vorort Mühlau, in welchem von Ficker wohnte und Trakl häufig zu Gast weilte, zu einer neuen Heimat Trakls werden ließ. Zeitgleich entwickelte sich die von Buschbeck initiierte Subskription für einen Gedichtband Trakls vorteilhaft.

Trakl bedankt sich in diesem Schreiben zunächst für den Erhalt des Brennerheftes Nr. 5 vom 01. Dezember, mit den Trakl-Gedichten "Ein Frühlingsabend im Herbst" und "Zu Abend mein Herz". Bei "Ein Frühlingsabend im Herbst" handelt es sich um den ursprünglichen Titel von "Ein Frühlingsabend" II. Gewidmet ist der Text dem Brenner-Mitarbeiter Karl Röck. Trotz des Titels wird gleich in der ersten Zeile des Gedichtes der Monat "März" genannt. Erinnern wir uns, im Brief an Ludwig Ullmann vom Oktober 1912 schreibt Trakl vom "unsäglich wundervollsten Vorfrühling". Die beiden Jahreszeiten, Herbst und Frühling, gehen bei Trakl bisweilen unentscheidbar ineins.

Im gleichen Brenner-Heft ist auch ein Gedicht von Karl Röck erschienen, "Das Nachten", unter dem Pseudonym "Guido Höld". Trakl lobt diesen Text als "außerordentlich schön und eigenartig", Röck erscheine ihm darin "wie ein guter Klosterbruder". Das Thema "Klosterbruder" hatte Ludwig Erik Tesar im Eingangsessay dieser Brenner-Ausgabe angesprochen, unter dem Titel "Gesellschaftliche Mönche". Tesar führt darin aus, dass die "sozialen Verbände von heute" ihre Vorläufer in Klostergemeinschaften der Gotik haben.

Trakl kündigt in diesem Brief seinen Besuch in Innsbruck an und verabredet ein Treffen mit von Ficker im Hotel und Weinhaus Delovo. Trakl möchte sich auch in diesem Hotel einquartieren, eine Pension in Mühlau, dem Wohnort von Fickers, scheint ihm aus verschiedenen Gründen nicht verlockend, "denn der Weg nach Mühlau ist weit und voll Gefahren für den Trunkenen". Auch sei er es nicht gewohnt, "das Frühstück in Gesellschaft von alten Damen" einzunehmen. Später sollte sich Trakl in Innsbruck nicht mehr um Hotelunterkünfte bemühen müssen, denn von Ficker forderte ihn in einem Schreiben vom 08. Februar 1913 auf, jederzeit bei ihm in Mühlau oder im Fickerschen Pachthof in Igls Quartier zu nehmen.


 

53. An Erhard Buschbeck - zweite Hälfte Januar 1913

Trakl hält sich in Innsbruck auf, genauer in Mühlau, als Gast Ludwig von Fickers. Er konzentriert sich nun völlig auf seine literarische Arbeit und deren Veröffentlichung, scheint aber auch mit erheblichen psychischen Problemen konfrontiert. In einem Brief an Buschbeck vom 04. Januar schreibt er von Veronalkonsum, der ihn einige Stunden habe schlafen lassen, und bittet den Freund um Auskunft, ob seine Mutter "sehr viel Kummer durch mich hat". Letzteres bezieht sich darauf, dass Trakl gerade unmittelbar nach Dienstantritt eine Anstellung beim Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien aufgegeben hat.

Zunächst aber bedankt Trakl sich für die "Übersendung von Ullmanns Kritik", zu der es kein Dokument gibt, und bittet Buschbeck, einen "herzlichen Dank" an Ullmann zu übermitteln. Dann bekennt er: "Mit mir steht es noch immer nicht am besten, obwohl ich es hier so gut habe, wie nirgends. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, es in Wien zu einer Krisis kommen zu lassen." Dies ist ein deutlicher Hinweis auf die Hintergründe seiner Kündigung vom 01. Januar 1913. Mit dieser Kündigung wollte er sich einer "Krisis" entziehen - was die Kündigung eher als eine Flucht vor etwas als eine Entscheidung für die literarische Arbeit erscheinen lässt.

