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Sibylla Schwarz
An den unadelichen Adel
GNade Juncker / ich muß fragen:
Wo hinauß? Ihr fallet schier:
Atlas kan den Himmel tragen
Ohn' euch darumb bleibt nur hier:
Ewer stoltz sein wil mich treiben /
Euch ein schlechtes Lied zu schreiben.
Dedalus weiß sich zuschwingen /
Krafft der Flügel / hoch empor /
Icarus wil höher dringen /
Meint ihm noch zu kommen vor /
Aber muß auff Erden liegen /
Als er wil gen Himmel fliegen.
Also kan man heut noch sehen /
Wie so mancher Edelman
Seinen Ahnen nach wil gehen /
Der doch kaum nur sehen kan
Spiesse / Harnisch / Büchs und Degen /
Die da Edel machen pflegen.
Wer den Weg der Demuth kennet /
Der ist Edel nur allein /
Wer sich selbst unedel nennet /
Der mag zweymahl edel sein;
Der ist edel von Gemüth /
Und nicht schlecht nur vom Geblüt.
Marius wil nicht viel preisen
Seiner Ahnen Ruhm und Schild /
Sondern wil viel lieber weisen
An ihm selbst der Eltern Bild;
Denn es sind nur bleiche Wangen /
Die mit frembder röhte Prangen.
Er weiß frewdig aufzulegen /
Was ihn machet lieb und wehrt;
Seine Büchse / Spieß und Degen /
Sein voll Schweiß / und nasses Pferd /
Und darzu der Leib voll Wunden /
Die zumteil noch nicht verbunden.
Der kans nachthun seinen Ahnen /
Der da schützt sein Vaterland /
Nicht allein mit rohten Fahnen /
Sondern auch behertzter Hand /
Der da kan viel Nutzen schaffen /
Und auff harter Erden schlaffen.
Mancher weis uns vorzusagen
Viel von seiner Tapfferkeit /
Wie er manchen Held erschlagen /
Ey es ist der Warheit weit!
Katzen meint er nur und Mäuse /
Wilde Flöh und zahme Läuse.
Dieser pflegt sich außzuschmücken /
Zieret mit den Sporen sich /
Leßt das Kleid mit Silber sticken /
Kreußt das Haar so meisterlich /
Aber ach ihr Stoltzen Narren!
Adel wechset nicht in Haaren.
Jener endert die Geberden /
Gott! was braucht er Phantasey!
Bückt sich offtmahls biß zur Erden /
Hawt sich mit der Hand entzwey /
Scharret weitlich in den Sande /
Meint / das dien zum Adelstande.
Pfleget mit den Augen wincken /
Bricht mit frembder Stimm hervor /
Hebt / auß Hoffart / an zu hincken /
Zieht den hut aufs eine Ohr /
Viel auch reden durch die Nasen /
O der zwey mahl grossen Hasen!
Dabey muß es noch nicht bleiben /
Schawt doch / wie sie heben an
Grossen Titel sich zu schreiben /
Der oft auff den Brieff nicht kan:
Aber grosse Titel sterben /
Können gar kein Lob erwerben.
Wird von einem nur gesaget /
Daß er etwas weis und kan /
So wirdt anfangs bloß gefraget:
Ist er auch ein Edelman?
Ist ers nicht / so wird verlachet /
Was er je und je gemachet.
Der hergegen wird gepreiset /
Der von grossen Eltern her /
Ob man ihm zwar offt beweiset;
Daß er aller Tugend leer:
O ihr Narren! O ihr Thoren /
Mit des Midas Esels Ohren!
Laßt euch; bitt ich / weisen heute /
Weil ihr blind seyt ümb und an:
Ihr seyt nur als andre Leute /
Adel ist ein blosser Wahn;
Denckt nur / wie der Teuffel lachet /
Wenn er euch so stolz gemachet.
