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Christiana Mariana von Ziegler
Das männliche Geschlechte
(1739)


Du Weltgepriesenes Geschlechte,
Du in dich selbst verliebte Schaar,
Prahlst allzusehr mit deinem Rechte,
Das Adams erster Vorzug war.
Doch soll ich deinen Werth besingen,
Der dir auch wirklich zugehört;
So wird mein Lied ganz anders klingen,
Als das, womit man dich verehrt.

Ihr rühmt das günstige Geschicke,
Das euch zu ganzen Menschen macht;
Und wißt in einem Augenblicke
Worauf wir nimmermehr gedacht.
Allein; wenn wir euch recht betrachten,
So seyd ihr schwächer als ein Weib.
Ihr müßt oft unsre Klugheit pachten,
Noch weiter als zum Zeitvertreib.

Kommt her, und tretet vor den Spiegel:
Und sprechet selbst, wie seht ihr aus?
Der Bär, der Löwe, Luchs, und Igel
Sieht bey euch überall heraus.
Vergebt, ich muß die Namen nennen,
Wodurch man eure Sitten zeigt.
Ihr mögt euch selber wohl nicht kennen,
Weil man von euren Fehlern schweigt.

Seht doch, wie ihr vor Eifer schäumet,
Wenns nicht nach eurem Kopfe geht.
O Himmel, was ist da versäumet,
Wenn man nicht gleich zu Diensten steht!
Ihr flucht mit fürchterlicher Stimme,
Als kämt ihr aus des Pluto Kluft.
Und wer entgehet euren Grimme,
Wenn ihr das Haus zusammen ruft?

So bald der Eifer sich geleget,
Wird aus dem Bär ein stilles Schaaf,
Das weiter keinen Streit erreget:
Es überläßt sich Ruh und Schlaf.
Habt ihr geirrt, heists kein Vergehen:
Die Weiber sind an allem Schuld.
Wer sie muß immer um sich sehen.
Dem reisset endlich die Geduld.

Zu dem, wenn euch der Wahn bethöret,
Das andern eure Frau gefällt;
Wie wird nicht eure Ruh gestöret,
Wenn sichs gleich nicht also verhält!
Ihr sucht euch schon an dem zu rächen,
Der sie nur in der Ferne kennt,
Und das ohn alles Wiedersprechen,
Wenn man nur seinen Namen nennt.

Die Frau wird euch vergebens fragen,
Ob ihr sie mit Bestande liebt?
Das schwache Werkzeug soll nicht klagen,
Wenn man ihm Speis und Kleidung giebt.
Geniessen andre ihr Vermögen,
Weil ihr Geliebter gerne nascht;
So kommts von seinem eignen Seegen,
Wenn sie ihn bey der Lust erhascht.

Er gönnt ihr wohl ein gut Gerichte,
Wenn er mit andern Freunden schmaust:
Allein kein freundliches Gesichte,
Weil er in Rausche lermt und braust.
Vermißt er den Ducatenbeutel,
Und denkt an das verlohrne Geld,
So hält er dieses nicht vor eitel,
Da ist er erst ein schwacher Held.

Manch frommes Weib bekommt zur Ehe
Den grösten Geizhalß von der Welt.
Da findet sie die sieben Wehe,
Daß jeder Tag etwas behält.
Bey seinen neidischen Geberden
Sieht er ganz blaß und mager aus.
Es ist nichts häßlichers auf Erden,
Als dieser Mann in seinem Haus.

Der Hochmuth stellt uns feine Seelen
Im männlichen Geschlechte dar.
Der Ehrgeiz läßt sich nicht verhelen,
Sie folgen ihm, auch mit Gefahr.
Doch straft man nicht die Ehrbegierde,
Nach der ein Weiser sich bestrebt;
Die ist des Menschen gröste Zierde,
Wenn er dabey vernünftig lebt.

Die, welche sich nur selbst erheben,
Die gerne groß und vornehm sind,
Nach allen Ehrenämtern streben,
Da doch den Kopf nichts füllt als Wind:
Die keine Wissenschaften kennen,
Und dringen sich in Würden ein,
Die kann man wohl mit Namen nennen,
Daß sie der Thorheit Kinder seyn.