Und so fügt er diesem Bekenntnis gleich die Bitte an den Freund an, sich um eine neue Anstellung für ihn im Apothekenbereich zu bemühen. Eine Stelle im Apothekenbereich - statt der gerade aufgegebenen Bürostelle als Rechnungspraktikant? Geht es Trakl um den Zugang zu Betäubungsmitteln? Wäre die Krisis in Wien eine Entzugskrisis gewesen? Dafür gibt es einige Hinweise, etwa das Bekenntnis Trakls gegenüber Ludwig von Ficker am 25. Oktober 1914, wenige Tage vor seinem Tod, auf dessen Frage, ob er noch "Gifte" besitze: "No freilich, als Apotheker, ich bitt' Sie, wär' ich denn sonst noch am Leben?"

Abschließend kündigt Trakl im vorliegenden Brief Buschbeck einen Abzug des "Helian" an, der am 01. Februar in Heft 9/III. Jahr des Brenner erschien. "Er ist mir das teuerste und schmerzlichste, was ich je geschrieben."




57. An Karl Borromaeus Heinrich - um den 19. Februar 1913

Karl Borromaeus Heinrich, mit einer Arbeit über Nietzsche promovierter Philosoph, war Brenner-Mitarbeiter und einer der engsten Vertrauten Trakls, einer der wenigen, die er nicht bereits aus seiner Schulzeit kannte. Trakl widmete ihm das Gedicht "Untergang" mit der wiederholten Anrufung "O mein Bruder" und das Gedicht "Gesang des Abgeschiedenen". Heinrich hat seinerseits zwei Texte zu Trakl-Gedichten im "Brenner" veröffentlicht. In zwei persönlichen Widmungen  (Nr. 9 und Nr. 10 in der Killy/Szklenar-Ausgabe Bd. I, 1987, S. 465) nennt Trakl Heinrich "lieben Bruder" bzw. "guten Bruder". Im Brenner-Heft vom 01. Februar 1913 hatte Heinrich über "Karl Kraus als Erzieher" geschrieben, im folgenden Heft vom 15. Februar "Briefe aus der Abgeschiedenheit".

Trakl dankt dem Freund in Innsbruck aus Salzburg für ein Telegramm, das nicht erhalten ist. "Ich wäre so froh, wenn Sie im März nach Salzburg kämen" - offensichtlich hatte Heinrich einen Besuch in Salzburg in Aussicht gestellt. Und Trakl bittet am Ende des Schreibens noch um eine definitive Mitteilung zum Besuch "damit ich rechtzeitig ein Quartier für Sie bestellen kann". Der Haushalt der Familie Trakl befand sich zu dieser Zeit bereits in Auflösung, "ich lebe so zwischen Fieber und Ohnmacht in sonnigen Zimmern dahin, wo es unsäglich kalt ist". Allerdings lag Heinrich dann Mitte März mit einer Veronalvergiftung im Krankenhaus in Innsbruck. Das Veronal hatte er sich zuvor von Trakl erbeten, in einem Brief vom 05. März 1913. Die Weise, wie Trakl auf dieses Ereignis in einem Brief an Ludwig von Ficker vom 13. März reagiert, legt einen Selbstmordversuch nahe: "Es bleibt nichts mehr übrig als ein Gefühl wilder Verzweiflung und des Grauens über dieses chaotische Dasein".

Der weitere Inhalt des Briefes an Heinrich vom 19. Februar 1913 besteht aus Schilderungen der Traklschen Befindlichkeit, die an seine Prosastücke erinnern. "Seltsame Schauer von Verwandlung, körperlich bis zur Unerträglichkeit empfunden, Gesichte von Dunkelheiten, bis zur Gewißheit verstorben zu sein". Und über das heimatliche Salzburg, einstmals, wenngleich in ambivalentem Ton, "Die schöne Stadt" (veröffentlicht am 01. Mai 1911 in "Ton und Wort"), schreibt er nun "Wie dunkel ist diese vermorschte Stadt voll Kirchen und Bildern des Todes".




58. An Ludwig von Ficker - 23. Februar 1913

Ludwig von Ficker ist innerhalb kürzester Zeit zu einem engen Vertrauten Trakls geworden, von Seiten Fickers durch eine äußerste Hochschätzung Trakls als Dichter, aber wohl auch Sympathie und Hochsätzung für den Menschen Trakl geprägt, von Seiten Trakls durch Dankbarkeit und Verehrung.