Ich weis gar wol ewre Sinnen /
Der ist euch an Adel groß /
Der viel Güter kan gewinnen /
Ob er zwar an Tugend bloß /
Der ein stücke Land besitzet /
Daß ihn offtmahls wenig nützet.
Hohe Schlösser / dicke Mawren /
Grosse Dörffer / Gelt und Gut /
Schöne Pferde / reiche Bawren /
Das macht euch den grossen Muth;
Nun der Krieg euch das genommen /
Müßt ihr zu den Bürgern kommen.
Habt offt kaum das Brodt zu essen /
Hungert manchen langen Tag /
Und seit dannoch so vermessen /
Daß man sich verwundern mag /
Ja ein kluger muß euch weichen /
Kan euch kaum das Wasser reichen.
Die in Phebus Hütten leben /
Müssen / ob es schon nicht recht;
Euch die Oberstelle geben /
Ihr seit Herren / sie die Knecht;
O geht hin / und laßt euch lehren /
Wie ihr andre auch solt ehren.
Hab ich nun zu viel geschrieben /
Zürnet nicht / nur denckt allein /
Daß ihr mich darzu getrieben /
Warheit wil gesaget sein:
Euch Gestrengen / Edlen / Vesten
Ist es je geschehn zum besten.
Der Text "An den unadelichen Adel" enthält die differenzierte Kritik
an einer Adelsgesellschaft, die sich lediglich zum eigenen Vorteil
und mit vordergründiger Statusbetonung, ohne substantielle
Begründung, vom Rest der Gesellschaft abzuheben sucht. Deutlich
formuliert Sibylla Schwarz dem gegenüber bereits positiv das
Programm des "Seelenadels", das erst in der Empfindsamkeit des 18.
Jahrhunderts breitenwirksam werden sollte, das allerdings schon bei
Leonardo Bruni, "In nebulonem maledicum", vorformuliert wurde: "Die
eigene Tugend macht einen Menschen edel, nicht die Schatten und
Gräber der Vorfahren." (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Die zweite
Schöpfung der Welt, 1994, S. 59)
Mit ungewöhnlich differenzierter Sprachführung beginnt sie ihr
Gedicht als direkte Ansprache an einen "Juncker", den sie ironisch
um "Gnade" bittet für eine Frage, die sie an ihn habe: "Wo hinauß?"
Wo hinaus er denn wolle mit seinen überheblichen Ansprüchen, als
müsse er die Welt alleine auf den Schultern tragen, was ihm
keineswegs gut anstünde: "Ihr fallet schier". Und spöttisch erklärt
die Autorin dem "Juncker": "Atlas kan den Himmel tragen/Ohn' euch".
Das verdankt sich sicherlich dem Geist einer "freien Hansestadt",
ist aber dennoch unerhört in einer Zeit, die geprägt ist von
(Adels-)Dünkel und Gewalt. Und verständlich ist der Wunsch der
Autorin, man möge ihre Verse anonym veröffentlichen. 1650 erübrigte
sich dann diese Rücksichtnahme.
Schon in der ersten Strophe begegnet uns "Atlas" aus dem
humanistisch geprägten Bildungsfundus der Zeit - in gebührende
Distanz zum lächerlichen Abklatsch, den der "Juncker" mimt. In der
zweiten Strophe folgen dann "Dedalus" und "Icarus", die aktualisiert
werden als Vertreter menschlich-männlicher Hybris. Sie werden in der
dritten Strophe bezogen auf den "Edelman", der sich auf seine Ahnen
berufe, obgleich sein geistiger Horizont kaum über "Spiesse /
Harnisch / Büchs und Degen" hinausreiche, also die engste Gegenwart
bloßer Statussymbole nicht verlasse.
Dem Konzept des Seelenadels gilt dann die vierte Strophe, mit der
strengen Forderung, dass nur der edel genannt werden dürfe, der sich
selbst nicht so nenne.
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