Die Männer müssen doch gestehen,
Daß sie wie wir, auch Menschen sind.
Daß sie auch auf zwey Beinen gehen;
Und daß sich manche Schwachheit findt.
Sie trinken, schlafen, essen, wachen.
Nur dieses ist der Unterscheid,
Sie bleiben Herr in allen Sachen,
Und was wir thun, heißt Schuldigkeit.

Der Mann muß seine Frau ernähren,
Die Kinder, und das Hausgesind.
Er dient der Welt mit weisen Lehren,
So, wie sie vorgeschrieben sind.
Das Weib darf seinen Witz nicht zeigen:
Die Vorsicht hat es ausgedacht,
Es soll in der Gemeine schweigen;
Sonst würdet ihr oft ausgelacht.


Ihr klugen Männer schweigt nur stille:
Entdecket unsre Fehler nicht.
Denn es ist selbst nicht unser Wille,
Daß euch die Schwachheit wiederspricht.
Trag eines nur des andern Mängel,
So habt ihr schon genug gethan,
Denn Menschen sind fürwahr nicht Engel,
An denen man nichts tadeln kann.



Christiana Mariana Romanus wurde 1695 geboren als Tochter des Leipziger Bürgermeisters Franz Conrad Romanus, der 1705 einer Intrige zum Opfer fiel, in Festungshaft genommen wurde und dort 1746 verstarb, ohne dass je ein Urteil gesprochen war in seiner Angelegenheit. Sie verlor 1712 ihren ersten Ehemann, 1722 den zweiten Ehemann, Georg Friedrich von Ziegler, und zwei Töchter - vermutlich im Verlauf einer Epidemie. Danach lebte sie wieder in ihrem Elternhaus und führte dort einen "musikalischen Salon", an welchem auch Johann Sebastian Bach teilnahm, der einige ihrer geistlichen Cantaten vertonte. Georg Philipp Telemann war im übrigen ein Freund ihres Vaters. Sie war in der intellektuellen Welt anerkannt und berühmt insbesondere ihrer Reden wegen, unter anderem zur Frage "Ob es dem Frauenzimmer erlaubet sey, sich nach den Wissenschaften zu bestreben". 1728/29 erschien ihre erste, zweibändige Textsammlung. 1733 wurde sie als erste Frau von einer Universität, der zu Wittenberg, zur Dichterin, "Poeta laureata", gekrönt. 1741 heiratete sie zum dritten Mal und trat danach als Übersetzerin in Erscheinung. 1760 verstarb sie in Frankfurt an der Oder.

Der Text "Das männliche Geschlechte" erschien 1739 in der Sammlung "Vermischete Schriften in gebundener und ungebundener Rede" in Göttingen. Es trug die Titelergänzung "Im Namen einiger Frauenzimmer besungen" und war auch konkret als Lied konzipiert, mit einer Melodie-Beigabe. Der Inhalt ist rasch beschrieben, es handelt sich um eine durchaus humorvolle Abrechnung mit dem Dünkel der Männerwelt, als Nachkommen Adams die eigentlichen Vertreter des Menschengeschlechts zu sein. Die Ideale der Aufklärung werden hier radikal auch im Blick auf die Geschlechterdifferenz umgesetzt.

Dabei hebt die Autorin insbesondere die Überheblichkeit der Männer hervor, einmal den Frauen gegenüber, aber durchaus auch in einem allgemeinen Verständnis. Sie fordert darüber hinaus die Teilhabe der Frauen an den Wissenschaften und am allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs. Auch die sexuelle Selbstbestimmung ist bereits hier im beginnenden 18. Jahrhundert zentrales Thema, der Mann gönne sich selbst durchaus Seitensprünge, der Frau gestehe er das aber nicht zu, kritisiert die Autorin in souverän ironischem Ton.

Bemerkenswert ist auch der Hinweis auf die "Gemeine", in der die Frau schweigen solle. Damit sind die reformierten Kirchengemeinden gemeint, die mit den Frauen auch nicht gerechter umgingen als die katholische Kirche. Und die sich dabei auf Luther berufen konnte.


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