In diesem Brief bedankt Trakl sich für den "gütigen Brief" vom 08. Februar 1913, in welchem von Ficker ihm anbietet, jederzeit bei ihm Zuflucht zu nehmen. Allerdings geht Trakl hierauf nicht unmittelbar ein, sondern bezieht sich auf von Fickers Zeitschrift "Der Brenner": "Immer tiefer empfinde ich was der Brenner für mich bedeutet, Heimat und Zuflucht im Kreis einer edlen Menschlichkeit." Erst zum Ende des Briefes wird auch der familiäre Bezug angesprochen, Trakl lässt "Florian und Puppa" grüßen, die beiden Kinder der Familie von Ficker.

Dieser Brief gibt auch ein deutliches Zeichen der psychischen Erkrankungen Trakls, möglicherweise auch Folgen des Alkohol- und Medikamentenmissbrauchs: "Es erschreckt mich, wie sehr sich in der jüngsten Zeit ein unerklärlicher Haß gegen mich mehrt und in den kleinsten Geschehnissen des täglichen Lebens in fratzenhafte Erscheinung tritt."

Trakl legt dem Brief das Gedicht "Untergang" in der nun abschließenden 5. Fassung bei, das er "Dr. Heinrich" widmet. Die "erste Niederschrift" - gemeint ist vermutlich die vierte Fassung, die bereits Karl Borromaeus Heinrich gewidmet war - habe noch "manches nur zu Angedeutetes" enthalten. Hatte Trakl in einem Brief an Buschbeck vom Spätherbst 1911 noch die "universelle Form" herausgestellt, die ein Gedicht ("Klagelied") nach intensiver Überarbeitung erhalten habe, stellt er nun etwas wie "Direktheit" oder "Klarheit" in den Fokus. Beides dürfte gemeinsam einem Wahrheitsanspruch zugeordnet sein, den Trakl im Brief vom Spätherbst 1911 seiner Arbeit gegenüber erhebt.




66. An Erhard Buschbeck - 02. April 1913

Buschbeck ist der Freund auch für die konkrete Lebensbewältigung. Um zwei zentrale Themen dabei geht es in diesem Brief aus Innsbruck nach Wien: Um Finanzmittel und um Publikationsmöglichkeiten.

Trakl bittet Buschbeck, ihm 50 Kronen zu leihen. Er wolle Rudolf von Ficker, bei dem er seit dem 01. April in der Villa Hohenburg lebt (bis Anfang Mai dann) mit diesem Anliegen nicht behelligen, das fiele ihm "wahrhaftig zu schwer". "Ich glaube bestimmt, bis zum Sommer und Eintritt einigermaßen geordneter Verhältnisse Dir dieses Geld zurückerstatten zu können." Angesichts der Tatsache, dass etwa die Rechnungspraktikantenstelle, die Trakl gerade hingeworfen hatte, lediglich 50 Kronen im Monat eingebracht hätte, eine eher vage Aussicht. Buschbeck kann das Geld nicht selbst aufbringen, jedoch jemanden anderen für diese Anleihe finden.

Dann wendet Trakl sich der Buchveröffentlichung seiner Gedichte zu, die Buschbeck über eine Subskription initiiert und seitdem weiter vorangetrieben hatte. Allerdings war gerade, am 19. März, eine Absage des von Buschbeck angefragten Verlages Albert Langen Salzburg eingegangen. Nun scheint Ludwig von Ficker bereit, das Werk im Brenner-Verlag zu veröffentlichen, und Trakl teilt dem Freund mit, dass er dies für "das Beste" hielte. Kurz darauf, am 5. April, erhält Trakl eine wohl durch Karl Kraus vermittelte Anfrage des Kurt Wolff Verlages Leipzig, der den Gedichtband veröffentlichen möchte. Was dann auch geschieht, nicht ohne Komplikationen, da Trakl Satzwünsche und Einwendungen gegen PR-Maßnahmen des Verlages vorträgt und auch etliche Korrekturen an seinen Texten im Produktionsprozess anbringt.

Den Sachthemen folgt ein Absatz, der ganz unvermittelt auf einen Skandal im Kulturleben der Stadt Wien eingeht, von welchem Trakl am gleichen Tag in den Innsbrucker Zeitungen gelesen habe. Während eines Schönberg-Konzerts, aufgeführt durch seinen Schüler Anton von Webern, kam es zu einem Aufruhr im Publikum, in dessen Verlauf Buschbeck wohl jemanden geohrfeigt hatte, wozu Trakl ihn in seinem Brief vom 05. April "beglückwünsch(t)e.




73. An den Kurt Wolff Verlag - 27. April 1913

Mit Datum vom 01. April hat der Kurt Wolff Verlag, ehemals Rowohlt, Trakl mitgeteilt, dass er an einer Publikation mit Trakl-Gedichten interessiert sei. Vermittelt hatte den Kontakt wohl Karl Kraus nach Ansprache durch Erhard Buschbeck. Trakl erhielt das Schreiben am 05. April.  Er schickte darauf unverzüglich das bereits beim Verlag Albert Langen eingereichte und von diesem zurückgesendete Manuskript mit der Sammlung "Gedichte" und bat mit einem Schreiben Mitte April um den Satz in Fraktur oder älterer Antiqua sowie ein Format, dass auf die "den Gedichten eigene Struktur möglichst Rücksicht" nehme. Am 23. erhielt Trakl ein Honorar von 150 Kronen (= 3 Monatsentlohnungen als Rechnungspraktikant; für "Sebastian im Traum" werden ihm dann 400 Kronen angeboten) und die Mitteilung des Produktionsdirektors, Arthur Seiffhart, dass einige der Trakl-Gedichte in einer Reihe "junger Autoren", die Franz Werfel als Lektor besorgte, vorab veröffentlicht werden sollten, um im Herbst dann den Band mit allen Gedichten folgen zu lassen. Sicherlich geschah dies auch in guter Absicht als Teil der "intensive(n) Propaganda", die Seiffhart in einem Schreiben vom 16. April angekündigt hatte.

Hierauf nun reagiert Trakl am 27. April mit einem längeren, kostspieligen Telegramm höchst ungehalten."Damit bin ich selbstverständlich in keiner Weise einverstanden und ich verbitte mir, daß vor Erscheinen des Gesamtbandes meiner Gedichte, der allein Gegenstand unserer Vereinbarungen war, irgend eine Teilausgabe erscheint". Trakl bezeichnet seinen Entschluss als "unumstößlich", droht mit Rücktritt vom Vertrag und verweigert "bis auf weiteres" auch die Annahme des bereits angewiesenen Honorars. Trakl zeigt sich hier durchaus als verhandlungsfester Geschäftsmann mit klaren eigenen Vorstellungen. Er moniert zudem in einem Klammerhinweis, dass er noch keine Gegenzeichnung des Vertrags erhalten habe.

Seiffhart antwortet zunächst am 28. April mit der Mitteilung, den Verleger Wolff, der in Paris weilt, informiert und den Satz (gemeint ist wohl für die Vorpublikation) gestoppt zu haben, beharrt aber mit nun ausführlicheren Erläuterungen auf seinem Projekt, mit dem Argument, Trakl damit zunächst einmal einem breiteren Publikum bekannt zu machen und den Markt für den im Herbst erscheinenden Gedichtband vorzubereiten. Wolff scheint allerdings dann auf Seiffhart eingewirkt zu haben und mit einem Schreiben vom 30. April verzichtet der Verlag, weiterhin vertreten durch Seiffhart, auf die Vorabpublikation, möchte aber auch "folgendes sagen: Vertraglich wären wir durchaus berechtigt, die Gedichte jetzt teilweise, später als Ganzes, oder auch in noch anderer Form zu publizieren." Man versichert allerdings, nicht gegen den Willen des Autors handeln zu wollen, "sondern mit Ihrem Willen die Gedichte Ihnen zur Freude zu publizieren".

Anfang Mai antwortet Trakl darauf mit einem weiteren, nun sehr gemäßigten Telegramm, und erklärt, nach dem Erscheinen des Gesamtbandes auch einer Teilpublikation zuzustimmen. Was marketingstrategisch sicherlich wenig zielführend gewesen wäre. Aber letztlich konnte Trakl damit für sich den Erfolg verbuchen, das seine "Gedichte" bereits im Juli an die Subskribenten ausgeliefert werden, nicht erst im Herbst.




85. An Ludwig von Ficker - 26. Juni 1913

Gewiss einer der bewegendsten Briefe Trakls und zu Recht häufig zitiert - zu selten allerdings auch gebührend kontextualisiert. Trakl schreibt diesen Brief in einer Zeit des Erfolges als Dichter, sein erster Gedichtband steht kurz vor der Veröffentlichung, denn er hatte beim Kurt Wolff Verlag durchgesetzt, dass der Band nicht erst im Herbst erscheint. Für die Publikation hat er 150 Kronen erhalten, die er bitter benötigt. Er schreibt nach einem etwa einmonatigen Aufenthalt bei der finanziell und nach dem äußeren Eindruck wohl auch emotional gesicherten Familie von Ficker in Innsbruck aus Salzburg, seinem Heimatort, wo er die Schwester Margarethe antreffen wollte (s. Brief von Fickers vom 28. Juni 1913), die aber offensichtlich in Berlin geblieben ist. Die eigene Herkunftsfamilie ist zerfallen, der Vater verstorben, die Mutter in ihre Welt eingesponnen, das Familienunternehmen aufgelöst, die Schwestern leben alle drei in unglücklichen Verhältnissen, die drei Brüder, soweit bekannt, wohl desgleichen. Und es klingt an, dass Trakl sich in Innsbruck nicht immer den gesellschaftlichen Konventionen entsprechend verhalten habe.

Ficker hatte ein Treffen mit Adolf Loos unterstützen wollen, aber die beiden haben sich verfehlt, was Trakl zu Beginn seines Briefes mitteilt. Loos war auf einer Reise zurück von Venedig nach Wien und fuhr über Innsbruck, um Trakl kennen zu lernen, der sich aber gerade wieder in Salzburg aufhielt. Von Ficker hatte über ein Telegramm versucht, die beiden am Salzburger Bahnhof zusammen zu bringen, wo Trakl wohl den falschen Zug abpasste. Loos und er lernten sich dann im Juli in Wien kennen, wo Trakl erneut eine Stelle als Rechnungpraktikant bekommen hatte - die er erneut preisgab, nach wenigen Tagen. Im August reiste er dann mit Karl Kraus, Adolf Loos und anderen nach Venedig.

Nach dem kurzen Passus zum verfehlten Treffen folgt ein langer Absatz, in welchem Trakl zunächst das regnerische und kühle Wetter in Salzburg konfrontiert mit den vergangenen sonnigen Tagen in Innsbruck. "Bißweilen fällt dann ein Strahl der letzten sonnigen Innsbrucker Tage in diese Düsterniß und erfüllt mich mit tiefster Dankbarkeit für Sie und all' die edlen Menschen, deren Güte ich in Wahrheit so gar nicht verdiene." Damit geht er über zu eine Schilderung seiner psychischen Verfassung und seines Charakters, die beklemmender nicht sein könnte. "Zu wenig Liebe, zu wenig Gerechtigkeit und Erbarmen, und immer zu wenig Liebe; allzuviel Härte, Hochmut und allerlei Verbrechertum - das bin ich." Die in seinem Werk immer wieder aufscheinende Erlösungshoffnung zeigt in diesem Brief ihren brüchigen Hintergrund. "Ich sehne den Tag herbei, an dem die Seele in diesem unseeligen von Schwermut verpesteten Körper nicht mehr wird wohnen wollen und können, an dem sie diese Spottgestalt aus Kot und Fäulnis verlassen wird, die ein nur allzugetreues Spiegelbild eines gottlosen, verfluchten Jahrhunderts ist."

Die Hoffnung, mit der dieser Brief endet, ist diktiert von der zuvor geschilderten Verzweiflung. "Gott, nur einen kleinen Funken reiner Freude - und man wäre gerettet; Liebe - und man wäre erlöst."

Von Ficker antwortet auf diesen Brief postwendend mit einem Schreiben vom 28. Juni und nimmt unverzüglich Stellung: "Was Sie an sich Härte nennen, ist gut und gerecht. Ich darf darüber urteilen, denn ich hab' mir ihre Härte zu Herzen genommen und fand, daß sie ein guter Schmied sei." Er bittet Trakl inständig, von seinen Selbstanklagen Abstand zu nehmen. "Nie wieder dürfen Sie sich anklagen! Hören Sie! Denn dies ist härter zu ertragen als alle Härte, die man Ihnen zu danken hat."



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